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Selbstorganisation in der stationären Psychotherapie

Die Strukturierung therapeutischer Prozesse durch Begegnung

AutorHelmut Kronberger, Wolfgang Aichhorn
VerlagHogrefe Verlag GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl123 Seiten
ISBN9783840925566
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Der Band beschreibt anschaulich die Arbeitsweise stationärer Psychotherapie. Im Mittelpunkt steht dabei die Behandlung durch Begegnung. Es geht um die Gestaltung von Begegnungs- und Interaktionsprozessen zwischen Therapeuten und Patienten, aber auch zwischen Patienten untereinander. Das Besondere des therapeutischen Vorgehens liegt in der Verbindung von Prinzipien der Selbstorganisation mit Erkenntnissen der Bindungstheorie und störungsspezifischen Elementen aus verschiedenen Therapieschulen. Es kommen u.a. Methoden aus der Verhaltenstherapie, der Systemischen und der Psychodynamischen Therapie sowie dem Psychodrama zum Einsatz. Es werden zunächst die therapeutischen Voraussetzungen auf inhaltlicher, struktureller, organisatorischer und kommunikativer Ebene dargestellt, welche die Grundlage des therapeutischen Begegnungsmodells bilden. Anschließend werden störungsspezifische Besonderheiten beschrieben. Eingegangen wird auf die Arbeit mit Gruppen, auf die spezifischen Aufgaben der Pflege sowie auf die Therapie von Trauma- und Zwangspatienten. Es geht darum, Begegnungsprozesse zu initiieren, die verändern und heilen. Zahlreiche ausführliche Fallbeispiele illustrieren das konkrete Vorgehen und machen Wendepunkte im Therapieverlauf sichtbar. Als funktionierende systemische Praxis an einem psychiatrischen Krankenhauses kann das beschriebene Konzept als ein Beispiel für erfolgreiche, disziplinübergreifende Teamarbeit im psychiatrischen Kontext gesehen werden.

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Kapitelübersicht
  1. Selbstorganisation in der stationären Psychotherapie
  2. 1 Stationäre Psychotherapie – ein integrativer Ansatz
  3. 2 Begegnung und soziale Selbstorganisation
  4. 3 Verwundete Heiler und geheilte Verwundete
  5. 4 Organisation und Kommunikation gelebter stationärer Psychotherapie
  6. 5 Therapeutische Philosophie und Teamarbeit
  7. 6 Ordnungsu¨bergänge
  8. 7 Wirkfaktoren der Gruppentherapie
  9. 8 Therapieangebote bei Zwangsstörungen
  10. 9 Fallbeispiel „Ich spu¨r jetzt öfters, dass in mir eine echt große Lebensfreude steckt!“
  11. 10 Bezugspflege in einem integrativen Organisationsmodell
  12. Nachwort
  13. Literatur/Die Autoren/Sachregister
Leseprobe
2 Begegnung und soziale Selbstorganisation (S. 14-15)

„Vielleicht ist das alle Gemeinsamkeit: an Begegnungen zu wachsen.“
Rainer Maria Rilke

2.1 Prozessmonitoring

Der Sonderauftrag für stationäre Psychotherapie an der Christian Doppler Klinik Salzburg ist in eine psychiatrische Abteilung eingebunden, genießt aber durch den Sonderauftragsstatus relative Autonomie, die uns Freiheiten in der konzeptuellen Entwicklung gibt. Die eigene klinische Arbeit zu reflektieren stand für uns als Wunsch schon länger im Raum, bedurfte aber einigen Anstoß von außen, um aus dem Verwobensein mit dem klinischen Alltag herauszutreten und eine produktive Außenperspektive einzunehmen. Die Einführung eines internetbasierten Therapiemonitoring-Systems (Synergetisches Navigationssystem, SNS) hat in dieser Richtung einen wesentlichen Beitrag geleistet, denn damit wurde es möglich, nicht nur die Therapieprozesse unserer Patientinnen und Patienten zu visualisieren und mit ihnen gemeinsam datenbasiert zu reflektieren, sondern auch das therapeutische Handeln und die Therapieeffekte der gesamten Station abzubilden. Die Visualisierungen nutzen wir in Feedbackgesprächen mit den Patienten, um ihnen die Behandlungsverläufe transparent zu machen und damit die Veränderungsmotivation zu erhöhen, aber auch im Team bei Fallbesprechungen. Therapeutische Prozesse werden dadurch in ihrer Eigendynamik erkennbar. Wir beobachten Selbstorganisationsprozesse und die diesen zugrunde liegenden Bedingungen in zeitlich hoch aufgelöster Form.

Wendepunkte im Therapieverlauf werden als Ordnungsübergänge sichtbar, bei denen Selbstorganisation und Interventionen ineinandergreifen und es wird deutlich, wie sich die bekannten Wirkfaktoren der Therapie (Duncan et al., 2010; Schiepek et al., 2013a) in ihrem konkreten Zusammenspiel, d. h. in der Dynamik des einzelnen Therapieprozesses entfalten.

Grundlage für dieses Feedback und die gesamte Prozesserfassung ist die tägliche internetbasierte Beantwortung eines Prozessfragebogens in dem auf den jeweiligen Tag bezogen unterschiedliche Aspekte des Erlebens und der Befindlichkeit der Patienten erfasst werden (z. B. Emotionen, Beziehung zu wichtigen Bezugspersonen wie Therapeuten und Mitpatienten, Therapiefortschritte und Zuversicht, Veränderungsmotivation oder Problembelastung). Therapeutische Prozesse werden auf dieser Grundlage in Form von Zeitreihen evaluiert sowie in unterschiedlichen Darstellungsformen bildhaft erfassbar (für Beschreibungen des Systems s. Aas & Schiepek, 2014; Dold et al., 2010; Maurer et al., 2011; Schiepek et al., 2011a, 2012, 2013a; Schiepek & Aichhorn, 2013).

Für Patientinnen bedeutet ihr Engagement im SNS eine Erhöhung von Selbstreflexion und Mentalisierungsfähigkeit, Erleben und Förderung von Selbstwirksamkeit und eine Einübung in Achtsamkeit. Für uns im Team besteht der Gewinn darin, Feinabstimmungen in den therapeutischen Konzepten vornehmen zu können, Merkmale von nicht linearen Dynamiken in therapeutischen Prozessen zu erfassen und immer wieder den Blick dafür zu schärfen, wie ein prozessuales Schaffen von Bedingungen für Selbstorganisationsprozesse, als welches Psychotherapie im Rahmen der Synergetik definiert wird (Schiepek et al., 2011a), gelingen kann. Gemeinsam mit den Patienten anhand der Zeitreihen einen Blick auf den therapeutischen Verlauf zu werfen hieße nach Daniel Stern, von einer impliziten Agenda als der Regulierung des impliziten Zustandes der gemeinsamen Beziehung zu einer expliziten Agenda zu wechseln: „Wenn sich Therapeut und Patient mit der expliziten Agenda auseinandersetzen, stehen sie sozusagen Seite an Seite und betrachten ein Drittes – den Inhalt, der ihrer unmittelbaren Beziehung äußerlich ist“ (Stern, 2010, S. 130) (vgl. Abb. 1). Mit der Bereicherung um diese externen Informationsquellen sind sowohl Neugierde als auch Mut gewachsen, die eigene Arbeit einer Reflexion zu unterziehen.

2.2 Gewachsene Strukturen

Wenn Strukturierung, Steuerung und Feintuning dieser Selbstorganisationsprozesse durch Begegnung erfolgt, dann ist daran das gesamte Team beteiligt. Dass diese Organisation mit ihren komplexen Strukturen und Abläufen mit Leben gefüllt wird, dass Kohäsion und Arbeitsfähigkeit sich entwickeln können, dafür bedarf es der Begegnung auf der Bühne des gesamten Teams. Das Konzept unserer Station hat sich über Jahre hinweg entwickelt und dem Teamentwicklungsprozess wurde dabei immer große Aufmerksamkeit geschenkt. In den 1980er Jahren war es der Aufbau einer psychiatrischen Rehabilitation, wobei anfangs die „Therapie der Institution“ im Vordergrund stand und der erste Einsatz von Psychotherapie verbunden war mit soziotherapeutischen Aspekten zur Umgestaltung des stationären Umfelds (Leeb, 1991, S. 105). Mitte der 1990er Jahre wurde auf Basis dieser Erfahrungen mit dem Aufbau einer Psychotherapiestation begonnen und mit dem Status eines Sonderauftrags dann abgesichert.
Inhaltsverzeichnis
Selbstorganisation in der stationären Psychotherapie1
Vorwort7
Inhaltsverzeichnis9
Danksagung11
1 Stationäre Psychotherapie – ein integrativer Ansatz12
2 Begegnung und soziale Selbstorganisation16
2.1 Prozessmonitoring16
2.2 Gewachsene Strukturen17
2.3 Begegnung18
2.4 Affektive Kraftfelder20
3 Verwundete Heiler und geheilte Verwundete26
3.1 Das stationäre Setting26
3.2 Der Mythos von Hephaistos28
3.3 Der Heilermythos in der Kunst29
3.4 Die integrative Kraft des Teams30
4 Organisation und Kommunikation gelebter stationärer Psychotherapie35
5 Therapeutische Philosophie und Teamarbeit39
5.1 Emotionale Arbeit39
5.2 Die Struktur therapeutischer Angebote41
5.3 „Du sollst dir ein Bild machen“45
5.4 Fru¨he Formen der Begegnung47
5.5 Der „virtuelle Andere“52
5.6 Präsenz54
6 Ordnungsu¨bergänge55
6.1 Fallbeispiel „Es ist meine letzte Chance!“63
6.2 Fallbeispiel „Darf es mich geben?“70
6.3 Fallbeispiel „Ich hab’s selber in der Hand!“77
6.4 Wendepunkte und Geduld82
7 Wirkfaktoren der Gruppentherapie84
7.1 Gruppenkohäsion84
7.2 Ressourcenorientierung86
7.3 Traumatherapeutische Übungen87
7.4 Soziale Interaktion88
8 Therapieangebote bei Zwangsstörungen90
8.1 Gruppenarbeit90
8.2 Entlastung im stationären Setting92
8.3 Die Genussgruppe93
8.4 Das erweiterte Therapiekonzept96
9 Fallbeispiel „Ich spu¨r jetzt öfters, dass in mir eine echt große Lebensfreude steckt!“98
10 Bezugspflege in einem integrativen Organisationsmodell109
Nachwort113
Literatur/Die Autoren/Sachregister114
Die Autoren sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bandes122
Sachregister123

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