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E-Book

Sozialpsychologie des Körpers

Wie wir unseren Körper erleben

AutorGisela Steins
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl196 Seiten
ISBN9783170295520
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis23,99 EUR
Wie wir unseren Körper erleben, bestimmt, wie wir uns in unserer sozialen Welt bewegen. So muss es alarmieren, dass viele Frauen und Männer mit ihrem Körper unzufrieden sind. Wie kommt es dazu? Diese Frage wird in diesem Band umfassend beantwortet, indem die Einflüsse unseres Alltags und unserer Kultur auf das Körpererleben aufgedeckt und diskutiert werden. Die Autorin beschreibt auch, wie gegen pathologische Formen von Körperunzufriedenheit und -modifikationen präventiv vorgegangen werden kann. Dabei wird der Bereich 'Körper und Schule' vertieft behandelt.

Prof. Dr. Gisela Steins lehrt Allgemeine und Sozialpsychologie am Fachbereich Bildungswissenschaften der Universität Duisburg-Essen.

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Leseprobe

Teil I: Phänomene rund um das Körperbild


Die psychologische Forschung zum Körper ist in den letzten Jahren intensiviert worden. Man hat erkannt, dass eine Fülle psychologischer Phänomene mit dem Körpererleben zusammenhängen und dass zahlreiche Theorien über die Psyche des Menschen unvollkommen bleiben, wenn die körperliche Dimension ausgespart bleibt. Psyche und Soma sind – obwohl zwei vollkommen unterschiedliche Sichtweisen auf den Menschen – nicht einfach zu trennen und stehen in einer komplexen Wechselwirkung miteinander (Nerowski & Steins, 2003; Cash & Pruzinsky, 2002).

Auffallend ist, dass die Forschung zum Körperbild und Körpererleben überwiegend negativ orientiert ist (Blood, 2005). Es sind beispielsweise wesentlich mehr Forschungsarbeiten zur Körperunzufriedenheit zu finden, als zu der ebenfalls interessanten Frage, was uns zufrieden macht mit unserem Körper. Diese Forschungslandschaft lässt keinesfalls den Rückschluss zu, dass unser Körper nicht eine große Quelle der Zufriedenheit sein könnte oder dass es nicht durchaus Bedingungen geben kann, die unser körperliches Wohlbefinden, die Bewertung unseres Körpers optimieren könnten.

Wenn wir die Forschungsbefunde aus westlich orientierten Ländern aufmerksam betrachten, dann stellt sich heraus, dass drei Phänomene auffallend sind:

  • Die Menschen werden immer unzufriedener mit ihrem Körper,
  • die Anzahl der Körpermodifikationen nimmt zu
  • die psychopathologischen Phänomene, die mit unserem Körperbild zusammenhängen, stagnieren auf hohem Niveau oder steigen sogar an bzw. zeigen sich in weiteren Formen, die relativ neu in der psychopathologischen Diagnostik sind.

Diese Phänomene weisen darauf hin, dass in westlich orientierten Gesellschaften etwas schief läuft. Hier verfügen die Menschen eigentlich über viele Möglichkeiten gute Sorge um sich und ihren Körper zu tragen. Und doch sind so viele Menschen trotz der strukturell optimalen Bedingungen unzufrieden mit ihrem Körper.

Um verstehen zu können, was schief läuft, sollen zunächst die zu beobachtenden Phänomene Körperunzufriedenheit, Körpermodifikationen und Psychopathologie betrachtet werden. Was können wir beobachten, wenn wir uns fragen, in welcher Beziehung Menschen zu ihrem Körper stehen und wie sie mit ihm umgehen? An verschiedenen Stellen dieses Buchteils werden die Phänomene bereits anhand von Theorien beleuchtet, die eine Vorbereitung auf die späteren Kapitel und eine Sozialpsychologie des Körpers darstellen.

6 Körperunzufriedenheit


6.1 Zur Messung von Körperunzufriedenheit


Wie kann man herausbekommen, ob jemand unzufrieden mit seinem Körper ist? Die weitaus am häufigsten eingesetzte Methode der Messung zur Körperunzufriedenheit sind Fragebogenverfahren. Probandinnen und Probanden werden schriftlich befragt, ob sie ihren Körper so mögen wie er ist, ob sie zufrieden mit ihm sind oder ob sie ihr Aussehen schätzen. Weiterhin werden sie speziell nach ihrer Zufriedenheit mit einzelnen Körperteilen befragt, ob sie die Form ihres Pos, die Breite ihrer Hüften oder aber den Umfang ihrer Oberschenkel akzeptabel finden. Wie Blood (2005) kritisch bemerkt, wird Körperunzufriedenheit häufig gleichbedeutend gemessen mit „unzufrieden mit dem eigenen Erscheinungsbild“.

Eine andere Dimension der Messung stellt die Korrektheit von Einschätzungen bezüglich des Körpers dar. Können wir aus einer angebotenen Reihe von Körpersilhouetten diejenige ausmachen, die unserem Körper am ähnlichsten ist? Das scheint für viele Menschen, auch für psychisch unauffällige Personen, gar nicht so einfach zu sein.

Die Messverfahren zur Körperunzufriedenheit fördern differenzierte Befunde zu Tage. Es ist jedoch unklar, ab wann wir hier von einer wirklichen Zufriedenheit sprechen können. Ist eine Person, die alle Einzelteile ihres Körpers zufriedenstellend bewertet, auch zufrieden mit ihrem Körper? Induzieren nicht allein die Fragen nach der Zufriedenheit mit einzelnen Körperteilen Unzufriedenheit, weil wir uns dann aus einer äußeren Perspektive betrachten? Abgesehen von solchen noch unbeantworteten Fragen, gibt es in dieser Forschungslandschaft interessante Zusammenhänge zu entdecken, die im Folgenden ausgeführt werden sollen.

6.2 Wer ist unzufrieden mit seinem Körper?


Schaut man sich die Untersuchungen zur Körperunzufriedenheit über drei Messzeitpunkte (1972, 1985, 1996) an, dann zeigt sich, dass über diese Zeit die Zahl von amerikanischen Frauen und Männern wächst, die sowohl mit bestimmten Teilen ihres Körpers unzufrieden sind als auch mit dem gesamten Erscheinungsbild (Cash et al., 2004a). Genauer gesagt, wächst der Anteil der mit sich unzufriedenen Frauen und Männer rasant an. Waren beispielsweise 1972 15 % der befragten Männer und 23 % der befragten Frauen mit ihrer gesamten Erscheinung unzufrieden, so waren es 1985 schon 34 % der Männer und 28 % der Frauen, 1996 dann schon 43 % der Männer und 56 % der Frauen. Bei beiden Geschlechtern hat sich also der Anteil derjenigen, die unzufrieden sind, mehr als verdoppelt. Bei Frauen finden wir zu jedem Zeitpunkt und für alle erfragten Aspekte immer einen etwas größeren Anteil.

Ein amerikanisches Phänomen? Eine Längsschnittuntersuchung, die in Deutschland an 475 9- bis 18-jährigen Schülerinnen und Schülern zur Körperunzufriedenheit durchgeführt wurde, zeigt deutlich, dass Mädchen zwischen 9 und 18 Jahren zu jedem Zeitpunkt ihrer Entwicklung mit ihrem körperlichen Aussehen unzufriedener als Jungen waren, insbesondere mit 11/12, 15/16 und 17/18 Jahren (Martin & Walter, 1982). Dieser Befund wird durch einige andere Untersuchungen gestützt (vgl. Klingenspor, 2002; Stice & Whitenon, 2002; Frost & McKelvie, 2004). Weitere Untersuchungen bringen zutage, dass Mädchen eher dünner sein möchten, als sie sind, und Jungen eher stärker sein möchten, als sie sind, ein Ergebnismuster, dass sich ansatzweise schon bei neunjährigen Kindern finden lässt (Milhoffer, 2000). Allerdings gibt es hierzu auch widersprüchliche Befunde. Cash et al. (2004a) berichten, dass sich in den USA seit Mitte der neunziger Jahre bei dem weiblichen Bevölkerungsanteil die Tendenz beobachten lässt, dass hier die Körperzufriedenheit trotz steigenden Körpergewichtes zunimmt, während sie beim männlichen Anteil stagniert. Ebenfalls berichtet diese Forschungsgruppe, dass Frauen zunehmend weniger in ihr Äußeres investieren. Der Trend, mit dem eigenen Körper unzufrieden zu sein, stagniert, aber auf hohem Niveau. Insgesamt können wir davon ausgehen, dass es eine bestimmte Gruppe unter Männern und Frauen gibt, die unzufrieden mit ihrem Körper ist.

Wenn wir schon bei ganz „normalen“ Männern und Frauen eine relative Unzufriedenheit mit ihrem Körper vorfinden, verwundert es nicht, wenn diese Unzufriedenheit in einem gravierenderen Ausmaß bei essgestörten Frauen nachzuweisen ist. Juchmann (1994) konnte dies für Bulimikerinnen3 sehr deutlich zeigen, die eine besonders hohe Körperunzufriedenheit hinsichtlich Bauch, Hüften, Po und Oberschenkel aufwiesen. Hennighausen et al. (1999) weisen dies für Anorektikerinnen4 nach. Interessant bei beiden Untersuchungen ist für das Phänomen der Körperunzufriedenheit, dass die Frauen der Kontrollgruppe (bei Juchmann sind dies nicht essgestörte Frauen, bei Hennighausen et al. andere Patientinnen) auch nicht mit ihrem Köper zufrieden sind. Die anderen Patientinnen in der Studie von Hennighausen et al. waren mit ihrem Körper sogar extrem unzufrieden und bevorzugten genau wie die Anorektikerinnen einen dünneren Körper. Was wir bei essgestörten Patientinnen und anderen Patientinnen finden ist also in abgeschwächter Form weit verbreitet: Viele Menschen sind unzufrieden mit ihrem Körper.

Nun könnte man einwenden, dass möglicherweise übergewichtige Menschen mit ihrem Körper unzufrieden wären und natürlich lieber dünner wären, als sie sind. Aber eine Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper kann nicht unbedingt nur bei übergewichtigen Menschen festgestellt werden. Eine Untersuchung, die mit 616 ukrainischen Frauen zwischen 18 und 60 Jahren durchgeführt wurde, zeigt, dass ein Viertel der leichtgewichtigen Frauen noch dünner sein möchte, als sie sind, und immerhin ebenfalls drei Fünftel der normalgewichtigen Frauen (Bilukha & Cornell, 2002). Dieser letztere Befund wird ebenfalls für die USA und Spanien bestätigt (Fernandez et al., 1994; Jung et al., 2001). Dabei wollen Frauen oft noch viel dünner sein als Männer sie gerne hätten (Gleaves et al., 2000). Ihre erlebte Diskrepanz ist also besonders stark hinsichtlich eigenem tatsächlichem und eigenem Ideal-Bild. Wir können also zusammenfassend feststellen, dass Körperunzufriedenheit unter Männern und Frauen weit verbreitet ist. Auch Mädchen sind bereits unzufrieden, am stärksten zufrieden scheinen 9- bis 10-jährige Jungen mit ihrem Äußeren zu sein.

Die Untersuchungen mehren sich, welche die Bedingungen dieser Unzufriedenheit immer feiner herausarbeiten. So scheint der kulturelle Kontext, in dem ein Individuum sich bewegt, einen Einfluss auf das Ausmaß der Körperunzufriedenheit auszuüben. Bei 154 amerikanischen Studierenden konnten Olivardia et al. (2004) herausfinden, dass diese besonders unzufrieden mit ihrer Muskelentwicklung waren. Dieser Befund wurde erweitert durch eine Untersuchung von Yang et al (2005), die fanden, dass amerikanische und europäische Männer wesentlich unzufriedener mit ihrem Körper waren im Vergleich zu taiwanesischen Männern. Die Kulturen unterscheiden sich...

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