Vorwort
In Medien und Politik ist die Sicherheit heute in aller Munde. In der Öffentlichkeit beruft man sich auf sie, und die politischen Entscheidungsträger werden nicht müde, von ihr zu reden: Man bedauert, dass sich das Unsicherheitsgefühl verschärfe; man doziert, dass Sicherheit die wichtigste Freiheit sei; unter Bezugnahme auf zahlreiche Meinungsumfragen stellt man fest, dass Sicherheit zusammen mit Arbeitslosigkeit und Ökologie zu den Hauptsorgen der Bevölkerung zähle. Für die kindliche Entwicklung und die Selbstverwirklichung des Erwachsenen soll sie eine unerlässliche Voraussetzung bilden. Seit einigen Jahren sind außerdem bestimmte neue Begriffe aufgetaucht: »Ernährungssicherheit«, »Energiesicherheit«, »menschliche Sicherheit« usw. Schließlich boomt der Wirtschaftszweig der Sicherheit in allen seinen Formen (Informatik, Domotik, Überwachung). Wenn alles schlecht läuft und die Ängste zunehmen, füllen sich die Sicherheitsverkäufer die Taschen. Aber was ist Sicherheit? Ein Gefühl, ein politisches Programm, eine materielle Kraft, eine Nebelwand, eine Hoffnung, ein Fluch, eine pathologische Zwangsvorstellung, eine Quelle der Legitimität, eine Ware, eine öffentliche Dienstleistung? Betrachten wir zuerst einige Definitionen.
Sicherheit (sécurité): »Gut oder schlecht begründete Geistesruhe bei einer Gelegenheit, da Anlass zur Furcht bestehen könnte« (Littré). »Vertrauensvoller und ruhiger Geisteszustand« (Trésor de la langue française). Demnach soll Sicherheit eher ein ausgewogener mentaler Zustand, eine ruhe- und vertrauensvolle, friedliche seelische Verfassung als ein bloßes Gefühl sein. In diesem ersten Sinne wäre Sicherheit, was man heute Gemütsruhe nennen würde. Diese Bedeutung kommt direkt aus dem Lateinischen: Man nennt securus, wer sine cura ist: frei von Sorgen, unbeschwert von Störungen, ohne Beunruhigung. Dieser Sinn wird sich im Französischen lange erhalten: Bei Rousseau zeichnet Sicherheit reine Seelen aus, ganz wie die Julies in seiner Neuen Heloise. Nur jene, die ein ruhiges Gewissen und ein tugendhaftes Herz haben, können sich der Sicherheit erfreuen. Betont wird hier also nicht das Fehlen von Gefahren oder die Abwesenheit von Bedrohungen, sondern der Umstand, dass diese Gefahren nicht den Seelenfrieden beeinträchtigen, nicht die Geistesruhe bedrohen. Damit verbunden ist die Vorstellung, dass nichts den Schlaf des Gerechten stören kann, dass einen von dem Moment an, da man mit seinem Gewissen im Reinen ist, nichts mehr zu ängstigen vermag. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts stellen die Wörterbücher der Académie française fest, dass diese Ruhe »in einer Zeit bzw. bei einer Gelegenheit« empfunden werde, »da Anlass zur Furcht bestehen könnte«. Damit soll ausdrücklich betont werden, dass diese Sicherheit nicht das Vorhandensein von Bedrohungen ausschließt, ganz im Gegenteil: Denn sie hängt nicht von der Abwesenheit äußerer Gefahren, sondern von einer zutiefst innerlichen subjektiven Festigkeit ab. Diese ausdrückliche Betonung spiegelt sich in den Zitaten wider, die die Akademiewörterbücher in der Ausgabe von 1762 anführen: »Inmitten so vieler Gefahren fürchtet Ihr nichts, Eure Sicherheit erstaunt mich.« »Voll unglaublicher Sicherheit schlief er inmitten der Feinde.« »Mit großer Sicherheit des Gewissens.«
Sicherheit (sécurité): »Fehlen von Gefahren« (Académie française, 1935). »Auf materiellen, wirtschaftlichen und politischen Voraussetzungen beruhende objektive Lage, die das Fehlen von Gefahren für Personen oder von Bedrohungen für Güter mit sich bringt und die Vertrauen bewirkt« (Trésor de la langue française). »Lage, in der jemand oder etwas keiner Gefahr oder Bedrohung, insbesondere durch einen tätlichen Angriff, durch Unfälle, Diebstahl oder Beschädigung, ausgesetzt ist« (Larousse). Hier macht sich ein Umschwung bemerkbar: Die Sicherheit bezeichnet keinen Gemütszustand mehr, sondern eine objektive Lage. Es geht nicht mehr darum, eine von nichts zu beeinträchtigende innere Ruhe zu kennzeichnen, nicht einmal um das handgreifliche Vorhandensein von Gefahr, sondern um das wirkliche Fehlen von Bedrohungen, eine Situation, in der die Risiken tatsächlich, wirklich, objektiv beseitigt und die Gefahren gebannt wurden. Wenn man beispielsweise von einem Menschen sagt, er sei »in Sicherheit«, so weist man darauf hin, dass er sich nunmehr in einer Lage befindet, in der er keiner Gefahr ausgesetzt ist. Wenn man einen Gegenstand »in Sicherheit« bringt, so schafft man ihn an einen Ort, wo ihn nichts bedroht und wo er nicht weggenommen oder beschädigt werden kann.
Sicherheit (sécurité): »Element der materiellen öffentlichen Ordnung; durch das Fehlen von Gefahren für Leben, Freiheit oder das Eigentumsrecht der Personen gekennzeichnet« (Trésor de la langue française). Diese spezifische als auch umfassende dritte Begriffsbestimmung verbindet die Sicherheit mit dem Staat, der als zentralisierte politische Einheit, als öffentliche Gewalt verstanden wird. Man spricht von »öffentlicher« Sicherheit, wenn man den Schutz der Güter und der Personen gegen Angriffe und Diebstähle, doch auch die Verteidigung der Institutionen gegen Subversionen, Rebellionen und Aufstände bezeichnen will, von »kollektiver« Sicherheit, wenn man die zwischenstaatlichen Bündnisabsprachen und andere diplomatische Übereinkommen bezeichnen will, die geeignet sind, einen Dritten von einer Aggression abzuhalten, und von »militärischer« Sicherheit, wenn man einen Komplex von Streitkräften bezeichnen will, die jeden Überfall auf das Territorium verhindern können. In diesem Fall erscheint der Staat als Garant der Sicherheit: Er garantiert die Rechte der Personen, den Schutz ihres Lebens und ihrer Güter, die territoriale Integrität eines Landes, die Stabilität der Regierung, die öffentliche Ordnung. Der Staat ist Sicherheit.
»Sicherheits-« tritt als Teil von Wortzusammensetzungen auf: »[In Bezug auf einen konkreten oder abstrakten Sachverhalt] Was den normalen Ablauf einer Tätigkeit, die normale Entwicklung eines Prozesses ermöglicht« (Trésor de la langue française). Wenn man zum Beispiel über einen »Sicherheits«-Vorrat verfügt, versetzt man sich in die Lage, niemals auf die Versorgung verzichten zu müssen und jede Nachfrage befriedigen zu können. Sicherheit bedeutet hier, einen Vorgang so zu flankieren, dass er ungestört und ununterbrochen verläuft. In einem weiteren Sinne geht es um ein Ensemble von Maßnahmen, die die Kontinuität eines Prozesses sichern sollen. In diesem Sinne spricht man heute von »Informatiksicherheit«, aber auch von »Ernährungssicherheit« (dass man einer bestimmten Bevölkerung einen ständigen Nachschub von Nahrungsmitteln sichert), von »Energiesicherheit« (Aufspeicherung, Vervielfältigung der Versorgungsquellen, Krisenvorsorge).
Anhand dieses ersten Überblicks über die gängigsten Definitionen der Sicherheit lassen sich vier große Dimensionen unterscheiden: Sicherheit als Geisteszustand, als seelische Verfassung des Subjekts; Sicherheit als objektive Lage, als durch das Fehlen von Gefahren und das Verschwinden der Bedrohungen gekennzeichneter Weltzustand; Sicherheit als staatliche Garantie der Grundrechte, des Schutzes der Güter und Personen, der öffentlichen Ordnung, der territorialen Integrität; schließlich Sicherheit als Kontrolle der Versorgungsströme. Diese vier Dimensionen wechseln sich im Konzept der Sicherheit ab. Sie bestimmen seine Konsistenz und seine Spannungspunkte.
Hier soll nun jede einzelne dieser großen Dimensionen erkundet werden, indem wir vier bestimmte historische Problemstellungen prüfen. Sicherheit als Gemütsruhe und Seelenzustand wird ausgehend von den antiken spirituellen Techniken, insbesondere denen der hellenistischen und römischen Philosophie, untersucht. Die großen stoischen, epikureischen und skeptischen Weisheitslehren haben sich tatsächlich als wahrhaftige »Sicherheitsunternehmen« in dem Sinne dargestellt, dass sie ihren Schülern verhießen, Seelenstärke und unerschütterliche Geistesruhe zu erringen.
Sicherheit als Fehlen von Gefahren und Verschwinden der Bedrohungen soll ausgehend von der millenaristischen oder chiliastischen Glaubensvorstellung beschrieben werden. Das Christentum hat tatsächlich die Utopie eines tausendjährigen Reiches ausgemalt, in dem die wiedervereinigte Menschheit eine Zeit vollkommenen Glücks erleben soll. Krankheiten und Qualen verschwinden, Mühsal und Arbeit enden, alle Formen der Knechtschaft werden beseitigt, alle Mächte des Lasters und des Bösen erleiden eine vollständige Niederlage, mit jeder Aggressivität zwischen den Menschen ist es vorbei – in dieser Zeit badet die wiedergeborene Menschheit im inneren Glück. Die Kirche verurteilte diese Glaubensvorstellung sehr früh als häretisch. Während des ganzen...