3. Personenzentrierte soziale Systemtheorie und herausfordernde Verhaltensweisen
Der personenzentrierte Ansatz der Systemtheorie lenkt den Fokus der Betrachtung auf die verschiedenen Ebenen des Konstrukts eines sozialen Systems und auf die Transformationsprozesse von Gedanken in Kommunikationen bzw. von Kommunikationen in Gedanken. Ich greife in der Beschreibung eines personenzentrierten sozialen Systems auf bekannte systemtheoretische Begriffe zurück, so wie ich sie in der Beschreibung des psychischen Systems eingeführt habe. Die Konzeption der sozialen Systeme wird um eine Mehrebenenkonstruktion erweitert, der Transformationsprozesse und einer Beschreibung der innerpsychischen Prozesse. Ich berücksichtige drei Forderungen, die Kriz an die Entwicklung einer personenzentrierten Systemtheorie gestellt hat:
1. Eine Theorie über soziale Systeme bedarf eines Mehrebenen-Design. Es sind innerpsychische, biosomatische, und interaktionelle Prozesse in der Beschreibung von sozialen Kommunikationsprozessen mit zu berücksichtigen.
2. Die Entstehung und Veränderungen von strukturellen Ordnungen im Kommunikationsprozess sind zu berücksichtigen und zu beschreiben.
3. Die Person als solche ist der Mittelpunkt der Beobachtung und der Konstruktion der theoretischen Beschreibung (vgl. Kriz 1999, S.129)
Ausgangspunkt einer jeden Betrachtung von kommunikativen Prozessen bildet das Vorhandensein von mindestens zwei psychischen Systemen, die zueinander in eine Beziehung treten. Dies gilt auch für den Fall der schriftlichen Kommunikation. Die Schrift hat es den Menschen und der Gesellschaft ermöglicht, Wissen zu speichern. Viele zivilisatorische Errungenschaften basieren auf der Benutzung von Schrift. Durch Schrift ist es möglich, Kommunikationen auch ohne die direkte Anwesenheit eines anderen Kommunikationspartners durchzuführen. Ich kann Texte von längst verstorbenen Forschern lesen, sowie ich es mit den Texten von Niklas Luhmann gemacht habe. Ich kann Texte von Autoren lesen, die dreitausend Kilometer entfernt in einem anderen Land leben. Die Schrift ändert das Prinzip der Kommunikation, dem Vorhandensein von mindestens zwei psychischen Systemen, nicht, auch wenn der andere Kommunikationspartner tot ist oder in z.B. Japan verweilt. Es muss ein psychisches System gäben, welches eine Kommunikation produziert. Durch die Schrift werden Informationen mitgeteilt, die von einem anderen gelesen und verstanden (missverstanden) werden, damit Kommunikation entsteht. Die schriftliche Kommunikation kann zirkulär verlaufen, wenn der Rezipient zum Autor wird und der Autor zum Rezipienten. Man schreibt Person X einen Brief und eine Woche später kommt ein Brief zurück, auf den ich dann wiederum antworten kann. Sofern Autor und Rezipient leben, kann man mit Hilfe der Schrift zeitverzögert kommunizieren; bei einer Reaktion in Briefform können dies durchaus drei Tage sein. Denkt man an das Chatten im Internet, so erfolgt die Aktion auf das schriftliche Kommunikationsangebot Sekunden später. Mit dem Exkurs zum spannenden Bereich der schriftlichen Kommunikation ist deutlich geworden, dass die Prinzipien, der Interaktion unter Anwesenden auch für die schriftliche Kommunikation gelten.
Ausgangspunkt jeder Kommunikation ist das Vorhandensein von mindestens zwei psychischen Systemen. Ohne psychische Systeme, die Kommunikation generieren, ist Kommunikation nicht denkbar. Beide Systemarten, psychische und soziale, sind autopoietische Systeme. Sie sind jeweils für den anderen Umwelt. Psychische Systeme haben keine direkte Möglichkeit in ein anderes psychisches System zu intervenieren. Es bestehen keine Möglichkeiten, sich von außen die innerpsychischen Prozesse des jeweils anderen Systems anzusehen. Der Ausgangspunkt der Kommunikation ist, dass beide (oder auch mehrere) psychische Systeme füreinander wie Black-Boxes sind. Sie sind intransparent füreinander. Die innerpsychischen Prozesse lassen sich nicht beobachten. Dies erschwert es den psychischen Systemen, Vorhersagen über mögliche Reaktionen (Aktionen) des anderen zu treffen, weil sie keine Möglichkeit der Beobachtung der internen Verarbeitungsprozesse des anderen haben. Bei jeder Kommunikation zwischen psychischen Systemen ist die Ausgangsbedingung der doppelten Kontingenz gegeben. Das psychische System kann die Kommunikation X generieren, es hätte auch die Möglichkeit eine Vielzahl anderer Kommunikationen zu generieren. Diese Möglichkeit der Kontingenz besteht für beide psychischen Systeme, daher doppelte Kontingenz. Doppelte Kontingenz erschwert eine geordnete und koordinierte Kommunikation in einem sozialen System. Die psychischen Systeme würden sich in endlosen Diskussionen über die zu wählenden Anschlüsse der Kommunikation verstricken, wenn sie ihre Kommunikationen aufeinander abstimmen wollten. Ein hoher Zeitaufwand und viel verbrauchte Energie wären die Folgen. Erwartungen und deren Verdichtung in Regeln, Rollen und Strukturen schwächen das Problem der doppelten Kontingenz ab, ohne es aufheben zu können. Erwartungen, Regeln und Strukturen schränken den Möglichkeitsspielraum von Anschlusskommunikationen ein, indem sie empfehlen, welche Kommunikationsanschlüsse gewählt werden sollen und welche Kommunikationsanschlüsse nicht realisiert werden dürfen. Die Kommunikation ist nicht nur mit einer Annahme/Ablehnungsmöglichkeit unterlegt, sondern sie enthält eine Unterlegung durch die Erwartung. Die mitgeteilte Information ist Träger einer komplexen Bedeutungsunterlegung durch das generierende psychische System. Sie enthält nicht nur Sachinformationen, Selbstbeschreibungen, Appellbeschreibungen oder einen Beziehungsaspekt, sondern eben auch die Annahme/Ablehnungs-Zuspitzung und die spezifischen Erwartungen des psychischen Systems.
Ein psychisches System generiert eine Information im Wechselspiel seiner Subsysteme. Das Denken, die Emotionen, die affekt-kognitiven Schemata sowie die Wirklichkeitskonstruktionen, die Motivation und der innere Teamleiter beteiligen sich aktiv an der Konstruktion der Information. Dabei trifft das psychische System eine Entscheidung, a) welche Information generiert werden soll und b) ob sie als Gedanke weiterverarbeitet werden soll oder ob die Information in eine Kommunikation transformiert wird und als Outputleistung das System verlässt. Die Generierung der Information erfolgt im Wechselspiel der Subsysteme, wobei die Gewichtung und der Anteil der einzelnen Subsysteme von seiner geschichtlichen Evolution, der Struktur der selbstreferentiellen, zirkulären und autopoietischen Prozesse und vom aktuellen Zustand des psychischen Systems abhängt. Es ist möglich, dass das Denken 90% Anteil an der Generierung einer Information besitzt und die anderen 10% verteilen sich auf die anderen Subsysteme. Genauso ist es möglich, dass die Emotion zu 40%, das Denken zu 20%, die Wirklichkeitskonstruktionen 30% und die andere Subsysteme zu 10% an der Generierung der Information beteiligt sind. Es ist auch möglich, dass einzelne Subsysteme von der Generierung der Information ausgeschlossen werden. Es ist denkbar, dass das Denken sich nicht beteiligen muss, weil in den affekt-kognitiven Schemata der Handlungsplan hinterlegt ist, wie man in der Situation Y zu reagieren hat, so dass eine vertiefte Analyse nicht notwendig ist. In Gefahrensituationen sind vor allem die Emotion und die abgespeicherte Handlungspläne in den affekt-kognitiven Schemata für die Generierung eines Outputs (Gedanken oder Kommunikationen) Information verantwortlich. Hier würde die Beteiligung des Denkens eher hinderlich sein, weil Denken Zeit erfordert, welche in einer Gefahrensituation nicht vorhanden ist.
Wenn durch das Wechselspiel der Subsysteme eine Information generiert worden ist, trifft der innere Teamleiter eine Entscheidung, ob sie der Autopoiesis des psychischen Systems zur Verfügung gestellt wird, so dass die Information zu einem Gedanken wird, der an einen vorherigen Gedanken anschließt und der selbst wieder zur Produktion eines weiteren Gedankens anregt. Eine Kette von Gedanken aus Gedanken entsteht, so dass die Autopoiesis des Systems aufrechterhalten wird. Der innerer Teamleiter kann aber auch entscheiden, dass er die Information mitteilen möchte. Eine Kommunikation soll generiert werden.
Die Produktion von gedanklichen oder kommunikativen Informationen bedeutet die Herstellung von bezeichneten Unterschieden. Die Information kann mit weiteren Bedeutungsebenen versehen werden. Schulz von Thun hat in seinem Vier-Seiten Modell der Kommunikation vier verschiedene Bedeutungsebenen der Information herausgearbeitet. Jede Information enthält einen Sachinhalt, das heißt, sie informiert das andere psychische System über etwas. Jede Information enthält einen Selbstoffenbarungsanteil: Sie sagt etwas über das psychische System und seine Wirklichkeitskonstruktionen aus. In jeder Information ist ein Beziehungsaspekt enthalten, indem ich dem anderen psychischen System mitteile, was ich von ihm halte und wie wir zueinander stehen. Informationen enthalten auch Appelle, die dem anderen psychischen System mitteilen, wozu es veranlasst werden soll (vgl. Schulz von Thun 1997, S. 26-29). Mitgeteilte Informationen sind immer mit einer Annahme/Ablehnungszuspitzung sowie Erwartungen unterlegt. Das andere psychische System kann die Information annehmen oder ablehnen. Diese Zuspitzung sichert die Autopoiesis des Kommunikationssystems.
Ich möchte kurz bei der Erwartung bleiben, die in jeder Kommunikation mitgeteilt wird. Das psychische System generiert im Wechselspiel seiner...