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Multiperspektivität im Geschichtsunterricht: Eine Unterrichtseinheit zum Thema 'Nationalsozialismus'

AutorClaudia Brunsch
VerlagBachelor + Master Publishing
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl54 Seiten
ISBN9783956847868
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Der traditionelle Geschichtsunterricht an unseren Schulen ist monoperspektivisch angelegt. Mit anderen Worten: Der Lehrer erzählt oder das Schulbuch 'berichtet' über ein historisches Ereignis, welches auf einem einzigen 'point of view' basiert, in sich stimmig und geschlossen ist und vor allem keinen Zweifel daran lässt, dass es sich genau so und nicht anders zugetragen hat. Geschichte ist jedoch, entgegen vieler Schülermeinungen, mehr als die objektive Darstellung von Ereignissen, Daten und Fakten der Vergangenheit. Mit der Unterrichtseinheit zum Thema Nationalsozialismus mit dem methodischen Schwerpunkt der Multiperspektivität soll dieses falsche Verständnis von Geschichte bei den Schülern aufgebrochen und die Erkenntnis ermöglicht werden, dass es 'die Geschichte' nicht gibt, dass unterschiedliche Meinungen über die Geschichte zulässig sind und es bei der Beurteilung historischer Sachverhalte nicht nur 'richtig' oder 'falsch' bzw. nicht nur 'schwarz' oder 'weiß' gibt.

Claudia Brunsch, Jahrgang 1982, ist Lehrerin an einer Gesamtschule in der Nähe von Hannover. Von 2003 bis 2007 studierte sie Englisch und Geschichte für das Lehramt an Grund-, Haupt- und Realschulen an der Universität Hildesheim. Nach ihrem ersten Staatse

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Textprobe: Kapitel 2.3, Methodische Verfahren eines multiperspektivischen Geschichtsunterrichts: Bei einem multiperspektivischen Geschichtsunterricht nehmen die Schüler geschichtliches Wissen nicht ungefragt und unreflektiert aus dem Schulbuch oder dem scheinbar allwissenden Lehrer entgegen, sondern erarbeiten sich Geschichte selbst. Dieses hört sich zunächst positiv an, es bedarf aber einiger methodischer Voraussetzungen, um dieses Ziel erreichen zu können. Ausgangspunkt für multiperspektivisches Lernen sollten zunächst offene Fragen sein, welche Schüler im Idealfall selber formulieren, im Normalfall aber vom Lehrer vorgegeben werden. Diese Fragen müssen so ausgestaltet sein, dass sie von vornherein unterschiedlich beantwortet werden können bzw. dass unterschiedliche Ansichten zulässig sind. Den Schülern muss dabei klar sein, dass es keine bzw. nicht nur eine richtige Antwort auf die Frage gibt, sondern dass unterschiedliche Deutungen zulässig und erwünscht sind. Geschichtsdidaktische Fragen dieser Art können eingesetzt werden als Tafeltext, stummer Impuls, als mündliche vom Lehrer gestellte Frage oder auch als Überschrift zu kontroversen Aussagen von Historikern oder zu Sammlungen multiperspektivischer Zeugnisse. Die Fragen werden von den Schülern mit Hilfe von mindestens zwei unterschiedliche Perspektiven enthaltende Primärzeugnissen - in der Regel sprachliche Quellen oder Bilder - erarbeitet. Dabei sind wichtige Hintergrundinformationen, die sog. 'Hintergrundnarration', vonnöten, die die unterschiedlichen Voraussetzungen und Lebensbedingungen der Menschen offenlegt. Alternativ kann den Schülern auch die Möglichkeit gegeben werden, sich diese Hintergrundinformationen selbst zu erarbeiten. Erst dieser historische Bezugsrahmen ermöglicht den Schülern, die unterschiedlichen Zeugnisse in eine historische Konstellation einzuordnen und aus ihr heraus verstehen zu können. Damit ist die Hintergrundnarration eine Voraussetzung dafür, dass Schüler überhaupt erst historisch denken und zu historisch begründeten Deutungen gelangen können. Was passiert, wenn Primärzeugnisse ohne jeglichen Kontext (Hintergrundnarration) vorliegen, bezeichnet BERGMANN als 'Fehlform des multiperspektivischen Unterrichts'. Wenn unterschiedliche Quellen den Schülern ohne Zusatzinformationen präsentiert werden, kann bei den Schülern der Eindruck entstehen, die Quellen würden alle gleichberechtigt auf einer Ebene liegen. Dies könnte der Illusion Vorschub leisten, die Perspektiven seien voreinander gleich und ihre Verfasser hätten die gleichen Chancen gehabt, sich in ihrer Zeit zu artikulieren und ihre Interessen durchzusetzen. In einem multiperspektivischen Geschichtsunterricht sollte der Aspekt der gesellschaftlichen Ungleichheit von Artikulations- und Partizipationschancen jedoch mit bedacht werden. An dieser Stelle sei das Stichwort 'stumme Gruppen' erwähnt, welche aufgrund ihrer unterlegenen Position kaum eine oder keine Möglichkeit zur Artikulation hatten, so dass sie kaum bzw. keine historische Zeugnisse hinterlassen haben. Als methodisches Vorgehen schlägt PANDEL vor, Multiperspektivität als 'Sicht-Wechsel' in einem Dreischritt einzuüben. Dieser soll mit dem Erkennen von Perspektivität beginnen. Dazu kann beispielsweise eine einzige Quelle, die sich durch eine provozierend einseitige Sicht auszeichnet in den Blick genommen und in Frage gestellt werden. Hierbei bietet es sich an, Schüler einen Gegentext aus einer anderen Sichtweise verfassen zu lassen. Der nächste Schritt im multiperspektivischen Verfahren erfolgt durch die Gegenüberstellung einer Doppelperspektive (zwei Quellen zum gleichen Sachverhalt mit unterschiedlichen Perspektiven). Nach Einübung der Doppelperspektive können schließlich mehrere Perspektiven zu einem Sachverhalt präsentiert und mit ihnen gearbeitet werden. Zu betonen ist, dass multiperspektivischer Geschichtsunterricht nicht zwingend immer mehrere Perspektiven enthalten muss. Gelegentlich kann Geschichte durchaus monoperspektivisch - beispielsweise nur aus Sicht der Opfer oder Täter - dargestellt werden, um über die provozierende Einseitigkeit bei den Schülern die Frage nach der anderen Perspektive hervorzurufen. Diese andere Seite kann zunächst spekulativ, später anhand von nachgereichten Quellen erschlossen werden. Zur Erschließung multiperspektivischer Quellen bieten sich verschiedene methodische Verfahren an. Für den kritischen Umgang mit Quellen ist der 'klassische Weg' die Anwendung der sog. 'W-Fragen': Wer hat was, warum, in welcher Absicht und aus welchem Interesse wann und an wen gerichtet gesagt? Eine weitere Möglichkeit liegt im Erstellen von Gegenpositionen zu einer vorliegenden Quelle. Dies bietet sich insbesondere an, wenn nur eine perspektivische Quelle zur Verfügung steht. Um die andere Seite trotzdem zu beleuchten, kann man Schüler z.B. fiktive Briefe, Tagebucheinträge, Zeitungskommentare oder Leserbriefe erstellen lassen. Hierbei ist es wichtig, damit die Perspektivenübernahme gelingen kann, dass die Schüler in der Ich- Form schreiben. Auch handlungsorientierte Formen eignen sich gut zur Perspektivenübernahme und zum einfühlenden Denken im multiperspektivischen Unterricht. Hierzu zählen insbesondere Rollenspiele und ähnliche Darstellungsspiele in Form von Gerichtsverhandlungen, Tribunalen, Parlamentsdebatten, Streitgesprächen, Podiumsdiskussionen oder Expertenrunden. Dieses 'Spiel mit der Fiktionalität' steht zwar immer unter der Frage, ob die gespielte Situation auch wirklich so gewesen sein könnte oder ob die Situation verfehlt wurde; die Chance, die Situation mit den Augen eines anderen zu sehen, überwiegt jedoch oft diese Bedenken. Abschließend bleibt noch festzuhalten, dass Schüler nicht über ein umfangreiches (Basis-)wissen zu einem Thema verfügen müssen, um sich multiperspektivisch damit auseinanderzusetzen. In der Literatur wird, ganz im Gegenteil, der Reiz und die Motivation mit der Auseinandersetzung von sich widersprechenden Zeugnissen zu einem neuen Thema betont, da dies bei den Schülern Neugier weckt und Fragen nach den Hintergründen und Zusammenhängen provoziert.
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