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E-Book

Felix Mendelssohn Bartholdy

AutorMartin Geck
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783644553811
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
Rowohlt E-Book Monographie Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) bezauberte als Wunderkind den alten Goethe durch sein Klavierspiel; als Siebzehnjähriger eroberte er die Musikwelt mit seiner genialen Ouvertüre zu Shakespeares «Sommernachtstraum». Die weiteren Werke machten ihn bald zum Liebling seiner Epoche. Doch in der Wagner-Ära sank sein Stern; die Judenfeindlichkeit des Nationalsozialismus machte ihn gar zur Unperson. Nunmehr entdeckt man ihn neu. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Martin Geck, 1936-2019, studierte Musikwissenschaft, Theologie und Philosophie in Münster, Berlin und Kiel. 1962 Dr. phil., 1966 Gründungsredakteur der Richard-Wagner-Gesamtausgabe, 1970 Lektor in einem Schulbuchverlag, nachfolgend Autor zahlreicher Musiklehrwerke, 1974 Privatdozent, 1976 ordentlicher Professor für Musikwissenschaft an der Universität Dortmund.Zahlreiche Arbeiten zur Geschichte der deutschen Musik im 17., 18. und 19. Jahrhundert. Autor der Rowohlt-Monographien über Bach, Beethoven, Brahms, Mendelssohn Bartholdy, Wagner und die Bach-Söhne.

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Leseprobe

Kindheit 1809–1819


Ginge es um nichts weiter als Musik, so wäre das Thema «Judentum» marginal: Was besagt es schon über den Jugendcharme der Ouvertüre zum «Sommernachtstraum», die sinnliche Pracht des Violinkonzerts oder die verstörte Trauer des f-Moll-Quartetts am Ende des Lebens! Weil jedoch Biographisches bei allem mit- und in alles hineinspielt, kann man diesen Punkt unmöglich umgehen …

… und beginnt am besten im Herbst des Jahres 1743, als ein vierzehn- oder fünfzehnjähriger schwächlicher Knabe – der Sage nach in fünf Tagesmärschen seinem Talmud-Lehrer Rabbi Fränkel von Dessau nach Berlin nachgereist – am Rosenthaler Tor anlangt, um sich vor dem jüdischen «Thor-Steher» dem üblichen «Examen» zu unterziehen, ohne das die jüdische Gemeinde keinen der Ihren in die Stadt lässt. Es ist Moses Mendelssohn, Felix Mendelssohn Bartholdys Großvater väterlicherseits, der später zum Leiter einer Berliner Seidenmanufaktur aufsteigen, vor allem aber als Philosoph der Aufklärung sich einen Namen machen wird.

Dem Autor des berühmten Dialogs «Phaedon, oder über die Unsterblichkeit der Seele» widmen Goethe und Schiller eine ihrer Xenien; dem befreundeten Lessing ist er Vorbild für die Figur Nathans des Weisen; der streitbare Theologe Johann Kaspar Lavater fordert ihn öffentlich auf, zum Christentum zu konvertieren. Zur Aufnahme in die Philosophische Klasse der Königlich Preußischen Akademie vorgeschlagen, noch zu Lebzeiten mit Gedenkmünze und Marmorbüste geehrt, ist und bleibt Moses Mendelssohn ungeachtet seines bescheidenen, menschenfreundlichen und lebenslang um Toleranz unter den Konfessionen bemühten Wesens eines: nämlich Jude.

Er selbst bringt es zwar zum «außerordentlichen Schutzjuden», kann das damit verbundene lebenslange Aufenthaltsrecht jedoch nicht auf Frau und Kinder übertragen, sodass diese nach seinem Tod auf einen königlichen Gnadenerlass angewiesen sind, um in Berlin bleiben zu können. Dort gründet sein ältester Sohn Joseph 1795 ein Bankhaus, an dem sich sein jüngerer Bruder Abraham, Vater von Felix Mendelssohn Bartholdy, mit der Mitgift seiner Frau Lea, einer geborenen Salomon, beteiligt.

1805 verlegen die Brüder den Hauptsitz ihres Hauses nach Hamburg, wo dem Ehepaar Abraham und Lea Mendelssohn drei Kinder geboren werden. Bereits im Sommer 1811 sehen sich die beiden Bankiersbrüder nach Auseinandersetzungen mit der französischen Zollbehörde – vermutlich wollte man die von Napoleon verhängte Kontinentalsperre umgehen – genötigt, ihre Hamburger Niederlassung aufzulösen, Hals über Kopf nach Berlin zurückzukehren und die Leitung des dortigen Stammhauses zu übernehmen. Dieses wird sich in den nachfolgenden Jahrzehnten beachtlich ausdehnen und bis zur Liquidierung durch das nationalsozialistische Regime im Jahr 1938 in Familienbesitz bleiben.

Abraham Mendelssohn (1776–1835) übernimmt von seinem Vater Moses die hohen moralischen Ansprüche des Aufklärers, nicht jedoch den traditionellen jüdischen Glauben und offenbar auch nicht die sprichwörtliche Sanftheit des Wesens. Im Mai 1820 schreibt er seiner Tochter Fanny: «Ob Gott ist? Was Gott sei? Ob ein Theil unserer Selbst ewig sei und, nachdem der andere Theil vergangen, fortlebe? und wo? und wie? – Alles das weiss ich nicht und habe Dich deswegen nie etwas darüber gelehrt. Allein ich weiss, dass es in mir und in Dir und in allen Menschen einen ewigen Hang zu allem Guten, Wahren und Rechten und ein Gewissen giebt, welches uns mahnt und leitet, wenn wir uns davon entfernen. Ich weiss es, glaube daran, lebe in diesem Glauben und er ist meine Religion.»[1]

Zu diesem Zeitpunkt weilt Abraham Mendelssohn zu Geschäften in Paris, sodass er an der Einsegnung Fannys, welche den Anlass seines Briefes bildet, nicht teilnehmen kann. Ihn selbst wird das wenig geschmerzt haben, denn er hält nicht viel von kirchlichen Zeremonien. Dass er seine Kinder auf Anraten des Schwagers Jakob Ludwig Salomon, der sich seit seiner Taufe «Bartholdy» nennt, unter dem Familiennamen Mendelssohn Bartholdy hat taufen lassen, ist ihm kaum mehr als ein notwendiger Akt der Assimilation erschienen. Folgerichtig heißt es in dem zitierten Brief zur Einsegnung Fannys weiter: «Du hast durch die Ablegung Deines Glaubensbekenntnisses erfüllt, was die Gesellschaft von Dir fordert, und heissest eine Christin. Jetzt aber sei, was Deine Menschenpflicht von Dir fordert, sei wahr, treu, gut.»[2]

Solchem Ethos bleibt der Vater treu, als er zum Ende des Jahres 1821 saturiert aus dem aktiven Bankgeschäft ausscheidet und sich ab 1826 für die letzten zehn Jahre seines Lebens als ehrenamtlicher Stadtrat vor allem dem Armenwesen widmet. Doch so loyal er sich gegenüber dem preußischen Staat verhält – es bleibt die Unsicherheit. Als es im Spätsommer 1819 vor allem in Süddeutschland zu Judenverfolgungen kommt und in Berlin – laut Erinnerung des Schriftstellers Karl August Varnhagen von Ense – ein königlicher Prinz seinem zehnjährigen Sohn Felix auf der Straße «lachend Hep, Hep! entgegenruft», überlegt Abraham Mendelssohn ernsthaft, mit der Familie nach Paris überzusiedeln.[3]

Sein Entschluss, sich 1822 gemeinsam mit seiner Frau taufen zu lassen und annähernd gleichzeitig auch selbst den Doppelnamen Mendelssohn Bartholdy anzunehmen, muss in diesem Kontext gewertet werden. Mag ihm die Konversion zum evangelischen Glauben auch kein Herzensbedürfnis gewesen sein, so hat sie wenigstens zur Folge, dass er die von ihm geliebte Musik Johann Sebastian Bachs nun auch im Status eines Glaubensbruders hören kann. Speziell dem «Actus tragicus» BWV 106, welcher in seiner bewegenden Zusammenschau von Altem und Neuem Testament zu einem Kultstück der ganzen Familie avanciert, mag der trotz seiner philanthropischen Gesinnungen von Unruhe und Reizbarkeit geplagte Patriarch Momente inneren Friedens verdankt haben.

Indessen ist der Sohn eines berühmten Vaters und Vater eines berühmten Sohnes, wie er sich selbst gern genannt hat, alles andere als ein Spießer. Dagegen sprechen Pars pro Toto die fast zwei Dutzend Briefe, die er im Sommer 1833 von seiner Englandreise an die Familie in Berlin schickt: Da machen Beobachtungsgabe, politischer Sinn, Kunstverstand und literarisches Vermögen den entsprechend vielgerühmten Fähigkeiten des Sohnes alle Ehre.[4] Auch an Selbstreflexion fehlt es nicht. Gern soll Abraham Mendelssohn das Bonmot Voltaires zitiert haben: «Für meine Überzeugungen bin ich bereit, bis zum Scheiterhaufen zu gehen – exklusive.»[5] Wenngleich er, politisch gesehen, als liberalkonservativer Patriot einzuschätzen ist, hält er Distanz zur Macht des Geldes und der Politik, öffnet stattdessen sein Haus den schönen Künsten und speziell der Musik. Als Knabe hat er das Klavierspiel erlernt und mit seinen «unaufhörlichen Baß-Trillern» die Schwester Henriette genervt.[6] Vor allem aber liebt er den Gesang. In jungen Jahren hat er in Carl Friedrich Zelters Singakademie mitgewirkt und – in seinen Zeiten als Bank-Commis in Paris – in privatem Kreis mit Vorliebe die Titelpartie aus Antonio Sacchinis gerade aktueller Oper «Oedipe à Colone» vorgetragen. Auf seinen Reisen berichtet er der Familie von seinen Konzertbesuchen wie ein ausgefuchster Musikkritiker; und selbst die Kinder Fanny und Felix wissen sein sachverständiges Urteil über ihre Kompositionen zu schätzen.

Doch was ist das gegen die Musikleidenschaft, die seiner Gattin Lea (1777–1842) in die Wiege gelegt worden ist! Felix’ Mutter ist eine Enkelin des Bankiers und Berliner Hofjuden Daniel Itzig, über dessen kunstliebendes Haus der preußische Hofkapellmeister Johann Friedrich Reichardt in seiner Autobiographie schreibt: «Musik wurde im reinsten, edelsten Sinne getrieben, Sebastian und Emanuel Bach mit einem Verständniß vorgetragen, wie sonst nirgends. Der beste Clavierlehrer wurde, wie auch andere treffliche Lehrer, mit einer jährlichen Pension belohnt, damit die schönen, zahlreichen Kinder der Familie ganz nach Trieb und Gefallen jeden Unterricht in allen guten und wünschenswerthen Gegenständen nehmen konnten.»[7]

Eines dieser Kinder war Sara Levy, geb. Itzig, die sich zu einer der ersten Klavierspielerinnen Berlins heranbildete. Nachdem die von Felix mit höchstem Respekt «Tante Levy» genannte Bach-Kennerin und -Sammlerin im Jahr 1807 der von Zelter gegründeten Ripienschule der Singakademie beigetreten war, scheint sie regelmäßig den Solopart der Klavierkonzerte übernommen zu haben, die im wöchentlichen Turnus aufgeführt wurden.

Eine in der Familie Mendelssohn ob ihres Lebenswandels mit einigem Argwohn beobachtete Tante von Felix Mendelssohn Bartholdy war Brendel Mendelssohn. Ihrer von den Eltern gestifteten Ehe mit dem Bankier Simon Veit entstammten die Söhne Jonas und Philipp, beide Maler und den «Nazarenern» zugehörig. 1797 verliebte sich Brendel im Berliner Salon der Henriette Herz in den acht Jahre jüngeren Friedrich Schlegel, den wohl bedeutendsten Philosophen der Romantik; dieser hat die Begegnung in seinem berühmt-berüchtigten Roman «Lucinde» verarbeitet. Dorothea, wie sie sich inzwischen nannte, ließ sich von Simon Veit scheiden und lebte öffentlich mit Schlegel zusammen, den sie 1804 in Paris heiratete. Sie trat zunächst zum Protestantismus über, später gemeinsam mit ihrem Mann zum Katholizismus. Bekannt als Schriftstellerin und als Literaturkritikerin, die sich zum Beispiel gemeinsam mit ihrem Mann über den Biedersinn in Schillers «Glocke» amüsierte, führte sie ab 1809 in Wien einen angesehenen Salon,...

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