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E-Book

Die Französische Revolution

AutorErnst Schulin
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl310 Seiten
ISBN9783406661907
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Ernst Schulins Standardwerk, das hier in einer überarbeiteten und auf den neuesten Forschungsstand gebrachten Neuausgabe erscheint, beginnt mit einem knappen Überblick über die Geschichtsschreibung zur Französischen Revolution und stellt dann ausführlich die Phase von 1789 bis zur Gründung der ersten Republik 1792 dar. Erst dann, nachdem er den Leser mit den Ereignissen der ersten Revolutionsjahre vertraut gemacht hat, beschreibt er die Ursachen der Revolution in Wirtschaft und Gesellschaft, Verfassung und Verwaltung, Ideen- und Mentalitätsgeschichte. Auch die außenpolitischen Anstöße werden berücksichtigt. Der letzte Teil des Buches beschäftigt sich mit der republikanischen Phase, der 'Schreckensherrschaft' von 1793/94 und der Direktoriums-Zeit (1795-1799).

Ernst Schulin, geb. 1929, war bis zu seiner Emeritierung Professor für Neuere Geschichte an der Universität Freiburg. Er ist durch Werke zur Geschichte Westeuropas in der frühen Neuzeit und zur Wissenschaftsgeschichte ebenso hervorgetreten wie als Mitherausgeber einer Gesamtausgabe der Werke von Walther Rathenau

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ERSTER TEIL


Geschichte der Geschichtsschreibung
über die Französische Revolution


La Révolution française n’a existé dans sa réalité, dans son langage, dans certaines de ses vérités, qu’un sièle après 1789. Il a fallu un siècle!

Fernand Braudel 1985[15]

Einen Schritt näher treten wir an die Untersuchung der Französischen Revolution heran, wenn wir uns nun mit der bisherigen Erforschung ihrer Geschichte beschäftigen, mit der Geschichte der Geschichtsschreibung über die Französische Revolution. Diese Fragestellung wirkt immer etwas wie Selbstbespiegelung oder Inzucht der Geschichtswissenschaft, längst ist aber ihr großer erkenntnisfördernder Wert zutagegetreten.

Sich nicht mit der bisherigen Literatur auseinanderzusetzen, sie nicht oder nur das allerneueste zur Kenntnis zu nehmen, heißt: flach und einseitig, ohne Berücksichtigung anderer Gesichtspunkte schreiben. Originelle Ideen können sehr alt sein. «Literaturkenntnis schützt vor Neuentdeckungen», wie Hermann Heimpel einmal gesagt hat.[16] Eine solche Nichtberücksichtigung bedeutet auch, daß man in weit höherem Maße, als einem bewußt ist, die wenige (neueste) Literatur kopiert, die man kennt, – einfach weil man ihre Fragwürdigkeit und Einseitigkeit nicht erkennen kann. Es heißt, daß man sich über seine eigenen Voraussetzungen, über die Voraussetzungen des eigenen Standpunktes nicht klar wird. Ältere Literatur ist in der Geschichtswissenschaft im allgemeinen weit weniger veraltet als etwa in naturwissenschaftlichen Fächern.

Es gibt zwei Grundmuster der Geschichte der Geschichtsschreibung. Das erste ist der Gesichtspunkt des Erkenntnisfortschritts. Mit jeder neuen geschichtswissenschaftlichen Untersuchung wird die Erkenntnis erweitert, ein weiterer unverlierbarer Baustein für das wissenschaftliche Fernziel der Gesamterkenntnis geliefert. Jedes spätere Buch ist in diesem Sinne «besser» als das frühere.

Das andere Grundmuster ist die Einsicht in die starke Zeitgebundenheit aller Geschichtsanschauung – speziell bei einem so großen, umkämpften Problem wie der Französischen Revolution. Danach ist alles relativ; keinem Geschichtswerk, ob früher oder später, ist eigentlich zu trauen. Eberhard Schmitt hat in diesem Sinne die Geschichtsschreibung über die Französische Revolution als ein «Muster für weltanschaulich-ideologisch geprägte Geschichtsschreibung» bezeichnet.[17]

Beide Gesichtspunkte haben etwas Wahres, wenn sie nur nicht ins Extrem getrieben werden und nie der eine über dem anderen mißachtet wird. Natürlich gibt es sachlichen Erkenntnisfortschritt bei aller Zeitgebundenheit und Subjektivität der Historiker. Zeitgebundenheit kann sich sogar positiv für die Erkenntnis eines bisher nicht beachteten Geschichtsbereiches auswirken. Und natürlich gibt es spätere Werke, die schlechter und ärmer sind als die früheren, und gibt es verlorene Erkenntnisse. Es kommt darauf an – und darin liegt das Erkenntnisfördernde einer Geschichte der Geschichtsschreibung –, in jedem Einzelfall Maß und Grad an Zeitgebundenheit und wissenschaftlichem Erkenntnisfortschritt festzustellen.

Ich kann natürlich nur einen kurzen, unvollständigen Überblick geben. Zurücktreten müssen hier die freundlichen oder feindlichen Erklärungsversuche und Analysen der Französischen Revolution durch die Mitlebenden. Diese Versuche sind keine «Geschichte», sie gehen nicht aus auf Faktenschilderung, knüpfen kaum an deren Darstellung an. Das soll nicht heißen, daß sie unbedeutend oder gar wirkungslos gewesen seien. Nur müßte man, wenn man solche Zeitmeinungen oder Zeitanalysen betrachtet, gerechterweise nicht nur Schriften nehmen, sondern auch viele Reden der Revolutionäre selber.

Ich weise nur kurz auf sechs wichtige Schriften hin, die ebensoviele verschiedene politische, philosophische, halbhistorische Erfassungen der Revolution sind:

1. Edmund Burke, ‹Reflections on the Revolution in France›, erstmals im November 1790, dann 1793. Das ist der Ansländer, der Engländer mit der eigenen älteren, «viel besseren» Revolution in der Tasche. Ursprünglich war Burke kein Konservativer, kein Tory, sondern Whig, Liberaler, der durch die Französische Revolution zum konservativen Whig (Old Whig) wird. Er stellt die Tradition der gemäßigten englischen Glorreichen Revolution gegen diese neue radikale französische und deren Anhänger in England. Er stellt damit die organisch sich weiterentwickelnde, traditionsbejahende «Geschichte» gegen abstrakte Freiheitsvorstellungen. Er versucht dabei in sehr beachtlicher Weise, die französischen Geschehnisse durch eine Klassenanalyse aus der jüngsten französischen Entwicklung zu erklären. Burke hatte eine große Wirkung auf England und Deutschland, vor allem in seiner Betonung, daß die Französische Revolution eine französische Angelegenheit sei, nicht etwa eine menschheitsübergreifende.

Im übrigen nenne ich französische Zeitmeinungen:

2. Antoine Barnave, ‹Introduction à la Révolution française›, 1791–92. Dies ist das Fragment eines Vertreters der Nationalversammlung, der als der beste Redner nach Mirabeau galt. Barnave fing radikal an, er wurde dann gemäßigt und schließlich zu einem entschiedenen Verteidiger der konstitutionellen Monarchie in radikaler Zeit. Man klagte ihn darum der Konspiration mit dem König an, worauf er im November 1793 guillotiniert wurde. Er und seine Schrift sind daher von Revolutionsanhängern scheel angesehen worden. Das Fragment wurde überhaupt erst 1843 veröffentlicht, hatte also keine Zeitwirkung und war auch dann wegen seiner materialistischen Strukturanalyse von Gemäßigten nicht geschätzt. Erst neuerdings sieht das anders aus. Man kann sagen, daß Barnave zwischen Montesquieu und Tocqueville steht. Er unternimmt es, die Notwendigkeit der Entwicklung nachzuweisen. Die sozialökonomische Analyse, die vor allem den Aufstieg der Volksschicht mit beweglichem Eigentum betont, ist noch schärfer als die von Burke und ganz anders als sie: nicht zuletzt, weil sie auf ganz Europa bezogen wird.

3. Antoine (Marquis de) Condorcet, ‹Esquisse d’un tableau historique des progrés de l’esprit humain›, 1794 im Gefängnis geschrieben. Condorcet war radikaler als Barnave, galt aber als Anhänger der Girondisten, wurde mit ihnen verfolgt und starb an Gift nach seiner Verhaftung, – nachdem er eines der optimistischsten geschichtsphilosophischen Werke über den menschlichen Fortschritt geschrieben hatte. Die Französische Revolution figuriert darin als bisher höchste Ermöglichung, wird aber sel ber gar nicht beschrieben.

Nun drei französische Gegenrevolutionäre:

4. Joseph de Maistre, ‹Considérations sur la France›, London 1796. Das ist eine religiöse Deutung von großem zeitgenössischem Einfluß. Die Revolution wird als Gottesstrafe für die Unkirchlichkeit der Franzosen gedeutet. Die bösen Menschen der Revolution sind Handlanger der göttlichen Strafe; die ganze Entwicklung wird aber schließlich zum Glanze Frankreichs führen oder zurückführen, zur Rückkehr in eine verbesserte Monarchie. In der Restaurationszeit war der Autor entsprechend politisch tätig, als Royalist und als Vertreter des politischen Klerikalismus.

5. Chateaubriand, ‹Essai sur les révolutions›, London 1797. Chateaubriand sieht die Revolution als eine der vielen typischen Staatskrisen. Die Geschichte besteht für ihn aus solchen immer wiederkehrenden historischen Krisen. Man kann ihn also als den ersten revolutionsvergleichenden Geschichtsdenker betrachten.

6. Abbé Barruel, ‹Mémoires pour servir à l’histoire du Jacobinisme›, Hamburg 1798. Dieser Abbé ist der Erfinder der Komplott-Theorie. Er sieht die ganze Revolution als ein bewußt vorbereitetes Komplott gegen den bestehenden Staat. Eine internationale «jakobinische», freimaurerische Verschwörung habe sich gegen Frankreich gerichtet, von Voltaire, Diderot bis zu Friedrich dem Großen. Für diese Verschwörungsthese sammelt Barruel «Tatsachen» und «Beweise».

Das sind sechs typische zeitgenössische Deutungen, die übrigens fast alle noch heute irgendwie zu finden sind. Es sind einflußreiche Maßstäbe zum Verständnis bzw. zur Diffamierung der Französischen Revolution, aber, wie gesagt, keine «Geschichte».

Historische, zunächst chronikartige Schilderung der Revolution finden wir bei drei Zeitgenossen:

1. Der ‹Almanach historique de la Révolution française pour l’année 1792› von Rabaut Saint-Etienne. Der Verfasser war Mitglied der Nationalversammlung und Pfarrer. Gegen Burke und anders als Barnave wollte er einfach die politischen Ereignisse darstellen, aber als Apologie des Werks der Verfassungsgebenden Versammlung. Er glaubte, daß mit deren Werk die Revolution nun glücklich beendet und als erfolgreich zu bezeichnen sei, wenn es vielleicht auch noch einige Wolken gäbe. Auch diese Anschauung...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Titel4
Impressum5
Inhalt6
Vorwort zur ersten Auflage8
Vorwort zur Neuauflage10
Einleitung12
Erster Teil: Geschichte der Geschichtsschreibung über die Französische Revolution26
Zweiter Teil: Verlauf der Revolution 1788/89 bis September 179260
Revolution des Dritten Standes61
Munizipale Revolution72
Revolution der Bauern76
Die Menschen- und Bürgerrechte82
Von Versailles nach Paris86
Zeit der Constituante 1789–9191
a) Politische Macht- und Einflußzentren91
b) Verfassungswerk101
c) Außen-, Finanz- und Kirchenpolitik106
d) Varennes und die Schlußphase der Constituante116
Legislative, Krieg und Sturz des Königtums 1791–1792122
Dritter Teil: Zur Vorgeschichte der Revolution133
1. Zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte134
Langfristige ökonomische Entwicklung im Vergleich zu England135
Mittel- und kurzfristige ökonomische Krisen142
Feudale Reaktion oder Modernisierung143
Bauern und städtische untere Schichten147
Soziale Stellung von Adel und Bürgertum151
Die antiständische Tendenz155
2. Zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte des Ancien Régime160
Der unvollendete Absolutismus160
Der Klerus162
Die auf Stellenkauf gegründete Beamtenhierarchie163
Die Provinzialstände168
Das Steuersystem169
Die Reformversuche des Staates170
3. Zur Ideen- und Mentalitätsgeschichte177
Langfristige Einwirkung. Die Aufklärungsphilosophen179
Mittelfristige Einwirkung. Die Ausbreitung in Akademien und Gesellschaftszirkeln185
Die Erfahrung Amerika191
Kurzfristige Einwirkung. Die politischen Klubs. Die Patrioten192
4. Zwischenbilanz193
5. Außenpolitik. Europäisches Echo194
Vierter Teil: Die Revolution vom September 1792 bis 1799203
Girondisten, Montagnards, Sansculotten203
Krieg, Bürgerkrieg und Terreur 1793/94217
Zur Kulturgeschichte der Revolution239
Die Zeit der Thermidorianer und des Direktoriums248
Schlußbetraebtung265
Anhang270
Anmerkungen270
Auswahlbibliographie283
Zeittafel296
Personenregister301
Sachregister306
Zum Buch310
Über den Autor310

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