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E-Book

Der schwarze Tiger

Was wir von Afrika lernen können

AutorHans Stoisser
VerlagKösel
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783641161927
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Noch ist Europa der stärkste Wirtschaftsraum der Welt. Doch Afrika boomt. Selbst wenn es nur noch halb so schnell wächst wie in den letzten Jahren wird es die Wirtschaft Europas bis 2050 überholt haben.

Wie absurd unsere Entwicklungshilfen in Afrika sind, wie veraltet unser Afrika-Bild vom Kontinent der Armut und Katastrophen ist und welche dramatischen Folgen das für Europa hat, zeigt Hans Stoisser anhand verblüffender Fakten und persönlicher Beobachtungen.



Hans Stoisser studierte Volkswirtschaftslehre und Internationale Beziehungen. Der Gründer und Geschäftsführer der Managementberatung ECOTEC ist seit 30 Jahren auf dem afrikanischen Kontinent als Unternehmer und Berater tätig. Stoisser lebt in Wien.

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Leseprobe

2 Der abgehängte Kontinent

»Entschuldigung für die Verspätung!«, keucht Maria Tavares. Während sie mit der rechten Hand die Tür hinter sich zuzieht, wirft sie mit der linken routiniert ihre Tasche auf den dafür bestimmten Platz neben dem Schreibtisch und beginnt Laptop, Kabel und Papiere herauszuholen. Dabei fällt mir auf, sie hat sich tatsächlich die Computertasche von Tumi gekauft, die ich ihr letztens empfohlen hatte. Viel zu teuer, aber dafür unglaublich haltbar. Und vor allem versperrbar. Bei Flügen mit kleineren Maschinen muss ja auch das Handgepäck eingecheckt werden.

Jetzt hat Maria die gesuchten Dokumente gefunden und kommt damit zu mir zum kleinen Besprechungstisch. Die Sekretärin schaut herein, wir bestellen zwei Tassen Kaffee.

»Ich wollte Sie gestern Abend noch anrufen, aber dann hatte mein Flieger Verspätung und ich bin erst nach Mitternacht heimgekommen. Heute Morgen musste ich kurzfristig bei der Klassenlehrerin meiner Tochter vorsprechen. Mein Mann hat das im letzten Moment an mich abgeben: In seiner Firma wird gerade das EDV-System umgestellt und jetzt stehen alle Kopf. Aber bitte, lassen Sie uns beginnen!«

An diese Besprechung kann ich mich noch gut erinnern, obwohl sie schon knapp zehn Jahre her ist. Obwohl sie inhaltlich überhaupt nichts Besonderes, sondern eine ganz normale Unterhaltung über den Ausbau der Wasserversorgung in einer Provinz war. Aber als ich österreichischen Freunden zufällig davon erzählte, konnten sie es nicht glauben. Der Grund war nicht das Meeting, sondern das Setting.

Ja, Maria Tavares war Abteilungsleiterin im Bautenministerium. Allerdings nicht in Wien, Berlin, Bern oder Lissabon, sondern in Maputo, der Hauptstadt Mosambiks im südlichen Afrika. In einer Region, die damals noch als Herd der Armut galt, und wo meine österreichischen Freunde so ziemlich alles vermutet hätten, nur keine EDV-Systeme, kein Internet und keine erfolgreiche Abteilungsleiterin mit der Doppelbelastung von Beruf und Familie.

Mehr als hundertmal bin ich von Arbeitsreisen aus Mosambik, Südafrika, Simbabwe, Angola, Tansania, Kenia, Uganda, Äthiopien, Kap Verde und anderen afrikanischen Ländern nach Europa zurückgekehrt, und jedes Mal, wenn ich davon erzählte, was ich dort gemacht hatte, wurde ich mit einem ungläubigen Blick gemustert. Denn sobald Deutsche, Österreicher oder Schweizer das Wort »Afrika« hören, stellen sie sich eine andere Welt vor, als die, von der ich berichte. Es ist, als ob beim Stichwort »Afrika« automatisch ein Film im Kopf meiner Gesprächspartner ablaufen würde. Ein Film über einen armen, krisenbehafteten, abgehängten Kontinent.

Wie nimmt nun Europa die neue Rolle Afrikas auf der Welt wahr? Und wie entwickeln sich die Beziehungen der Europäer zu den Afrikanern des 21. Jahrhunderts? Das möchte ich in diesem Kapitel zeigen.

Der Kontinent der Katastrophen

»Dürre bedroht 10 Millionen Afrikaner« – »Brennpunkt Afrika – Kontinent der Flüchtlinge« – »Mali, ein weiterer Krieg in Afrika« – »Afrika wird arm regiert!« – »Afrika droht neue humanitäre Katastrophe«. Und so weiter und so fort. Von diesen Schlagzeilen über afrikanische Länder gibt es mindestens so viele wie Radio- und Fernsehbeiträge. Falls jemand nicht direkt mit einem afrikanischen Land zu tun hat – dort arbeitet oder Freunde oder Familie hat – sind diese Schlagzeilen seine einzigen Informationen über Afrika. Und weil die Mehrheit der Europäer diese Beziehungen nicht hat, trägt diese »veröffentlichte Meinung« entscheidend zu unserem Afrikabild bei. Besser gesagt: Sie prägt unser Afrikabild.

Dass auch Menschen in Maputo täglich ins Ministerium zur Arbeit gehen, in Dar-es-Salam erfolgreiche Reisebüros betreiben, in Nairobi modernste Telefongesellschaften aufbauen, in Kampala oder Addis Abeba in kleinen gewinnbringenden Fabriken arbeiten und auch in all den vielen anderen Städten Afrikas ihren ganz normalen Tätigkeiten nachgehen, ihren Alltag haben, genauso wie in Deutschland, Österreich oder der Schweiz, und nach den kleinen Verbesserungen des Lebens streben, diese Informationen gelangen über die Medien nicht zu uns nach Europa. Kein Wunder: Im Gegensatz zu den USA oder Indien haben afrikanische Länder noch keine breitenwirksame Filmindustrie, die den Alltag ihrer Menschen in die Wohnzimmer Europas trägt. »Nollywood«, die aufstrebende Filmindustrie Nigerias, ist bei uns noch völlig unbekannt.

Also kennen wir Afrika als Schwarzen Kontinent, der vom Norden bis zum Süden ziemlich gleich aussieht, die gleichen Probleme hat und deshalb auf unsere Hilfe angewiesen ist. Dabei ist der afrikanische Kontinent alles andere als eine homogene Größe.

Afrika reicht vom 36. nördlichen bis zum 34. südlichen Breitengrad, hat damit eine Nord-Süd-Ausdehnung von über achttausend Kilometern, insgesamt eine Fläche von über 30 Millionen Quadratkilometer, besteht derzeit aus 54 Staaten und neben tropischen und subtropischen gibt es auch gemäßigte Klimazonen. Windhuk, die im Südwesten des Kontinents gelegene Hauptstadt Namibias mit ihren etwas über 300000 Einwohnern, mit trockenem Klima und wenigen Regentagen, könnte nicht unterschiedlicher sein als die tropische Millionenstadt Dakar, die pulsierende Hauptstadt des westafrikanischen Senegal. Und die ganz großen Unterschiede finden sich – nicht unähnlich zu Europa – zwischen Stadt und Land, Metropole und Busch, der übers Internet angebundenen Mittelschicht und der nach jahrhundertealten Traditionen lebenden Landbevölkerung.

Afrika ist alles andere als homogen. Und dennoch erliegen sogar die Redaktionen von Qualitätszeitungen der Versuchung, beim Thema »Afrika« die alles vereinfachenden Verallgemeinerungen zur Steigerung der Aufmerksamkeit zu verwenden.

»Unglücke in Afrika: Der Kontinent der vermeidbaren Katastrophen« titelte das Handelsblatt nach dem Sinken einer Fähre in Tansania und dem Explodieren einer Pipeline im über 4000 Kilometer entfernten Nigeria. Wie würde diese Zeitung berichten, wenn sich während einem der wiederkehrenden Waldbrände in Spanien ein Zugunglück irgendwo in Skandinavien ereignete? Europa, der Kontinent der Katastrophen?

Selbst die Frankfurter Allgemeine Zeitung scheute sich nicht, einen Bericht über das Schlepperwesen in Tschad und Niger mit »Afrika – Flucht vom Kontinent der verlorenen Hoffnungen« zu titeln. Auf Europa umgelegt wäre das so, als ob die derzeit stattfindende Emigration von Tausenden Portugiesen nach Angola, Mosambik und Brasilien auch ganz automatisch die Europäer inklusive der derzeit wirtschaftlich erfolgreichen Deutschen aus Europa flüchten lassen würde.

Unser Afrikabild hat auch noch eine andere Seite: Was wir außer Katastrophen und Entwicklungshilfe noch mit dem Kontinent verbinden, zeigt zum Beispiel der Film Out of Africa mit Robert Redford und Meryl Streep: Savanne, Löwen, Hitze, Weite, Elefanten, orangefarbene Sonnenuntergänge. Hinzu kommen die Afrikanerinnen und Afrikaner, die mit Musik und Rhythmus tief in ihrem Inneren geboren werden. Wir sehen sie vor unseren Augen, die schlanken, muskulösen, sich im Takt wiegenden Körper. Das weckt bei uns die Sehnsüchte der Männer und gleichermaßen der Frauen. Da fühlen wir uns wohl, zu Hause an der Wiege der Menschheit, die ja vor 200000 Jahren in Afrika gestanden haben soll.

Afrika ist also einerseits der entfernte Hilfsbedürftige, verkörpert aber andererseits unsere Wünsche, Träume und Phantasien nach dem Ursprünglichen. Scheinbare Gegensätze, die aber nur zwei Seiten einer Medaille sind: Eine Safari in Kenia, Urlaub in Sansibar, eines der vielen Entwicklungsprojekte oder einfach die Hintergründe eines Spendenaufrufs; das alles weckt starke Gefühle und motiviert uns immer wieder zu Handlungen: Ins Reisebüro gehen oder einen Zahlschein ausfüllen.

Dass Unternehmen, Marketingabteilungen, Verkäufer oder auch Bürgerinitiativen und Vereine auf Emotionen setzen, um ihre Kunden zum Kauf oder ihre Bürger zu Spenden zu motivieren, ist gängige Praxis – und keineswegs auf Afrika beschränkt. Dennoch muss es einen Grund geben, warum diese Emotionen – Mitleid mit den Opfern von Katastrophen und Sehnsucht nach dem Ursprünglichen – im aufgeklärten Westen noch ihre Wirkung entfalten, obwohl die Grundlage dafür immer mehr verschwindet. Denn genau genommen ist die Realität in den einzelnen afrikanischen Ländern eigentlich immer schon von unserer europäischen Wahrnehmung abgewichen. Das fing schon zu Kolonialzeiten an, als die ersten Europäer auf afrikanischem Boden sich tatsächlich fragten, ob die Schwarzafrikaner eigentlich Tiere oder Menschen seien. Auch im 20. Jahrhundert sprach man noch von »Eingeborenen« – und meinte damit unterschwellig eher urzeitliche Menschen als »im Ort Geborene«. Zugleich wunderte man sich, dass auch in Afrika Menschen in Städten wohnten, mit elektrischem Strom und installierter Wasserversorgung. Dass schon in den 1980er-Jahren die vielen japanischen Autos die Straßen verstopften und die Haushalte an das globale Satellitenfernsehen angeschlossen wurden. Mit der Eingliederung der meisten afrikanischen Staaten in das globalisierte Wirtschaftssystem inklusive Anschluss an die weltumspannende digitale Datenkommunikation hat sich diese Differenz zwischen unserer Wahrnehmung und der afrikanischen Realität in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren mit einem Schub exponentiell vergrößert.

Die einzelnen afrikanischen Länder haben sich völlig gewandelt, unser Afrikabild ist aber das Gleiche geblieben. Getrennt durch das Wasser des Mittelmeeres, die strengen Einwanderungsgesetze...

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