11. Kapitel
Die Übertragung des Vermögens vor dem Tode – die vorweggenommene Erbfolge
Jeder kann über sein Vermögen grundsätzlich frei verfügen. Er hat also die Möglichkeit, Geld, Wertpapiere oder eine Eigentumswohnung bereits zu Lebzeiten auf seine in Aussicht genommenen Erben zu übertragen. Diese „vorweggenommene Erbfolge“ tritt durch vertragliche Regelungen ein, z. B. im Wege einer Schenkung von Eltern an ihre Kinder. In die vertraglichen Regelungen kann auch der Wunsch der Eltern aufgenommen werden, ihre Versorgung im Alter abzusichern oder andere Gegenleistungen zu vereinbaren.
Die Trennung des Übergebers von seinem Vermögen stellt eine schwerwiegende Entscheidung dar und sollte sorgfältig abgewogen und durchdacht werden. Dabei wird wegen der Notwendigkeit, zahlreiche rechtliche Gesichtspunkte zu beachten, insbesondere auch in steuerlicher Hinsicht, die Einholung fachkundiger Beratung in der Regel unerlässlich sein.
Die „vorweggenommene Erbfolge“ bietet sich im Rahmen der Gesamtvermögensnachfolge als erste Stufe an, die durch eine letztwillige Verfügung ergänzt werden kann.
2I. Gründe für die Übertragung des Vermögens zu Lebzeiten
Es ist häufig sehr sinnvoll, die Vermögensnachfolge nicht bis zu dem Zeitpunkt seines Todes hinauszuschieben, sondern bereits zu Lebzeiten vorzunehmen. Eltern können ihren Kindern durch Geldzuwendungen den Erwerb eines Hauses erleichtern oder mit der rechtzeitigen Übergabe eines Handwerksbetriebes an einen jungen Nachfolger dessen Fortbestand sichern. Ist das Vermögen bereits zu Lebzeiten durch vernünftige Regelungen verteilt, sind Rechtsstreitigkeiten nach dem Tode kaum zu erwarten.
Zum Rechtsfrieden in einer Familie kann die Anordnung beitragen, dass die Schenkung im Erbfall unter den Miterben auszugleichen ist (§ 2050 Abs. 3), denn damit wird erreicht, dass alle Kinder gleich behandelt werden. Die Anordnung muss entweder vor oder gleichzeitig mit der Zuwendung gegenüber dem Kind erklärt werden, so dass es die Möglichkeit hat, die Zuwendung wegen der Ausgleichungspflicht abzulehnen. Nachträgliche Ausgleichungsanordnungen sind nur durch ein Testament möglich und stellen ein Vermächtnis zugunsten des anderen Miterben dar. Eine Ausstattung ist auch ohne eine Anordnung ausgleichspflichtig (§§ 2050 Abs. 1, 1624, s. S. 79). Soll die Ausgleichung der Ausstattung nicht erfolgen, muss sie von dem Erblasser bei deren Zuwendung ausdrücklich ausgeschlossen werden.
Enthält ein Übergabevertrag die Klausel „im Wege der vorweggenommenen Erbfolge“, kann fraglich sein, ob damit im Erbfall eine Ausgleichspflicht unter den Miterben angeordnet ist. Es können Auslegungsprobleme entstehen. In der Regel dürfte jedoch eine unentgeltliche Zuwendung des Erblassers, wenn diese „im Wege der vorweggenommenen Erbfolge“ geschehen ist, als ausgleichspflichtig anzusehen sein (BGH NJW-RR 1989, 259).
Der Beschenkte kann im Gegenzug für die erhaltene Schenkung mit dem Schenker auch einen Pflichtteilsverzicht, der notariell erfolgen muss, vereinbaren. Der Übergeber erlangt dadurch die Freiheit, 3über sein Restvermögen testamentarisch zu verfügen, ohne dass der Beschenkte Pflichtteilsansprüche geltend machen kann. Ferner kommt auch die Anordnung der Anrechnung des Geschenks auf den Pflichtteil in Betracht (§ 2315). Besonders zu beachten sind die steuerlichen Vorteile, die mit einer lebzeitigen Übertragung verbunden sind. Insoweit wird wegen der Einzelheiten auf S. 357 verwiesen.
Bei unentgeltlichen Zuwendungen „im Wege der vorweggenommenen Erbfolge“ sollte, um Auslegungsprobleme zu vermeiden, stets klargestellt werden, ob eine Ausgleichung unter den Miterben oder eine Anrechnung auf den Pflichtteil erfolgen soll.
II. Der Übergabevertrag
Für die vorweggenommene Erbfolge bestehen vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten. In Betracht kommt vor allem der Übergabevertrag. Er ist ein Generationennachfolgevertrag, dessen Sinn und Zweck in einem Nachrücken der folgenden Generation in eine die Existenz begründende Wirtschaftseinheit des Übergebers besteht. Zu denken ist z. B. an die Schenkung eines Wohnhauses, eines landwirtschaftlichen Hofs oder eines Unternehmens. Der Übergabevertrag bedarf der notariellen Beurkundung, wenn er die Übertragung von Grundbesitz, z. B. eines Wohnhauses, enthält (§ 313).
Grundstücksschenkungen unter Lebenden unterliegen nicht der Grunderwerbsteuer (§ 3 Nr. 2 S. 1 GrEStG), sondern nur der Schenkungsteuer. Überträgt ein Ehegatte das selbst genutzte Familienwohnheim ganz oder teilweise seinem Ehegatten, so ist diese Schenkung von der Schenkungsteuer befreit (§ 13 I Nr. 4a ErbStG) und der Ehegattenfreibetrag bleibt unberührt. Eine Zusammenrechnung mit früheren bzw. späteren Zuwendungen innerhalb von 10 Jahren (§ 14 ErbStG) erfolgt nicht.
41. Das Wohnrecht
Nicht selten wollen sich die Eltern zwar bereits zu Lebzeiten von ihrem Haus oder ihrer Eigentumswohnung zugunsten ihrer Kinder trennen, aber die Immobilie noch bis zu ihrem Tode bewohnen. Sie haben die Möglichkeit, sich in dem Übergabevertrag ein Wohnrecht an der Immobilie vorzubehalten. Zu dessen Sicherung können sie eine Dienstbarkeit im Grundbuch eintragen lassen (§ 1093).
Das Wohnrecht ist nicht übertragbar und kann nur persönlich ausgeübt werden (§ 1092 Abs. 1 S. 1). Grundsätzlich darf der Berechtigte die Wohnung nicht vermieten, jedoch kann er eine Vereinbarung treffen, nach der er die Nutzung der Wohnung einem anderen überlassen darf (§ 1092 Abs. 1 S. 2). Der Berechtigte kann auch einen Partner oder eine Partnerin ohne Erlaubnis des Eigentümers in die Wohnung aufnehmen. Zu empfehlen ist, die Nebenleistungspflichten, z. B. Instandsetzungs- und Betriebskosten, ausdrücklich zu regeln, um Streit zu vermeiden.
2. Das Nießbrauchsrecht
Eine Trennung der Eltern von ihrem Vermögen zugunsten ihrer Kinder bereits zu Lebzeiten wird auch dadurch erleichtert, dass sie es bis zu ihrem Ableben nutzen dürfen. Sie wollen in dem übergebenen Haus noch wohnen oder die Mieten für sich verbrauchen, desgleichen die Erträge eines Aktiendepots. Um dieses Ziel zu erreichen, können sie mit ihren Kindern in dem Übergabevertrag einen Nießbrauchsvorbehalt (§§ 1033 ff.) vereinbaren. Danach sind die Kinder zwar neue Eigentümer der Vermögensgegenstände, den Eltern steht jedoch das Nutzungsrecht daran zu. Das bedeutet: Die Eltern verlieren zwar das Eigentum an ihre Kinder, behalten aber das Recht, z. B. im Falle eines Wohnhauses, die Miete weiterhin einzuziehen oder es selber zu bewohnen.
Der Nießbrauchsvorbehalt im Falle einer Grundstücksschenkung kann durch Eintragung in das Grundbuch gesichert werden. Er erlischt mit dem Ableben des Nießbrauchsberechtigten (§ 1061). Zu 5beachten ist, dass die Finanzverwaltung im lebzeitigen Verzicht auf den Nießbrauch – anders als bei dem Erlöschen durch den Tod – eine erneute steuerpflichtige Zuwendung sieht.
3. Laufende Geldzahlungen
Die Übertragung von betrieblichen Vermögen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf die Kinder geschieht häufig in Verbindung mit regelmäßig monatlich zu leistenden Geldzahlungen an die Eltern. Werden diese Gegenleistungen als so genannte Versorgungsleistungen (Leibrente oder dauernde Last) vertraglich vereinbart, sind sie in einkommensteuerlicher Hinsicht bei dem Übernehmer des Vermögens als Sonderausgaben (§ 10 I Nr. 1a EStG) abzuziehen und beim Übergeber als sonstige Einkünfte (§ 22 Nr. 1 EStG) zu versteuern. In der Regel werden die Kinder höhere Einkünfte haben als deren Eltern, wenn diese im Ruhestand sind. Wegen der unterschiedlichen einkommensteuerlichen Progressionsbelastung der Beteiligten lassen sich so günstige steuerliche Ergebnisse erzielen.
Die Finanzverwaltung erkennt wiederkehrende Zahlungen in Überlassungsverträgen nur unter bestimmten Voraussetzungen als Versorgungsleistungen an, über die im Einzelnen eine eingehende Beratung durch einen Steuerexperten erforderlich ist.
4. Die Pflegeverpflichtung
In Übergabeverträgen wird häufig vereinbart, dass die Kinder sich verpflichten, ihre Eltern im Alter oder bei Krankheit zu pflegen. Die Sicherung dieser Verpflichtung geschieht durch die Eintragung einer Reallast im Grundbuch (§§ 1105 ff.). Um Streit zu vermeiden, sollte der Umfang der Verpflichtung im Vertrag genau festgelegt werden. Üblicherweise werden nur die Leistungen vereinbart, die der Übernehmer ohne besondere Ausbildung mit Unterstützung der ambulanten Pflegedienste im übergebenen Anwesen erbringen kann. Tritt 6der totale Pflegefall ein, ist also die Aufnahme in ein Pflegeheim erforderlich, ruht die übernommene Verpflichtung.
III. Die Absicherung des Übergebers – die Rückforderungsrechte
Bei der Abwicklung eines Übergabevertrages kann es zu erheblichen Schwierigkeiten kommen, die die Rechte des Übergebers stark beeinträchtigen, z. B. der Übernehmer des Vermögens verstößt gegen seine Verpflichtung, die vereinbarten Versorgungsleistungen an den Übergeber zu erbringen. Hier ist zu fragen, ob das Gesetz dem Übergeber ausreichenden Schutz bietet oder es geboten ist, vorsorglich vertraglich Rückforderungsrechte zu vereinbaren.
1. Gesetzliche Rückforderungsrechte
Bei Leistungsstörungen im Rahmen eines Vertrages über die vorweggenommene...