Vorwort
Tausende Menschen drängten sich an jenem nebligen, feuchten Januarmorgen in der Riverside Church an der Upper West Side von Manhattan, um am Gedenkgottesdienst für Richard B. Fisher teilzunehmen, den ehemaligen Leiter von Morgan Stanley. Bürgermeister Michael Bloomberg war ebenso anwesend wie David Rockefeller und andere Würdenträger. Und es waren unzählige junge Banker gekommen, die dem Verstorbenen vielleicht nie begegnet waren, jedoch die Legenden kannten, die sich um seinen Namen rankten.
Dieser berührende Beweis der Zuneigung war nicht unbedingt zu erwarten gewesen. Als Fisher am 16. Dezember 2004 im Alter von 68 Jahren starb, war er längst nur noch eine Randfigur in der globalen Investment-Bank, für die sein Name einst ein Synonym gewesen war. Fisher war im Jahr 1962 bei Morgan Stanley eingetreten und 1984 zum Präsidenten der Firma ernannt worden. Als er im Jahr 1997 die schicksalhafte Fusion mit der in Chicago ansässigen Firma Dean Witter, Discover and Co. aushandelte – dabei wurde Phil Purcell, der Leiter von Dean Witter, zum CEO der neuen Firma und Fishers Schützling John Mack zum Präsidenten und Geschäftsführer ernannt –, war Fischer seit sechs Jahren Chairman von Morgan Stanley.
Schon einige Zeit bevor der Prostatakrebs wieder aufflammte, der ihn schließlich das Leben kosten sollte, war Fisher in der einst von ihm geführten Investment-Bank weiter und weiter an den Rand gedrängt worden. Unmittelbar nach der Fusion war er zum Vorsitzenden des Leitungsausschusses der Firma bestellt worden, doch im Jahr 2000 wurde er aus dem Board entfernt und kurze Zeit später zum »Chairman Emeritus« herabgestuft. Als John Mack, der von seinem Gegenspieler Purcell an die Wand gespielt worden war, im Jahr darauf zurücktrat, bat Fisher darum, sich an den Board wenden zu dürfen, doch Purcell überbrachte ihm eine schmerzhafte Nachricht: Der Board sei nicht daran interessiert, ihn anzuhören. Sogar Fishers Büro wurde zunächst aus dem für das Topmanagement reservierten Stockwerk und später überhaupt in ein anderes Gebäude verlegt, an einen Ort, der in der Firma als »Jurassic Park« bezeichnet wurde, weil altgediente Banker dort eine Nische erhielten und mit einer Sekretärin in den Vorruhestand geschickt wurden.
Unter den Trauergästen war eine Gruppe von sieben Mitbewohnern des Jurassic Park, zu denen S. Parker Gilbert zählte, Fishers Vorgänger als Chairman. Die meisten dieser angesehenen älteren Herren hatten so wie Fisher in den sechziger Jahren ihre Karriere bei Morgan Stanley begonnen. Als sie sich in der überfüllten Kirche umsahen, konnten sie sich des Gedankens nicht erwehren, dass sich die Zeiten sehr geändert hatten.
In den sechziger Jahren hatte Morgan Stanley nicht am Wertpapierhandel teilgenommen, da die Firma dieses Geschäft als minderwertige Tätigkeit betrachtete, die von reinen Händlern ausgeübt wurde, bei denen es sich überwiegend um Juden handelte. Doch im Jahr 1971 hatte die Bank eine eigene Verkaufs- und Handelsabteilung eingerichtet, mit deren Leitung ein junger Partner namens Richard Fisher betraut worden war. In den letzten Jahren waren die in diesem Tätigkeitsbereich erzielten Gewinne deutlich höher ausgefallen als jene im traditionellen Geschäft der Gentleman-Banker. Die Hinwendung zu Verkauf und Handel fiel mit der Gründung einer Abteilung für Fusionen und Übernahmen zusammen, womit Morgan Stanley eine Vorreiterrolle unter den großen Investment-Banken übernahm. Bis zu jener Zeit hatten diese Firmen die Beratung bei Fusionen und Übernahmen oft als eine Dienstleistung behandelt, die langjährigen Klienten kostenlos angeboten wurde. Doch innerhalb von zwei Jahrzehnten verwandelte sich der Bereich »M&A« (Mergers and Acquisitions) in die Ertragsmaschine der traditionellen Finanzierungsinstitute, und die Leitung dieses Bereichs übernahmen Stars, deren Namen oft bekannter waren als jene der Klienten oder Banken, in deren Dienst sie theoretisch standen.
Die bedeutsamste Veränderung betraf allerdings die Position der Firma in der Branche. In den sechziger Jahren war Morgan Stanley mit einigen Dutzend Partnern und mehreren Hundert Mitarbeitern die führende Investment-Bank der Welt. Im Labyrinth des heiß umkämpften Finanzsektors der neunziger Jahre war eine solche umfassende Vorherrschaft einfach nicht mehr möglich. Doch selbst in dem relativ kleinen Revier, auf das sich diese großartige Firma konzentrierte – gemeint ist die hochwertige unabhängige Finanzberatung der führenden Unternehmen der Welt –, war die Führung schon vor geraumer Zeit an Goldman Sachs verloren gegangen.
Der Aufstieg von Wertpapierhandel und M&A zu den vorrangigen Einnahmequellen in den siebziger Jahren hatte den Anstoß zum Wandel der Kultur und der Struktur des Investment-Banking und zur Änderung von Morgan Stanleys Position in der Branche gegeben, doch es gab eine Vielzahl weiterer interner und externer Entwicklungen, die dazu beigetragen hatten, die Firma in die Lage zu bringen, in der sie sich Anfang des Jahres 2005 befand. Indem sich Morgan Stanley im Jahr 1986 entschlossen hatte, 20 Prozent der Aktien an externe Investoren zu verkaufen, hatte die Firma einen weitreichenden Schritt getan: Abgesehen davon, dass sie sich damit von der Tradition der privaten Partnerschaft gelöst hatte, wurde das Kapital auch verwendet, um Morgan Stanley eine aggressivere Beteiligung an den Leveraged Buy-outs (oder LBO) zu ermöglichen, die zu jener Zeit in der Branche in Mode gekommen waren. Aktiengesellschaften, die als schlecht geführt oder unterbewertet eingeschätzt wurden, wurden zum Ziel der Übernahmekünstler, die diese Geschäfte finanzierten, indem sie Schulden in nie dagewesener Höhe aufnahmen. Morgan Stanley platzierte nicht nur die Anleihen, sondern investierte teilweise auch sein eigenes Geld in die Transaktionen. Schon die Finanzierung von derart verschuldeten Unternehmen war umstritten, doch die Firma überschritt eine noch höhere Hemmschwelle, indem sie sich vom Vermittler zum Investor wandelte und aktiv auf eigene Rechnung an diesen Deals teilnahm, selbst wenn sie damit zum Konkurrenten ihrer Klienten wurde.
Als der Gesetzgeber ein Jahrzehnt später das Investment-Banking wieder für die großen Handelsbanken öffnete, gerieten die herkömmlichen Arbeitsmethoden der Branche unter noch größeren Druck. Das aus der Depression stammende Glass-Steagall-Gesetz hatte die Investment-Banken lange Zeit vor Übergriffen der sehr viel kapitalkräftigeren Handelsbanken geschützt. Doch die Aufhebung dieses Gesetzes im Jahr 1999 ebnete den Weg für einen deutlich verschärften Wettbewerb und für eine Fusionswelle, die riesige »Finanzsupermärkte« hervorbrachte, deren Geschäftsethos nichts mehr mit dem der alten Investment-Banken zu tun hatte.
Doch im Fall von Morgan Stanley hatte keine dieser Veränderungen ähnlich weitreichende Auswirkungen wie die Verschmelzung mit Dean Witter Discover. Obwohl diese Verbindung als »Fusion unter Gleichen« bezeichnet wurde, stellte sich bald heraus, dass sich die ehrwürdigste aller Wall-Street-Firmen in Wahrheit an eine Broker- und Kreditkartenfirma verkauft hatte, deren Zielgruppe das untere Privatkundensegment war. Als sich Robert Scott, ein Veteran von Morgan Stanley, beim Gedenkgottesdienst erhob, um einige Worte zu sagen, wurde das kleine Grüppchen der Zeitgenossen von Fisher daran erinnert, wie übel ihrer Seite bei der ursprünglich vielversprechenden Fusion mitgespielt worden war. Obwohl Scott zehn Jahre jünger als Fisher war und eigentlich nicht dessen Generation angehörte, war er der letzte in einer langen Reihe von Morgan-Führungskräften, die Purcell gnadenlos aus dem Weg geräumt hatte, sobald er eine Bedrohung in ihnen gesehen hatte oder sie nicht länger brauchte. Scott, der frühere Leiter des Investment-Banking, war im Februar 1997 von Fisher mit der Leitung des Teams betraut worden, das die Fusion für Morgan abwickeln sollte. Doch noch vor Ende dieses Monats und lange vor dem Abschluss des Geschäfts im Mai 1997 erlitt Scott einen Herzinfarkt. Purcells Entscheidung, den gesundheitlich angeschlagenen Manager im Jahr 2001 zum Nachfolger von Mack als Präsident und Geschäftsführer zu ernennen, wurde allgemein als Schachzug gedeutet, der dazu diente, die Leute von Morgan Stanley angesichts des Verlusts ihres Thronerben Mack zu beschwichtigen, ohne eine Gefahr für Purcells Herrschaft heraufzubeschwören. Zwei Jahre später teilte Purcell Scott mit, dass seine Dienste nach 33 Jahren bei Morgan Stanley nicht länger benötigt würden. Der einzige verbleibende Sitz im Board, der für einen Manager von Morgan reserviert war, wurde in aller Stille gestrichen. Nun war Purcell der unangefochtene Alleinherrscher.
»Dick wacht über uns«, versicherte Scott der Trauergemeinde mit brechender Stimme. »Es wird alles ins Lot kommen.«
Manch einer war da nicht so sicher. Wenige Wochen nach Fishers Beerdigung schlossen sich dieselben sieben Männer mit Scott zusammen und versammelten sich in der Wohnung des früheren...