Gedanken zur Technischen Analyse
Ziele der Technischen Analyse
Was ist denn überhaupt »Technische Analyse« und was ist deren Ziel? Wieso verbringen manche Menschen Zeit damit, sich Charts der verschiedensten Aktien, Rohstoffe, Währungen oder was auch immer zu betrachten und zu analysieren? Für alle, die sich mit den Finanzmärkten und damit Wertpapieren, Rohstoffen oder Währungen beschäftigen, gilt es nur zwei Fragen zu beantworten:
- Wann ist der richtige Zeitpunkt für ein Investment – oder – wie ist der aktuelle Trend?
- Wann macht es Sinn, die Position zu schließen – oder – gibt es Signale für eine Trendumkehr?
Mit Beantwortung dieser beiden Fragen kann der richtige Zeitpunkt für ein Investment oder für die Gewinnmitnahme gewählt werden. Ein praktisches Beispiel dafür: Angenommen, Sie wollen den Betrag X in eine Aktie investieren. Wie wählen Sie die Aktie aus? Sie fragen Ihren Bankberater nach einer Empfehlung. Oder Sie fragen einen Kollegen beim nächsten Stammtisch. Jetzt haben Sie zwei Namen, zwei Empfehlungen. Was nun? Blind kaufen? Das ist, als ob Sie versuchen, mit verbundenen Augen über eine viel befahrene Straße zu gehen. Wenn Sie Glück haben, kommen Sie auf der anderen Seite wohlbehalten an. Wenn nicht …
Dann schauen Sie sich einfach mal einen ganz schlichten Chart an. Sie brauchen nur einen Computer mit Internetanschluss. Kostenlose Charts gibt’s fast auf jeder Seite, die sich mit Börse beschäftigt.
Welche der beiden Aktien würden Sie in die engere Auswahl ziehen? Wahrscheinlich die links. Und wieso?
Eine kurze Analyse:
Die Aktie im linken Chart von Abbildung 1 befindet sich im Aufwärtstrend, eine Änderung des Trends ist nicht erkennbar. Bei der Aktie im rechten Chart sieht das schon ganz anders aus. Ob hier der Abwärtstrend beendet ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht ersichtlich. Also werden Sie aller Voraussicht nach die Aktie kaufen, die im linken Chart abgebildet ist, das sind übrigens die Henkel Vorzüge, rechts die Aktie der Commerzbank.
Sie sehen – auch für jemanden ohne tiefgreifende Kenntnisse der Technischen Analyse kann ein erster Blick auf einen schnörkellosen Chart wichtige Erkenntnisse bringen.
Abbildung 1: zwei Liniencharts, Zeitraum 2 Jahre zweier DAX-Titel (XETRA)
Drei Grundannahmen der Technischen Analyse
- Die Marktbewegung diskontiert alles.
Das ist der Grundstein der Technischen Analyse. Die Nachrichtenlage beeinflusst Angebot und Nachfrage. In der Regel sorgen »gute« Nachrichten für steigende Nachfrage. Die fundamentals sind bullisch und damit steigen die Kurse. »Schlechte« Nachrichten hingegen sorgen für steigendes Angebot. Die fundamentals sind bärisch und die Kurse fallen. Alle Nachrichten spiegeln sich in der Kursbewegung wider. Der Grund für die Kursbewegungen ist dem Technischen Analysten egal.
- Kurse bewegen sich in Trends.
Das Trendkonzept ist absolut unentbehrlich. Ein Trend wird als solcher identifiziert, um danach zu traden. Die meisten Ansätze sind trendfolgend. Ein Trend in Bewegung setzt sich mit größerer Wahrscheinlichkeit fort, als dass er sich umkehrt.
- Die Geschichte wiederholt sich selbst.
Börse ist Psychologie. »Der Markt« – das sind nichts anderes als Menschen. Und Menschen handeln in ähnlichen Situationen durchaus vergleichbar. Der Schlüssel zum Verständnis der Zukunft liegt im Studium der Vergangenheit.
Kritikpunkte an der Technischen Analyse
- Charts können nicht die Zukunft vorhersagen!
ABER: Die Wettervorhersage funktioniert genauso! Es werden meteorologische Karten analysiert und daraus Prognosen erstellt. Der Vergleich mit der Wettervorhersage ist zutreffend, da Ichimoku Kinko Hyo auch Wolkencharts genannt werden – wer sie deuten kann, ist klar im Vorteil!
- Random-Walk-Theorie
Kursbewegungen sind Zufallsbewegungen, wie der Gang eines Betrunkenen, nicht vorhersagbar, Kurstrends gibt’s nicht, buy and hold ist die beste Strategie.
Die Verfechter dieser Theorie gehen davon aus, dass die Finanzmärkte effizient3 sind und alle Teilnehmer rational handeln. Alle vorhandenen Informationen sind bereits eingepreist, und somit ist niemand in der Lage, dauerhaft überdurchschnittliche Gewinne zu erzielen.
Das gegenteilige Gedankenmodell liefert die Behavioral Finance4. Deren Vertreter gehen davon aus, dass die Marktpreise von der Psychologie der Marktteilnehmer geprägt sind.
Gegen die Random-Walk-Theorie spricht, dass es zum einen in der Tat »erfolgreiche« Technische Analyse gibt, und zum anderen folgen die Aktienkurse nicht dem statistischen Modell der Normalverteilung5. Werden die Kursbewegungen statistisch ausgewertet, so verläuft die Kurve in den Randbereichen nicht etwa glatt und stetig gegen Null laufend. An den Flanken der Kurve werden die sogenannten »fetten Verteilungsenden« ausgebildet (Fat Tails). Die Fat Tails sind nichts anderes als Tage mit extremen Kursschwankungen. Wenn also der DAX mal so mir nix dir nix an einem Tag 11,4% zulegt (13.10.2008) oder 12,8% verliert (16.10.1989), dann sollte das statistisch betrachtet die absolute Ausnahme sein und nur alle paar tausend Jahre einmal vorkommen. Allerdings kommt das alle paar Monate einmal vor und passt damit nicht in das Modell der Normalverteilung und damit in das Konzept der Zufallsbewegung.
- Self fullfilling prophecy6
Technische Analyse funktioniert nur, weil sie von vielen verwendet wird, da die Trader auf die gleichen Muster oder gleichen Indikatoren starren und danach handeln. Dazu eine ketzerische Frage: Wenn damit Gewinne realisiert werden können – was ist dann daran so schlimm?
Abbildung 2: DAX Täglich, XETRA, Juni 2007 bis Februar 2008
Ein geradezu mustergültiges Beispiel lieferte der DAX Anfang 2008, der vielbeachtete 200 Tage Durchschnitt dient als anschauliches Beispiel für diese These: Kreuzt der Kurs den 200 Tage Durchschnitt von oben nach unten, gilt dies als Verkaufssignal, kreuzt der Kurs den 200 Tage Durchschnitt von unten nach oben, gilt dies als Kaufsignal.
Weil viele Trader, insbesondere auch institutionelle Anleger mit großen Positionen, den 200 Tage Durchschnitt beobachten und auch danach handeln, trifft die Vorhersage auf fallende oder steigende Kurse in der Regel auch ein.
Der 200 Tage Durchschnitt wurde am 15.01.2008 gebrochen und es ging mit viel Schwung und Volumen in 7 Tagen über 10 % nach unten (siehe Abbildung 2).
Es war ein Trendwechsel mit Ansage: Der Widerstand bei ca. 8.100 Punkten konnte auch nach wiederholten Versuchen nicht gebrochen werden. Es hat sich ein aufsteigendes Dreieck ausgebildet. Nachdem der 200 Tage Durchschnitt durchbrochen wurde, fiel auch die Unterstützung, die die untere Begrenzung des Dreiecks über Wochen geboten hat. Am Tag 4 nach dem Trendbruch der unteren Begrenzung des steigenden Dreiecks begann die Société Générale damit, riesige DAX-Future-Positionen glattzustellen, die ein Händler ohne Genehmigung unter Umgehung sämtlicher Kontrollmechanismen aufgebaut haben soll (das ist der »Fall« Jérôme Kerviel).
… tja … der Kurs macht halt die Nachrichten…
Zugegeben, das ist ein extremes Beispiel. Aber wer die Signale beachtet hat, die der Markt gesendet hat, konnte sein Depot vor großen Verlusten bewahren.
Historisches zur Technischen Analyse der Finanzmärkte
Bezüglich den Anfängen der Technischen Analyse der Finanzmärkte müssen eigentlich zwei Handlungsstränge begonnen werden: zum einen die Entwicklung in Japan und zum anderen die Entwicklung in den USA. Zu einem regelmäßigen und beidseitigem Austausch von Ideen und Methoden ist es erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts gekommen.
Japan
Das Fundament zur Entwicklung der Technischen Analyse in Japan wurde bereits im 16. Jahrhundert gelegt. Dazu ein kleiner Exkurs in die Geschichte Japans:
Nach der Sekigahara Schlacht im Jahr 1600 wurde Japan von General Tokugawa Ieyasu geeint. Er gründete in Edo, dem heutigen Tokyo, seine Regierung. Die sogenannte Edo-Zeit (1603–1868) war geprägt von der Abschottung Japans nach außen, innerer Stabilität und kultureller Blüte, aber auch Feudalismus und erblicher Ständegesellschaft. Die Edo-Zeit gilt als die längste Friedenszeit in der Neuzeit weltweit. Es herrschte eine starke Zentralgewalt, das Tokugawa-Shõgunat. Der Tennõ kam über eine repräsentative Funktion nicht hinaus und die ehemals mächtigen Fürstenhäuser wurden entmachtet. Unter anderem wurden sie gezwungen, eine angemessene Residenz in der neuen Hauptstadt zu unterhalten, diese selbst regelmäßig zu bewohnen und ihre Familien dort ganzjährig als Geiseln wohnen zu lassen. Die doppelte Haushaltsführung – Residenz in Edo und im heimatlichen Han (= Lehen) – war kostspielig und zwang die Fürsten zur...