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E-Book

Die Idee des Mediums

VerlagHerbert von Halem Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783869621470
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Die Lage ist paradox: In einer Phase ökonomischer Schwäche, in einem Moment sinkender Anzeigenerlöse und erodierender Geschäftsmodelle sind Medien so mächtig wie noch nie. Aber diese Macht hat ihr institutionelles Zentrum verloren. Sie besitzt keinen festen Ort, denn Medien sind längst überall, sie durchdringen den Alltag, haben sich zeitlich und räumlich entgrenzt und befinden sich in den Händen aller. Heute entsteht die neue Macht der Medien in einem plötzlichen aufschäumenden Wirkungsnetz aus Schlagzeilen, Blogeinträgen, frei flottierenden Dokumenten und Daten und der gerade aktuellen Wutwelle, die durch die sozialen Netzwerke rauscht. Der schrille Ton, die hastig auf den Effekt getrimmte Attacke, der atemlose Wettlauf um Quoten und Auflagen verändert das Debattenklima der Republik, trivialisiert die Politik und verwandelt alle Beteiligten in Getriebene, die kollektiv unter dem Nachrichten-Stakkato und den Temposchäden des digitalen Zeitalters leiden. Wie lässt sich, so lautet die Kernfrage, in dieser Situation die Idee des Mediums neu bestimmen? Welche Form medialer Vermittlung begünstigt Qualität? Brauchen wir einen entschleunigten Journalismus? Auf welche Weise lässt sich das Überleben der Qualitätszeitungen sichern? Und wie bewahrt sich der Journalismus jene kritisch-kreative Unberechenbarkeit, die ihn unersetzbar macht? Engagierte und erhellende, streitbare und überraschende Antworten geben einige der einflussreichsten Medienmacher des Landes. Zu Wort kommen in den hier abgedruckten Reden: Ulrich Deppendorf, Mathias Döpfner, Hans Leyendecker, Giovanni di Lorenzo, Miriam Meckel, Frank Schirrmacher, Cordt Schnibben, Alice Schwarzer und Roger Willemsen.

Bernhard Pörksen, Jg. 1969, ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Er analysiert in seinen Forschungsarbeiten die Inszenierungsstile in Politik und Medien und beschäftigt sich mit der Macht digitaler Öffentlichkeit und der Zukunft der Reputation. Seine Bücher mit dem Physiker Heinz von Foerster (Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners) und dem Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun (Kommunikation als Lebenskunst) sind Bestseller. Andreas Narr, Jg. 1956, leitet das SWR-Studio in Tübingen und gehört zu den Initiatoren der Tübinger Mediendozentur. Er promovierte zum Thema Verständlichkeit im Magazinjournalismus an der Universität Tübingen, war als Redakteur und Reporter für ARD und SWR tätig. Er leitete?-?nach Stationen in Rom und Bonn?-?die Fernseh-Nachrichtenredaktion des SWR in Stuttgart und steht seit 1998 an der Spitze des SWR-Studios. Andreas Narr lehrt am Institut für Medienwissenschaft in Tübingen und ist verantwortlich für die Konzeption der Workshops und Seminare im Rahmen der Tübinger Mediendozentur.

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Leseprobe

Ulrich Deppendorf

Die gnadenlose Republik.
Das Verhältnis von Journalismus und Politik


Es war der 4. Januar 2012 um 9:58 Uhr. Meine Sekretärin stellte mir den Anruf der Pressechefin des Bundespräsidenten durch. Der Herr Bundespräsident wolle jetzt doch auf das Angebot von ARD und ZDF zurückkommen, ein Interview über die seit Monaten schwelenden Vorwürfe gegen ihn zu führen. Wochenlang hatten alle Fernsehsender in Deutschland immer wieder um ein Interview mit Christian Wulff gebeten, stets war es abgelehnt worden. Die Vorgänge um den Bundespräsidenten und der politische und mediale Druck auf ihn führten schließlich zu der Erkenntnis der Berater: Ein Befreiungsschlag müsse her, Wulff müsse wieder die Oberhand gewinnen. Er hatte – wie er selbst fühlte und noch vor der Aufzeichnung des Gesprächs eingestand – nur noch die Wahl: Interview oder Rücktritt. Er und die Mehrzahl der Berater entschieden sich für das Interview. Als Bettina Schausten und ich den Präsidenten dann interviewten, war das ein absolutes Novum im Verhältnis von Journalismus und Politik: Zum ersten Mal wurde das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland über eine möglicherweise unzulässige, strafrechtlich relevante Verquickung dienstlicher und privater Vorgänge befragt. Der Verdacht einer möglichen Bestechlichkeit des Bundespräsidenten lag über dem Interview. Es war der Höhepunkt einer monatelangen kritischen Berichterstattung über den Präsidenten. War es der Höhepunkt der gnadenlosen Republik, der kritischste Punkt im Verhältnis von Journalismus und Politik?

Zumindest hat das Interview sowohl das Publikum als auch das Pressekorps in Berlin und anderswo gespalten. Für die einen waren Bettina Schausten und ich zu lieb zum Präsidenten, hätten ihn noch mehr in die Enge treiben, ihn bloßstellen sollen, für die anderen haben wir genau das getan, waren ungebührlich frech zu einem Staatsoberhaupt, schlimmste Boulevard-Journalisten. Wenn das Publikum sich derart spaltet, dann müssen wir ein paar Dinge richtig gemacht, die richtige Mischung gefunden haben. Elf Millionen haben zugeschaut. Der Rekord für ein politisches Interview.

Ein Jahr danach stellen sich viele die Frage, ob Christian Wulff nicht ein Opfer der Medien, das Opfer einer gnadenlosen Jagd auf den Präsidenten und sein engeres Umfeld durch die Journalistenmeute in Berlin, Hamburg, Frankfurt und München geworden ist.

Christian Wulff war der Überraschungskandidat der Kanzlerin zur Wahl des Bundespräsidenten. Viele Journalisten und Politiker hätten schon damals lieber Joachim Gauck im Schloss Bellevue gesehen. In den zahlreichen Hintergrundkreisen und Hintergrundgesprächen im Raumschiff Berlin, dem exterritorialen Gebiet in der Hauptstadt zwischen Reichstag und Gendarmenmarkt, war das das Thema. Allein zehn Stunden dauerte seine Wahl, auch das ein Rekord.

Mit Christian Wulff zog ein Politiker ins Schloss Bellevue, der aus der Provinz kam, aber auch bestens vernetzt war im Berliner politischen Geschäft. Ein Emporkömmling, der in seiner Laufbahn die Nähe zur Boulevard-Presse gesucht hatte. Wulff hatte sich in Hannover der Bild-Zeitung ausgeliefert, sie hatte ihn großgeschrieben, sie hatte geradezu rührend über die Trennung von seiner ersten Frau und über seine neue Liebe geschrieben. Wulff ist mit Bild im Fahrstuhl hochgefahren und mit Bild auch wieder hinunter. Als Wulff in Berlin begann, auch mit anderen Organen exklusive Interviews zu führen, da begann der Bruch. Da begann auch der Druck der Bild-Zeitung.

Zu Beginn der Präsidenten-Krise, als es zunächst nur um den Kredit des mit Wulff befreundeten Ehepaares Geerkens zum Erwerb für das dann wohl berühmteste Einfamilienhaus in Deutschland ging, hat Wulff noch mit Journalisten kooperiert. Sein Pressesprecher gewährte Einblick in die Darlehensunterlagen, später konnten Journalisten weitere Unterlagen in der Anwaltskanzlei einsehen. Es nützte nichts. Der Druck der Medien wurde immer größer, die Schlagzeilen immer heftiger, die redaktionelle Zuspitzung in den Überschriften immer gröber, die Vorwürfe zum Teil immer lächerlicher oder auch bösartiger. Als ein Bobby-Car im Schloss Bellevue auch noch als weiterer Beweis für eine mögliche Bestechlichkeit angesehen wurde, da war die Grenze einer seriösen Berichterstattung überschritten. Es gab nur noch ganz wenige journalistische Verteidiger des Präsidenten. Die neue Welt der Online-Angebote und des Online-Journalismus hatte zu einem Herdentrieb geführt, der in Zukunft weiter droht, wenn nicht wieder eine gewisse journalistische Entschleunigungsphase eintritt, die allen gut täte. Ich befürchte jedoch, dass es dafür bereits zu spät ist.

»Wann erfolgt der Rücktritt?« Überspitzt gesagt, ist das die erste Frage, die mittlerweile auch bei kleineren Problemen in einem Ministerium sofort gestellt wird.

Es sind beileibe jedoch nicht nur die Journalisten, die die gnadenlose Republik mitgestalten. Es sind auch die Politiker selbst, die oft ohne weitere Prüfung, ohne vertiefende Kenntnis der Sachlage sofort ihre Kommentare zu Personen, Sachverhalten und Konsequenzen in alle möglichen Mikrofone sprechen. Sie beugen sich dem neuen medialen Druck, denn täten sie es nicht, dann kämen sie selbst in die Kritik: als Schweiger und Langweiler, als Feiglinge. So gnadenlos können Journalisten sein.

War also der Rücktritt von Christian Wulff falsch, unberechtigt? Nein, das war er nicht. Christian Wulff hat in seiner ersten Stellungnahme im niedersächsischen Landtag nicht alle Tatsachen aufgezeigt, in den Wochen der Krise war er nicht souverän, sein Anruf beim Bild-Chefredakteur und beim Springer-Chef waren eines Präsidenten unwürdig. Die Bild-Zeitung schlachtete diesen Anruf dann zwar auch genüsslich aus. Aber: Nur scheibchenweise gab Wulff wichtige Details bekannt, und als am Ende die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen ihn aufnahm, blieb ihm als Bundespräsident nichts anderes als der Rücktritt. Sein Krisenmanagement war miserabel. Er hatte sich in der Welt des Glamour und der Politik verstrickt, Grenzen überschritten, als er Urlaube in den Villen befreundeter Unternehmer verbrachte oder nicht eingegriffen, als Mitarbeiter Grenzen überschritten hatten. Dennoch, die Affäre Wulff hinterlässt auch auf der Seite der Journalisten den einen oder anderen Zweifel über das eigene Wirken. Und sie hinterlässt auch einen Beigeschmack der Heuchelei auf beiden Seiten, wenn es um den Partymanager Manfred Schmidt ging: Jahrelang gaben sich Politiker und Journalisten auf dessen Partys die Klinke in die Hand.

Gelten Zweifel und Beigeschmack auch im Fall des Karl-Theodor zu Guttenberg? Am Ende nein, wenn es auch die eine oder andere Parallele gibt. Ja, alle waren zu Beginn vom Wirken und Auftreten des Freiherrn aus Bayern angetan, die Politik und die Presse. So einen hatte die Hauptstadt vorher nicht erlebt: eloquent, attraktiv, eine hübsche Frau an seiner Seite, ein Mann, der den Eindruck vermittelte, die vorhandenen Probleme forsch anzugehen. Die Meute war begeistert. Glamour in der Politik, ein Politikertyp wie geschaffen für Bunte, Bild und Gala. Letztlich für alle Berliner Medien. Und Guttenberg suchte die Medien. Homestorys und Posen auf dem Times Square in New York, Auftritte seiner Frau in umstrittenen Sendungen von Kommerzsendern: Das war seine Welt. Und auch hier fiel die besondere Nähe zur Bild-Zeitung auf. Ein Politstar hatte sein Medium gefunden. Eine Nähe, die mitunter auch der FDP-Wirtschaftsminister Philipp Rösler sucht. Fotos wie das mit Bild-Chefredakteur Kai Diekmann in Kalifornien schaden beiden. Den größeren Schaden dabei hat langfristig der Politiker. Manche lernen es eben nie.

Doch zurück zum Freiherrn: Als er dann als Plagiator und als Blender entlarvt wurde, da stellte die Presse die richtigen Fragen, bohrte nach, und heraus kam ein Minister, der an seiner eigenen Hybris gescheitert war. Seine Ausflüchte, Ausreden und zum Teil unwahren Behauptungen im Hinblick auf seine Doktorarbeit ließen die Medien zu Recht immer weiter nachbohren und dann auch die Frage nach seinem Rücktritt stellen. Bei Karl-Theodor zu Guttenberg haben wir Journalisten vielleicht gelernt, in Zukunft etwas vorsichtiger und zurückhaltender mit der schnellen Beurteilung von Politikern zu sein, im Positiven wie auch im Negativen. Im Freiherrn zu Guttenberg hatten wir uns alle richtig getäuscht. Guttenberg selbst mag sein schneller Fall zunächst als gnadenlos erschienen sein, er war es aber nicht. Das war richtige, gute journalistische Arbeit über das Verhalten eines Ministers, über persönliches Fehlverhalten und über umstrittene Entscheidungen in seinem Ministeramt.

Vorsichtiger gingen die Medien mit Annette Schavan um. Sicherlich auch, weil Schavan eine Politikerin der stilleren Art war, die in der Wissenschaft einen exzellenten Ruf hatte, und eine enge Vertraute der Kanzlerin war. Hinzu kam, die Wissenschaft, ja selbst die Plagiatsjäger waren nicht einer Meinung über die Doktorarbeit der Bildungs- und Wissenschaftsministerin. Auch Schadenfreude mag mitgespielt haben,...

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