Im folgenden Teil dieser Arbeit wird ALG II, was auch unter Hartz IV sowie SGB II bekannt ist, eingehend dargelegt.
Das „Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" (Hartz IV) regelt die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II (ALG II). Diese Reform sieht für Langzeitarbeitslose und erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger erstmals eine steuerfinanzierte und einheitliche Grundsicherung vor.[25]
Zwar war die ehemalige Sozialhilfe nominell niedriger als das heutige ALG II, wurde aber durch diverse einmalige Zusatzleistungen der Sozialämter, wie beispielsweise für Schulbedarf, Kleidung, Wohnungserstausstattung etc. aufgestockt.
Das ALG II orientiert sich, im Gegensatz zur Arbeitslosenhilfe, nicht mehr an der Höhe des letzten Erwerbseinkommens.
Das Zweite Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) regelt die Anspruchsvoraussetzungen für Grundsicherungsleistungen in § 7. Demnach haben erwerbsfähige Hilfebedürftige im Alter von 15 Jahren bis zur in § 7a genannten Altersgrenze (zwischen 65 und 67 Jahren) einen Anspruch auf Leistungen, wenn sie folgende Voraussetzungen erfüllen:[26]
– hilfebedürftig sind[27] (nach § 9 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen eigenen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus zu berücksichtigendem Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen erhält),[28]
– erwerbsfähig sind[29] (nach § 8 SGB II ist erwerbsfähig, wer mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig sein kann),[30]
– ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben.[31]
Der Regelsatz ist die festgelegte monatliche Geldleistung zur Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts und wird in § 20 SGB II geregelt.
Hiernach erhalten Alleinstehende, Alleinerziehende sowie Arbeitssuchende, deren PartnerIn minderjährig ist, 382,00 Euro im Monat.[32]
Für sonstige erwerbsfähige Angehörige der Bedarfsgemeinschaft werden als Regelbedarf unterschiedliche Beträge, je nach Regelbedarfsstufe, gewährt (siehe nachfolgende Abbildung):[33]
Abb. 1: Regelsätze ab 1.1.2013[34]
Der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes umfasst sämtliche Ausgaben des täglichen Lebens, wie Nahrungsmittel, Bekleidung, Strom, Körperpflege, Telefon sowie die Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben.[35]
Die Berechnungsgrundlage für den Regelbedarf liefert das Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz (RBEG). Demzufolge werden die Regelbedarfsstufen auf der Grundlage von Sonderauswertungen zur Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) nach § 28 SGB XII ermittelt.[36] Bei dieser Ermittlung werden Haushalte, die ALG II oder Sozialhilfe beziehen, nicht berücksichtigt.[37]
Als sogenannte Referenzhaushalte dienen dann folgende Haushalte für die Berechnung:
– von den Einpersonenhaushalten die unteren 15 Prozent der Haushalte und
– von den Familienhaushalten die unteren 20 Prozent.[38]
Eine detaillierte Aufgliederung des Regelsatzes in Einzelpositionen liefert die folgende Abbildung:
Abbildung 2: Regelsatz-Aufschlüsselung 2013[39]
3.3.1.1 Der Regelsatz – zum Leben zu wenig?
Wie bereits dargelegt, wird die Höhe des Regelsatzes auf Grundlage der vom Statistischen Bundesamt durchgeführten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) ermittelt. Dazu wurden unter anderem als Referenzgruppe die 15 % der Einpersonenhaushalte mit dem geringsten Nettoeinkommen herangezogen, die keine Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II oder SGB XII beziehen.
Diese Referenzgruppenbildung verstößt nach Auffassung des Sozialgerichts Berlin, 55. Kammer, aus verschiedenen Gründen gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 25. April 2012, Aktenzeichen S 55 AS 9238/12):[40]
„Insbesondere habe der Gesetzgeber zur Ermittlung des Anspruchsumfangs die existenznotwendigen Aufwendungen nicht in einem transparenten und sachgerechten Verfahren realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren bemessen. Bei der Festlegung der Referenzgruppen seien die Haushalte mit Nettoeinkommen unter dem Niveau der Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII in unzulässiger Weise nicht ausgeschlossen worden. Weder seien Haushalte „verdeckter Armut“, obwohl dies auch für diese Haushalte angemessen möglich gewesen wäre, noch solche mit Erwerbseinkommen, die aufstockende Leistungen nach dem SGB II erhalten, und auch Bezieher von Leistungen nach dem BAföG aus der Gruppe der Referenzhaushalte herausgenommen worden. Dies führe zu vom BVerfG untersagten Zirkelschlüssen.“[41]
Des Weiteren wird im Beschluss des Sozialgerichts die Nichtberücksichtigung vieler Ausgaben kritisiert, die der Gesetzgeber als nicht regelbedarfsrelevant erachtet (Ausgaben für Verkehr, alkoholische Getränke, Mahlzeiten in Gaststätten und Kantinen, Schnittblumen etc.). Insbesondere der Aspekt der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sei nicht ausreichend gewürdigt worden.
Das Sozialgericht Berlin, 55. Kammer, hat den Rechtsstreit gem. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. §§ 13 Nr. 11, 80 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht ausgesetzt und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber eingeholt, ob §§ 19 Abs. 1 Sätze 1 und 3, 20 Abs. 1, 4 und 5 SGB II i.V.m. §§ 28 a SGB XII und 8 Abs. 1 Nr. 2 RBEG sowie §§ 19 Abs. 1 Sätze 1 und 3, 20 Abs. 1 und 2 Satz 2 Nr. 1, Abs. 5, 77 Abs. 4 Nr. 1 SGB II i.V.m. §§ 28a SGB XII und 8 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Nr. 1 RBEG gültig sind. Das Sozialgericht Berlin, 55. Kammer, hält diese Vorschriften für unvereinbar mit Art. 1 Abs. 1, 20 Abs. 1 GG – Sozialstaatlichkeit – und das sich daraus ergebende Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Damit wird das Bundesverfassungsgericht aufgefordert, eine erneute Prüfung der Verfassungswidrigkeit des SGB-II-Regelbedarfs vorzunehmen.[42]
Einen weiteren Kritikpunkt am Regelsatz benennt die Zeitschrift „Focus“: Demnach werden die Kosten für Miete und Heizung „immer mehr zum Preistreiber bei Hartz-IV.“[43]
Dies ist dadurch begründet, dass die Kosten für Wohnen und Wärme in den vergangenen Monaten deutlich gestiegen sind, während die Regelsätze relativ konstant blieben. Auswertungen von Statistiken der Bundesagentur für Arbeit zeigen, dass die Ausgaben pro ALG-II-Bedarfsgemeinschaft immer häufiger die gezahlte ALG-II-Leistung übersteigen.[44]
Bezüglich der Stromkosten ist eine ähnliche Entwicklung feststellbar. Laut eines Berichts des Fernsehsenders NTV müssen immer mehr ALG-II-Empfänger ihre Stromrechnung aus eigener Tasche begleichen.[45] Die vom Staat im Regelsatz einkalkulierten Stromkosten von knapp 32 Euro reichen den Betroffenen in vielen Fällen nicht aus, um ihre Stromkosten zu decken. Denn gerade in der Grundversorgung sei Strom oft deutlich teurer. Das Vergleichsportal Check24 ermittelte, dass die tatsächlichen Stromkosten rund ein Drittel mehr betragen als die im Regelsatz vorgesehenen 31,94 Euro. Demnach zahlt ein Einpersonenhaushalt ca. 42 Euro für Strom. Die Betroffenen SGB-II-Bezieher müssen daher etwa 10 Euro an anderer Stelle einsparen, um die Stromkosten begleichen zu können.
Auch ist es ALG-II-Empfängern oft nicht möglich, zu einem günstigeren Anbieter zu wechseln, denn viele Versorger prüfen die Bonität der potenziellen Kunden vor Vertragsabschluss. Ihnen werden häufig nur Tarife mit Vorauskasse angeboten, die jedoch aus zwei Gründen problematisch erscheinen:
1. Die wenigsten Leistungsempfänger haben die finanziellen Mittel, die Stromkosten für ein Jahr im Voraus zu bezahlen.
2. Es besteht die Möglichkeit, dass der Anbieter Konkurs anmeldet und die Kunden in diesem Fall ihr bereits eingezahltes Geld nicht mehr zurückerstattet bekommen.
Aus diesen Gründen sind ALG-II-Bezieher häufig gezwungen, die erhöhten Kosten für Strom zu bezahlen und dafür an anderer Stelle Geld einzusparen.[46]
Die dargelegten Kritikpunkte werfen die zentrale Frage auf, ob die derzeitigen...