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Bürger ohne Macht?

Teilhabe unerwünscht.- wie unser»Rechtsstaat« sein Volk von der Macht fernhält

AutorErich Buchholz
VerlagEdition Berolina
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl496 Seiten
ISBN9783958415126
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Dass die Bundesrepublik ein Rechtsstaat ist, darüber herrscht in Volksparteien und meinungsführenden Medien bedingungslose Einigkeit. Mit Blick auf den fortlaufenden Abbau der Bürgerrechte muss das bezweifelt werden - das zeigt der bekannte Jurist Erich Buchholz in seiner tiefgreifenden Analyse unseres Rechtssystems. Mit dem Blick des erfahrenen Rechtswissenschaftlers deckt er die Fehler auf: die Machtlosigkeit des Einzelnen gegenüber dem Staat, der als Vollstrecker der Interessen von Wirtschaft und Hochfinanz fungiert und seine Bürger mit ihren Sorgen um die eigene Sicherheit, beim Schutz vor Straftaten, im Armuts- und Krankheitsfall und bei der Altersfürsorge im Stich lässt - und zugleich jede organisierte Meinungsäußerung »von unten« ignoriert, stigmatisiert oder kriminalisiert. Ein schonungsloses Enthüllungsbuch und ein Aufruf, sich nicht mehr alles gefallen zu lassen.

Erich Buchholz, geboren 1927, ist emeritierter Ordinarius für Strafrecht an der HU zu Berlin. Seit 1957 arbeitete er als Dozent, seit 1965 als Professor mit Lehrauftrag, später Ordinarius und Leiter des Instituts für Strafrecht. 1966 wurde er zum Dekan der juristischen Fakultät ernannt, 1976zum Direktor der Sektion Rechtswissenschaft. Zudem war er Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats für Rechtswissenschaft beim Minister für das Hoch- und Fachschulwesen. Nach 1990 war Erich Buchholz als Rechtsanwalt zugelassen und trat als Verteidiger auf.

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Leseprobe

Ein Wort an die Leserschaft

Als ich daranging, nach meinem ersten Buch über den Rechtsstaat nun – in Fortsetzung – ein weiteres auszuarbeiten, hielt ich es nicht für möglich, dass dieses Buch auf eine besondere Aktualität der Konfrontation der Worte »Rechtsstaat« und »Unrechtsstaat« stoßen würde. Schließlich hatte der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages klargestellt, wie es um diese Worte oder Begriffe geht. Er stellte aufgrund entsprechender Untersuchungen fest: »Eine wissenschaftlich haltbare Definition des Begriffs Unrechtsstaat gibt es weder in der Rechtswissenschaft noch in den Sozial- und Geisteswissenschaften.«

Die Vokabel »Unrechtsstaat« diene vor allem dazu, einen mit diesem Wort bezeichneten Staat, »moralisch zu diskreditieren«.1

Das Wort »Unrechtsstaat« erweist sich somit letztlich nur als ein Schimpfwort – so etwa, wenn jemand seine Nachbarin »dumme Gans« schimpft. Das wäre indessen eine waschechte Beleidigung!

Danach war von einem vernünftigen Menschen zu erwarten, dass er jene unsinnige Gegenüberstellung unterlässt. Aber das Gegenteil trat ein: Besonders im Oktober und November 2014 brach diese Entgegensetzung wieder auf, auch bei einigen Abgeordneten von Volksvertretungen der BRD. Sie negieren einfach die oben zitierte sachliche und begründete Feststellung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages.

Vor einiger Zeit erschien mein Buch Anspruch und Wirklichkeit – Wie der Bundesbürger den Rechtsstaat erlebt.2 Hier waren bereits eine Reihe wesentlicher Erkenntnisse über den Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland dargelegt worden. Den Bürgern begegnet der Rechtsstaat BRD mit einer besonderen Kompliziertheit und Undurchschaubarkeit seiner Rechtsordnung. Deshalb trug der erste Abschnitt jenes Buches die Überschrift: »Verwirrende juristische Begriffe«. Tatsächlich ist es vor allem bereits die besondere, für den Bürger kaum verständliche juristische Sprache, die den »Rechtsstaat« BRD dem Bürger so fremd erscheinen lässt. Dafür gibt es verschiedene Gründe:

Schon in der Kaiserzeit, als es in Deutschland bereits einen Reichstag gab, der seine Gesetze nur mit Billigung des Kaisers erlassen durfte, und seitdem werden in Deutschland – abgesehen von der DDR – die Gesetze ohne Beteiligung des Volkes von Juristen für Juristen gemacht. Diese Juristen verwenden jene, dem Bürger so fremde juristische Sprache mit ihren besonderen juristischen Begriffen. Wegen dieser Fremdheit und der Unverständlichkeit der Gesetze und anderen Rechtsvorschriften benötigt der Bürger in der Bundesrepublik regelmäßig einen Rechtsanwalt, ohne den er allzu oft »vor dem Gesetz« verraten und verkauft bliebe.

Muss das so sein? Nein!

In der DDR wurden alle für die Bürger wichtigen Gesetze gemeinsam mit ihnen geschaffen. Es entstanden volksnahe bürgerfreundliche Gesetze.

Besonders sichtbar war dies bei der Vorbereitung, der breiten Diskussion der Entwürfe überall mit den Bürgern und der abschließenden Volksabstimmung der DDR-Verfassung von 1968.3 In gleicher Weise waren alle für die Bürger unmittelbar wichtigen Gesetze – so das Arbeitsgesetzbuch, das Familiengesetzbuch, das Strafgesetzbuch und etwas später das Zivilgesetzbuch, das die endgültige Ablösung des Bürgerlichen Gesetzbuches, des BGB, brachte, sowie die dazugehörigen Prozessordnungen – mit den Bürgern gemeinsam erarbeitet und diskutiert worden.

Demgegenüber verharrt die Rechtsordnung des Rechtsstaates BRD, wie auch ihre Justiz, in der traditionellen, schon in der Weimarer Zeit häufig kritisierten Volksfremdheit.

Es ist aber nicht nur die Kompliziertheit und Unverständlichkeit der Sprache der Gesetze, die diese und damit den Rechtsstaat BRD so unverständlich macht. Zu dieser Unverständlichkeit der Gesetze trägt auch die juristische Abstraktion in den Gesetzen bei. Sie ist mit der »Rechtssprache« eng verbunden. Diese juristische Abstraktion stellt den Wortlaut der Gesetze auf bestimmte juristische Begriffe und Beziehungen ab. Denn die Gesetze und anderen Rechtsvorschriften sind das »Handwerkzeug« der Juristen – wie jeder Beruf mit seinem Handwerkzeug arbeitet. Mittels des juristisch griffigen Vokabulars können die Juristen einander deutlich machen, worum es – juristisch – geht. Das ist einerseits ein großer Vorzug des Rechtswesens, der »Juristerei«.4

Da aber das wirkliche Leben, die tatsächlichen Vorgänge des Lebens der Bürger, die sie im Alltag erleben, sich von dem juristischen Denken (und den Formulierungen) deutlich unterscheidet, bleibt das von den Bürgern erlebte wirkliche Leben »außen vor«. Es findet sich in der juristischen Sprache, im Wortlaut der Gesetze nicht wieder. Deshalb benötigt der Bürger einen »Dolmetscher«, nämlich einen Juristen, der ihm erklärt, was die Gesetze besagen, ob sie diesem oder jenem Bürger Rechte einräumen oder Pflichten auferlegen usw.

Da das alles hier nicht erläutert werden kann, soll ein bescheidenes Beispiel zur Illustration der Abstraktion Hilfestellung geben: Im BGB steht der vielen bekannte § 433. Dort ist der »Kauf« geregelt – ein realer Vorgang, der sich tagtäglich massenhaft abspielt, ganz überwiegend problemlos. Wenn alles problemlos geht, benötigt der Bürger keinen Juristen. Wenn aber der »Kauf« nicht »glattgeht«, wenn es irgendwelche Probleme, Streitigkeiten, vielleicht eigentlich nur Missverständnisse gibt, kann die ganze Justizmaschinerie in Bewegung gesetzt werden. Dabei ist der § 433 BGB für den jungen Juristen noch einigermaßen überschaubar. Denn in diesem Paragrafen steht: »Durch den Kaufvertrag wird der Verkäufer einer Sache verpflichtet«, das und das zu tun.

Dazu sagt der Bürger: »Was heißt Kaufvertrag? Ich habe doch gar keinen Vertrag unterschrieben! Auch war es kein Verkäufer, sondern eine Verkäuferin! Und zu was soll sich dieser ›Verkäufer‹ verpflichten? Ich bin doch schon wieder zu Hause! Und da in diesem Paragrafen von einer ›Sache‹ die Rede ist, möchte ich klarstellen: Ich habe doch keine ›Klamotten‹ gekauft, sondern nur Vogelfutter …« Man könnte die Einwände des Bürgers endlos fortsetzen.

Hier tritt nun das (juristisch) Abstrakte an die Stelle des Konkreten. »Sache«5 erfasst nicht nur alle »körperlichen Gegenstände«. Vielmehr kann »Kaufgegenstand« jeder »verkehrsfähige Vermögensgegenstand« sein. – Hören wir auf damit!

Der Leser bekommt einen Eindruck, wie endlos diese juristische Abstraktion sein kann! Überdies erweisen sich juristische Abstraktionen in den Gesetzen nur zu oft als sachlich falsch, weil sie nicht der sozialen Wirklichkeit des Lebens entsprechen, sondern gerade davon abstrahieren.6

Auch aus diesem Grunde verkommen die in den bundesdeutschen Gesetzen verkündeten (subjektiven) Rechte der Bürger7 in der Justiz-Praxis vielfach zu leeren Versprechungen. Denn viele Bürger können in der BRD nur selten wirklich zu »ihrem« Recht kommen. Bei dieser Rechtslage ist der Bürger auf anwaltlichen Rat und Beistand angewiesen, um nicht von vornherein rechtlos zu bleiben.

Die vom Bürger zu leistende Bezahlung des Anwalts kommt einem »Sonderopfer« gleich, das der Bürger dafür aufzubringen hat, weil der Rechtsstaat BRD nicht fähig und nicht willens ist, Gesetze für die Bürger zustande zu bringen und eine Rechtsordnung für sie zu schaffen.

Der Bürger, vor allem der »kleine Mann«, muss – wie auch bei vielem anderen – dafür zahlen, dass die Gesetze so schlecht8 sind, und sie so der Bürger als unvernünftig oder falsch erlebt.

Weiterhin wurde in dem vorgenannten Buch, um es knapp in Erinnerung zu rufen, auch der Zusammenhang von Recht und Inte­ressen sowie auch der zur Politik verdeutlicht. Das Recht des Rechtsstaates BRD dient vor allem der Erhaltung und Sicherung der zurzeit bestehenden gesellschaftlichen, vornehmlich der ökonomischen Verhältnisse, in denen die Mächtigen, die großen Konzerne »das Sagen haben«. Diese ökonomischen Verhältnisse sind indessen aus ökonomischen Gründen sowie wegen unterschiedlicher finanzieller Inte­ressen einzelner Gruppen durch ein hohes Maß an Widersprüchen, Gegensätzen und Zerrissenheit gekennzeichnet.

Und was soll das Recht – des Rechtsstaates BRD – dabei leisten? Kann es diese Widersprüche, Gegensätze und Zerrissenheit im realen Leben kitten? Natürlich nicht! Das Recht kann nicht der »Flickschuster« der gesellschaftlichen Widersprüche und Gegensätze sein, sondern nur Widerspiegelung dieser Verhältnisse. Die Widersprüche, Gegensätze und die Zerrissenheit zu lösen, vermögen allenfalls Menschen – als Subjekte der Geschichte, der Gesellschaft und der gesellschaftlichen Beziehungen.

Was kann das Recht9 dann leisten?

Für den Einzelfall von Rechtsstreitigkeiten, die meist Ausdruck dieser sozialen Widersprüche sind, steht gegebenenfalls das Gericht bereit. Doch auch hier erweist sich die Justiz der BRD – nach den Erfahrungen der Bürger – oft als wenig bürgerfreundlich. Daher gilt in der BRD: Ohne Rechtsanwalt hat der Bürger wenig Chancen!10 Ist die »andere Partei« – die Gegenseite – jedoch (wirtschaftlich und finanziell) die stärkere, die »mächtige«, dann hat sie in der Regel auch die besseren Anwälte. Da kann der »kleine Mann« manchmal schon froh sein, wenn er mit dem »blauen Auge davonkommt«.

Wegen der juristischen Abstraktion wird die vorgenannte widersprüchliche gesellschaftliche...

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