Eine Analyse des Minnebegriffs in den Werken Hartmanns verlangt eine genauere Betrachtung des Dichters als Person, sowie einen Einblick in die Entwicklung seiner Dichtkunst.
Über das Leben Hartmanns ist sehr wenig bekannt. Wie schon erwähnt, war er vermutlich ein Ministeriale[39], nach seinen eigenen Worten am Anfang des armen Heinrich:
Um welche Aue es sich hier handelt, ist umstritten, vermutlich aber liegt die Heimat Hartmanns in einer Aue im Schwabenland, wie Heinrich von dem Türlin erwähnt[40]. Auch Hartmann selber verweist im armen Heinrich auf dieses Gebiet. Zu Anfang spricht er von dem Herrn Heinrich, der im Schwabenland wohnt:
und bei der Rückkehr des vom Aussatz geheilten Heinrich wird dieser von den ‘Schwaben’ empfangen:
Da Hartmann sich in der ersten Szene als Dichter derartig vorstellt, dass eine Parallele zum Protagonisten Heinrich gezogen werden kann, ist auch anzunehmen, dass das hier genannte Schwabenland die Heimat des Dichters ist.
Vermutlich wurde Hartmann zwischen 1160 und 1165 geboren und starb er zwischen 1210 und 1220; Belege dafür sind anhand anderer Werke gefunden: 1210 berichtet Gottfried von Straßburg von dem lebenden Hartmann[41] und um 1220 beklagt Heinrich von dem Türlin den toten Dichter[42]. Dass Hartmann ein gebildeter Dichter war und eine Kloster- oder Domschule besucht haben muss, geht auch aus den ersten Zeilen des armen Heinrich hervor. Er muss, nebst theologischem und juristischem Wissen auch über Französischkenntnisse verfügt haben, da sein Erec auf der französischen Vorlage des Chrétien de Troyes (Érec et Énide) gefußt ist[43]. Laut Bumke[44] hat sich der französische Einfluss auf die Literatur von westlicher in östliche Richtung ausgebreitet, was zur Folge hatte, dass die frühe Epik nach französischer Vorlage am Mittel- und Niederrhein verfasst wurde, und sich kurz darauf das Zentrum der epischen Dichtung an den Oberrhein verlagerte, wo Hartmann von Aue, Gottfried von Straßburg, Ulrich von Zatzikhoven (Lanzelet) und Konrad Fleck (Flore und Blanchefleur) dichteten. Da der französische Einfluss in weiteren Abständen nach Osten nachließ, ist auch diese geographische Situierung der Literatur ein Indiz für die Herkunft Hartmanns.
Gemäß Weddige[45] ist Hartmann von Aue sowohl ein in der Volkssprache dichtender Laie, als auch ein Dichter mit einem gewissen Bildungsgrad, ein homo litteratus. Bumke[46] weist auf die Tatsache hin, dass Hartmann nach eigener Aussage miles und clericus (sowohl Ritter als Gebildeter) ist. Nach derzeitigen Ansichten ist dies eine ungewöhnliche Situation, die vermutlich damit zu erklären ist, dass Hartmann ein geistliches Amt angestrebt hat, jedoch aus unbekanntem Grund in den Laienstand zurückgekehrt ist.
Sein vermutlich erstes Werk ist die Klage oder das Büchlein und datiert auf ungefähr 1180. Aus der Periode 1180-1189 sind ferner um die siebzehn Lieder, anfangs Minnelieder, später Lieder der Welt- und Minneabsage und Kreuzlieder erhalten. Zu Hartmanns Œvre gehören außerdem Artusromane und Verserzählungen bzw. Legendendichtung. Cormeau/Störmer[47] weisen auf die Tatsache hin, dass die Werke Hartmanns nicht eindeutig zu datieren sind. Eine mögliche zeitliche Einteilung ist in der folgenden Übersicht zu sehen[48]:
Zur Chronologie in Bezug auf den Minneaspekt zeigt sich hier, dass zwar die Minneabsage Hartmanns im Unmutslied zum Schluss seiner Minnelyrik gedichtet worden ist und nachdem ein Übergang zur Kreuzzugslyrik gemacht wird, jedoch im Erec, vermutlich kurz danach oder gleichzeitig geschrieben, ist Minne noch ein wichtiges Thema.
Hartmann spricht in keinem seiner Werke von einem Gönner, wohl von einem persönlichen Verhältnis zu seinem Dienstherrn. Angenommen wird, dass dessen Tod um 1187/88 ihn sehr erschüttert hat[49], und diese Tatsache, nebst der Enttäuschung über den Minnedienst, ihn zur Teilnahme an einem Kreuzzug, entweder am dritten Kreuzzug (1189/90) oder am vierten (1197/98)[50], veranlasst haben. Dichterisch scheint er sich vom weltlichen Schreiben abzuwenden; so entstehen seine Kreuzlieder und die beiden legendären Versepen Gregorius und Der arme Heinrich.
Nachdem der Iwein vollendet war (um 1200), hat Hartmann vermutlich noch einige Jahre, ohne zu dichten, gelebt: wie schon erwähnt, berichtet Gottfried von Straßburg 1210 von dem lebenden Hartmann. Der Grund seines Schweigens in der Spätphase seines Lebens ist ungeklärt.
Wie viele andere zeitgenössische Dichter greift auch Hartmann das Motiv der Minne häufig in seinen Werken auf. Wie er zu diesem Thema steht, zeigt sich anhand seiner Werke und seines Schreibstils.
In der Periode, in der er sich größtenteils dem Minnesang widmete, ist nach der Auffassung früherer Literaturforscher eine Entwicklung zu sehen[51]: der ‘reine’, höfische Minnedienst, anfangs als Äußerung tugendhaften Handels, wandelt sich allmählich hin zu einer gegenseitigen Liebe – es wird kein huld und gruoz mehr erwartet oder angestrebt; Hartmann richtet sich auf eine entweder gleichwertige oder ‘niedere’ Minne.
Es ist deutlich zu sehen, dass Hartmann die weltlichen Themen schließlich den religiösen Themen unterordnet. Sein Iwein ist darin bemerkenswert: der Anfang wurde schon weit vor 1200 gedichtet, jedoch wird die Vollendung des Werkes um 1200 geschätzt[52]. Dies lässt vermuten, dass Hartmann sich bewusst in verschiedenen Genres geübt hat und sich der gattungsspezifischen Themen annahm.
Die erste uns bekannte Schrift Hartmanns über die Minne ist das sogenannte Büchlein, das das Wesen der Minne zum Thema hat[53].
Bei dem Streitgespräch in diesem Werk zwischen Leib und Herz wird dem Herzen vorgeworfen, es habe den Leib dazu veranlasst, eine Frau zu umwerben, leider jedoch mit dem Resultat der Ablehnung. Das Herz entgegnet dem Leib daraufhin, er habe erstens die Verliebtheit selber verursacht, indem durch seine Augen das Bild der Geliebten ins Herz gebracht wurde, und zweitens durch Mangel an Anstrengung bei der Liebeswerbung die Ablehnung schier heraufbeschwört.
Das Herz gibt dem Leib auf dessen Bitte eine Minnelehre: durch arbeit (stete Selbsterziehung) muss man um die Liebe einer Frau ringen. Es erweitert diese Lehre mit dem Krautzauber aus Kärlingen, wobei Kräuter die Tugenden, die ein Mann haben (und aufrechterhalten) muss, wenn er einer Frau seine Liebe erklärt, nämlich triuwe, milte, zuht, diemüte , staete, kiusheit und manheit, darstellen. Nur so kann man wahre minne erreichen.
Aus diesen Ansichten Hartmanns kann man dessen Einstellung zur Minne um 1180 als die einer ethischen deuten, bei der es sich um Dienst und Lohn handelt. Derjenige, der sich aus freiem Willen zur arbeit (zum Minnedienst, zur Einhaltung der oben erwähnten Tugenden) entschließt, wird ‘geläutert’. Gott ist es, der die Kräuter zusammensetzt: ‘der Würze Herre’[54]; somit ist der Minnedienst, wie Hartmann ihn beschreibt, auch eine gottgefällige Haltung, trotz des weltlichen Bezugs. Dieser von Hartmann beschriebene Dienst ist der der Hohen Minne, bei der die Frau keine konkrete, individuelle Gestalt ist, sondern diejenige, die durch güete...