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E-Book

Georges Bizet

Eine Biografie

AutorChristoph Schwandt
VerlagSchott Music
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783795785475
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
In Paris, seiner Heimatstadt, hat er fast sein ganzes Leben verbracht. In Spanien ist er nie gewesen. Und doch gilt Bizets Carmen als die spanische Oper schlechthin. Ihren überwältigenden Erfolg auf der ganzen Welt erlebte ihr Komponist nicht mehr. Genau drei Monate nach der Uraufführung im März 1875 starb er im Alter von nur 36 Jahren. Noch heute steht sein bemerkenswertes Gesamtwerk im Schatten dieses einen Meisterwerks. Die erstmals 1991 erschienene Biografie von Christoph Schwandt ist nach wie vor die einzige in deutscher Sprache. Das Standardwerk, das wichtige Forschungsergebnisse und Erkenntnisse der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts berücksichtigt, wird nun aktualisiert und erweitert vorgelegt.

Christoph Schwandt, geboren 1956 in Bad Homburg, war in leitenden Funktionen an den Theatern in Oldenburg, Bonn und Essen sowie bei den Salzburger Festspielen tätig, bis 2009 als Chefdramaturg an der Oper Köln. Als Autor veröffentlichte er u. a. Biografien von Georges Bizet, Giuseppe Verdi und Leo? Janá?ek.

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Leseprobe

Der Zehnjährige am Conservatoire


Georges Bizet wurde in ein Elternhaus geboren, das ihn wie selbstverständlich auf den Weg zur Musik führte. Es war bei Weitem mehr als ein »musikalisches Elternhaus« des gebildeten Bürgertums. Bei den Bizets war durch die Beschäftigung mit der Musik der Aufstieg vom einfachen Handwerkerdasein zu mittelständischem Ansehen gelungen. Der Vater Adolphe Bizet (1810–1886) war aus Rouen gebürtig. Bei seiner Heirat mit der um fünf Jahre jüngeren Aimée Delsarte im Jahre 1837 – er war gerade nach Paris gezogen – gab er als Beruf noch Friseur und Perückenmacher an. Schon bei der Eintragung der Geburt des später Georges genannten Sohnes Alexandre César Léopold bezeichnete er sich aber als Gesangslehrer.

Der Drang zur Musik war bei Adolphe Bizet zeitlebens bestimmend gewesen, die unkünstlerische Berufstätigkeit vermutlich nur eine Absicherung des realistischen Mannes, der sein nicht unbedingt herausragendes Talent richtig einzuschätzen vermochte. Einige Kompositionen des alten Bizet liegen in Archiven, mehr als anekdotische Bedeutung haben sie sicherlich nicht. Als Gesangslehrer konnte Adolphe aber durchaus Erfolge vorweisen: Sein Schüler Hector Gruyer hätte beinahe in der Uraufführung von Charles Gounods Faust die Titelpartie übernommen, war den zugegeben außergewöhnlichen Ansprüchen der Partie dann aber doch nicht gewachsen. Gruyer machte immerhin unter dem Namen Guardi in Italien Karriere und wurde in seiner Heimat Ritter der Ehrenlegion.

Georges Bizets Mutter stammte ebenfalls aus Nordfrankreich. Sie kam in Cambrai in einer Familie zur Welt, in der nicht nur der Kunst gehuldigt wurde, sondern auch anderen, für bürgerliche Verhältnisse unkonventionellen Interessen. Ihr Vater Jean-Nicolas Delsarte (die eventuell italienische oder spanische Herkunft des Namens ist nicht belegt) brachte seine Familie an den Rand des Ruins, indem er sich als Erfinder versuchte, nachdem er schon als Rechtsanwalt, Cafetier und Weinhändler nicht reüssiert hatte. Auch einer seiner Söhne, François Alexandre Delsarte, wurde ein in Paris angesehener Gesangslehrer und machte sich dadurch verdient, dass er die Werke Lullys, Glucks und Rameaus in Les Archives du chant herausgab. Später wandte er sich verstärkt dem Schauspiel- und Bewegungsunterricht zu. Seine Methode, die postum durch einen Schüler in den USA bekannt wurde, hatte als »Delsartism« noch auf den frühen Ausdruckstanz des 20. Jahrhunderts großen Einfluss.

Musik hatte im Haus der Bizets in der Pariser Rue de la Tour d’Auvergne Nr. 26 – später zog die Familie in der gleichen Straße ein paar Häuser weiter – ihren festen Platz. Das Kind, das am 25. Oktober 1838 dort zur Welt kam, hörte später die Schüler des Vaters singen und ihn selbst Klavier spielen. Auch die Mutter soll eine gute Pianistin gewesen sein, von ihr lernte Georges schon bald nicht nur Buchstaben lesen, sondern gleichzeitig auch Noten. Georges Bizets Bindung an die Mutter war sehr eng. Die erste längere Trennung des immerhin schon Neunzehnjährigen von ihr war eine ernste Zäsur im Leben des Musikers, als er auf seine erste Reise ging, weg von der Heimatstadt über die Provence nach Italien. Georges Bizet war ein Kind der Stadt und außerdem keineswegs ein mediterraner Typ, als den ihn die Nachwelt nicht zuletzt wegen Carmen und deren spanischem Kolorit gern sehen wollte.

Selbstverständlich lernte der junge Georges Klavier spielen. Dabei muss man sich vergegenwärtigen, dass das Klavier in der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht nur ein Instrument zum Musizieren war, sondern auch das gewährleistete, was später die elektronischen Medien und Wiedergabegeräte von Tonträgern übernahmen, nämlich Symphonik und Opern durch Klavierarrangements oder gar Spielen aus der Partitur kennenzulernen. Man kann annehmen, dass im Haus des Gesangslehrers Adolphe Bizet neben den üblichen Klassikern Mozart und Beethoven, das heißt deren Klavierkompositionen und entsprechenden zwei- oder vierhändigen Bearbeitungen der Symphonien, auch die damals gängigen Opern von Auber und Boieldieu, Bellini und Donizetti als Klavierauszüge im Notenschrank standen. Liedkompositionen nach dem Geschmack der Zeit von französischen Komponisten wie auch die für den Gesangsunterricht unerlässlichen italienischen Alten Meister werden ebenfalls vorhanden gewesen sein.

Am Klavier hat Bizet sein musikalisches Vorstellungsvermögen entwickelt, das später zum Klangfarbengespür und transparenten Orchestersatz des erwachsenen Komponisten reifte. Gewiss kam er als Kind auch in Berührung mit der Literatur, die in seiner Zeit gelesen wurde. Von mancher Seite wurde Bizet später auf diesem Sektor Ignoranz unterstellt, dafür gibt es aber ebenso wenig Belege wie für tatsächliche außergewöhnliche literarische Vorlieben des Heranwachsenden, sodass man von einer herkunftsgemäßen Allgemeinbildung Bizets auch im außermusikalischen Bereich ausgehen kann, wenngleich es noch keine Schulpflicht gab. Im Kreise der Familie seines Onkels François Delsarte nahm Georges auch an Musikstunden für seine Cousins teil, die ihnen deren Mutter erteilte. Delsartes Frau Rosine war die Tochter eines bekannten Opernsängers und, von Luigi Cherubini gefördert, schon mit dreizehn Jahren Hilfslehrerin am Conservatoire gewesen.

Die Eltern Bizet erkannten die außergewöhnliche musikalische Auffassungsgabe des Jungen und seine starke pianistische Begabung. Nur ein einziges Mal gehörte musikalische Zusammenhänge soll er ohne Mühe auf Anhieb nachgesungen oder nachgespielt haben. Dass er in professionellem Rahmen weiter ausgebildet werden sollte, stand bald fest.

Das erforderliche Mindestalter von zehn Jahren für die Aufnahme am Pariser Conservatoire, dem Daniel-François-Esprit Auber als Direktor vorstand, hatte der Junge aber noch nicht erreicht. Durch Vermittlung eines Bekannten des Vaters konnte man jedoch bei Joseph Émile Meifred vorsprechen, der Hornist und Mitglied der Studienkommission des Conservatoire war, und sich um Georges’ vorzeitige Aufnahme in das Institut bemühen. Die infrage kommenden Klassen waren alle belegt, sodass ihn zunächst Antoine François Marmontel nur im Klavierspiel unterrichtete – und zwar inoffiziell –, was durch Onkel Delsartes Beziehungen ermöglicht wurde. Noch vor seinem zehnten Geburtstag wurde Georges Bizet im Oktober 1848 dann aber als ordentlicher Schüler des Conservatoire aufgenommen. Im Studienfach Solfège, der klassischen Gehör- und Gesangsgrundausbildung, errang er auf Anhieb nach dem ersten Studienjahr einen ersten Preis. (Die Konkurrenz um Preise als regelmäßige Examinierungen sind ein noch heute üblicher Bewertungsmodus, der typisch für das elite- und traditionsbezogene französische Ausbildungssystem ist.)

Aus Amerika kam 1849 ein Zwölfjähriger zur Ausbildung bei Marmontel an das Conservatoire, dem der Ruf vorausging, ein Wunderkind zu sein. Mit dem ein Jahr jüngeren Bizet schloss er rasch Freundschaft: Ernest Guiraud, der Sohn eines ausgewanderten französischen Musikers; dieser Jean-Baptiste Guiraud hatte immerhin 1827 beim Kompositionswettbewerb um den Prix de Rome den ersten Platz belegt, als sich Hector Berlioz zum ersten Mal und vergeblich daran beteiligte. Zusammen mit seinem Kommilitonen Alphonse Gilbert hatte Guiraud senior daraufhin auch eine Oper schreiben dürfen (Charles V. et Duguesclin), die 1827 in Paris herausgebracht worden war, aber durchfiel. Sohn Guiraud besaß den gleichen Ehrgeiz wie der Vater. Er arbeitete an einem David, der schließlich auch 1853 in seiner Geburtsstadt New Orleans aufgeführt wurde.

Zu Bizets Konservatoriumsstunden kam bald privater Tonsatzund Kontrapunktunterricht bei dem alten Pierre Joseph Guillaume Zimmermann, der spontan vom Talent des neuen Schülers angetan war. Dieser hatte selbst bei Luigi Cherubini gelernt; ein Schüler Zimmermanns seinerseits – und späterer Schwiegersohn – war Charles Gounod, der ihn auch bisweilen bei den Stunden für Bizet vertrat. Gounod hatte damals gerade entschieden, sich nicht zum Priester weihen zu lassen, nachdem er sich längere Zeit bei den Karmelitern auf den geistlichen Stand vorbereitet hatte. So kam Georges Bizet in Kontakt mit bedeutenden Komponisten seiner Stadt, seiner Zeit – und mit deren Tradition. Charles Gounod, zwanzig Jahre älter als Bizet, begleitete seinen Lebensweg als väterlich-kollegialer Freund und Förderer.

Das Geburtsjahr Georges Bizets war das achte Regierungsjahr des sogenannten Bürgerkönigs gewesen, wobei unter den Bürgern zuerst die Großbürger zu verstehen waren. In der Februar-Revolution des Jahres 1848 hatten die republikanischen Kräfte dann über Louis-Philippe obsiegt. Im Dezember wurde der Neffe Napoleons I., Prinz Louis-Napoléon, zum Staatspräsidenten gewählt, der sich 1852 dann zum Kaiser Napoleon III. ausrufen sollte.

Paris, eine...

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