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Minderheiten in München

Zuwanderung, Ausgrenzung, Integration - vom Mittelalter bis zur Gegenwart

AutorKarl Stankiewitz
VerlagVerlag Friedrich Pustet
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl144 Seiten
ISBN9783791760650
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Seit ihrer Gründung ist die Mönchssiedlung an der Isar Wanderziel und Auffangbecken, Schmelztiegel für Menschen verschiedenster Völker und Religionen. Diese Dynamik führte über Perioden hinweg immer wieder zu Spannungen mit der 'Stammbevölkerung'. Beschrieben wird dieser bis heute anhaltende Prozess u. a. am Beispiel der zugezogenen Juden, Mönche, Muslime, Sudetendeutschen, Sinti, Schwarzen, Gast-und Zwangsarbeiter - und schließlich auch in Hinblick auf die gegenwärtige Flüchtlingswelle. Karl Stankiewitz, der als Münchner Journalist oftmals über den Umgang der Landeshauptstadt mit gesellschaftlichen Minderheiten berichtete, zeigt, wie tolerant oder unduldsam, wie aufgeschlossen oder ablehnend sich die Stadtgesellschaft 'den Anderen' gegenüber verhalten hat und verhält, wie schwierig die - nicht von allen gewollte - Integration immer war und auch heute noch ist.

Karl Stankiewitz, geb. 1928, ist Journalist und Buchautor; zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema München, Bayern und Zeitgeschichte

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Leseprobe

Der lange Leidensweg der Münchner Juden


Er hieß wie der Stammvater des Volkes Israel. War er auch Stammvater der israelitischen Gemeinde Münchens? Jedenfalls benennt die Stadtchronik im Jahr 1229 einen „Abraham de Municha“ als Zeugen in einem Regensburger Rechtsgeschäft. Was nicht ausschließt, dass außer dem Mann mit dem biblischen Namen und schon vor ihm zugewanderte Juden in der noch jungen Isarstadt (1158 erstmals erwähnt) wohnten und vielleicht als Handwerker oder Händler ihr Brot verdienten. (In der Reichsstadt Regensburg und in Franken waren Juden schon lange zuvor nachgewiesen, in Köln sogar schon seit dem 4. Jahrhundert).

Der nächste Eintrag findet sich in der amtlichen Chronik der Herzogs- und Bürgerstadt für den 12. Oktober 1285, einem Freitag – er markiert den Anfang einer langen Leidensgeschichte: „Es findet ein schreckliches Pogrom statt, dem fast die ganze damalige Judenschaft der Stadt zum Opfer fiel.“ Was war geschehen?

Das Gerücht verbreitete sich in der Stadt mit Windeseile: Die Juden hätten von einem „alten Weib“ ein Christenkind „käuflich an sich gebracht“ und es dann ermordet. Der Funke der Feindseligkeit fällt auf brennbaren Boden. Aberglaube und religiöse Schwärmerei bis hin zum Fanatismus haben während der Kreuzzüge um sich gegriffen. Dazu gehört auch die weit verbreitete Vorstellung, dass der Ritualmord der mosaischen Religion anhafte wie ein schlechter Geruch.

Etwa 50 000 Juden sollen schon im 11. Jahrhundert in Europa als „Christenmörder“ umgebracht worden sein. Die Übriggebliebenen wurden in Ghettos gedrängt und in jeder Hinsicht ausgegrenzt. Vergebens hat Papst Gregor IX. (1227–1241) jedem Christen, der sich am Leben von Juden vergeht, die Todesstrafe angedroht. Nirgendwo sind die Judenverfolgungen schlimmer als im Herzogtum Baiern. Die Verschuldung des Herrscherhauses ist gewiss eine der Triebkräfte, neben Vorurteilen und falschen Verdächtigungen in einer in sich geschlossenen Bürgerschaft.

Abb. 1:
Judenverbrennung in der Schedelschen Weltchronik, 1493

So wird das – wie auch immer manipulierte – Gerücht vom Kindsmord in München zum Zündfunken für den ersten großen Gewaltausbruch in der noch jungen Stadt. Am 12. Oktober 1285 (nach jüdischer Zeitrechnung der 12. Marcheschwan 5046) stürmt der besonders im Angerviertel ansässige „Pöbel“ – dieser abwertende Ausdruck findet sich ohne genauere Kennzeichnung in etlichen Chroniken – das Judenviertel (auf dem Areal des heutigen Marienhofes) und erschlägt zahlreiche Bewohner. „Darumb das sie ain kristenkind getötet heten“, wie der Geschichtschreiber Veit Arnpeck (1440–1505) später feststellen wird.

Wer dem ersten Wüten entkommt, rettet sich in den Betraum im Judengässlein. Zwar bietet der Kreuzzug-Teilnehmer Herzog Ludwig der Strenge, der das Schutz- und Zollrecht über die Juden innehat, den bedrängten Bürgern seine Hilfe an, doch es ist zu spät. Schon schlagen die Flammen aus dem Raum, der mit herzoglicher Erlaubnis für Gebetszwecke eingerichtet worden war.

Wie viele Menschen dem ersten Pogrom in der Residenzstadt der nunmehr herrschenden Wittelsbacher zum Opfer fielen, ist strittig. „180 Seelen fanden in den Flammen den Tod“, vermerkt Hans Lamm, langjähriger Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde und Verfasser mehrerer Bücher zur jüdischen Landesgeschichte. 67 Tote nennt eine Publikation des Stadtarchivs zu einer Ausstellung über die Münchner Synagogen. Beide Dokumentationen zitieren als Quelle das „Nürnberger Memorbuch“ von 1296, das allerdings auch „Märtyrer“ anderer Gemeinden einbezieht.

Schon zwei Jahre später lassen sich wieder Juden in München nieder. Doch das nächste Pogrom folgt bereits 1345 und fordert wieder seine Opfer. Wieder ist das Ritual-Märchen der Auslöser für offenbar – nun auch aus wirtschaftlichen Konkurrenzgründen – angestauten Hass auf die Neubürger. 1349 beschuldigen fanatische Wortführer die Münchner Juden, die städtischen Brunnen vergiftet zu haben und so schuld zu sein am großen Übel des Jahrhunderts, der Pest. Die Unsinnigkeit ergibt sich allein schon aus dem grausigen Fazit: In München hat der Schwarze Tod ungefähr ein Viertel der christlichen, aber drei Viertel der jüdischen Bevölkerung dahingerafft.

Finsteres Mittelalter: Nicht nur der „Pöbel“ findet immer wieder seine Opfer, auch Patrizier, auch Fürsten und ihre Büttel schrecken vor Gemeinheiten und Grausamkeiten gegen unangepasste Untertanen nicht zurück. 1412 lässt Baiern-Herzog Heinrich, den man den Reichen nennt, zu Landshut aufsässige Bürger reihenweise köpfen, blenden oder verbannen. Im folgenden Jahr erlebt die Stadt München erneut eine blutige Verfolgung ihrer ohnedies vielfach unterdrückten jüdischen Bevölkerung. Jetzt liefert eine angebliche Hostienschändung den Vorwand.

1442 kommt es abermals zu einem Pogrom, das mit der Vertreibung der letzten jüdischen Familien aus München endet. Die Synagoge schenkt Herzog Albrecht III., den man den Frommen nennt, seinem Leibarzt. Der wandelt sie in eine unterkellerte Marienkapelle um, die er auf den Namen „Unsere Liebe Frau in der Gruft“ tauft. Von da an existiert in München keine Judengasse mehr, sondern nur noch eine Gruftgasse. Juden gibt es 250 Jahre lang in dieser Stadt auch keine mehr – und folglich keinen Antisemitismus und keine Pogrome. Durchreisen durften Juden während dieser Zeit nur gegen „Geleitgeld“.

Das Ghetto

Schon seit dem frühen Mittelalter bildeten sich in europäischen Städten jüdische Ghettos. Es handelte sich um abgesonderte Wohnviertel für Bürger mosaischen Glaubens, die in der Regel nachts und an Feiertagen von außen zugeschlossen wurden. Ihren Bewohnern, die meist in sehr beengten Verhältnissen lebten, waren nur bestimmte Arbeiten in Handwerk und Handel erlaubt, und es gab viele andere Restriktionen. In manchen Städten mussten sich Juden zu erkennen geben, wenn sie das Ghetto verließen, in Frankfurt beispielsweise durch einen gelben Fleck. In München hat es ein solches Ghetto nie gegeben, im Bereich des heutigen Marienhofes existierte allerdings eine Judengasse. Im liberaleren 19. Jahrhundert gab es keine geschlossenen Judenviertel mehr. Erst die Nationalsozialisten haben sie in extremer Weise wieder eingeführt. In Osteuropa soll es etwa 500 Judenghettos gegeben haben.

„Unzeitige Toleranz“


Erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts bildete sich insgeheim wieder eine kleine jüdische Gemeinde in München. Zwar erließ Kurfürst Max Emanuel, der Türkenbezwinger, im März 1715 erneut ein Ausweisungsdekret: Binnen 24 Stunden sollten alle Juden das Land verlassen. Doch dann erleichterte die Aufklärung, welcher unbegründete mittelalterliche Anklagen wie „Gottesmörder“ oder „Hostienschänder“ zuwider waren, eine allmähliche, wenn auch noch nicht vollwertige Teilnahme der jüdischen Gemeinde am sozialen Leben. Um 1750 lebten in München 20 sogenannte Hofjuden, meist in Gasthäusern einquartiert.

1801 verkündete der neue Kurfürst und spätere König Max I. Joseph gar den Wunsch, dass „diese unglückliche Menschenrasse aus den Wittelsbachischen Territorien nicht mehr verbannt werde“. Das ging dem Münchner Magistrat freilich zu weit, er warnte vor einer „aus unzeitig angewandten Toleranzgründen hergeleiteten Nachsicht“ und sorgte für einige Einschränkungen.

Abb. 2:
Die Münchner Hauptsynagoge. – Fotografie von 1886

Die Aufklärung ging einen Schritt weiter. Ein vom Minister Montgelas 1813 erlassenes „Edikt über die Verhältnisse der jüdischen Glaubensgenossen im Königreiche Baiern“ gab den per Matrikel erfassten Juden freies Wohnrecht und erlaubte ihnen sogar, Grundbesitz zu erwerben. Ein weiteres „Edikt über die Verhältnisse der jüdischen Glaubensgenossen“ vom Juni 1831 brachte dem neuen Königreich rund 30 000 Zuwanderer, die sich überwiegend in Franken niederließen. Der sogenannte Matrikelparagraph jedoch, gemäß dem der jüdische Bevölkerungsanteil „nach und nach vermindert“ werden sollte, zwang viele wieder zur Auswanderung; München verließen 32 Juden. Ein kompliziertes Hin und Her also.

Insgesamt aber verzeichnete die Münchner Gemeinde während des 19. Jahrhunderts ein starkes Wachstum. Sie zählte 1900 bereits 8739 Mitglieder, bei einer halben Million Einwohnern. Viele gewannen Ansehen und Einfluss in der bürgerlichen Gesellschaft. 1815 wurde in der Westenriederstraße, heute „Beim Sedlmayr“, eine erste reguläre Synagoge eröffnet, für die König Max Joseph vier Säulen aus Tegernseer Marmor stiftete. Erbaut wurde sie von Jean-Baptist Métivier, der auch eine Gedenktafel für den jüdischen Dichter Heinrich Heine an dessen zeitweiligen Wohnsitz, dem Radspielerhaus, gestaltete.

1884 begann der Bau der von Albert Schmidt entworfenen Großen Synagoge an der Herzog-Max-Straße, der drittgrößten im Reich. Sie bot Platz für 1000 Männer und für 800 Frauen, denen die Emporen vorbehalten waren. „Haben die Juden in München ohnehin schon die schönsten Häuser, warum sollen sie nicht auch den schönsten Platz für ihre Synagoge haben“, stänkerte die dem Zentrum nahestehende „Münchener Volks-Zeitung“. Es folgten 1892 die neuromanische, orthodoxe Ohel-Jacob-Synagoge in der Herzog-Rudolf-Straße, erbaut von August Exter, und ein Friedhof an der Landstraße nach Thalkirchen.

1910 zählte man schon 11 000 Juden, von denen nur 3000 in München geboren waren. Die meisten wohnten im heutigen Gärtnerplatzviertel. Nicht wenige kamen in der Prinzregentenzeit zu hohem Wohlstand, Einfluss und Hochachtung, einige dieser Familien führten Salons für kulturelle, musikalische, literarische Eliten. Als berühmte Beispiele seien nur die...

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