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Der mittlere Kreis: Warum sind kleine, spitze Zielgruppen so relevant?
Ausgehend von dem großen Kreis mit den wichtigsten Konsumentengruppen aus Kapitel 1 lässt sich ein engerer mittlerer Kreis ziehen, innerhalb dessen die Werteorientierungen und Konsumgewohnheiten noch genauer beschrieben werden. Damit werden die Zielgruppen noch anschaulicher und – was besonders für die Optimierung der Budgets wichtig ist – kleiner und überschaubarer.
Eine derartig feingliedrige Zielgruppendefinition ist vor allem dann notwendig, wenn
- ein exklusives Produkt mit sehr spitzer Positionierung beworben werden soll.
- im Zuge einer Diversifizierung bestehende Verwenderzielgruppen eines Angebotes um zusätzliche Konsumentengruppen erweitert werden sollen.
- die Ausgaben für Marketing und Media effizienter arbeiten sollen.
- eine Marke auf ganz bestimmte trendrelevante Konsumenten als Multiplikatoren fokussieren möchte.
Gerade für den letztgenannten Aspekt der Trendrelevanz sind die in diesem Kapitel beschriebenen erlebnisorientierten Trendsetter wichtig, gewissermaßen eine Untergruppierung mit Merkmalen der digitalen Workaholic-Elite, aber auch der postmaterialistisch-kritischen Konsumenten. Sie sind tatsächlich die Multiplikatoren, von denen Marketing-Verantwortliche träumen und die für eine Trendverselbständigung stehen, die Malcolm Gladwell in seinem gerne zitierten Buch Tipping Point. Wie kleine Dinge Großes bewirken können beschreibt. Häufig als Single unterwegs, sind die Zielgruppenvertreter sehr spontan und wollen ihr Leben in vollen Zügen genießen, dabei aber gleichzeitig stilvoll und verantwortungsbewusst leben. Sie stehen für postmoderne Werte wie Offenheit und Kreativität und sind die richtige Zielgruppe für kleine Szeneläden, extravagante Marken, aber auch für traditionelle, »alte« Marken oder die klassischen Lichtspielhäuser.
Auf derartige »entschleunigte« Angebote stehen auch die kultiviertvermögenden Neo-Ökos, die viele Merkmale der postmaterialistischkritischen Konsumenten aufweisen, dabei aber ausgabefreudiger, wohlhabender und stilvoller als diese sind. Hinsichtlich »kognitiver Dissonanzen« beim Konsumieren sind sie weitaus schmerzfreier. Dennoch haben Unternehmen, die unter sozial- und umweltverträglichen Gesichtspunkten produzieren, hier deutlich höhere Chancen. Auch Luxusmarken punkten, weil sie Qualität und lange Haltbarkeit (und damit Nachhaltigkeit) versprechen. Die kultiviert-vermögenden Neo-Ökos sind hoch gebildet, offen für andere Menschen und Kulturen, sehr kommunikativ und oftmals politisch oder gesellschaftlich aktiv. Hier trägt man gerne wertvolle, schicke Kleider und fährt überdurchschnittlich oft Premium-Marken wie Mercedes oder Porsche, Volvo oder Saab.
Ganz anders gepolt sind die lustorientiert-hedonistischen Konsumenten, die zu einem großen Teil aus der Gruppe der materialistischen Konsumenten der Mittel- und Unterschicht stammen. Sie sind zwar sehr spaßorientiert, gehen aus, feiern lange und exzessiv und lieben den »Kick«, viel Geld haben sie für ihre Eskapaden jedoch nicht zur Verfügung. Als Zielgruppe sind sie dennoch durchaus interessant, weil sie zu spontanen, unvernünftigen Shopping-Aktionen neigen, bei denen sie für ihre Verhältnisse viel zu teure Markenprodukte kaufen. Medienangebote, die Spaß und Erotik bieten, sowie Online-Seiten für Downloads von Musik und Spielen sind die passenden Umfelder für die lustorientierten Hedonisten, die oft in Schnellrestaurants, Videotheken und Szeneläden anzutreffen sind.
Im Gegensatz dazu verfügen die prinzipientreuen Konsumverweigerer über reichlich Geld, schließlich sind die Zielgruppenvertreter oft mittlere bis höhere Beamte, leitende Angestellte oder selbständig tätig und überdurchschnittlich gebildet. Zum Teil resultiert die Konsumverweigerung dieser Personen aus einer postmaterialistisch-kritischen Grundhaltung, zum Teil ist es die reine Knauserigkeit, die diese Konsumenten vorzugsweise zu Produkten in der Basisausführung und zu rein funktionalen Marken greifen. Ausgabefreudig sind sie eigentlich fast nur bei Angeboten aus den Bereichen Versicherungen und Geldanlage.
Eine weitaus positivere Konsumhaltung haben dagegen die solidarischen Ost-Aufsteiger, obwohl auch hier bei der Markenwahl Statusaspekte keine Rolle spielen. Hier nimmt man sein Leben mit positiver Grundhaltung in die Hand – trotz aller Rückschläge, die man in den Jahren nach der Wende erlebt hat – und pflegt einen bescheidenen Lebensstil mit Familie und Freunden. Gerade in Sachen technische Geräte sind diese Konsumenten sehr ausgabefreudig, weil sie nicht »den Anschluss verlieren« möchten. Und selbstverständlich bekommen Marken und Produkte aus den neuen Bundesländern den Vorzug.
Ein ungeheures Marktpotenzial bergen die markenaffinen Konsumenten mit Migrationshintergrund. Denn anders als in vielen deutschen Zielgruppen – gerade aus der vernunftgesteuerten familienorientieren Mitte – gehört es hier eher zum guten Ton, beim Einkaufen nicht zu sparen und werthaltige Marken aus den Bereichen Kleidung, Kosmetik, Automobil, Haushaltsgeräte, Unterhaltungselektronik oder Telekommunikation auszugeben.
2.1 Erlebnisorientierte Trendsetter
Quick-Check
Erlebnisorientierte Trendsetter – die richtige Zielgruppe für ...
- Produkte und Angebote, die für Spontaneität, Lebensfreude und Genuss stehen.
- Angebote, die mit einem vergleichsweise kleinen Budget hohe kommunikative Multiplikation erreichen wollen.
- extravagante Labels im Bereich Bekleidung, die hierzulande noch weitgehend unbekannt sind.
- traditionelle, authentische Marken, die nicht vorhaben, ihr Image durch vermeintlich trendige Diversifikationen aufzupolieren.
- kleine Einzelhandelsgeschäfte im lokal-urbanen Bereich.
- eher traditionell orientierte Lichtspielhäuser und Veranstalter für Szene- und Tanz-Events.
Eine sehr begehrte Zielgruppe sind sie, die erlebnisorientierten Trendsetter. Denn sie sind neugierig, haben ein sicheres Gespür für Trends und bewegen sich zudem in einem riesigen sozialen Umfeld. Und welcher Marketer träumt nicht davon, dass sein Produkt von diesen Multiplikatoren zum »Geheimtipp« erkoren wird – um dann schließlich in die Warenkörbe breiterer Gesellschaftsschichten zu gelangen? Doch: Berechen- und instrumentalisierbar sind diese Konsumenten so gut wie nicht.
Was ist typisch für die erlebnisorientierten Trendsetter? Wie erkennt man sie?
Erlebnisorientierte Trendsetter sind unter anderem auch bei der digitalen Workaholic-Elite zu finden, allerdings sind die Konsumenten mit stark erlebnisorientierter Komponente noch individualistischer als die vom Anspruch an die eigene Leistungsfähigkeit und Multioptionalität eingebundenen modernen Workaholics.
Altersmäßig sind die erlebnisorientierten Trendsetter nur schwer einzuordnen, die Spanne reicht vom Teenageralter bis über 40 Jahre. Auch die familiären Situationen sind höchst unterschiedlich. Singles sind zwar relativ häufig unter den Zielgruppenvertretern, ebenso gibt es aber auch Personen, die mit Partner und Kindern zusammenleben und sich dennoch ihre Erlebnisorientierung bewahrt haben. Unter den erlebnisorientierten Trendsettern sind relativ viele Menschen mit so genannten Patchwork-Biografien, also mit Lebensläufen, die Brüche, Rückschläge und Umorientierungen aufweisen.
Derartige Brüche resultieren nicht zuletzt aus der hohen Spontaneität derart gesinnter Personen, aus ihrem Bemühen, sich möglichst nicht festzulegen. So wollen beispielsweise die Vertreter der »Experimentalisten« aus dem Sinus-Modell in vollen Zügen leben und genießen, sie sind dabei aber viel stilvoller, kritischer und verantwortungsbewusster als hedonistisch orientierte Konsumenten. Zudem haben sie oft einen hohen Bildungsstand, kommen aus guten Elternhäusern und üben moderne Berufe aus. Im Unterschied zur digitalen Workaholic-Elite sind die erlebnisorientierten Trendsetter jedoch nicht so sehr um ihre Karriere bemüht. Ihre Freiheit und die Lust, Neues auszuprobieren, sind ihnen wichtiger.
Viele der jüngeren Zielgruppenvertreter wie beispielsweise die »kritisch-kreativen Trendsetter« aus der GIM Zielgruppen-Galaxie stehen für einen urban-individuellen Lebensstil, für postmoderne Werte wie Offenheit und Kreativität. Und: Sie wissen um ihre Rolle, um ihre Bedeutung als Vorreiter in Sachen Konsum und Markenverhalten. Dass sich die Trends von hier aus so leicht ausbreiten können, liegt an der Offenheit, mit der sich die Zielgruppenvertreter in nahezu allen Gesellschaftsschichten bewegen. So haben die »kritisch-kreativen Trendsetter« meist einen riesigen Bekanntenkreis. Man trifft sich oft, ist ständig unterwegs. Aufgrund dieser Offenheit stehen sie mit den unterschiedlichsten Menschen in Kontakt: mit Geschäftsleuten wie mit Kommilitonen aus der Uni, mit Top-Managern wie mit älteren...