Praktische
Hinweise
Die chinesischen Schriftzeichen für den Begriff Konflikt bestehen aus den beiden Zeichen für „Gefahr“ und für „Chance“. Spiele, Übungen und Experimente dieses Bandes sollen Teilnehmern und Gruppenleitern helfen, die Chancen zu erkennen, die sich aus Konflikten ergeben, sowie auch die Gefahren, die sich aus ungelösten und eskalierenden Konflikten privat und beruflich entwickeln können. Ich gehe davon aus, dass in jedem Konflikt Möglichkeiten für inneres Wachstum und positive Veränderungen stecken.
Konflikte sind nicht per se destruktiv – sie sind ein wesentlicher Teil des Lebens und der Entwicklung. Konflikte richten Schaden an, wenn sie nicht erkannt oder unterdrückt werden oder wenn die einzige Reaktion darin besteht, andere zu unterdrücken, gewalttätig zu werden oder sich zurückzuziehen. Destruktive Konflikte deuten oft darauf hin, dass die Beteiligten nicht wissen, was sie tun sollen. Das Material dieses Buches soll Teilnehmer und Gruppenleiter in die Lage versetzen, konfliktfähiger zu werden, Einsichten und Skills zu entwickeln, die ihnen helfen, in Konflikten hilfreich und vernünftig zu reagieren. Darum bekommen sie hier Gelegenheit, die Gruppe als einen Übungsplatz zu benutzen, wo Konfliktsituationen auf ganz unterschiedliche Weise erlebt und durchgespielt werden können. Die ausgewählten Konfliktsituationen stammen überwiegend aus dem Alltagsleben. Eine Reihe von Experimenten ist gruppendynamischer Natur. Hier wird der Gruppenprozess, die Beziehungen der Teilnehmer zueinander benutzt, um bestimmte Einsichten zu vermitteln oder tatsächlich bestehende Konflikte aufzulösen.
1. Werte und Prämissen
Ein wichtiger Grundwert, um den es hier geht, ist Respekt vor dem Einzelnen. Wir müssen bereit sein, uns selbst und andere zu respektieren. Jeder hat den Wunsch, gehört und fair behandelt zu werden. Das ist die Botschaft dieses Buches, und sie soll auch in der praktischen Gruppenarbeit zum Ausdruck kommen. Wer immer in seinen Gruppen an Konflikten arbeiten möchte, muss von Anfang an dafür sorgen, dass seine Teilnehmer Toleranz, Offenheit und eine nicht wertende Atmosphäre erleben. Natürlich ist niemand frei von Vorurteilen, aber wir können versuchen, gemeinsam mit den Teilnehmern offen darüber zu sprechen, wenn uns eigene Stereotype bewusst werden. Wenn sich Vertrauen und Offenheit in der Gruppe entwickeln, kann sich die innere Einstellung der Teilnehmer verändern; die Angst vor Konflikten kann etwas geringer werden, die Fähigkeit zur Selbstkritik und die Neugier auf andere Perspektiven können zunehmen.
Es ist wichtig, dass alle Teilnehmer sich respektiert fühlen können, gerade dann, wenn sie Meinungen vertreten oder eigene Verhaltensweisen schildern, die andere in der Gruppe nicht akzeptabel finden. Wir müssen darauf achten, dass in der Gruppe möglichst wenig psychologische Angriffe stattfinden, denn Aggression führt immer zu Verletzungen, zu Bitterkeit und Rachsucht und damit zu einer Eskalation von Feindseligkeit. Feindseligkeit schadet beiden Seiten, dem Aggressor wie dem Opfer. Ziel ist es, dass die Teilnehmer lernen, in ihren persönlichen Konflikten auf reaktive Gewalt zu verzichten und friedliche Lösungswege zu finden.
Wechselseitiger Respekt kann einen demokratischen Gruppenprozess in Gang setzen. Kommunikation und Kooperation unter den Teilnehmern schaffen eine Situation in der Gruppe, wo das erlebt und praktiziert werden kann, was Spiele und Experimente lehren wollen. Eine zurückhaltende Gruppenleitung und die Prozesse von Feedback und Reflexion stärken die Kompetenz der Gruppe und die Verantwortlichkeit des Einzelnen. Natürlich werden auch dann Konflikte auftauchen, aber die Teilnehmer werden sie benutzen, um sie zu lösen, und nicht, um sich selbst zu profilieren.
Ein anderer wichtiger Wert, der all den Übungen und Spielen zu Grunde liegt, ist der Glaube an das kreative Potenzial in jedem Menschen. Wir haben ein angeborenes Bedürfnis zu spielen, zu experimentieren und uns schöpferisch auszudrücken. Wir sind von Natur aus neugierig und erfinderisch, und das bleiben wir bis ins hohe Alter. Oft haben die Teilnehmer Erfahrungen gemacht, in denen ihre Kreativität unterdrückt wurde, und sie zeigen die typischen Symptome repressiver Einflüsse: Zynismus, Apathie oder Feindseligkeit. Aber das bedeutet nicht, dass ihre kreative Energie verlorengegangen ist. Wir können diese mit Geduld, Verständnis und einer Prise Ermutigung wiederbeleben, denn wir brauchen diese Kreativität, wenn es darum geht, Konflikte zu lösen. Konflikte können nicht mit Rezepten bewältigt werden. Jeder hat den Wunsch, nicht nach den Ratschlägen eines Lehrbuchs behandelt zu werden. Wir wünschen uns persönliche, authentische Reaktionen.
2. Der Lernprozess
Wir folgen mit dem Übungsmaterial dem Grundsatz, dass nützliche Theorie vor allem aus der eigenen Praxis und aus dem eigenen Erleben abgeleitet werden muss. Jede Sitzung sollte vom Gruppenleiter mit einer kognitiven Orientierung eingeleitet werden. Das Verständnis der Teilnehmer kann sich dann durch die Erfahrungen aus den Experimenten und die anschließende Reflexion weiterentwickeln. Das ist inzwischen keine neue Methode mehr. Das Workshoplernen, das in vielen Seminaren, zum Teil auch in den Schulen, stattfindet, folgt einem Modell in fünf Schritten: Kognitive Orientierung ➔ Erfahrung ➔ Reflexion ➔ neues Verständnis ➔ neue Praxis.
Darum haben wir vor allem Übungen zusammengestellt und neu entwickelt, die viele Gelegenheiten zu lebendigem Lernen bieten. Der Gruppenleiter muss im Anschluss an die Übungen großzügig Möglichkeiten zur Reflexion geben, damit die Teilnehmer ihre Beobachtungen und Einsichten besprechen und ihre Schlussfolgerungen ziehen können. Als Faustregel kann man angeben, dass die Auswertung zwanzig bis dreißig Prozent der Zeit benötigt, die für die praktische Übung zur Verfügung stand. Oft ist es bei der Auswertung wichtig, dass die Gefühle und die persönliche Geschichte der Teilnehmer genauso berücksichtigt werden wie der Gruppenprozess. Dann ergibt sich eine gute Balance zwischen den individuellen Interessen und den Entwicklungsbedürfnissen der Gruppe. Die Entwicklung der Gruppe darf dabei nie aus dem Auge verloren werden. Sie ist das Modell, an dem die Teilnehmer am meisten lernen können. Hier erleben sie praktisch, dass völlig fremde Menschen eine lebendige und kohäsive Einheit bilden können, wenn die Bedürfnisse nach Autonomie und Zugehörigkeit angemessen beachtet werden. Hier verfolgen sie, wie Konflikte entstehen und bearbeitet werden können.
Die Arbeit an Konflikten aktiviert immer auch Erinnerungen, vergessene Gefühle und Verletzungen, die nicht ausreichend assimiliert werden konnten. Der Gruppenleiter muss sich darauf einstellen und bereit sein, zur Verfügung zu stehen, wenn ein Teilnehmer seelische Unterstützung benötigt. Darum ist es grundsätzlich wünschenswert, wenn es einen Ko-Leiter gibt. Das entlastet den Leiter, und die Teilnehmer haben einen Ansprechpartner mehr.
Vielen Übungen und Experimente greifen auf die Methoden des Improvisationstheaters, des Rollenspiels und der Simulation zurück. Diese Techniken geben den Teilnehmern Gelegenheit, im geschützten Rahmen der Gruppe Skills und Strategien einzuüben, auf die sie später im praktischen Leben zurückgreifen können. Es wird nicht nur eine abstrakte Einsicht gewonnen, sondern Handlungswissen erworben, an dem die ganze Person beteiligt ist: Emotionen und Gedanken, körperliche und verbale Kommunikation. Hier können rationales Denken und jene Gefühle zusammenkommen, die in Konflikten eine so wichtige Rolle spielen. Wenn die Teilnehmer schwierige Situationen spielen, können sie auf all das zurückgreifen, was sie im Leben bereits gelernt haben. Sie können aus ihrem kreativen und intuitiven Wissen schöpfen. Das bereichert den Lernprozess, außerdem macht diese Art des Lernens sehr viel Spaß.
3. Die Arbeit mit dem Buch
Das Buch ist in zwei Teilen angelegt. Im ersten Teil (Ein kooperativer Kontext) finden Sie in fünf Kapiteln Spiele und Experimente, die die Gruppe vorbereiten sollen, die neugierig machen, die an das Thema heranführen und mit den Arbeitsweisen vertraut machen. Außerdem helfen diese Aktivitäten, die notwendige Vertrauensbasis zu schaffen, um die Gruppe an eine kreative Kooperation zu gewöhnen. In ersten Teil finden vor allem diejenigen Gruppenleiter wertvolles Material, die eine längere Lerneinheit, einen ganzen Kurs, ein Seminar über kreative Konfliktlösung planen.
Im zweiten Teil (Spiel mit dem Feuer) packen wir dann den Stier bei den Hörnern. Wir wenden uns den wichtigen psychologischen Vorgängen zu, die wir alle aus unseren Alltagskonflikten kennen. Die Aufgaben werden von Kapitel zu Kapitel komplexer, sodass die Teilnehmer immer mehr Ressourcen entwickeln und auch schwierige Probleme kreativ lösen können.
Natürlich...