Zweites Kapitel.
Piero Medici und die Staatsveränderung von 1494
Wenn der Übergang von einer Regierung zur andern selbst in der erblichen Monarchie die Verschiedenheit der Epochen begründet, wie viel wichtiger und schwieriger ist es in der Republik, einem mächtigen Oberhaupt einen Nachfolger zu geben, der ihn wirklich fortsetze. Wiewohl Florenz Republik war, so lag doch ein Moment für die Erblichkeit der Gewalt darin, daß jene Genossenschaft der vornehmsten Geschlechter bestand, welche die Autorität zu teilen sich berechtigt glaubte, aber sich daran gewöhnt hatte, ein Oberhaupt anzuerkennen, dessen Ansehen auf einem großen Besitz und der Gewohnheit einer indirekten Gewalt beruhte.
Nach Lorenzos Tode wurde nun Piero ohne Schwierigkeit durch die vornehmen Geschlechter, die Magistrate und die allgemeine Bestimmung als Oberhaupt der Republik anerkannt. Die benachbarten Fürsten begrüßten ihn in dieser Eigenschaft, gleich als könne es nicht anders sein.
Allein wie schon bei dem Eintritt des älteren Piero und hernach gegen Lorenzo selbst unter den nahen und befreundeten Geschlechtern ein starkes Aufwallen der republikanischen Gesinnungen hervorgetreten und nur mit Anstrengung und Gefahr beseitigt worden war, so ließen sich auch unmittelbar nach Pieros Eintritt ähnliche Regungen bemerken. Zu den vertrautesten Freunden Lorenzos hatten Paol Antonio Soderini und Bernardo Rucellai gehört und an dem Regiment teilgehabt, aber schon unter Lorenzo waren sie dadurch verletzt worden, daß dieser sie weniger konsultierte als einige Vertraute von Verstand und Geist, die aber von niederer Herkunft waren. Unter Lorenzo war die Autorität durch die Intelligenz gleichsam geheiligt worden; was aber unter ihm geduldet werden konnte, schien unerträglich unter dem Nachfolger, der die bürgerlichen Tugenden seines Vaters nicht besaß, sich vielmehr in den Äußerlichkeiten des Lebens eines jungen Fürsten gefiel. Soderini und Rucellai stellten ihm vor, daß er nur unter Begünstigung der Mitglieder des Stato, d. h. des aristokratischen Elementes sich werde behaupten können. Andere aber, unter denen der Cancelliere Bibbiena als der vornehmste erscheint, entgegneten, daß er gerade auf diese Weise zugrunde gehen könnte. Ihnen schien das Heil allein in dem Übergewicht der einheitlichen Politik zu liegen, die bisher beobachtet worden war. Zwei geistliche Herren traten hierbei einander entgegen; der Bischof von Arezzo, Gentile, der alte Lehrer Lorenzos, dessen Ratschläge bei diesem immer viel vermocht hatten, jetzt aber von Piero ebenso hoch angeschlagen wurden, und Francesko Soderini, Bischof von Volterra, Bruder Paol Antonios, welcher die Partei der beiden Mißvergnügten nahm. Um die letzteren gruppierten sich bald die übrigen Mitglieder des Stato, die durch Familienverbindungen mit dem reichen Hause der Strozzi und noch mehr durch die Stellung der jüngeren Linie der Medici Rückhalt gewannen. Cosimo der Alte und dessen Bruder Lorenzo, beide Söhne des Giovanni, genannt Bicci, hatten ihre Geschäfte gemeinschaftlich betrieben. Nachdem aber der letztere verstorben und dessen Sohn Pier Francesko zu männlichen Jahren gekommen, war das Vermögen geteilt worden und diesem die ganze Hälfte desselben zugefallen. Man meinte in der älteren Linie, daß die jüngere bei der Teilung bevorzugt worden sei. In den folgenden Zeiten, in welchen die ältere so viele Gefahren zu bestehen, so viel Aufwand zu bestreiten hatte, war die jüngere zu größerem Reichtum gelangt, womit sich dann naturgemäß der Anspruch auf einen angemessenen Anteil an der Regierung verband. Die Söhne Pier Franceskos, Giovanni und Lorenzo, sahen es ungern, daß Piero sich weit über sie erheben solle; sie gesellten sich den unzufriedenen Geschlechtern bei.
So bildete sich eine Opposition gegen Piero, die auch bald in der Verwaltung der auswärtigen Angelegenheiten zum Vorschein kam. Bemerken wir die erste Regung derselben, obwohl sie an sich unbedeutend ist.
Soeben war Alexander VI. auf den päpstlichen Stuhl gelangt und die Absicht gefaßt worden, daß ihn die drei Verbündeten Neapel, Mailand und Florenz durch eine gemeinschaftliche Gesandtschaft begrüßen sollten. Man schreibt es dem Bischof von Arezzo zu, daß dieses Vorhaben nicht ausgeführt wurde, sehr zum Verdruß Lodovicos des Mohren, der damals in Mailand regierte. Bald nahm man wahr, wie weit aussehend diese Differenz werden konnte; ein dynastisches Zerwürfnis zwischen Neapel und Mailand brach aus, in welchem Piero auf die Seite von Neapel trat, während die Florentiner, Vornehme und Geringe, eine Verbindung mit Mailand lieber gesehen hätten: denn an der dortigen Regierung hatten sie seit Franz Sforza immer eine Stütze gefunden. Nun aber nahmen diese Entzweiungen die größte Dimension an, die sich denken ließ. Lorenzo hatte doch immer nur mit italienischen Streitigkeiten zu schaffen gehabt; jetzt wurden diese zu europäischen. Denn bereits sah man es kommen, daß die Franzosen einen Versuch zur Wiedereroberung des Königreiches Neapel machen würden. Sie wendeten sich auch an die Florentiner, bei denen sie besonders durch die beiden Söhne Pier Franceskos Eingang fanden. Diese nahmen den französischen Gesandten in ihren Häusern auf und erklärten, als man sie darüber zur Rede stellte, daß sie dem König von Frankreich durch Dienste und ehrende Diplome verwandt seien. Sie wurden darüber zur Rechenschaft gezogen, aber, soviel man weiß, infolge der Rücksicht, die auf einige Große genommen wurde, freigesprochen. Daß ihre Verbindung mit dem französischen Hofe ungeahndet blieb, tat doch der Einheit des Staatswesens, die in dessen Politik stand, nicht wenig Eintrag. Die innere Parteiung griff in die äußeren Beziehungen ein.
Im Jahre 1494 setzte sich nun König Karl VIII. von Frankreich mit aller seiner Macht wirklich in Bewegung, um das Recht auf Neapel, das er von dem Hause Anjou überkommen hatte, durchzuführen. Da das in Neapel regierende Haus Aragon seine Ansprüche von Manfred, und König Karl VIII. die seinen von Karl von Anjou herleitete, so erneuerten sich gewissermaßen die Gegensätze des 13. Jahrhunderts gegen Ende des 15.; aber dabei waltete ein Unterschied von welthistorischer Bedeutung ob. Der päpstliche Stuhl, der einst die Anjou berufen, nahm nach einigem Schwanken gegen Karl VIII. Partei. Papst Alexander trat auf die Seite des aragonesischen Königs von Neapel und selbst in die engste Verbindung mit der spanischen Hauptlinie, der Linie des Hauses Aragon.
Da nun Florenz von jeher guelfisch gesinnt und auf der Seite der Franzosen gewesen war und auch jetzt diese Gesinnung festhielt, so war das Verhalten Pieros, der sich mit den Aragonesen und dem Papst verbündete, von Anfang an mißliebig in der Stadt.
Als einen Fehler Pieros könnte man es wohl an sich nicht betrachten, daß er mit dem aragonesischen Hause und dem Papste im Bunde blieb; denn es gereichte zur Behauptung der Unabhängigkeit Italiens von einer fremden Macht. Sehr zu bezweifeln aber ist es, ob der umsichtige Lorenzo so ganz das dynastische Interesse des Königs von Neapel zu dem seinen gemacht hätte, wie Piero, da es sich gegen Mailand richtete, mit welchem verbunden zu sein für Florenz nicht minder wichtig war, als mit den beiden anderen Staaten. Die Anstrengungen der Neapolitaner waren, wie berührt, gegen Ludwig den Mohren gerichtet, der seinen besser berechtigten Neffen, der ein Schwiegersohn des Königs Alfonso von Neapel war, von der höchsten Gewalt in Mailand ausschloß. König Alfonso war dabei in seinem Recht; allein hätte er gesiegt, so würde er das Haus Sforza sich unterwürfig gemacht und dadurch das Gleichgewicht der italienischen Staaten, auf dem alles beruhte, zersprengt haben. Als Oberhaupt der florentinischen Republik hatte Piero keinen Anlaß, Ludwig den Mohren aus Mailand zu verjagen. Dieses Vorhaben aber gab den unmittelbarsten Anlaß zur Herüberkunft des Königs Karl, worin Lodovico seine Rettung sah. Und auf der Stelle zeigte sich das Übergewicht dieser Kombination.
Der kecken Verschlagenheit Lodovicos, der den Augenblick benutzte, um Genua seiner Oberhoheit zu unterwerfen und in Mailand selbst, da sein Neffe soeben starb, das Herzogtum in Besitz zu nehmen, auf der einen Seite, auf der anderen dem Unternehmungsgeiste der Franzosen, ihrem noch von ritterlichen Antrieben durchdrungenen, aber zugleich militärisch im Sinne der Zeit geschulten Heere, waren die verbündeten Italiener, die unter ihren kleinen Fehdschaften eigentlich vergessen hatten, was ein wirklicher Krieg bedeute, zu widerstehen unfähig. Indem nun die neapolitanischen Streitkräfte von dem oberen Italien zurückwichen, geriet Piero in die größte Verlegenheit. Bei den erwähnten Unterhandlungen mit den Florentinern hatten die Franzosen zweierlei gefordert, einmal freien Durchzug durch das florentinische Gebiet und Lieferung von Lebensmitteln, sodann aber auch ein Anlehen. Beides war abgelehnt worden; das erste im Namen der Republik auf den Grund, daß ihre geographische Lage ihr zur Pflicht mache, nach allen Seiten Rücksicht zu nehmen; das zweite durch den Faktor des mediceischen Bankhauses in Lyon, obwohl demselben sehr annehmbare Bedingungen dafür vorgeschlagen worden waren. Man bemerkte in Frankreich, daß daran niemand anders als Piero Medici selbst schuld sein könne, dessen Verständnis mit Alfonso man wohl kannte, und zeigte sich darüber nicht wenig entrüstet. Doch hat man, und zwar durch den geschäftskundigen und zuverlässigen Comines in Florenz erklären lassen, noch könne alles einen guten Ausgang nehmen, wenn die Stadt auf die Seite des Königs trete; wofern Piero Medici das vermittele, so werde er bei König Karl in größere Gnade kommen, als in welcher sein Vater jemals beim verstorbenen König gewesen sei. So hatte...