Vorwort zur Neuausgabe
Dieses Buch ist die Neuauflage eines Bestsellers aus dem Jahr 1964, der von dem Spionageprozess gegen den sowjetischen Nachrichtenoffizier Rudolf Abel berichtet und von Abels Pflichtverteidiger, James B. Donovan, geschrieben wurde. Es ist heute nicht weniger relevant – und unterhaltsam – zu lesen als damals. Es wird Fans klassischer Intrigenspiele im Kalten Krieg ebenso in den Bann ziehen wie Liebhaber von Gerichtsdramen. Donovans geistreiche Beschreibungen seiner raffinierten Verteidigungsstrategie werden bestimmt begeistern und auch inspirieren. Und der polizeiliche Blick in die rätselhafte und komplexe Psyche des sowjetischen Spions Abel ist faszinierend. Aber dieser Schnappschuss des berühmten Spionagefalls der 1950er-Jahre erinnert uns vor allem daran, dass Spionage ein uraltes Phänomen ist, das zweitälteste Gewerbe der Welt. Und vergessen wir nicht, dass moderne Schlagzeilen, die die jüngsten Verhaftungen russischer Spione und Schläfer in den USA dokumentieren, zeigen, dass sie bis heute fortgesetzt wird. Die erfolgreichste HUMINT (human intelligence – nachrichtendienstliche Informationsbeschaffung aus menschlichen Quellen)-Operation im 20. Jahrhundert war wohl die Auskundschaftung des Manhattan-Projekts durch die Sowjetunion und die Erlangung US-amerikanischer Atomgeheimnisse in den 1940er- und 1950er-Jahren. Die Russen stahlen diese frühen Informationen – »Atomgeheimnisse« im Sprachgebrauch der damaligen Zeit – von den USA, Großbritannien und Kanada und erfüllten damit das, was Joseph Stalin »Aufgabe Nummer eins« genannt hat. Es wird von Wissenschaftlern weiterhin kontrovers diskutiert, welche streng geheimen Informationen die Sowjetunion tatsächlich stahl – und wie – und ob diese Informationen den Russen in nennenswertem Umfang halfen, knifflige physikalische und Konstruktionsprobleme zu lösen, von denen ihr eigenes Waffenprogramm gebeutelt wurde.
Es ist bekannt, dass gestohlene US-Informationen den Sowjets dabei halfen, eine Reihe spezifischer mechanischer Probleme zu lösen – etwa die Konstruktion eines barometrischen Zünders –, aber das Meiste haben sowjetische Physiker aus eigener Kraft geschafft. Tatsächlich hat das NKWD (die Vorläuferorganisation des KGB) die entwendeten Atomgeheimnisse eifersüchtig gehütet und die Informationen mit den meisten russischen Wissenschaftlern niemals geteilt. Vielmehr benutzte der Chef des NKWD, Lawrenti Beria, die US-Daten überwiegend dazu, um die theoretischen und Konstruktionsarbeiten sowjetischer Wissenschaftler zu bestätigen. Heute besteht Einigkeit darüber, dass die sowjetische Spionage den Russen vermutlich erlaubte, die Bombe ein bis zwei Jahre eher herzustellen.
Anfang der 1940er-Jahre stellte die Erfüllung der Aufgabe Nummer eins die Sowjetunion vor große Herausforderungen. Stalin hatte den Einsatz unbegrenzter Ressourcen für das Vorhaben genehmigt. Beria und dem NKWD wurde die Leitung der Operation übertragen. Das Manhattan-Projekt war ein weitverzweigtes Vorhaben, das aufgrund der zahlreichen inländischen Standorte und der hohen Anzahl von Personen, die daran mitwirkten – über 100 000 Naturwissenschaftler, Techniker, Mechaniker, Verwaltungsmitarbeiter und Hilfskräfte –, sowie der uneinheitlichen und unkoordinierten Sicherheitsvorkehrungen bei den Anlagen und Forschungslabors, für die jeweils verschiedene Behörden zuständig waren, ein recht ungeschütztes Ziel für feindliche Spionageaktivitäten darstellte. Zu diesem Zeitpunkt des Zweiten Weltkriegs galt die Sowjetunion als ein bedrängter Verbündeter der USA, und sie hatte nicht nur die Sympathien der amerikanischen Öffentlichkeit, sondern auch politische Unterstützung in Washington. Diese positive Sicht Russlands unter vielen der von Moskau rekrutierten Wissenschaftler bzw. »Atomspione« schlug sich in der philosophischen Überzeugung nieder, die Weitergabe von Waffengeheimnissen schaffe faire Rahmenbedingungen für die Nachkriegsordnung, beseitige Misstrauen und wahre den Weltfrieden.
Die Anwerbung idealistischer und wohlwollender Amerikaner und Emigranten, die am Manhattan-Projekt arbeiteten, war für russische Nachrichtenoffiziere, die getarnt als Diplomaten in der sowjetischen Botschaft in Washington, im sowjetischen Konsulat in San Francisco und bei der sowjetischen Gesandtschaft bei den Vereinten Nationen in New York arbeiteten, wie das Pflücken reifer Früchte. Viele der Zielpersonen aus dem Kreis von Wissenschaftlern waren ethnische Russen oder Anhänger der amerikanischen Kommunistischen Partei oder beides; dazu zählen etwa Klaus Fuchs, Harry Gold, David Greenglass, Theodore Hall sowie Julius und Ethel Rosenberg (alle Mitglieder des Spionagerings mit dem Deckname »Volunteer«).
Die sowjetischen Aufklärungserfolge beim Manhattan-Projekt zogen jedoch vertraute Probleme nach sich. Die wirkliche Arbeit beginnt nämlich erst dann – und das war 1952 nicht anders als heute –, wenn die aufregende Rekrutierungsphase einer menschlichen Quelle abgeschlossen ist. Es ist schwieriger, eine geheime Informationsquelle zu führen, als sie anzuwerben. Aus Moskau treffen massenweise nachrichtendienstliche Aufklärungsersuchen ein – Stalin persönlich will mehr Informationen, bessere Informationen, und dies schnellstens.
Es ist eine heikle Sache, eine Quelle dazu zu drängen, Informationen zu beschaffen, und es steht völlig außer Frage, dass eine Quelle umso eher auffliegt, je länger sie spioniert. Im Jahr 1950 wurde es für russische Agenten gefährlich, in den USA zu operieren. Das Wohlwollen Amerikas gegenüber der Sowjetunion war weitgehend aufgezehrt, überdeckt von der Roten Angst und dem aufkommenden Kalten Krieg. Und die Abteilung Spionageabwehr des FBI war aktiv und gefährlich. Es war für einen amerikanischen Wissenschaftler nicht länger ratsam, sich öffentlich mit einem russischen Diplomaten sehen zu lassen.
Um das Volunteer-Netzwerk funktionstüchtig zu halten, griff man auf eine typisch sowjetische Lösung zurück: Man warb weitere Amerikaner (Kuriere) an, die sich mit den Atomspionen trafen, und die die Informationen einem Kontrolleur (einem Illegalen) übergaben, der die Berichte nach Moskau übermittelte. Diese Vorgehensweise stellte sicher, dass es keine beobachtbare russische Beteiligung gab; Sicherheit und Abschottung blieben erhalten; und die Kommunikation mit Der Zentrale (dem NKWD-Hauptquartier) wäre nicht nachweisbar.
Das NKWD hat im Ausland im Allgemeinen drei Typen von Nachrichtenoffizieren eingesetzt: einen sogenannten Legalen mit amtlicher Tarnung, der in der Regel aus einer diplomatischen Vertretung heraus operiert; einen nichtoffiziellen, getarnten Nachrichtenoffizier, der sich als ausländischer Kaufmann, Wissenschaftler oder technischer Experte ausgibt, um sich regelmäßig Zugang zu einer Zielperson zu verschaffen, und einen Illegalen, der sich als Inländer ausgibt, mit einer ausgeklügelten und plausiblen, aber erfundenen persönlichen Geschichte (einer sogenannten Legende). Der Illegale führt jahrelang ein unauffälliges Leben, um Fuß zu fassen, und nimmt vielleicht einen ruhigen Einstiegsjob an, der scheinbar keinerlei nachrichtendienstliches Interesse besitzt. Ein solcher illegaler Mitarbeiter wird erst dann aktiviert, wenn er gebraucht wird. Bis dahin können viele Jahre vergehen (daher werden diese Agenten auch »Schläfer« genannt). Die Erstellung einer Legende (für gewöhnlich durch Übernahme der Identität einer vor langer Zeit verstorbenen Person) ist ein mühsames Unterfangen – jahrelang damit zu leben muss eine extreme psychische Belastung sein. Die administrative Unterstützung für einen Illegalen ist langwierig und beschwerlich. Der Einsatz von Illegalen ist extrem kostspielig, und sie müssen gründlich ausgebildet werden. Kommunikation und Sicherheit sind von entscheidender Bedeutung – wenn ein NKWD-Illegaler verhaftet wurde, genoss er keine diplomatische Immunität. Auch das fließende Sprechen einer Fremdsprache ist unabdingbar. Es gilt, die Nachteile dieser ineffizienten, kostspieligen und riskanten Methode des Agenteneinsatzes gegen den erheblichen Vorteil einer wasserdichten persönlichen Geschichte, Anonymität und Unsichtbarkeit abzuwägen.
Die meisten Nachrichtendienste setzen wegen der oben aufgelisteten praktischen Probleme keine Illegalen ein. Aber das Ganze hat auch eine menschliche Dimension. Man stelle sich einmal vor, was es bedeutet, einen Nachrichtenoffizier, der eine Frau, Kinder und Freunde hat, für möglicherweise zwanzig Jahre in eine Art Exil auf feindliches Territorium zu schicken, wo er in einer angenommenen Identität atmet, isst und schläft. Man stelle sich außerdem vor, dass diesem Offizier eine wildfremde Person als Tarn-Ehepartner (wenn auch einer, der sich sehr gut im Morsealphabet auskennt) zugewiesen wird. Dies alles widerspricht westlichen Idealen und Vorlieben.
Es ist so russisch, so sehr Kalter Krieg der Fünfzigerjahre, so sowjetisch, dass wir annehmen, kein vernünftiger Nachrichtendienst würde heute noch Illegale einsetzen.
Aber das wäre eine irrige Annahme: Elf Illegale, die für Wladimir Putin und den SWR (den Nachfolger des KGB) arbeiteten, wurden im Juni 2010 in New York, New Jersey und Boston verhaftet.
Der NKWD-Nachrichtenoffizier Oberst Rudolf Iwanowitsch Abel wurde in den frühen Morgenstunden des Juni 1957 in einem Hotelzimmer in Brooklyn wegen Verschwörung und Spionage festgenommen. Dies war das zentrale Kapitel des sogenannten Hollow Nickel Case des...