Friedensnobelpreis für eine Botschaft
„Ich bin nicht gegen jeden Krieg. Ich bin gegen dumme Kriege.
Ich bin gegen unbedachte Kriege. Ich bin gegen Kriege, die von Ideologien getrieben sind und die auf Macht und Tagespolitik gründen und nicht auf Vernunft.“
Barack Obama (1)
Charles Ogletree, Jura-Professor von Barack Obama und Michelle Robinson in Harvard zu einer Zeit, als das Präsidentenpaar sich noch gar nicht kannte, glaubte immer, Michelle würde die ganz große Karriere machen. „Vielleicht die erste schwarze Senatorin in den USA“, erzählte er am Tag von Obamas Inauguration am 20. Januar 2009 in einem Fernsehinterview, „vielleicht sogar Präsidentin“. Er habe zwar auch bei Barack Obama geahnt, dass „dieser Mann einmal ein ganz Großer wird. Ich war überzeugt, er würde einmal der wichtigste Bürgermeister Amerikas“.
Auch wenn die Einschätzung des schwarzen Top-Juristen über die künftigen Karrieren Michelle Robinsons und Barack Obamas nicht ganz zutreffend waren, so erkannte Ogletree früh das ungeheure Potential der beiden Intellektuellen. Zusammen bilden die beiden ein „Dream Team“, das nicht nur Amerika, sondern die halbe Welt fasziniert. Die Geschichte wird ein Urteil darüber fällen, ob Obama den versprochenen „Wandel“ bringen, er den Menschen nicht nur „Hoffnung“ machen, sondern auch für Zeiten von Frieden und Wohlstand sorgen konnte.
Keinen Beweis braucht es für seinen phänomenalen Erfolg in der modernen Mediengesellschaft. Sein Weg ins Weiße Haus und sein erstes Jahr als Präsident sind eine Demonstration für den höchst effizienten Umgang mit moderner Kommunikation, ein Lehrbeispiel, wie man Zeitgeist und Moden am besten für seine Interessen und Ziele nutzen kann.
Barack Obama bringt seine politischen Gegner oft zum Verzweifeln, selbst dann, wenn er gravierende Fehler macht oder tief ins Fettnäpfchen tritt – beispielsweise arbeitslosen Amerikanern unterstellt, sie „klammern sich … aus Verbitterung an Religion und Waffen“. Ex-Präsident Bill Clinton klagte einmal, Obama dürfe sich Dinge erlauben, die die US-Öffentlichkeit einem weißen Politiker niemals verzeihen würde. Seine Frau Hillary Clinton, die 2008 im Vorwahlkampf trotz ihrer Favoritenstellung schließlich Obama unterlag, war tief erbost über Obamas frühe Popularität in den Medien.
Es gibt keinen Zweifel, dass der charismatische Außenseiter, „Sohn einer weißen Frau aus Kansas und eines schwarzen Mannes aus Kenia“, wie er sich selbst im Wahlkampf gerne vorgestellt hat, sehr lange der Liebling der amerikanischen Medien war. Der republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain klagte denn auch über die „bizarre Faszination“, mit der die Medien auf Obama reagierten, offenbar seien sie „verliebt“ in den jungen, schwarzen Politiker. Erfolg hängt eben auch davon ab, ob man zu denen gehört, denen man Fehler nachsieht und Missgriffe verzeiht. Obama war lange Zeit einer dieser Glücklichen. Der Außenseiter konnte sich sehr lange der Nachsicht der Öffentlichkeit sicher sein. Die Sympathien, die ein Mann wie Obama weckt, haben sicher auch mit seiner männlichen Attraktivität, seiner ungewöhnlichen Biografie und der tiefen Sehnsucht vieler Menschen nach einer Vision zu tun. Unbestritten ist auch die Tatsache, dass Obamas Kampf um die Präsidentschaft für die Medien eine noch faszinierendere „Story“ lieferte als der Versuch Hillary Clintons, als erste Frau das Weiße Haus zu erobern. „Ich glaube, die ganze Wahl war wie ein Roman“, kennzeichnete Obama selbst im Dezember 2008 den teuersten und spektakulärsten Wahlkampf der modernen US-Geschichte und die historische Wahl eines Schwarzen ins Weiße Haus.
Einen wesentlichen Anteil der Erfolgsgeschichte Obama hatten aber seine klugen Instinkte und seine moderne Wahlkampfstrategie, seine rhetorische Begabung und sein hervorragender Mitarbeiterstab, seine schwarze „Coolness“ und der geschickte Umgang mit Medien und sozialen Plattformen. Ein weiterer Schlüssel für Obamas Siegeszug ist sein ganzheitlicher Ansatz: Person, Botschaft und Präsentation harmonieren perfekt. Schließlich ist er ein Meister der klugen Inszenierung und brillanter Auftritte. Obama verführt zum Nachmachen – aber keineswegs ist alles erlernbar, kopierbar, nutzbar.
Dem Generalsekretär der SPD, Hubertus Heil, kommt unfreiwillig das Verdienst zu, zumindest in Deutschland als erster öffentlich demonstriert zu haben, wie lächerlich es sein kann, einen Mann wie Obama kopieren zu wollen. Auf dem SPD-Parteitag Ende November 2008 in Nürnberg forderte Heil seine Genossen auf, mit ihm „Yes we can!” zu rufen. „Sprecht mir nach“, lockte Heil, aber kaum jemand wollte. Die rund 500 eher trägen und gelangweilten SPD-Delegierten im Messezentrums reagierten auch nicht beim zweiten Anlauf Heils („Das war ein bisschen leise, könnt ihr das lauter“).
Der peinliche Vorfall (2) belegte das Missverständnis, amerikanische Mentalität und Gepflogenheiten ebenso wie Obamas Stil ließen sich eins zu eins auf Deutschland übertragen. Dennoch können Politik und Wirtschaft in Deutschland viel vom amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 2008 und dem Politikstil des jungen US-Präsidenten lernen. Denn Obama hat längst auch PR-Geschichte geschrieben.
Der demokratische Kandidat wurde 2008 vom amerikanischen Marketing Fachverband „Association of National Advertisers“ zur „Marke des Jahres“ gewählt. Tatsächlich hat es der Harvard-Jurist, der in Chicago seine politische Karriere begann, besser verstanden als jeder andere Politiker in den USA, sich erfolgreich zu vermarkten: Person, Familie, Programm, Botschaft, Werbemittel, Symbole, Körpersprache – alles aus einem Guss, als ob PR-Profis alles aufeinander abgestimmt und harmonisiert hätten.
Wer in Amerika erfolgreich sein will, muss großes Geschick im Umgang mit diesem ethnischen Schmelztiegel, dieser vielfach zerrissenen und gespaltenen Gesellschaft mitbringen, die wie die deutsche Gesellschaft von Soziologen als zunehmend „tribalisiert“, als in viele Schichten und Gruppen auseinanderfallend, bezeichnet wird. Auch in der US-Gesellschaft, in der Kirchen und Religion eine viel größere Rolle spielen als bei uns, haben traditionelle Institutionen und Wertesysteme wie überall in der westlichen Welt enorm an Autorität eingebüßt. Auch in den USA mit all ihren Skandalen in Politik, Wirtschaft oder Kirchen, von Hollywood ganz zu schweigen, lechzt eine moralisch destabilisierte und misstrauische Gesellschaft nach Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Orientierung.
Es ist vielleicht Obamas größter Erfolg, dass er in der Schlangengrube der Mediengesellschaft Glaubwürdigkeit und Authentizität bewahren konnte – selbst seine politischen Gegner trauen sich kaum, ihn charakterlich zu attackieren. Umfragen zeigten stets, dass Obama weit über die Schar seiner Anhänger und Wähler hinaus erstaunlich positiv beurteilt wurde, populär selbst Amerikanern war, die ihm nicht ihre Stimme gaben. Selbst als seine Popularität angesichts schwieriger innenpolitischer Projekte wie Gesundheitsreform oder verschärfte Klimaschutzgesetze sank, blieb Obama der umschwärmte Star der US- und Weltpolitik.
Dahinter steckt vor allem harte, konzeptionelle Arbeit und ein ausgeklügeltes PR-Programm, selbst wenn es niemand in Obamas Team – zumindest nicht, seitdem er Präsident ist – so nennen würde. Obama hat seit vielen Jahren sein Leben und das seiner Familie in den Dienst der großen Sache, seiner Vision und seiner Karriere, gestellt, sein gesamtes Trachten, immer und überall, „24/7“ wie die Amerikaner sagen, auf diese Ziele ausgerichtet. Böse Zungen könnten sagen, das Leben Barack Obamas ist zu einer einzigen, großen, nie unterbrochenen Inszenierung geworden.
Der Superstar der großen Politik überlässt kaum etwas dem Zufall. Für alles wird eine angemessene Bühne geschaffen, meistens mit Soloauftritt Obama. Nicht nur eine „Rede an die islamische Welt“ im Auditorium der Kairoer Universität wird damit zum globalen Medienereignis. Auch ein Abendessen im Luxusrestaurant „Citronelle“ in Georgetown und der anschließende Spaziergang mit Michelle in der Dämmerung im sommerlichen Garten des Weißen Hauses werden mediengerecht in Blickweite von Fotografen und Kameraleuten inszeniert.
Nie zuvor hat ein US-Präsident dermaßen mit einem Dauerbombardement von öffentlichen Auftritten und Reisen, von Pressekonferenzen, Bürgerversammlungen, Fernsehinterviews und Fototerminen mit Hund, Kind oder Baseballspielern versucht, Schlagzeilen und Nachrichtensender zu dominieren.
Wer Obamas Erfolg verstehen möchte, darf aber auch nicht übersehen, dass er zur richtigen Stunde am richtigen Ort die richtige Person war. Schließlich war mit George W. Bush acht Jahre ein Mann im Weißen Haus, der im Ausland alles verkörperte, was die Welt an dem „hässlichen Amerikaner“ und der selbstgefälligen Weltmacht verabscheute. In den USA selbst wurde der Texaner Bush zunehmend als gescheiterter Präsident empfunden, der weder mit der Naturkatastrophe des Hurrikans Katrina noch mit dem Krieg im Irak fertig wurde.
Der desaströse Waffengang im Irak, das Debakel an der Wall Street und das ruinierte Ansehen der USA in der Welt hatten die Sehnsucht der Amerikaner nach einer Lichtgestalt geweckt, nach einem Präsidenten, den die Welt sympathisch finden würde, einem Politiker mit einer Botschaft der Versöhnung und Friedfertigkeit. Auch nach einem Mann, der intellektuell brillieren und junge Menschen begeistern kann. Obama war der bestmögliche Anti-Bush.
Viele glauben, dass Obama wie ein offenes Buch vor der Welt liegt. Aber trotz seiner zwei Autobiografien, seiner unvergleichlichen...