Die Jugendlichen und die Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit im Projekt GEBe
Moritz Schwerthelm
Um dem theoretischen Hauptteil dieses Bandes einen praktischen Rahmen zu geben, widmet sich dieser Beitrag der realen und praktischen Umsetzung des Projekts GEBe.
Dabei wird gezeigt, welche Jugendlichen sich an dem Projekt beteiligt haben und durch welche Handlungsweisen sie sich auszeichnen. So wie im Projekt wird dazu auf die Beobachtungen der Fachkräfte zurückgegriffen. Um den Leserinnen und Lesern einen Eindruck von den Wahrnehmungen der Fachkräfte zu vermitteln und um darzustellen, mit welchen Jugendlichen die Pädagoginnen und Pädagogen in GEBe gearbeitet haben, also wessen gesellschaftliches Engagement sie fördern wollten, folgen hier kurze exemplarische Porträts von beteiligten Jugendcliquen. Diese sollen verdeutlichen, dass die beteiligten Jugendlichen typische Handlungsweisen zeigen, wie sie viele Fachkräfte der Offenen Kinderund Jugendarbeit beobachten können.
Die Herausforderung für die Fachkräfte in GEBe bestand darin, diese alltäglichen Handlungen zu beobachten und zu interpretieren und im Handeln der Jugendlichen mögliche Bildungsthemen und Potenziale gesellschaftlichen Engagements zu erkennen. Alle Angaben zu den Jugendlichen wurden von diesen selbst bestätigt.
Darüber hinaus werden im Folgenden die beteiligten Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit kurz vorgestellt. Dabei wird darauf eingegangen, welche Erwartungen die Fachkräfte an das Projekt GEBe hatten, welche Projekte in den Einrichtungen wie entstanden sind und welche wichtigen Erfahrungen die Fachkräfte bei der Umsetzung der Projektideen gesammelt haben.
Die beteiligten Jugendlichen im Projekt
Im Projekt GEBe beteiligte sich eine Kerngruppe von rund 70 Jugendlichen. Deren Alter variierte zwischen zehn und 21 Jahren. Das Geschlechterverhältnis war ausgewogen. Viele der Jugendlichen hatten Schwierigkeiten in der Schule und die Älteren oft keinen Schulabschluss und keinen Ausbildungsplatz. Die Fachkräfte vermuteten, dass die Eltern ihrer Besucherinnen und Besucher häufig überfordert sind, wobei einige der Jugendlichen bereits selbst Eltern waren. Alle diese Jugendlichen machten sich durch Handlungsweisen bemerkbar, die in den meisten Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit beobachtet werden können: Sie trugen Hip-Hop-Kleidung, konsumierten legale und illegale Drogen, und im Jugendhaus hörten sie Musik, surften mit ihren Handys in sozialen Netzwerken, spielten ab und zu Tischtennis, Fußball, Billard oder Basketball, beschimpften sich gegenseitig und „chillten“ zusammen im offenen Bereich. Wenn sie nicht im Jugendhaus waren, hielten sie sich draußen auf, etwa an einem nahe gelegenen Supermarkt, in einer Einkaufsstraße oder in den Wohnungen der Eltern. Fragt man die Fachkräfte nach typischen Sprüchen der Jugendlichen, nennen sie Beispiele wie „Das ist doch alles schwul hier“, „Nö, das mach’ ich nicht“, „Kacke!“ oder „Ihr habt wohl ’n Vogel!“.
Zu Konflikten unter den Jugendlichen und/oder mit den Fachkräften kam es beispielsweise durch Beziehungsstreite, Auseinandersetzungen zwischen Kindern und Jugendlichen, den Umgang der Jugendlichen mit dem Mobiliar der Einrichtung sowie den Sprachgebrauch und den Alkoholkonsum der Jugendlichen. Die Fachkräfte merkten an, dass, wenn sie die Besucherinnen und Besucher direkt nach ihren Ideen und Wünschen fragen, also „ihnen das Mikro unter die Nase halten“, wie eine Fachkraft es ausdrückte, nur sehr selten produktive Vorschläge kommen. Angebote der Fachkräfte würden auch kaum wahrgenommen und genutzt. Insgesamt wirkten die Jugendlichen eher „unengagiert“, „uninteressiert“ und „passiv“. Die Beziehungen zwischen Fachkräften und Jugendlichen wurden aber von allen Beteiligten positiv beschrieben, auch wenn sie von Person zu Person unterschiedlich gestaltet waren.
So kamen einige Jugendliche nur auf die Fachkräfte zu, wenn sie etwas brauchten, sich beispielsweise einen Ball ausleihen wollten. Andere hingegen vertrauten den Fachkräften auch schulische und familiäre Probleme an. Fragte man die Jugendlichen, was sie nicht mögen, so sagten sie zum Beispiel, dass sie genervt seien, wenn sie von Jüngeren oder Fachkräften nicht in Ruhe gelassen werden oder wenn sie Ärger mit den Fachkräften bekommen. „Andere schlecht zu machen“, fanden sie gar nicht gut. Fragte man die Cliquen direkt, was ihnen im Jugendhaus fehlt, ließen die Antworten nur schwer erkennen, ob die Jugendlichen Motive zur Mitgestaltung und Mitbestimmung der Jugendhäuser haben. Beobachtet man ihr Handeln aber genauer, lassen sich durchaus Interessen vermuten.
Im Projekt war es die Aufgabe der Fachkräfte, das alltägliche jugendliche Handeln zu beobachten und sich immer wieder neu die Frage zu stellen, was die Jugendlichen dadurch ausdrücken, was sie den Fachkräften damit sagen wollen. Dabei konnten die Pädagoginnen und Pädagogen feststellen, dass die Jugendlichen durchaus nicht „passiv“ sind. Im Handeln der Jugendlichen konnten die Fachkräfte Interessen erkennen, die gesellschaftlich relevant sind und damit Motive gesellschaftlichen Engagements sein können. Beispielsweise fiel einer Fachkraft auf, dass die Jugendlichen vor allem bei Streitereien untereinander bzw. zwischen Jugendlichen und Fachkräften versuchten, vermittelnde Positionen einzunehmen. Diese Vermittlertätigkeiten zeigen, dass die Kids daran interessiert sind, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen.
Diese Beobachtung nahmen die Fachkräfte zum Anlass, den Jugendlichen kleinere Mitbestimmungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten zu eröffnen, indem sie zum Beispiel Verantwortung für den Thekendienst übernehmen. Die Rückmeldung kam prompt. So sagte ein Mädchen nach einem Tag im Jugendhaus, an dem sehr viele Besucherinnen und Besucher gekommen waren: „Ohne uns wärt ihr aber heute voll aufgeschmissen gewesen!“ Eine Clique bekritzelte einen Tisch ihres Jugendhauses. Statt dies – wie vor dem Projekt üblich – als „abweichendes Verhalten“ wahrzunehmen und mit Sanktionen zu reagieren, erkannte die Fachkraft, dass die Jugendlichen sich dadurch Raum aneignen wollten. Sie beanspruchten den Tisch ihres Jugendbereichs für sich und machten dies durch Filzstift-Tags kenntlich. Der Pädagoge schlug der Clique daraufhin vor, die Wände ihres Bereichs mit Graffitis zu gestalten und eröffnete ihnen damit die Mitgestaltung des Jugendhauses.
Diese kurzen Beschreibungen zeigen schon: Die Jugendlichen im Projekt machten zwar auf den ersten Blick einen unengagierten Eindruck, haben aber durchaus Interesse daran, sich zu engagieren, wenn es um die gemeinsame Gestaltung der Einrichtung und der Angebote geht und wenn sie einen eigenen Sinn dahinter erkennen, also ein Motiv zum Handeln haben und es sie bzw. Freundinnen und Freunde oder Bekannte betrifft.
Die beteiligten Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit im Projekt
Im Projekt GEBe waren sieben Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit aus Mainz, Berlin, Magdeburg und Halberstadt beteiligt. Einige davon hatten bereits bei „jungbewegt“ mitgemacht, und die positiven Erfahrungen motivierten sie zur erneuten Teilnahme.
Für jede der an GEBe beteiligten Einrichtungen ist ein Porträt entstanden, um Außenstehenden zu verdeutlichen, welche Projekte und Entwicklungen in den einzelnen Einrichtungen durch GEBe angestoßen und weiterentwickelt wurden.2 Dazu wurde zum einen auf die im gesamten Projektverlauf dokumentierten Beratungen zurückgegriffen. Zum anderen wurden in jeder beteiligten Einrichtung Interviews mit den Fachkräften und teilweise auch mit den Jugendlichen geführt und ausgewertet. Die wichtigsten Ergebnisse werden hier zusammengefasst vorgestellt.
Welche Erwartungen hatten die Fachkräfte an das Projekt?
Die Fachkräfte verbanden sehr unterschiedliche Hoffnungen mit der Beteiligung am Projekt. Einige Erwartungen richteten sich auf die Entwicklung der Jugendlichen. Die Fachkräfte hatten sich beispielsweise zum Ziel gesetzt, die Selbstständigkeit, das Selbstbewusstsein und das Selbstwertgefühl ihrer Besucherinnen und Besucher zu fördern oder ihnen Anerkennungs- und Wertschätzungserfahrungen in der Einrichtung und im Stadtteil zu ermöglichen. Die Fachkräfte hofften, durch das Projekt Ansatzpunkte für gesellschaftliches Engagement auch bei jenen Jugendlichen zu finden, die aufgrund ihrer Handlungsweisen oft als interessenlos, unengagiert und unpolitisch wahrgenommen werden und als benachteiligt gelten.
Andere Pädagoginnen und Pädagogen hingegen erhofften sich die Weiterentwicklung ihres eigenen pädagogischen Handelns. So wollten sie Ideen bekommen, wie sie ihre Angebote für die Kinder und Jugendlichen in Zukunft attraktiver gestalten können. Sie wollten lernen, diese Angebote so zu organisieren, dass sie den Interessen der Jugendlichen mehr entsprechen und dadurch attraktiver, aber auch effizienter werden. Einige wünschten sich auch einfach neue Methoden und Handlungsansätze zur...