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E-Book

Der geborgene Ort

Sicherheit und Beruhigung bei chronischem Stress

AutorMichaela Huber
VerlagJunfermann
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl96 Seiten
ISBN9783955714413
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Wer gestresst ist neigt dazu, äußere Mittel einzusetzen, um sich so lange zu manipulieren, bis Körper und Geist im gewünschten Modus sind. Ein Sachverhalt, der Michaela Huber nur allzu gut bekannt ist, denn seit Jahrzehnten arbeitet sie mit stressgeschädigten Menschen. Diese haben oft eine große Sehnsucht, einerseits nach Geborgenheit, andererseits danach, endlich mehr innere Ruhe zu finden. Die Autorin hat eigene Übungen entwickelt bzw. bestehende Übungen verändert, um Menschen eine Idee von Schutz und Geborgenheit innerlich vermitteln zu können. Dabei geht es ihr insbesondere um diejenigen, die als Kinder diese Geborgenheit nicht erlebt, aber eine große Sehnsucht danach haben. Die sechs im Buch enthaltenen Übungen finden sich - von Michaela Huber selbst gesprochen - auch auf der beiliegenden CD.

Michaela Huber, psychologische Psychotherapeutin, Supervisorin und Ausbilderin in Traumabehandlung. Sie ist seit deren Gründung 1. Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Trauma und Dissoziation (DGTD).

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Leseprobe

1. Was ist Geborgenheit?


1.1 Einführung


Abbildung 6: Geborgenheit

Wir alle versuchen, das Leben möglichst so zu bewältigen, dass wir unsere Existenz sichern können. Leben will leben. Von Beginn unseres Lebens an versuchen wir alles, um dieses Leben zu schützen. Dabei sind wir als Kinder existenziell von unseren Bindungspersonen abhängig, und in der Regel sind das zunächst einmal die Eltern.

Vielleicht ist Ihnen bewusst, dass ein Kind, das auf die Welt kommt, immer ein Frühgeborenes ist, auch wenn es mindestens neun Monate im Mutterleib reifen durfte? Doch, so ist es: Was unsere Hirnentwicklung angeht, so sind wir, wenn wir geboren werden, noch ausgesprochen „frühreif“. Unser Gehirn braucht noch einige Jahre, um seine volle Kapazität an Nervenverbindungen auszubilden (s. Brisch 2014).

Das hängt vermutlich damit zusammen, dass die Menschen irgendwann in ihrer Entwicklung zum Homo sapiens beschlossen haben, sich vom Vierfüßlerstand auf zwei Beine zu stellen. Dadurch konnten sie weiter sehen und mit Werkzeugen besser hantieren etc. Aber das Ganze hatte auch einen gravierenden Nachteil: Die „­Weibchen“ unserer Spezies konnten ihre „Jungen“ nicht so lange austragen, wie es notwendig wäre, um sich möglichst rasch unabhängig von den Eltern in Gefahren­situationen fortzubewegen. Elefanten zum Beispiel tragen ihre Jungen sehr viel länger aus, manche Arten über zweieinhalb Jahre. Dann ist die Hirnentwicklung des jungen Elefanten schon sehr weit gediehen, und das Junge kann selbstständig hinter der Mutter herlaufen und sich zur Not auch eine kurze Zeit allein durchschlagen.

Nicht so die Menschenkinder. Sie sind vollkommen hilflos, wenn sie auf die Welt kommen, und ihr Gehirn braucht in weiten Teilen noch mehrere Jahre, bis es ausreichend gereift ist. Erst dann kann sich das Kind unabhängig von den Pflegepersonen in Raum und Zeit orientieren und etwas zur eigenen Sicherung tun. Sich gegen diese Pflegepersonen zu entscheiden und sich in ihrer Gegenwart auch von ihnen entschieden abzugrenzen – das schaffen Kinder frühestens in der späten Kindheit, etwa ab dem zwölften Lebensjahr. Vorher können sie vielleicht jammern und quengeln und sich abwenden, müssen letztlich aber doch den Erwachsenen, von denen sie abhängig sind, gehorchen. Was gut ist, wenn diese Erwachsenen liebevoll sind. Was schwer ist, wenn sie es nicht sind (s. Teicher 2000).

Mindestens die ersten etwa zweieinhalb bis drei Lebensjahre ist das menschliche „Junge“ in jedem Fall existenziell darauf angewiesen, eine Art „extrauterinen Uterus“ zu haben, also ruhige und geschützte Reifungsbedingungen in der Nähe verlässlicher erwachsener Bindungspersonen. Dazu brauchen diese erwachsenen Bindungspersonen viel Feingefühl. Sie sollen, so sieht es die menschliche Natur biologisch betrachtet vor, mithilfe ihrer Feinfühligkeit eine so geborgene Atmosphäre schaffen, dass der Säugling und das Kleinkind möglichst optimale Bedingungen für ihre weitere Reifung finden.

Schon vorher im Mutterleib, so haben Forscher festgestellt, hängt die Entwicklung der Motorik und des Nervensystems eines Fötus unter anderem davon ab, wie gut dieser sich im Uterus bewegen kann: Seine Eigenbewegungen regen die Gene an, diejenigen Eiweiße freizusetzen, die dann dazu führen, dass neuronale Netzwerke aufgebaut werden. Schwangere wundern sich ja oft, wie heftig das Kleine da innen „um sich tritt“. Tatsächlich verschafft es sich selbst damit so viele Anregungen, dass es sich möglichst gut entwickeln kann. Wenn eine Schwangere jedoch Angst hat, zieht sich ihre Bauchdecke zusammen. Folge: Auch das Kind zieht sich zusammen. Die Stresshormone der Schwangeren werden bis zum Kind durchgeleitet, der Raum zur Bewegung wird zusätzlich zu eng – und so erstarrt das Kind im Mutterleib und bewegt sich kaum. Jedes Mal, wenn die Mutter in Angst ist und sich wieder die Bauchdecke zusammenzieht und die Stresshormone wieder Mutter und Kind überschwemmen, wird das Kind wieder erstarren und sich zusammenziehen, und das wird seine motorische und Hirnentwicklung möglicherweise deutlich hemmen.

Stress spielt überhaupt eine entscheidende Rolle bei der motorischen und der Hirnentwicklung (s. Kaskadentheorie von Teicher in Brisch 2011). Und umgekehrt: Wenn Eltern liebevoll sind und Geborgenheit schenken, bieten sie dem Kind die besten Voraussetzungen für ein optimales Wachstum. Wortwörtlich: das Wachstum der Muskeln und Knochen etc. – und das Wachstum des kindlichen Gehirns.

Feinfühligkeit und Bindung

Heute ist unbestritten, dass es tatsächlich die Feinfühligkeit, also das liebevolle und beschützende Verhalten der erwachsenen Bindungspersonen ist, die dafür sorgt, dass ein kleines Kind die besten Bedingungen zur weiteren Entfaltung seines Gehirns und seiner körperlichen Entwicklung außerhalb des Mutterleibs vorfindet. Biologisch ist es gut eingerichtet: Sicherheitshalber hat ein Neugeborenes die Fähigkeit, sich an etwa fünf erwachsene Menschen als primäre Bindungspersonen zu binden, falls die Mutter aus irgendeinem Grund ausfällt. Aber natürlich wird die Mutter erst einmal bevorzugt. Das Kind erkennt ihre Stimme, ihren Herzschlag und Geruch aus allen anderen Lebewesen um sich herum heraus und wird sich zunächst an sie wenden.

Doch wenn die Mutter nicht verfügbar ist, aus welchem Grund auch immer, wird das Kind stets die Person in seiner Umgebung bevorzugen, die am meisten feinfühlig ist. Diese wird allen anderen Menschen, auch den blutsverwandten, vorgezogen. Beispiel: Eine Mutter, die direkt nach der Geburt wieder arbeiten gehen muss und eine andere Person, etwa ein Kindermädchen, mit der Versorgung des Kindes beauftragt, wird erleben, dass das Kind sich primär an das Kindermädchen bindet. Es wäre gut, wenn alle Eltern, die Au-pairs, Tagesmütter, Kindermädchen etc. beschäftigen, dies wüssten, denn wenn sie z. B. die Au-pairs wechseln, werden sie feststellen, dass ihr Kind verstört reagiert. Kein Wunder, denn sie haben ihm gerade die primäre Bindungsperson genommen!

BindungsforscherInnen und PsychotraumatologInnen sind entsprechend alarmiert über die Zunahme von Kinderkrippen, in denen Kinder zwischen null und drei Jahren – also in einer für ihre Hirn- und ihre Persönlichkeitsentwicklung sehr sensiblen Zeit! – nicht stets ein und dieselbe, sondern immer wieder wechselnde Betreuungspersonen haben. Dauernde Bindungsunterbrechungen können durchaus schwere Bindungsstörungen bei den Kindern auslösen. Daher die Forderung: Kinderkrippen sollten unbedingt ausreichend personell ausgerüstet sein, sodass Kinder unter drei Jahren verlässlich von jeweils sehr wenigen und immer denselben Bezugspersonen betreut werden. Und diese Menschen müssen über die Fähigkeit verfügen, sich feinfühlig zu verhalten.

Leider finden nicht alle Kinder in ihrer näheren Umgebung feinfühlige Erwachsene vor, an die sie sich binden können. Und wenn ein Kind niemand Feinfühliges zur Verfügung hat, dann bindet es sich auch an nicht feinfühlige Menschen. Und diese Bindungen sind oft auf fatale Weise sehr haltbar: In seinem immer ein wenig ungestillten Bindungshunger – es bekommt schließlich nicht das, was es braucht – läuft das Kind ganz besonders den Bindungspersonen hinterher, an die es sich nun einmal binden musste in Ermangelung besserer. Diese sind aber gar nicht in der Lage, das Kind angemessen anzunehmen und auf es einzugehen. So entstehen pathologische Bindungen zwischen Kindern und Eltern, die nicht selten lebenslang sehr schmerzvoll sein können.

Was genau ist Feinfühligkeit?

Feinfühligkeit bedeutet:

  1. Die erwachsene Bindungsperson nimmt wahr, wie es dem Kind geht. Sie kann die Signale des Kindes deuten und versteht, was es mit seinem Gesichtsausdruck, seinen Gesten und seinem Verhalten ausdrücken will.
  2. Sie interpretiert das Verhalten des Kindes richtig. D. h.: Unabhängig davon, wie es ihr selbst geht, erkennt sie, was das Kind ausdrücken möchte.
  3. Sie reagiert prompt und sicher auf das Verhalten des Kindes, gibt dem Kind daher eine unmittelbare Rückmeldung, dass es verstanden wurde und auf seine Bedürfnisse eingegangen wird.
  4. Sie reagiert angemessen auf die Verhaltensäußerungen des Kindes. Das bedeutet zum Beispiel: Wenn das Kind schreit, weil es volle Windeln hat, wird die Bindungsperson es davon befreien, es sorgsam säubern und ihm weiche frische Windeln umlegen. Wenn das Kind schreit, weil es Hunger hat, wird die Bindungsperson ihm auf jeweils altersangemessene Weise Nahrung anbieten. Wenn es schreit, weil es Langeweile hat, wird sie ihm z. B. Spielangebote machen etc. Wenn das Kind schreit, weil es Angst hat, wird sie ihm körperliche Nähe und Trost schenken. Wenn es schreit, weil es etwas unbedingt haben will, das aber derzeit nicht gut für es wäre oder einfach nicht zu haben ist, wird die Bindungsperson das Kind geschickt ablenken und ggf. wiederum trösten.
  5. Feinfühligkeit bedeutet auch, dem Kind zart, leise, behutsam und liebevoll zu begegnen; ihm körperliche Geborgenheit zu schenken; es stets zu trösten, wenn es Angst hat; es zu wiegen, wenn es klein ist; es vor Lärm und grellen Reizen anderer Art zu schützen; ihm auf angemessene Weise Spielangebote und andere Lernreize zu bieten; es weder zu unter- noch zu überfordern.

Das alles ist eine Mischung aus Instinkt und Abwägung, und jeder Mensch, der einmal ein Kind in Obhut hatte, weiß, dass es kaum gelingen kann, immer alles optimal „richtig“ zu machen. Dennoch gilt: Werden von diesen fünf Bedingungen so viele wie möglich erfüllt, kann sich das Kind entsprechend gut entwickeln (s. Grossmann & Grossmann 2011).

Was fördert Geborgenheit?

Eine...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Inhalt6
Gebrauchsanweisung fu?r dieses Buch und die CD8
Einleitung10
1. Was ist Geborgenheit?32
1.1 Einfu?hrung32
1.2 Generelle Informationen zur Übungs-CD40
1.3 Übung: Der geborgene Ort41
2. Wie geht das: eine Last ablegen?44
2.1 Einfu?hrung44
2.2 Übung: Ein Ort zur Lagerung und Umwandlung deiner Lasten50
3. Was könnte aus uns werden?52
3.1 Einfu?hrung52
3.2 Übung: Was entsteht aus einem Samenkorn?59
4. Zum Licht!62
4.1 Einfu?hrung62
4.2 Übung: Das Beschu?tzelicht und das Geborgenheitslicht66
5. Der Staugsaubär – eine freundliche innere Helfer-Gestalt70
5.1 Einfu?hrung70
5.2 Übung: Der Staugsaubär74
6. Wenn es innen brodelt …76
6.1 Einfu?hrung76
6.2 Übung: Ein Rap gegen den Blues80
Nachwort86
Literatur89
Weitere Informationen95
Inhaltsverzeichnis CD96
Die Autorin97

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