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Allein, alleiner, alleinerziehend

Wie die Gesellschaft uns verrät und unsere Kinder im Stich lässt

AutorChristine Finke
VerlagVerlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783732523191
Altersgruppe16 – 
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR

Das Geld ist immer knapp, der Alltag hektisch und für die Kinder bleibt wenig Zeit. Alleinerziehende befinden sich nicht nur am Rande der Belastbarkeit, auch von Gesellschaft und Politik werden sie benachteiligt: besteuert nahezu wie Singles, auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert und von der Gesellschaft missachtet - obwohl ihre Kinder unsere Zukunft sichern. Christine Finke ist alleinerziehende Mutter von drei Kindern und weiß genau, wovon sie spricht. Sie benennt Schwachstellen und Ungerechtigkeiten und sagt, was sich dringend ändern muss, damit die Alltagshelden unserer Gesellschaft nicht länger alleine dastehen.



Christine Finke, Jahrgang 1966, bloggt seit 2011 unter dem Titel "“Mama arbeitet"“ über ihr Leben als Alleinerziehende mit drei Kindern. Die promovierte Anglistin, freie Journalistin und Kinderbuchtexterin lebt in Konstanz am Bodensee, wo sie sich im Stadtrat für Kinder und Familienfreundlichkeit einsetzt. Mit ihrem Blog erreicht sie täglich tausende Leser und ist deutschlandweit bekannt.

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Leseprobe

Kapitel 1


Dumm, dümmer, Reaktionen:
Nachbarn, Kollegen, Kita und Co.


Ich muss etwas beichten: Erst seitdem ich selbst alleinerziehend bin, fällt mir auf, dass ich früher nie einen Gedanken an Alleinerziehende verschwendet habe. Weder als junge, kinderlose Frau noch als verheiratete Frau und Mutter, was ich beides immerhin gut zehn Jahre lang war, hatte ich ein Bewusstsein dafür, dass manche Frauen alles rund ums Kind alleine rocken. Und genau das ist bezeichnend – Alleinerziehende sind irgendwie nicht sichtbar, sie werden ausgeblendet. Nicht wenige Menschen mit einem sehr konservativen Weltbild schauen gar auf Alleinerziehende herab – für sie sind wir ein Abfallprodukt der Emanzipation, die dafür sorgt, dass Frauen sich trauen, ohne Mann zu leben.

Seit sechs Jahren bin ich eine dieser Frauen, die ich früher nicht wahrnahm: Ich lebe mit meinen drei Kindern alleine, was mir völlig neue Erfahrungshorizonte eröffnet, um das mal positiv auszudrücken. Und so kommt es, dass ich hin und wieder wütend bin. Und mich auch ohnmächtig fühle angesichts der vielen Vorurteile, der dummen Sprüche und der schiefen Blicke, die meine bloße Existenz als alleinerziehende Frau provoziert.

Es ist nämlich so: Wenn du alleinerziehend bist, hast du etwas falsch gemacht. Entweder hast du den falschen Mann geheiratet, oder du hast dir in der Ehe nicht genügend Mühe gegeben und der Mann hat dich wegen einer Jüngeren verlassen. Oder du hast ihn verlassen, was an und für sich schon ein Skandal ist, denn das tut frau doch nicht, wenn gemeinsame Kinder da sind.

Der einzig akzeptable Grund dafür, eine alleinerziehende Frau zu sein, ist, durch einen tragischen Schicksalsschlag zur Witwe geworden zu sein. Leider – oder zum Glück – trifft das nur auf sechs Prozent der Alleinerziehenden in Deutschland zu. Ich bin eine von denen, die sich erdreistet haben, den Mann zu verlassen. Obendrein gehöre ich zu den gut zehn Prozent der alleinerziehenden Frauen mit mindestens drei Kindern.1 »Das ist ja noch schlimmer, erst hält die Frau es so lange mit dem falschen Mann aus, und dann setzt sie auch noch drei Kinder in die Welt! Hätte eins denn nicht gereicht?«, tuscheln die Leute hinter deinem Rücken oder sagen dir das auch direkt ins Gesicht.

Aber auch Frauen, die sich schon während der Schwangerschaft trennen, weil sie merken, dass mit dem Vater des Kindes kein Familienleben möglich ist, werden schief angeguckt: Sie hätten es doch wenigstens versuchen müssen, dem armen Mann werde das Kind vorenthalten, es sei egoistisch, ein Kind alleine großzuziehen. Wie Frau es macht, macht sie es verkehrt.

Dass es sich kaum jemand aussucht, alleinerziehend zu sein, und dass diese Familienform nicht nur ein enormes Arbeitspensum im Alltag, ein stark erhöhtes Armutsrisiko und gesellschaftliche Ausgrenzung bedeutet, daran denkt kaum jemand. Wir Alleinerziehenden können ein Lied davon singen. Von Vätern, die sich nicht kümmern, die es als Kavaliersdelikt betrachten, den Unterhalt entweder nicht oder nur teilweise zu zahlen, und von Kindern, die darunter leiden, dass eine zweite, zuverlässige Bezugsperson fehlt.

Ich bin kein Einzelfall, und es geht auch nicht nur um mich. Immer noch werden Alleinerziehende stigmatisiert. Was sich über Jahrhunderte eingebürgert hat, verschwindet nicht einfach innerhalb von ein bis zwei Generationen, erklärt der Mannheimer Soziologe Thomas Bahle: »Die Akzeptanz alleinerziehender Frauen ist inzwischen deutlich besser«, stellt er fest und erinnert daran, dass ledige Mütter als unsittlich und »gefallene Frauen« galten. Aber die Stigmatisierung finde weiterhin auf der beruflichen und finanziellen Ebene statt.2 Irgendwie gehört das aber alles zusammen. Denn hätten die Alleinerziehenden nicht so einen schlechten Ruf und kaum eine Lobby, dann stünden sie auch finanziell, rechtlich und politisch besser da.

Wir haben ein Imageproblem. Und dieses Buch ist der Versuch, zumindest ein paar andere Facetten aus dem Leben von Alleinerziehenden zu zeigen. Eigentlich ist es ein Buch, an dem Tausende Mütter mitgewirkt haben. Durch das, was sie mir an Kommentaren im Blog und auf der Facebook-Fanseite hinterließen, durch ihre bedrückenden Mails an mich und durch die Direktnachrichten auf Twitter und Facebook, die ich täglich bekomme und beantworte. Ich habe versprochen, dass ich ihnen eine Stimme gebe. Und ich will das tun, indem ich aus meinem Leben erzähle und dies mit dem Erleben vieler anderer Alleinerziehender in einen Kontext setze.

Die Trennung

Es war schon eine ganze Weile unerträglich gewesen. Wie lange eigentlich? Bestimmt ein halbes Jahr, aber auch in den Jahren zuvor hatte ich oft an Trennung gedacht. Nach elf Jahren Beziehung und neun Jahren Ehe konnte ich mir nicht mehr einreden, dass wir nur eine schlechte Phase hatten und sich alles zum Besseren wenden würde. Im Gegenteil, zu Hause fühlte ich mich zunehmend fremd, gehetzt, belauert.

Wenn sich der Schlüssel im Schloss drehte und der Mann von der Arbeit nach Hause kam, zuckte ich zusammen. Würde er wieder so schlechte Laune haben? Auch die Kinder gingen auf Zehenspitzen oder zogen sich in ihre Zimmer zurück, wenn der Vater anwesend war. Es war nicht auszuhalten. Nein, so wollte ich nicht weiterleben. Und so sollten auch die Kinder nicht groß werden. Ich war an dem Punkt angekommen, an dem ich keinen Sinn mehr darin sah, den Schein einer heilen Familie aufrechtzuerhalten.

Gekämpft hatte ich lange genug, viel zu lange eigentlich. Drei Kinder hatten wir gemeinsam bekommen, uns über jedes einzelne sehr gefreut und auch intensive, gute Zeiten miteinander erlebt. Die waren aber immer seltener geworden, so selten, dass ich den Mann, den ich mal geheiratet hatte, gar nicht mehr wiedererkannte.

Die drei erbsengroßen Knoten in meiner linken Brust, die sich nach einem schlimmen Ehestreit im März gebildet hatten, spürte ich zwar nicht mehr, aber ich hatte den Warnschuss meines Körpers verstanden. Tumoren, auch gutartige, tragen das Risiko in sich, zu Krebs zu mutieren. Das hatte mir der Facharzt gesagt, der mich auch gefragt hatte, ob ich gerade viel Stress hätte. Ja, das konnte man so sagen. Ich war Vollzeit berufstätig, hatte mit zweiundvierzig noch ein Kind bekommen und hatte nun ein Baby, einen dreijährigen Sohn, eine neunjährige Tochter und einen Ehemann, der völlig unberechenbar und gleichzeitig voller konkreter Vorstellungen war, was eine gute Ehefrau ausmache. Vorstellungen, die sich mit meinen nicht deckten. Eigentlich, sagte er mir damals, hätte er sich eine Frau gewünscht, die ihm abends, wenn er nach Hause komme, liebevoll den Mantel abnehme, ihn frage, wie sein Tag gewesen sei, und ihn danach ausgiebig verwöhne. »Dafür hast du die falsche Frau geheiratet«, war meine Antwort darauf, und er nickte.

Am Tag der Eheschließung auf dem Standesamt hatten wir uns versprochen, dass wir uns trennen würden, wenn die Beziehung nicht mehr gut sein sollte. Wenn es danach gegangen wäre, hätten wir uns schon Jahre zuvor trennen müssen. Unsere Ehe war gescheitert, aber sich das einzugestehen, ist eins der schwierigsten Dinge, die es gibt.

Woher soll man wissen, wann der richtige Zeitpunkt ist, sich von seinem Mann zu trennen? So einen Zeitpunkt gibt es nicht. Aber es gab den Moment, in dem ich ganz klar erkannte, dass ich gehen musste. Und der kam für mich im Dezember 2009, eine Woche vor Weihnachten.

Egal, von welcher Seite aus man sich der Trennung nähert, als verlassene Frau und Mutter oder als der sich trennende Partner, es fühlt sich immer erst mal an wie eine Niederlage. Man hat es nicht geschafft, allen guten Vorsätzen zum Trotz. Aus Liebe und Respekt sind im besten Fall Gleichgültigkeit und Desinteresse geworden, schlimmstenfalls Hass und der Wunsch, den anderen zu vernichten. Gemeinsam alt zu werden war der Plan. Am Ende bleibt nur noch das kurzfristige Ziel, heil aus der Sache rauszukommen. Und mittelfristig wieder in Ruhe und Frieden zu leben.

Weit über 100 000 Paare mit Kindern trennen sich jedes Jahr in Deutschland, die Zahl stagniert seit Jahren auf hohem Niveau. Nicht alle werden von der offiziellen Statistik erfasst, denn mittlerweile leben acht Prozent der Familien mit Kindern ohne Trauschein zusammen.3 Im Jahr 2013, als ich geschieden wurde, waren meine drei Kinder ebenso wie 136 061 andere minderjährige Kinder einst verheirateter Eltern auf einmal Scheidungskinder.4

Bei jeder zweiten Ehe, die vor dem Scheidungsrichter endet, sind Kinder betroffen – diese Zahlen sind ebenfalls seit Jahren stabil. Laut Destatis, dem Statistischen Bundesamt, leben in Deutschland 1,6 Millionen Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern (neueste Zahlen von 2013). Zum Vergleich: Ehepaare mit minderjährigen Kindern gab es 5,6 Millionen, und in festen Lebenspartnerschaften mit Kindern unter achtzehn Jahren lebten 0,8 Millionen Eltern.5 Jede vierte bis fünfte Familie in Deutschland ist eine Einelternfamilie, und es werden immer mehr.

Eigentlich also nichts Besonderes, so eine Trennung. Selbst mit Kindern nicht. Aber wenn sie einen selbst betrifft, sieht die Sache schon anders aus. Bei der Verkündung der »schlimmen Botschaft« fängt es schon an: Wie sage ich es meinen Kindern, meinen Nachbarn, den Kollegen, Bekannten, Verwandten? Und wie reagieren die Freunde der Kinder oder die Kita?

Aber zuerst einmal musste ich es meinem Mann sagen. Dass es mir diesmal ernst war, dass es kein Zurück mehr für mich gab. Ich nahm all meinen Mut zusammen, als wir abends alleine im Wohnzimmer saßen. Die Kinder waren in ihren Zimmern, unser Au-pair ebenfalls, es schien mir ein guter Augenblick zu sein, mit ihm in Ruhe zu...

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