1 Einführung
1.1 Besonderheiten der extrakraniellen hirnversorgenden Arterien
An den extrakraniellen hirnversorgenden Arterien manifestiert sich häufig eine klinisch relevante Pathologie.
Bei einer Reihenuntersuchung von 478 69-jährigen Männern in Malmö fand sich bei 20% eine moderate Stenose (30–59%) der A. carotis interna, bei 3% eine mehr als 60%ige Stenose und ein einseitiger Verschluss bei 1,5% ▶ [12].
Pathomorphologische Varianten Nicht nur Abgangsstenosen der A. carotis interna sind klinisch bedeutend. Unterschiedlich häufig sind auch andere Segmente der hirnversorgenden Arterien betroffen. In ▶ Abb. 1.1 sind chirurgisch angehbare extrakranielle Prädilektionsstellen skizziert.
Prädilektionsstellen.
Abb. 1.1 Chirurgisch relevante extrakranielle Lokalisationen pathomorphologischer Befunde. 1 = Truncus brachiocephalicus; 2 und 3 = A. subclavia; 4 und 5 = Abgangssegment der A. carotis communis; 6 und 7 = mittleres Segment der A. carotis communis; 8 und 9 = Abgangssegment der A. carotis interna; 10 und 11 = kraniales Segment der A. carotis interna; 12 und 13 = Abgangssegment der A. carotis externa; 14 und 15 = Abgangssegment der A. vertebralis (V0); 16 und 17 = V2-Segment der A. vertebralis.
Jedes der in ▶ Abb. 1.1 dargestellten 17 Segmente kann in den 3 Zuständen vorliegen:
offen ohne Stenose
stenosiert
verschlossen
Daraus ergeben sich über 129 Mio. mögliche Kombinationen (317 = 129240163) morphologischer Befunde.
Wahl der Operation Falls nur ein einziges Gefäß betroffen ist, fällt die Entscheidung nach Indikationsstellung nur bezüglich der am besten geeigneten Rekonstruktionsmethode. Falls mehrere Gefäße beteiligt sind, sind auch noch folgende Aspekte mit zu berücksichtigen:
Welcher Befund hat die größte Bedeutung für die Hämodynamik?
Welche Stenosen/Verschlüsse müssen überhaupt behoben werden?
Welche Befunde können simultan rekonstruiert werden?
Welche Befunde müssen zuerst behoben werden?
Welche Rekonstruktionsmethode ist die beste?
Komplikationen
Operationen der hirnversorgenden Arterien erfordern noch mehr als andere eine außerordentliche Sorgfalt. Während z.B. ein kleiner arterieller Embolus von nur 1 mm Durchmesser in den meisten anderen Körperregionen meist keine klinisch relevanten Folgen hat, kann er im Hirn zu schweren dauernden Funktionsausfällen führen, die unter Umständen das Überleben und die Lebensqualität des Patienten wesentlich beeinträchtigen. Dieser Tatsache sollte sich der Operateur stets bewusst sein.
Langzeitergebnisse Die Rekonstruktion der hirnversorgenden Arterien ist für den Chirurgen etwas Besonderes. Einerseits können schon kleine Unachtsamkeiten ernste Komplikationen verursachen, andererseits die Ergebnisse bei Kenntnis und Beachtung der Risiken sehr befriedigend sein, mit berichteten Raten schwerer perioperativer neurologischer Komplikationen von weniger als 1% ▶ [2] ▶ [16]. Die Häufigkeit von Restenosen nach Rekonstruktion der A. carotis interna wird in der Literatur mit 1–37% angegeben ▶ [18]. Mögliche Ursache von Restenosen können Bindegewebsproliferation, arteriosklerotische Plaques oder technische Fehler sein. Operationstechnische Fehler, die wir beobachtet haben, waren
ein zu großer Abgangswinkel der A. carotis interna,
eine stenosierende Nahttechnik,
eine belassene Reststenose (unzureichende Endarteriektomie),
ein zu großes Patch.
1.2 Diagnostik
Sollte es sich nicht um einen Zufallsbefund oder einen im Rahmen einer Screeninguntersuchung gewonnenen Befund handeln, führen meist neurologische Defizite und Sehstörungen (Apoplex, PRIND [prolongiertes reversibles ischämisches neurologisches Defizit], TIA [transitorisch ischämische Attacke], Amaurosis fugax) oder Einschränkungen der kognitiven Leistungen zur vaskulären Diagnostik. Auch pathologische Befunde bei der ophthalmologischen Fluoreszenzangiografie können Anlass für eine weiterführende Diagnostik sein. Schon die Auskultation der Halsgefäße im Rahmen einer gründlichen körperlichen Untersuchung kann den Verdacht auf eine Stenose nahelegen.
Vorsorglich sollte vor Operationen, bei denen größere Blutdruckschwankungen auftreten können, bei Patienten mit bekannter generalisierter Arteriosklerose eine präoperative Untersuchung der A. carotis erfolgen.
1.2.1 Sonografie
Die Doppler-Sonografie und Duplexsonografie erfassen Strömungsgeschwindigkeit, -richtung und -charakteristika und stellen zusätzlich die Gefäßmorphologie dar. Sie ermöglichen außerdem Aussagen über die Eigenschaften der Gefäßwand, des stenosierenden Materials und den Stenosegrad. Sonografische Methoden sind bei arteriosklerotischen Wandveränderungen der Gefäße eventuell nur eingeschränkt aussagekräftig. Unter Umständen gelingt nur eine Darstellung stromaufwärts oder stromabwärts der Plaque. Bei geeigneten transkraniellen Schallfenstern (temporal, nuchal und orbital) kann auch das intrakranielle karotidale und vertebrale Versorgungsgebiet untersucht werden.
Die relativ dünne Temporalschuppe bietet geeignete Voraussetzungen. Die Abschwächung der Schallenergie hängt von der Schichtdicke und dem Aufbau des Knochens ab. Untersuchungen an Knochenpräparaten zeigten, dass die Schallintensität durch das temporale Schallfensters erheblich gemindert wird. Diese Reduktion der Schallintensitiät beim Durchtritt durch den Knochen wird durch Reflexion bzw. Brechung an den Grenzflächen und Absorption bzw. Streuung im Knochen hervorgerufen. So können je nach Beschaffenheit des Knochens Intensitätsverluste zwischen 65% und 99% auftreten ▶ [3].
Mit einem unzureichenden temporalen Schallfenster ist bei zirka 10% aller Patienten und bei bis zu 50% der älteren Patienten (> 60 Jahre, überwiegend Frauen betroffen) zu rechnen ▶ [8] ▶ [11] ▶ [15] ▶ [24] ▶ [36]. In einer neueren Fallserie von 92 Patienten mit Eingriffen an der A. carotis fand sich in 34% kein suffizientes temporales Schallfenster ▶ [1]. Ein insuffizientes nuchales Schallfenster besteht in 4–10%. Der Anteil nimmt ebenfalls mit dem Patientenalter zu, jedoch weniger als beim temporalen Schallfenster ▶ [13]. Für die transorbitale Ultraschalluntersuchung ergeben sich in der Regel keine Einschränkungen durch das Fenster. Die transkranielle Sonografie dient zur Beurteilung des Flusses in den intrakraniellen Arterien und der Funktion der Kollateralkreisläufe.
Bei der transorbitalen Sonografie sollten Schallenergie und Schalldauer zum Schutz des Auges begrenzt werden
Die extra- und intrakraniellen Arterien sind in ▶ Abb. 1.2 und ▶ Abb. 1.3 dargestellt und bezeichnet. Sonografische Zugänge der extra- und intrakraniellen Gefäße und die geeigneten Schallsonden sind in ▶ Abb. 1.4 aufgeführt.
Hirnversorgende Arterien.
Abb. 1.2 Segmente der extra- und intrakraniellen hirnversorgenden Arterien.
A. carotis interna.
Abb. 1.3 Intrakranielle Segmente der A. carotis interna.