Katastrophe am Altar
Prinzessinnen wurden von Geburt an dazu erzogen, keusch, ja frigide zu sein, damit sie keine Lust auf Sex hatten und nur eheliche Nachkommen bekamen. Aber Tugend kann man lehren, Schönheit jedoch nicht. Gesandte, die einem ins Auge gefassten königlichen Gemahl ihre Brautware ungeprüft und ungesehen verkaufen mussten, priesen den Liebreiz einer Prinzessin in den höchsten Tönen und brachten als Beweis meist ein äußerst schmeichelndes Porträt mit.
Bei der Suche nach seiner vierten Ehefrau fiel Heinrich VIII. 1540 auf diesen Bildertrick herein. Er wollte seine Verbindung zu Frankreich festigen und bat Franz I. schriftlich um Vorschläge. Dieser zeigte sich sehr zuvorkommend und unterbreitete ihm Name und Porträts von fünf adligen Damen. Damit war Heinrich aber nicht zufrieden. »Mein Gott«, sagte er, als er die ausdruckslosen Gesichter auf der flachen Leinwand studierte, »ich vertraue nur meinem Geschmack allein. Bevor ich mich entscheide, will ich sie sehen und näher kennen lernen.«[13] Er wollte in Calais, das damals zu England gehörte, eine Art königlicher Misswahl abhalten und die Siegerin nach genauester Inspektion selbst ausdeuten.
Der französische Gesandte erwiderte bissig, dass Heinrich vielleicht mit jeder Kandidatin schlafen und danach die beste heiraten solle. Franz höhnte: »Es ist in Frankreich nicht üblich, unbescholtene junge Damen von edlem Geblüt und aus den vornehmsten Adelsfamilien in eine Situation zu bringen, in der sie wie zum Verkauf stehende Huren begutachtet werden.«[14]
Ernüchtert wandte sich Heinrich erneut dem Studium der Porträts zu und entschied sich schließlich aufgrund eines bezaubernden Bildnisses der Anne von Kleve zu einer protestantischen Verbindung. Doch als er Anne traf, war er entsetzt, wie wenig diese plumpe, pockennarbige Walküre der anmutigen, rosenwangigen Frau auf dem Porträt ähnelte. Der König war »zutiefst konsterniert, als man ihm seine zukünftige Königin zeigte«, und »ist in seinem ganzen Leben nicht so erschrocken wie beim Anblick dieser Dame, denn sie ähnelte dem, was man ihm gezeigt hatte, ganz und gar nicht«. Er brüllte: »Ich sehe in dieser Frau nichts, was man mir von ihr erzählte, und es erstaunt mich, dass kluge Männer Berichte von der Art abgeben, die ich erhalten habe.« Und weiter: »Wem soll ein Mann trauen? Ich versichere Euch, ich sehe in ihr nichts von dem, was man mir in Bildnissen und Erzählungen versprach. Ich bin beschämt, dass man sie mir auf die Weise pries. Ich mag sie nicht!«[15]
Doch sosehr er es versuchte, um die Heirat mit seiner »flandrischen Mähre«, wie er sie nannte, kam er nicht herum. Der Herzog von Kleve wäre verärgert, wenn er die Ware retournierte. Zwei Tage vor der Hochzeit grollte Heinrich: »Wäre sie nicht von so weit her in mein Reich gekommen, hätte mein Volk nicht so große Vorbereitungen für sie getroffen, gäbe es nicht die Angst, in der Welt Aufsehen zu erregen und ihren Bruder in die Arme von Kaiser Karl sowie des französischen Königs zu treiben, ich würde sie nicht heiraten. Jetzt ist alles zu weit vorangetrieben, was ich sehr bedauere.«[16]
Heinrich schritt mit weniger Haltung zu seiner Hochzeit als so manches seiner Opfer zur Hinrichtung. Auf dem Weg zur Kirche sagte er zu seinen Beratern: »Meine Herren, müsste ich nicht die Welt und mein Königreich zufrieden stellen, nichts auf der Welt brächte mich dazu zu tun, was ich heute tun muss.«[17]
Die Hochzeitsnacht war ein Fiasko. Als Lord Thomas Cromwell, der die Heirat arrangiert hatte, Heinrich am folgenden Morgen nervös fragte, wie ihm seine Braut gefallen habe, tobte dieser: »Nun, mein Lord, ich habe sie vorher nicht geliebt und liebe sie nun noch weit weniger! Nichts an ihr ist schön, und sie stinkt auch noch. Ich glaube nicht, dass sie Jungfrau ist, wegen der Schlaffheit ihrer Brust und ihres Fleisches, die mich, als ich sie berührte, so tief ins Herz traf, dass ich weder den Willen noch den Mut hatte, das Übrige zu prüfen. Mir steht nicht der Sinn nach Unangenehmem. Ich verließ sie ebenso jungfräulich, wie ich sie vorfand.« Den restlichen Tag erzählte er allen, die es hören wollten, ihr Körper sei »abstoßend, nicht erregbar und könne keinerlei Lust in ihm erregen«.[18]
Es passte zu der herrschenden Doppelmoral, dass niemand Anne fragte, wie Heinrich ihr gefiel. Ihr königlicher Bräutigam hatte einen Taillenumfang von etwa 145 Zentimetern und ein offenes Geschwür am Bein. Anne wurde schnell geschieden und war froh, mit dem Kopf auf den Schultern gehen zu können. Lord Cromwell hingegen bekam die ganze Wucht von Heinrichs Zorn zu spüren: in Form einer Axt, die seinen Nacken spaltete.
Aufgrund solcher Debakel wusste bald jeder, dass Bildnisse lügen konnten. 1680 entschied sich Ludwig XIV. für die bayerische Prinzessin Maria Anna Christine als Braut für seinen Sohn und Thronerben. Das entzückende Porträt der Braut, das bei Hofe ausgestellt wurde, spielte indes im Gegensatz zum kompliziert ausgehandelten Heiratsabkommen keinerlei Rolle. Madame de Sévigné berichtet, als die Braut ankam, sei »der König so neugierig gewesen, zu erfahren, wie sie aussieht, dass er Sanguin [seinen maître d’hôtel] hinschickte, denn er hielt ihn für einen aufrechten Mann und keinen Schmeichler. ›Sire‹ sagte ihm dieser, ›sobald Ihr den ersten Eindruck überwunden habt, werdet Ihr entzückt sein.‹«[19] Dem unglücklichen Paar gelang es, drei Kinder in die Welt zu setzen, bevor die vernachlässigte Ehefrau starb.
Kronprinz Joseph von Österreich (1741–1790) hatte 1765 mit seiner bayrischen Prinzessin noch weniger Glück. Er fand seine Braut Prinzessin Josepha dermaßen abstoßend, dass er unfähig war, die Ehe zu vollziehen. »Sie ist klein«, berichtet er erbittert, »dick und ohne die geringste Anmut. Ihr Gesicht ist von Pusteln und Pickeln übersät. Ihre Zähne sind furchtbar.«[20]
»Man wünscht, dass ich Kinder bekomme«, klagte er in einem anderen Brief. »Wie soll das gehen? Könnte ich die Spitze eines Fingers auf einen winzigen Punkt ihres Körpers legen, der nicht von Pusteln übersät ist, ich würde versuchen, ein Kind zu zeugen.«[21]
Nicht alle Monarchen waren willens, sich mit Rücksicht auf die Belange ihrer Nation auf dem Altar des intakten Hymens opfern zu lassen. In den 1670er Jahren wurde der künftige König James II. von England Witwer, und da er keinen Sohn hatte, suchte er in Europa nach einer attraktiven jungen Ehefrau. Ludwig XIV., der gern eine Französin auf dem englischen Thron gesehen hätte, hatte offenkundig Probleme, am Hof von Versailles eine Kandidatin zu finden, die nicht nur tugendhaft, sondern auch schön war. Da er aber meinte, dass das Aussehen einer Ehefrau nicht besonders wichtig sei, schlug er Madame de Guise vor, eine französische Witwe, die adlig, aber ausgesprochen hässlich war. Der französische Minister Louvois meldete hoffnungsfroh nach England: »Wenn der Herzog von York eine Frau wünscht, die ihm Nachkommen schenkt, kann er keine bessere Wahl treffen als Madame de Guise. Sie war in nur zwei Jahren dreimal schwanger, und mir scheint, dass ihre Herkunft, ihr Vermögen und ihre offenkundige Fruchtbarkeit ihren Mangel an Schönheit wettmachen.«[22]
James lehnte das Angebot ab, und der enttäuschte französische Gesandte schrieb spöttisch an seinen König, der Herzog von York wolle unbedingt eine schöne Gemahlin. Madame de Guise und ihre Fruchtbarkeit wurden fallen gelassen. James heiratete die schönste Prinzessin Europas, die 15-jährige Maria Beatrice von Modena, eine hoch gewachsene, hinreißende Schwarzhaarige mit guter Figur, in die er sich Hals über Kopf verliebte.
Der künftige George IV. von Großbritannien (1762–1830) hatte es viele Jahre lang verstanden, die Ehe zu meiden, aber schließlich konnten sein Vater und das Parlament den Hochverschuldeten zur Heirat mit Karoline von Braunschweig drängen. Der Dandy George, der Stunden mit dem Binden seiner Krawatte zubringen konnte, war nicht im Geringsten auf eine Braut vorbereitet, die zwar ein freundliches Wesen, aber keinerlei Umgangsformen hatte und die sich außerdem weder für Kleidung noch für Körperhygiene interessierte.
Als man den Prinzen mit seiner gerade angekommenen Braut bekannt machte, war er von ihrem Aussehen dermaßen entsetzt, dass er sich die Stirn wischte, »mir ist unwohl« flüsterte und um einen Brandy bat, um eine drohende Ohnmacht abzuwenden.[23] Auch die Braut war mit ihrem Bräutigam nicht zufrieden. Nachdem George taumelnd den Raum verlassen hatte, sagte Karoline zu ihrer Hofdame: »Ist der Prinz immer so? Ich finde ihn sehr dick und nicht halb so schön wie auf dem Porträt.«[24]
George schaffte es in den ersten beiden Nächten seiner Ehe, sich seiner Gattin dreimal mit Erfolg zuzuwenden. Er schrieb an einen Freund, dass sie »auf der vorderen wie der rückwärtigen Körperseite so vor Schmutz starrt …, dass sich mir der Magen umdrehte und ich in diesem Moment schwor, sie nie mehr zu berühren«.[25] Es war sein Glück, dass er sie bereits bei diesen halbherzigen Versuchen geschwängert hatte. Mit der Geburt eines Erben waren seine ehelichen Pflichten für ihn erledigt, und er berührte sie tatsächlich...