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Hathor und Re I

Mythen und Magie im Alten Ägypten

AutorHarry Eilenstein
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl432 Seiten
ISBN9783738679236
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Das alte Ägypten ist auch noch heute eine faszinierende Kultur - die Pyramiden, die Hieroglyphen, die Pharaonen, die blühende Niloase inmitten der Sahara ... Fast tausend Jahre lang war Ägypten das einzige Königreich auf der Erde, während es ringsum nur einige kleine Stadtstaaten gab. Aber das Alte Ägypten ist nicht nur von historischem Interesse, die ägyptische Religion beschreibt Erlebnisse, die auch noch heute jeder Mensch haben kann wie z.B. die Astralreise, bei der man mit seiner Seele seinen materiellen Körper verläßt und ihn unter sich liegen sieht. Dieses Schweben wurde im Alten Ägypten durch viele Bilder dargestellt - z.B. durch den Horusfalken, der über der Mumie schwebt. Eine solche Astralreise durch den Priester ist auch das Kernstück des ägyptischen Bestattungsrituals, bei dem der Priester die Seele des Verstorbenen zurück in seine Mumie oder Statue holt, damit sie weiterhin ihren Nachkommen mit Rat und Hilfe beisteht. Die ägyptische Religion zeigt auch, wie ein Volk kollektiv in der Geborgenheit der Muttergöttin Hathor ruhen bleibt und trotzdem die Eigenständigkeit erlangt, die der Sonnen- und Königsgott Re darstellt - sowohl ein Vorbild für die Loslösung jedes einzelnen Kindes von den Eltern ohne dabei den Halt in der Familie zu verlieren als auch eine Anregung dafür, wie wir unsere heutige Kultur heilen können, die an der Einsamkeit und dem Mangel an Geborgenheit der Menschen leidet ... Osiris, die Gottheit, mit der sich jeder Ägypter und jede Ägypterin nach ihrem Tod identifizierte, ist das Ideal der Ägypter auch während ihres Leben: auf die Muttergöttin vertrauen, in der eigenen Mitte ruhen und die "Gottheit im eigenen Herzen" kennen, in Besonnenheit und Stärke und in Harmonie leben - und ohne Furcht vor dem Tod.

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Leseprobe

I A Der Ursprung


I A 1. Nun


Nach der Vorstellung der Ägypter gab es zu der Zeit, als diese Welt noch nicht entstanden war, nur ein unendliches, leeres, finsteres Wasser: das Urmeer Nun. Meist wird es einfach als das Urelement Wasser, manchmal aber auch personifiziert als der Gott Nun dargestellt. Er hat eine rein menschliche Gestalt und trägt manchmal zwei hohe Federn als Krone. Meistens trägt er jedoch gar kein Kennzeichen. Sein Name leitet sich von der Verdoppelung des Wortes "nu", das "Wasser" bedeutet, ab; "nunu" wurde dann zu "Nun" verkürzt - die Verdoppelung ist in vielen alten Sprachen eine häufige Form der Betonung, der Substantivierung von Verben und Adjektiven und generell des Erhebens der Wortbedeutung auf eine höhere Ebene.

Dieses Urwasser, das die Ägypter ursprünglich wohl weder als weiblich noch als männlich aufgefaßt haben, wurde von ihnen in vier Aspekte gegliedert und in der Gestalt von vier Götterpaaren dargestellt: die Achtheit des Anfangs. Im Laufe der Entwicklung sind zwei dieser Gottheiten, Nun und Amun, zu Stellvertretern der gesamten Achtheit geworden.

Die vier Götter dieser Achtheit haben die Gestalt von Fröschen und die vier Göttinnen in der Regel die Gestalt von Schlangen, da man glaubte, daß diese Tierarten ohne Zeugung aus dem Schlamm geboren würden. Manchmal werden auch die vier Urgötter als ein Stier und die vier Urgöttinnen als eine Kuh aufgefaßt, wobei dann diese "Urkuh" mit den Göttinnen Hathor und Nut so gut wie identisch ist. Diese Darstellungsweise erklärt sich daraus, daß das Rind für die Ägypter das Sinnbild der Fruchtbarkeit und der Zeugungskraft war, durch die die Welt erschaffen wurde.

In diesem Urwasser, das sowohl räumlich als auch zeitlich keinen Anfang und kein Ende hat, war die Welt vor ihrer Schöpfung als Möglichkeit verborgen. Nachdem sie Realität wurde, erhob sich die Erde aus dem Nun und wurde von ihm umgeben. Auch der Himmel war ein Teil des Urmeeres, aus dem auch der Nil, das Grundwasser, der Regen und der Nebel stammen.

Der Ursprung dieser Vorstellung ist zumindest dreifach:

1. Die älteste Wurzel ist die Erinnerung an die Zeit im Fruchtwasser im Bauch der eigenen Mutter, die man durch Meditationen und ähnliche Methoden wieder erlangen kann, sowie das Erlebnis, daß alle Wesen aus dem Wasser kommen: die Säugetiere aus dem Fruchtwasser, die Reptilien und die Vögel aus dem Ei, und die Amphibien und die Fische aus den Flüssen und dem Meer.

2. Die zweitälteste Wurzel ist die weltweit verbreitete Vorstellung, daß die Unterwelt im „Tiefen Wasser“ liegt, in der dann die Ahnen und die Götter leben. Diese Vorstellung ist dann später auf den Himmel übertragen worden, wodurch der Himmel zum Himmelsmeer wurde.

3. Die drittälteste Wurzel dieses Bildes stammt aus dem Beginn des Ackerbaus und beruht auf dem jedes Jahr wiederkehrenden Erlebnis des Auftauchens des fruchtbaren Ackerlandes aus der Nilflut.

Da die Muttergöttin, die alle Lebewesen gebiert, eben eine Göttin ist, die Wasser des Jenseits auch als Göttin aufgefaßt wurden und auch die Nilflut eher von Göttinnen als von Göttern verursacht wurde, kann man das Urmeer als ein Bild der Göttin auffassen, auch wenn der Gott Nun männlich ist. Die Göttin (Nut, Hathor) als das Große Wasser ist das deutlich ältere Bild.

Die folgende Hymne an Nun ist kein ägyptisches Original, besteht aber ausschließlich aus ägyptischen Redewendungen und Vorstellungen. Der Stil ist allerdings nicht ganz so zeitlos und ruhig wie die meisten ägyptischen Texte.

Es gibt zwar Namen, Umschreibungen und Bilder für Nun, aber da er wie die meisten kosmischen Götter keinen Kult besessen hat, sind auch keine Hymnen an ihn verfaßt worden. Auch bei den anderen ägyptischen Göttern gibt es mit Ausnahme der Sonnengottheiten nur selten Anrufungen oder beschreibende Texte in der Art wie z.B. die orphischen Hymnen an die griechischen Götter.

Da aber bei einer Meditation über eine Gottheit oder ein Symbol eine kurze vorhergehende Anrufung nach meiner Erfahrung sehr hilfreich ist und auch die Konzentration während der Meditation erhöht, habe ich eigene Hymnen mit möglichst rein ägyptischem Inhalt und, soweit es mir möglich war, auch ägyptischem Stil beigefügt. Noch sinnvoller ist es natürlich, wenn der oder die Meditierende selbst eine kurze Anrufung schreibt oder improvisiert und sie im Laufe der Zeit durch eigene Erfahrungen mit der Gottheit oder dem Symbol ergänzt.

Die folgende Hymne ist also weder als die einzig richtige Anrufung noch als ein Kunstwerk, sondern in erster Linie als Meditationshilfe gedacht. Sie ist gewissermaßen "Gebrauchslyrik".

Nun, Du bist der Älteste der Götter

Du warst vor der Erschaffung der Welt

Die Götter kennen Dich als das Urwasser in Deinem Namen Nun

Die Götter preisen dich als die Unendlichkeit in Deinem Namen Hu

Die Götter ehren Dich als die Finsternis in Deinem Namen Kuh

Die Götter sehen Dich als Leere in Deinem Namen Gereh

In Deiner Dunkelheit lag der Urhügel

bevor der erste Tag anbrach

In Deiner Stille war Nefertem verborgen

bevor der Lotus erblühte

In Deinen Wassern ruhen die Seelen

bevor die Sonne sie von ihrem Schlaf erweckt

Gib' uns Nahrung als Hapi, der Nil

Gib' dem Korn Trank als Wasser in der Erde

Gib' den Pflanzen Leben als Überschwemmung

Erster des Anfangs

Selbsterschaffener

Endloses Wasser

I A 2. Geb und Nut


Die zweite Vorstellung, die den Gegenpol zu dem "Schlaf des Nun" bildet, ist die Auffassung des Zustandes vor der Schöpfung als die ekstatische geschlechtliche Vereinigung des Erdgottes Geb mit der Himmelsgöttin Nut, die zu dieser Zeit noch nicht durch den Luftgott Schu getrennt worden waren.

Beide sind wie Nun kosmische Götter, aber sie haben viel weitgehender auf die religiösen Vorstellungen der Ägypter eingewirkt, da sie als Erde und Himmel wesentlich faßbarer als das Urwasser des Nun waren.

I A 3. Geb


Der Name dieses Gottes bedeutet "Erde" und er ist im Kern seines Wesens auch der Erdboden. Er ist allerdings kein Fruchtbarkeitsgott wie z.B. Osiris oder Min; ihm gehören die Erde, ihre Erze, ihre Edelsteine, der Ackerboden, das Korn, das Wasser, der Weihrauch, die Salben und anderes mehr, was auf die eine oder andere Weise mit der Erde zusammenhängt.

Seine Stellung innerhalb der Kosmologie hat sich im Laufe der Zeit durch kultpolitische Einwirkungen gewandelt. Ursprünglich galten Geb und Nut als Eltern der Sonne, wurden aber später zu deren Enkeln. Trotzdem hat sich die Vorstellung der Geburt der Sonne durch Nut zu allen Zeiten erhalten können, was sicher in dem Erlebnis des Sonnenaufgangs und dessen Gleichsetzung mit der Wiedergeburt der Seelen im Jenseits begründet ist. In On, was "Himmelspfeilerstadt" (Kairo) bedeutet und das die Griechen Heliopolis ("Sonnenstadt") nannten, einem der religiösen Zentren Ägyptens, gab es ab dem Mittleren Reich folgende Götterhierarchie, die sich auch auf die Kulte fast aller anderen Städte ausgewirkt hat:

Aus dem Urmeer entstand Atum, der sich in die Achtheit differenzierte bzw. diese erschuf. Die Kinder Atums sind Schu und Tefnut, die miteinander Geb und Nut zeugten, die wiederum die Eltern zum einen der Sonne und zum andren von Isis, Osiris, Nephthys, Seth und Horus sind. Das Kind von Isis und Osiris ist Horus; das Kind von Nephthys und Osiris ist Anubis, während Thot dem Scheitel des Seth entsprang, nachdem dieser unwissentlich den Samen des Horus verschluckt hatte. Der Pharao ist der Nachkomme des Horus – seine Ahnenreihe ist also: Atum – Schu – Geb – Osiris – Horus – Pharao.

Geb wurde als Vater des Totengottes Osiris und durch die Verbindung seines Elementes, der Erde, mit dem Grab auch zu einem Gott, der die Toten beschützt und sie im Jenseits richtet. Durch seinen Sohn Osiris hat der "Göttervater" Geb in der Spätzeit auch Züge eines Fruchtbarkeitsgottes erhalten. Er nahm zum Teil andere Erdgötter wie Aker, Tatenen und Pega, den man auch die ausgebreiteten Arme des Geb nannte, in sich auf.

Als Krone trägt Geb entweder die ober- und unterägyptische Krone (Göttervater) oder die Hieroglyphe für die Silbe Geb, eine Gans (Personifizierung des Erdelementes).

Geb besaß als Heiligtum in On eine offene Fläche, auf der ihm zu Ehren jedes Jahr wie auch auf den Feldern der Bauern die Zeremonie des Erdhackens stattfand, die auch bei jeder Tempelgründung, jedem Kanalbau und anderen Erdarbeiten durchgeführt wurde. Sie sollte dazu dienen,...

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