ZWEITES KAPITEL
Wie Hitler »das Pferd einfing«
Im März 1938 versklavte uns Hitler.
Bereits in den ersten Tagen kamen fünfzehn bewaffnete SA-Männer mit Gendarm Hribernigg an der Spitze angerückt. Sie nahmen eine Hausdurchsuchung vor und fanden einige Gramm Dynamit, das von den Sprengarbeiten für den Hausbau übrig geblieben war. Außerdem entdeckten sie eine Pistole aus dem Ersten Weltkrieg, die Vater als Erinnerung aufbewahrt hatte. Auf dem Dachboden fanden sie unter alten Büchern ein Mitgliederverzeichnis des Slowenischen politischen und wirtschaftlichen Vereins aus dem Jahre 1919. Das kam ihnen sehr verdächtig vor. Umsonst suchten wir sie zu überzeugen, dass dies alte, erlaubte Sachen seien, die wir nicht zu verstecken brauchten. Der Vater wanderte für zwanzig Tage ins Gefängnis.
Sie sperrten damals auch den Pfarrer von Ebriach, Ignac Županc, und andere angesehene Slowenen ein. Nach einiger Zeit ließ man sie mangels an Beweisen frei.
Vater war damals Geschäftsführer der landwirtschaftlichen Genossenschaft für Vellach und Eisenkappel. Unseren Besitz bewirtschaftete ich zum Großteil allein. Die politische Organisation bestand praktisch nicht mehr. Kordež wurde nach Wien versetzt, wo er als Vertreter einer Handelsfirma arbeitete, ich selbst konnte der Organisation nur wenig Zeit widmen. In unserer Gegend gab es niemanden, der sich ihrer angenommen hätte. Die Verbindungen zu alten Mitarbeitern lockerten sich. Seit wir, als Kommunisten gezeichnet, aus dem Gefängnis zurückgekehrt waren, gab es nicht einmal im Fortbildungsverein einen Platz für uns. Sogar meinen fünfzehnköpfigen Chor übernahm nun der Kaplan. Der Chor zerfiel jedoch bald, denn der Kaplan drängte den Burschen lauter Kirchenlieder auf, sogar solche in Latein.
Sie nahmen mir auch die letzte Freude, die Jagdbewilligung und den Waffenschein. Doch traf ich mich mit den Burschen aus Lobnig, die ihre Jagdbewilligung behalten hatten, noch wiederholt in den Wäldern. Am Lagerfeuer auf der Ojstra diskutierten wir über Politik. Wir alle sahen den Krieg voraus.
Als jedoch Hitler mit der Sowjetunion den Nichtangriffspakt und den Vertrag über gegenseitige Wirtschaftshilfe unterzeichnete, waren wir erstaunt. Wir fanden uns nicht mehr zurecht. Verblüfft hörten wir, wie die Nazis den Kommunisten erzählten, der Nationalsozialismus werde all das bringen, was sich auch die Kommunisten wünschten. Sie prahlten: Die Sowjetunion und wir sind eins.
Unsere Reihen lichteten sich. Ovsenik Lipej, mit dem ich gemeinsam auf die Jagd gegangen war, Holz geführt und kommunistische Treffen durchgeführt hatte, war plötzlich ein eifriger Anhänger der NSDAP. Begeistert erzählte er mir, wie sie dem Grafen das gesamte Waffenmaterial abgenommen hatten.
»Das ist erst der Anfang«, behauptete Lipej, »bald werden wir auch alle seine Ländereien enteignen.«
Ich konnte ihn nicht überzeugen, dass alles nur Schwindel war. Das sah sogar Homan Lojz ein, der schon so lange Sozialist war, dass er nicht einmal mehr dem Veteranenverein beitreten wollte. Er besuchte mich, und als wir bei einem Krügel Most plauderten, meinte er:
»Hitler gleicht jenem Menschen, der auf die Alm geht, um ein Pferd zu fangen. Als Lockmittel benützt er einen Sack Hafer. Nachdem er ihm aber das Zaumzeug angelegt hat, gibt er ihm die Peitsche zu kosten. Merk dir, auch uns wird es so gehen.«
Ovsenik Lipej erkannte dies erst nach drei Frontjahren und ging dann zu den Partisanen. Lipej war nicht der Einzige; der Nichtangriffspakt verwirrte auch standfestere Genossen. Sogar unser alter Eisenkappler Kämpfer Kordež Folti fand sich nicht zurecht. Wir waren alle ohne klaren Blick für die Zukunft und irrten wie verlorene Schafe in Hitlers »Paradies« umher, bis uns schließlich die jugoslawischen Kommunisten zu Hilfe kamen.
Der Krieg begann. Auch meine jüngeren Freunde bekamen Einberufungsbefehle, die Musterungen häuften sich. Ich selber wurde dreimal zur Musterung gerufen. Alle bekamen den Wehrpass, nur ich nicht. Hitlers Offiziere sagten nämlich, es sei eine große Ehre, in der Deutschen Wehrmacht zu dienen. Ich war dieser »Ehre« unwürdig, da ich wegen eines Verbrechens vorbestraft war. Später stellte ich jedoch fest, dass dies nicht der wahre Grund war. Šlef und Kordež, die dasselbe »Verbrechen« begangen hatten, hatten nämlich das Wehrmachtsbüchlein bekommen.
Mein »Verbrechen« war demnach nicht kommunistischer, sondern nationaler Natur. Im selben Jahr hatte eine Volkszählung stattgefunden, deren Durchführung in den Händen nazistischer Lehrer lag. Auf den Fragebögen schienen unter anderen auch die Rubriken »Muttersprache« und »Volkszugehörigkeit« auf. Viele Slowenen gaben damals dem Druck nach und schrieben, dass sie dem deutschen Volkstum angehörten.
Zu uns kam der Lehrer Kabass, ein verbissener Eisenkappler Nazi. Des Langen und Breiten versuchte er mich zu überzeugen, dass ich dem deutschen Volkstum angehöre, obwohl meine Muttersprache Slowenisch ist. Ich fragte ihn, ob er mir auch nur einen einzigen Fall anführen könne, in dem ein Deutscher schrieb, er spreche zwar deutsch, sei aber, angenommen, slowenischer Volkszugehörigkeit. Angesichts solcher Verwegenheit gab der Lehrer Kabass nach und schrieb in den Fragebogen, was ich gefordert hatte: slowenische Muttersprache, slowenische Volkszugehörigkeit.
Das war der Grund, warum sie mir nicht nur keinen Wehrpass ausfolgten, sondern mich auch bald auf die Gestapo schleppten. Dort bekam ich den Ausschließungsschein, der dann die ganze Zeit mein einziger Ausweis war. Ich war so zu einem Ausgestoßenen erklärt.
Die Grünen Kader
Zu dieser Zeit tauchten in Kärnten die ersten Widerständler auf …
Hitler verkündete die Generalmobilmachung. Musterungen gab es am laufenden Band. Die Einberufungsbefehle zur Wehrmacht und zum Arbeitsdienst mehrten sich. Zahlreiche Kärntner Slowenen aber widersetzten sich Hitlers Befehlen und flüchteten in die Wälder. Einige verschwanden, noch ehe sie ihren Einberufungsbefehl in der Hand hatten, andere flohen aus Hitlers Armee. Die Keimzelle des Widerstands bildete sich heraus. Das war in den Jahren 1939 und 1940.
Der Weg der ersten Widerständler ist sehr aufschlussreich. In den Kärntner Wäldern errichteten sie sich Verstecke, kamen als Grüne Kader in die Täler und schürten dort den Widerstandsgeist. Vorwiegend hielten sie sich in den Wäldern und Felswänden von Ebriach, auf der Koschuta und in der Umgebung von Zell Pfarre auf.
Viele Grüne Kader zogen sich vorerst nach Jugoslawien zurück; darunter auch eine Gruppe von Burschen aus Zell und verschiedenen Dörfern der Bleiburger Gegend, aus Ebriach, Lobnig, Kühnsdorf und der Gemeinde Eberndorf.
So desertierte Jožef Šorli, ein Forstarbeiter aus Lobnig, bereits am 19. November 1939 aus der Deutschen Wehrmacht und flüchtete nach Jugoslawien. Dort schickte man ihn in ein Bergwerk in Serbien. Nach der Besetzung Jugoslawiens kehrte Šorli nach Koprein-Petzen zurück und hielt sich bei Zdovc und Jekel auf. Dann errichtete er mit einigen Bewohnern aus Solčava einen versteckten Bunker im Golob-Wald, bekam Verbindung mit der ersten Kärntner Partisaneneinheit auf der Petzen, wurde ihr Gebietsarbeiter und später ihr Kurier.
Ähnlich war der Weg des Forstarbeiters Ivan Županc-Johan aus Ebriach. 1939 aus der Deutschen Wehrmacht desertiert, flüchtete er nach Ljubljana, wo er mit anderen Flüchtlingen aus Kärnten lebte. Mit ihnen gründete er noch im selben Jahr einen Chor, das »Sextett Javornik«, das oft mit Kärntner Volksliedern in Radio Ljubljana auftrat.
Županc erzählte später, als er bereits Kärntner Partisan war, gerne von seinem Aufenthalt in Ljubljana. Die Mehrzahl der Geflüchteten suchte dort Hilfe beim Bischof Rožman, der selber Kärntner Slowene war. Dieser schickte einige nach Dalmatien, andere nach Serbien.
»Wenn wir nicht unser eigenes Hirn gehabt hätten«, erzählte Johan und klopfte sich an den Kopf, »und wenn wir uns nicht nach dem Norden abgesetzt hätten, wären wir bestimmt bei irgendwelchen Landwehrleuten oder Weißgardisten gelandet. Ehrlich, die rechte Hand des Bischofs meinte sogar, wir Slowenen könnten froh sein, dass wir in Österreich leben.«
Am liebsten erzählte Johan, wie glücklich er war, als er in Ljubljana mit kommunistischen Arbeitern zusammentraf.
»Sie entrissen mich und manchen anderen Kärntner Slowenen dem bischöflichen Himmel. Ihnen verdanke ich, dass ich ein freier Kärntner Partisan bin.« Županc zog sich nach dem Überfall Hitlers auf Jugoslawien mit einigen anderen Kärntner Slowenen aus Ljubljana zuerst auf die Šmarna gora und von dort in die Karawanken zurück. Bereits im Juni 1941 ging er zu den Partisanen. Die erste Zeit verbrachte er in Dolenjska, später war er...