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E-Book

Philosophie und Psychotherapie als Lösung für innerfamiliäre Traumata

AutorRonald Kern
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl104 Seiten
ISBN9783741233364
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
Dieses Buch versammelt drei wissenschaftliche Essays, die eine Verbindung zwischen philosophischen, psychologischen und traumatheoretischen Forschungsansätzen herstellen, um spezielle Fragestellungen zu untersuchen. Der Essay 'Impulse in Richtung Kinderphilosophie' zeigt auf, wie das Denken von Kindern in frühen Jahren geprägt wird, und stellt ausgewählte Methoden vor, die zur Förderung der Denkentwicklung beitragen können. Der zweite Essay widmet sich dem Thema 'Vaterentbehrung' und beleuchtet die Auswirkungen einer (psychischen oder physischen) Abwesenheit des Vaters auf die kindliche Entwicklung. Darüber hinaus bietet er Anregungen für die therapeutische Arbeit mit betroffenen Kindern und Familien. Der dritte Essay beschäftigt sich mit den psychischen Folgen der Kulturrevolution in China auf individueller und kollektiver Ebene. Das Schaffen ausgewählter chinesischer Philosophen und Literaten, die in ihrem Werk die Kulturrevolution thematisieren, wird insbesondere unter dem Blickwinkel der Traumaforschung betrachtet.

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Leseprobe

2 Vaterentbehrung


[Überarbeitete Fassung einer Seminararbeit, die im Rahmen des UK »Interkulturelle Elternbegleitung« (15.09.2008, Leitung: Annette Sprung) entstanden ist.]

2.1 Einleitung


Was die Bedeutung eines Menschen ausmacht, erkennt man leider oft erst, wenn der Kontakt zu ihm abgebrochen ist. Schwerwiegende Konsequenzen kann dies insbesondere für Kinder haben, die von einem Elternteil getrennt sind. Physische oder psychische Abwesenheit von kürzerer oder längerer Dauer, aber auch mangelnde Rollenerfüllung können Ursachen dafür sein, dass Kinder ihren Vater entbehren müssen.24 Vaterlosigkeit (im Sinne eines Aufwachsens ohne Vater) kann für ein Kind eine große seelische Belastung darstellen.

Der Begriff »Vaterentbehrung« wurde von Horst Petri in die Fachliteratur eingeführt25 und ist treffender als die Bezeichnung »Vaterlosigkeit«, weil jeder Mensch einen (biologischen) Vater hat.

Gründe für einen mangelnden Kontakt zwischen Vater und Kind können sein: Tod des Vaters durch Erkrankung, Suizid, Unfall, kriegerische Ereignisse, die temporäre oder dauernde Trennung der Eltern durch Scheidung, eine Haftstrafe oder einen beruflichen Auslandsaufenthalt des Vaters. Ebenso spielen psychische Konflikte eine Rolle, etwa bei einer ungenügenden väterlichen Rollenerfüllung aufgrund einer psychischen Erkrankung, einer bestehenden Drogenabhängigkeit oder einer Misshandlungsbereitschaft seitens des Vaters.26

Für viele Menschen ist das väterliche Rollenbild unklar. Allerdings ist nicht zu bestreiten, dass mit der Zeugung eines Kindes auch eineVerpflichtung verbunden ist. Die Auswirkungen der Vaterentbehrung auf ein Kind können schwer abgegrenzt und sichtbar gemacht werden. Den eigenen Vater entbehren zu müssen, stellt viele Kinder vor unlösbare Probleme. Durch Einsamkeit, Liebesentzug und ein Fehlen von Vorbildern werden viele Jugendliche an den Rand der Gesellschaft gedrängt und in der Entwicklung ihrer Persönlichkeit beeinträchtigt. Vaterentbehrung führt jedoch nicht zwangsläufig zu einer psychischen Erkrankung oder gar zu einer kriminellen Biografie.

Im Folgenden werde ich das Problem der Vaterentbehrung besonders unter dem Aspekt Psychotherapie und seelische Erkrankungen beleuchten. Darüber hinaus werde ich (internationale) Forschungsergebnisse vorstellen, die mir im Hinblick auf die Vaterentbehrungsthematik erwähnenswert erscheinen. Eine wichtige Quelle für diesen Essay stellte die 2003 erschienene Literaturstudie von Rotraut Erhard und Herbert Janig zum Thema »Vaterentbehrung« dar, auf die ich an zahlreichen Stellen Bezug nehmen werde.

2.2 Psychische Abwesenheit des Vaters in bäuerlichen Familien


In bäuerlichen Familien sind die Väter ständig physisch anwesend, haben jedoch kaum Zeit, sich mit ihren Kindern zu beschäftigen. Kosche27 untersuchte in den 1970er Jahren das Verhältnis von Vätern und Söhnen in bäuerlichen Familien. Seiner Studie zufolge zeigt sich, dass die psychische Abwesenheit von Vätern, die sich nur um ihren Betrieb kümmern, negative Auswirkungen auf die Selbstverwirklichungsbestrebungen ihrer Söhne hat. Nach Kosche zeigen die Söhne eine Ich-Schwäche und eine fehlende Leitbildorientierung, was eine reduzierte Persönlichkeitsentwicklung bedeutet.

Meiner Meinung nach könnte man dieses Ergebnis auch grobflächig auf ärmere Schichten in unserer Gesellschaft sowie auf Familien in den Entwicklungsländern beziehen. Arme Menschen und Menschen in den südlichen Entwicklungsländern müssen täglich harte körperliche Arbeit verrichten und sind weit entfernt von einem Arbeitsleben, wie wir es in unserer modernen Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft kennen. Diese Menschen haben oft schlichtweg keine Ressourcen, eine »psychische Familienarbeit« zu leisten.

Viele Väter wiederholen das Verhalten, welches ihre Elterngeneration ihnen vorlebte, und haben nicht mehr psychische Ressourcen zur Verfügung als ihre eigenen Väter. Dies kann dazu führen, dass eine traumatische Situation in der Familie entsteht, die irgendwann eskaliert, weil niemand mehr »kann«.

Ich persönlich finde das ländliche Leben völlig in Ordnung, solange niemandem die Verwirklichung der eigenen Wünsche und Träume verwehrt wird. Sollte dies der Fall sein, müssten die betroffenen Kinder eigene Schritte in die Emanzipation tun und sich unter Umständen von ihrer Familie abwenden.

Ich argumentiere gerne mit dem Begriff der »Familienseele«, die alle Familienmitglieder eint. Diese Bindungskraft ist sehr stark und kann einer reduzierten Persönlichkeitsentwicklung, wie sie Kosche in seiner oben erwähnten Studie beschreibt, entgegenwirken. »Familienseele« bedeutet auch ein Ausgrenzen von fremden Personen oder Ideen bzw. ein Abgleichen der eigenen Tradition nach außen. Da ich immer sehr um Schutz bemüht bin, habe ich hier versucht, den Begriff der »Familienseele« hilfreich in die Thematik einzubauen. Es gibt auf dieser Welt zu viele Menschen, die sich und ihre Familie nicht verteidigen können oder ihre Ressourcen auf andere Art verbrauchen.

Noch erwähnenswert wäre das Untersuchungsdesign der bereits genannten Studie Kosches. Hier wurde speziell die Vater-Sohn-Beziehung in bäuerlichen Familien untersucht, was mich zu einer neuen Frage ermutigt: Gibt es eine spezielle Vater-Sohn-Bindung, an der weibliche Formen abprallen? Mütter sind in vielen bäuerlichen Familien weniger in die Arbeit eingebunden als Väter und damit präsenter für ihre Kinder. Welche Rolle spielen die bäuerlichen Mütter für die Persönlichkeitsentwicklung ihrer Söhne?

In bäuerlichen Haushalten misslingen offensichtlich Vater-Sohn-Beziehungen. Der Vater steht für Tradition, der Sohn gibt dem Vater die Schuld für die eigene Ich-Schwäche und kommt aus seiner psychischen Ohnmacht nur schwer heraus. Es wäre daher wichtig, die betroffenen Kinder frühzeitig aufzufangen und ihnen Perspektiven zu bieten.

In Österreich gibt es eine Schulpflicht von neun Jahren, in anderen Ländern stehen die Dinge oft nicht so gut. Immer wieder wird mehr Bildung gefordert, um zu verhindern, dass es in ärmeren Schichten oder Gesellschaften (auch außerhalb Europas) zu jungen »Verlierern« kommt. Hier könnte man z. B. Schulförderprojekte durchführen.

2.3 Der »kalte« Vater


Laut Kagerer28 (1998) gibt es einen Vatertypus, der sich als kompromisslos, kalt, angsteinflößend und unerreichbar charakterisieren lässt. Kagerer bringt diesen Vatertypus auch mit einer Glücksspielproblematik in Verbindung.

Meiner Meinung nach kann es für ein Kind zwei Alternativen geben, um dieser Form der (psychischen) Vaterentbehrung zu begegnen. Entweder wendet sich das Kind im Jugend- bzw. Erwachsenenalter von väterlichen Rollenbildern ab und bricht mit der erkalteten Familienseele oder es orientiert sich weiterhin an der Herkunftsfamilie und bleibt erkaltet.

Was »Glück« für eine Person bedeutet, kann von Mensch zu Mensch und von Kind zu Kind verschieden sein. Ich persönlich habe das Gefühl, dass die Vorstellungen bei Erwachsenen stärker auseinanderfallen, was sich aber wiederum auf die Kindheit zurückführen lässt.

Ich bin der Meinung, dass Kinder eine gewisse Struktur und Rigidität in Form von elterlicher Erziehung brauchen, um ihre Persönlichkeit zu entfalten. Aber ohne Lichtblicke in der Kindheit scheint mir vieles auf ein »Verlieren« hinzusteuern.

Ein »kalter« Vater kann Angst einflößen. Angst ist eng verbunden mit der Entwicklung von Traumata. Angst, so mein Wissen, kann aber auch Schutzfunktionen wecken. Kinder lernen oft früh, ihren Instinkt zu schärfen, und werden unter Umständen stressresistenter. Wenn Kinder unter Bedingungen aufwachsen, die sich auf ihre Entwicklung negativ auswirken, muss man jedoch klare Verhältnisse schaffen und sie unter Umständen von ihrer Familie befreien.

Es ist davon auszugehen, dass die verschiedenen Phasen der kindlichen Entwicklung, die von Psychologen und Pädagogen (etwa durch experimentelle Beobachtung) erarbeitet wurden, auch bei der Ausbildung von Fachkräften (zumindest in Österreich) eine große Rolle spielen. Dieses Wissen ist besonders wichtig, um präventiv einzuwirken und Kinder vor negativen familiären Einflüssen zu schützen.

»Schutz« ist auch ein Stichwort für Vater-Kind-Beziehungen. Geschützt werden müssen Kinder insbesondere vor gewaltbereiten Vätern. Gewaltbereitschaft kann sich durch physische oder psychische Gewalt infolge von mangelhaften psychischen Ressourcen äußern. Auch Mütter können gewalttätig werden.

Bei Kindern, die an Vaterentbehrung leiden, muss man meiner Ansicht nach auf ein partielles Fehlen von Gefühlen reagieren. Es stellt sich dabei auch die Frage, in welche Richtung Initiativen ergriffen werden sollten. Zielt man darauf ab, das Kind zu stärken, oder versucht man, die Gesamtfamiliensituation zu verändern? Beides ist zulässig, beides kann riskant sein. Wenn man sich direkt an das Kind wendet, so werden Probleme oft größer,...

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