Einführung
An einem Frühlingstag im Jahr 1523 rief der Augsburger Bankier Jakob Fugger, genannt »der Reiche«, einen Schreiber zu sich und diktierte ihm ein Mahnschreiben. Ein Kunde war mit seiner Darlehenstilgung im Verzug. Nach Jahren der Nachgiebigkeit hatte Jakob schließlich die Geduld verloren.
Jakob Fugger schrieb ständig Mahnbriefe. Dieses Mahnschreiben war jedoch außergewöhnlich, denn es richtete sich nicht an einen säumigen Pelzhändler oder einen Gewürzimporteur in Geldnöten, sondern an keinen Geringeren als Karl V., den zu jener Zeit mächtigsten Mann der Welt. Karl besaß 81 Titel, darunter Heiliger Römischer Kaiser, König von Spanien, König von Neapel, König von Jerusalem, Herzog von Burgund und Gebieter über Asien und Afrika. Er herrschte über das größte Reich seit den alten Römern; es erstreckte sich über Europa und den Atlantik bis nach Mexiko und Peru. Es war das erste Reich in der Geschichte, in dem niemals die Sonne unterging. Als der Papst Karl trotzte, ließ dieser Rom plündern. Als Frankreich ihm die Stirn bot, nahm er dessen König gefangen. In den Augen der Menschen haftete ihm etwas Göttliches an, und sie versuchten ihn wegen seiner angeblichen Heilkräfte zu berühren. »Er ist das leibhaftige Gesetz und steht über allen anderen Gesetzen«, sagte ein kaiserlicher Rat. »Seine Majestät ist ein Gott auf Erden.«
Jakob Fugger war der Enkelsohn eines Bauern. Karl hätte ihn für seine Impertinenz leicht foltern lassen können. Daher muss es ihn überrascht haben, dass Jakob sich nicht nur auf Augenhöhe an ihn wandte, sondern diesen Affront auch noch dadurch verstärkte, dass er ihm in Erinnerung rief, wem der Kaiser seinen Erfolg verdankte. »Es ist auch bekannt und liegt am Tage, dass Eure Kaiserliche Majestät die Römische Krone ohne meine Hilfe nicht hätte erlangen können«, schrieb Jakob Fugger. »Dessen eingedenk lautet meine respektvolle Bitte an Eure Kaiserliche Hoheit, dass Ihr (…) befehligt, dass das Geld, das ich verauslagt habe, zusammen mit den allfälligen Zinsen aufgerechnet und ohne weiteren Aufschub zurückgezahlt werde.«1
Menschen werden reich, indem sie Geschäftschancen aufspüren und wahrnehmen, sich in Verhandlungen durchsetzen oder neue Technologien entwickeln. Das alles traf auf Jakob Fugger zu, aber darüber hinaus besaß er eine weitere Qualität, die ihm echte Überlegenheit verlieh. Wie der Brief an Karl beweist, besaß er Mut und eine unerschütterliche Selbstsicherheit. In einem seltenen Moment der Nachdenklichkeit sagte Jakob, er habe keine Schlafprobleme, weil er das Tagesgeschäft vor dem Zubettgehen so leicht abschütteln könne, wie seine Kleidung. Jakob Fugger überragte die Masse um Längen. Das berühmte Porträt von Albrecht Dürer zeigt einen Mann, dessen fester ruhiger Blick innere Überzeugung ausstrahlt. Dank seiner kühlen Gelassenheit und Selbstsicherheit gelang es ihm, Monarchen zum Einlenken zu bewegen, erdrückende Schuldenlasten zu tragen und angesichts des drohenden Ruins vor Jovialität und Selbstvertrauen zu bersten. Starke Nerven waren unerlässlich, denn das Geschäftsleben war nie gefährlicher als im 16. Jahrhundert. Betrügern wurden die Hände abgehackt oder die Wange mit einem heißen Schürhaken durchbohrt. Bankrotteure verrotteten im Schuldengefängnis. Bäcker, die bei der Manipulation und Verunreinigung von Brot erwischt wurden, wurden öffentlich geschupft, oder mit der HalsgeigeI durch die Stadt geführt und dem Hohn und Spott der Massen ausgesetzt.
Geldverleihern drohte das grausamste Schicksal. Wie die Pfarrer ihren Gemeindemitgliedern stets in Erinnerung riefen, mussten Geldverleiher – die Kirche bezeichnete sie als Wucherer – im Fegefeuer schmoren. Zum Beweis gruben die Kirchenmänner die Gräber vermeintlicher Wucherer aus und deuteten auf die Würmer, Maden und Käfer, die sich durch das verfaulende Fleisch bohrten. Wie jeder wusste, war dieses Ungeziefer Satans Verbündeter. Gab es einen besseren Beweis, dass dies die Leichname von Wucherern waren?
Angesichts der Konsequenzen eines Misserfolgs ist es ein Wunder, dass Jakob Fugger einen derart brennenden Ehrgeiz hatte. Er hätte sich auf dem Land zur Ruhe setzen und wie manche seiner Kunden sein Leben der Jagd, der Eroberung des schönen Geschlechts und ausgelassenen Orgien widmen können, bei denen zur Belustigung der Anwesenden Zwerge aus riesigen Pasteten sprangen. Einige seiner Erben taten das. Er aber wollte immer höher hinaus, selbst wenn das bedeutete, dass er seine Freiheit und seine Seele riskieren musste. Seine kühle Rationalität legte seinem inneren Drang jedoch gewisse Zügel an. Er wusste, dass seine Mitmenschen ihn als »unchristlich und unbrüderlich« betrachteten. Er wusste, dass seine Feinde ihn einen Wucherer und einen Juden nannten und behaupteten, er sei verdammt. Er setzte den Angriffen jedoch Logik entgegen. Der Herr musste wohl gewollt haben, dass er reich werde, ansonsten hätte er ihn nicht mit einer solchen Gabe zum Geldverdienen gesegnet. »Viele Menschen sind mir gegenüber feindselig gesinnt«, schrieb Jakob. »Sie sagen, ich sei reich. Ich bin reich durch Gottes Gnaden, ohne irgendjemandem Harm zuzufügen.«2
Jakobs Behauptung, Karl wäre ohne ihn niemals zum Kaiser gekrönt worden, war keine Übertreibung. Nicht nur hatte Jakob mit hohen Bestechungsgeldern Karls Wahl zum römisch-deutschen König und damit seine anschließende Kaiserkrönung sichergestellt, Fugger hatte zudem Karls Großvater finanziert und seine Familie, die Habsburger, von den Rändern der europäischen Politik in den Mittelpunkt gerückt. Jakob setzte aber auch auf andere Weise wichtige Wegmarken. Er weckte den Handel aus seinem mittelalterlichen Schlummer, indem er den Papst dazu überredete, die Ächtung des Geldverleihs aufzuheben. Er trug dazu bei, das freie Unternehmertum vor einem frühen Siechtum zu bewahren, indem er das Heer finanzierte, das den Bauernkrieg gewann, den ersten großen Zusammenprall zwischen Kapitalismus und Kommunismus. Er brach der Hanse, Europas mächtigster Handelsorganisation vor Jakob Fugger, das Rückgrat. Er war Miturheber eines dubiosen Finanzplans, des berüchtigten Petersablasses, der unbeabsichtigterweise Luther dazu veranlasste, seine 95 Thesen zu verfassen – das Dokument, das die Reformation auslöste; das welterschütternde Ereignis, das die europäische Christenheit in zwei Teile spaltete. Höchstwahrscheinlich finanzierte er Magellans Weltumsegelung. Außerdem war Fugger einer der ersten Kaufleute nördlich der Alpen, der die doppelte Buchführung verwendete, und der Erste überhaupt, der die Ergebnisse vielfältigster Geschäfte und Transaktionen in einer einzigen Firmenbilanz abbildete – ein Durchbruch, der es ihm ermöglichte, sein Finanzimperium im Blick zu behalten und immer zu wissen, wie es um seine Finanzen bestellt war. Er war der Erste, der interne Prüfer in seine Faktoreien entsandte. Die Gründung eines Nachrichtendienstes, der ihm einen Informationsvorsprung vor seinen Rivalen und Kunden verschaffte, brachte ihm zudem eine Erwähnung in der Geschichte des Journalismus ein. Aus all diesen Gründen kann man Jakob Fugger mit Fug und Recht als einflussreichsten Geschäftsmann aller Zeiten bezeichnen.
Jakob Fugger war in der Lage, den Verlauf der Geschichte zu beeinflussen, weil er in einem Zeitalter lebte, in dem Geld erstmalig über den Ausgang von Kriegen und somit über die Politik bestimmte. Und Jakob Fugger hatte Geld. Er residierte in Palästen und besaß eine ganze Reihe von Schlössern. Nachdem er sich den Adelsstand erkauft hatte, war er Lehnsherr über so viele Lehen, dass sein Name selbst auf Landkarten erwähnt wurde. Er besaß ein atemberaubendes Collier, das später von Königin Elisabeth I. getragen wurde. Als er im Jahr 1525 starb, betrug sein Vermögen knapp unter zwei Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung.3 Selbst John D. Rockefeller konnte ihm nicht das Wasser reichen. Jakob Fugger war der erste dokumentierte Millionär. Vor ihm gab es die Medici, die ebenfalls sehr viel Geld besaßen, aber in ihren Geschäftsbüchern sind lediglich Beträge bis zu fünfstelligen Summen verzeichnet, obwohl sie mit Währungen in einem Volumen handelten, das ungefähr Jakob Fuggers Vermögen entsprach. Letzteres war jedoch das erste siebenstellige Vermögen.
Jakob Fugger wurde mit Bankgeschäften und Bergwerken reich. Daneben handelte er aber auch mit Textilien, Gewürzen, Juwelen und heiligen Reliquien, wie zum Beispiel den Knochen von Märtyrern und Holzsplittern des Jesuskreuzes. Eine Zeit lang hielt er ein Monopol auf das brasilianische Guajakharz, das angeblich Syphilis heilte. Er prägte Papstmünzen und gründete die erste Päpstliche Schweizer Garde. Andere versuchten ihn zu imitieren, vor allem sein Augsburger Nachbar Ambrosius Hochstetter. Während Jakob Fugger jedoch als unermesslich reicher Mann starb, ging Hochstetter, der Pionier des Bankengeschäfts für Massenkunden, bankrott und starb im Gefängnis.
Jakob Fugger begann seine Laufbahn als Angehöriger des einfachen Bürgertums, dem dritten und untersten Stand im europäischen Ständesystem. Wenn er vergaß, sich vor einem Baron zu verbeugen, oder auf einer geschäftigen Straße nicht den Weg für einen Ritter frei machte, riskierte er einen Schwerthieb. Seine gewöhnliche Herkunft war jedoch kein Hindernis. Alle Kaufleute waren einfache Bürger, und die Familie Fugger war reich genug, um sich jeden Vorteil zu erkaufen. Sie waren erfolgreiche Tuchhändler. Aufzeichnungen belegen, dass sie zu den größten Steuerzahlern Augsburgs gehörten. Dennoch mangelte es nicht an Herausforderungen. Jakob Fuggers Vater starb, als Jakob zehn war. Hätte es nicht seine starke, erfindungsreiche...