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E-Book

Gesche Gottfried

Eine Bremer Tragödie

AutorPeer Meter
VerlagEdition Temmen
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783837880359
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis3,99 EUR
Gesche Gottfried vergiftete in den Jahren von 1813 bis 1827 in Bremen insgesamt 15 Menschen, darunter ihre Eltern, drei Kinder und zwei Ehemänner. Mindestens 19 weiteren Personen mischte sie von 1823 an wiederholt Gift in nicht tödlicher Dosis ins Essen. 1828 wurde Gesche Gottfried verhaftet und drei Jahre später auf dem Domshof hingerichtet. Die Stelle, an der ihr Kopf mit dem Schwert vom Rumpf getrennt wurde, markiert noch heute ein bekreuzter Stein, täglich von traditionsbewussten Bremer Passanten als Zeichen der Verachtung bespuckt. In der Schilderung von Gesche Gottfrieds Verteidiger Friedrich Leopold Voget entsteht das Bild einer kalt berechnenden, aus niederen, gewinnsüchtigen Motiven mordenden Frau, über deren Taten die Öffentlichkeit gleichsam aus allen Wolken fiel. Nach fast 170 Jahren ungeprüfter Übernahme seiner Darstellung hat Peer Meter den Fall nach den Prozessakten ganz neu dargestellt. Er belegt, dass Voget Zeugenaussagen mehrfach grob verfälscht zitierte und dass auch Gesche Gottfrieds mörderisches Treiben keineswegs nur im Stillen vonstatten gegangen war. Vielmehr steht fest, dass es bereits Jahre vor ihrer Verhaftung immer wieder Warnungen vor ihrer Person gegeben hatte. Peer Meter entreißt nach weiterer Recherche und präziser Analyse die Darstellung des Hergangs und der in dieser beispiellosen Mordserie vorkommenden Personen endlich der Sichtweise des 19. Jahrhunderts. Ebenso spannend, wie er das Porträt der Bremer Giftmörderin als psychisch schwer verwirrter Frau herausarbeitet, legt er einen zweiten Aspekt dar: die Unmöglichkeit der bremischen Bürgergesellschaft, eine eigene Mitverantwortung an den grauenhaften Taten anzuerkennen.

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Leseprobe

Die zweite Phase der Vergiftungen

1823 bis 1828

Die Ermordung des Paul Thomas Zimmermann, der Anna Lucia Meyerholz, des Johann Mosees, der Wilhelmine Rumpff, der Beta Schmidt, der Elise Schmidt und des Friedrich Kleine. Dazu wenigstens zweiunddreißig Vergiftungen mit nicht tödlichem Ausgang an neunzehn Personen.

Wie es zu dieser zweiten Phase der Vergiftungen kommen konnte, bleibt undeutlich. Auf den ersten Blick könnte sich der Verdacht aufdrängen, Gesche Gottfried habe das Band ihrer Morde wieder aufgenommen, weil sie, von Dolge getrieben, fürchtete, in bittere Armut abzurutschen. Allerdings werden ihr die kommenden Morde keinerlei nennenswerte finanzielle Vorteile einbringen. Auch setzte parallel zum ersten Mord dieser zweiten Phase jenes sonderbare Giftgeben in nicht tödlicher Dosis ein. Über dieses »nur Krankmachen wollen« ist viel spekuliert worden, letztendlich ohne jedoch ein wirklich schlüssiges Motiv dafür zu finden. Ein bekannter Gerichtspsychologe hat es mir gegenüber einmal mit aller Vorsicht so zu formulieren versucht: »Es drängt sich schon auf, dass sie die Vergiftungen ihrer Familie, ihrer eigenen Kinder wohl nie hat verarbeiten können. Denkbar wäre, dass sich daraus derartige Giftgaben entwickelt haben. Ich denke, sie hat sich fortwährend an einer Grenzlinie zur sicherlich schweren psychischen Störung befunden. Ihre hysterischen Anfälle, die ja in den Gerichtsprotokollen dokumentiert sind, lassen durchaus den Schluss einer Psychoneurose zu.« In ein solches Bild scheinen die Gift­gaben an den elfjährigen Wilhelm Suhling hineinpassen zu wollen, dem Pflegekind ihrer langjährigen Freundin Marie Heckendorff. Wenige Wochen vor ihrer Verhaftung erhielt er zweimal Gift in nicht tödlicher Dosis. »Welch ein blühender Knabe ist das«, sagte Gesche Gottfried nach der ersten und unmittelbar vor der zweiten Giftgabe zu ihrer Freundin, die sie mit dem Jungen besuchte, »ein echtes Johannes-Gesicht. Wie, wenn du den verlieren müsstest?«7 Diese den gerichtlichen Aussagen der Marie Heckendorff entnommene Szene ist immer wieder als ein Beispiel ganz besonderer Bösartigkeit gesehen worden. Aber könnte es nicht auch Ausdruck eines tief verborgenen Gefühls für den eigenen, ermordeten Sohn sein? Wenn mein Sohn tot ist, dann soll deiner auch nicht mehr leben? In einem der Gespräche, die der Untersuchungsrichter Senator Droste nach Abschluss der Verhöre mit ihr geführt hatte, lesen wir in dessen Gedächtnisprotokoll über ihren Sohn: »Das Bild ihres kleinen Heinrich verfolge sie oft. Der stehe oft so lebhaft vor ihr, als wenn sie ihn auf ihrer Bettdecke liegen sähe.«8

Um der Sphäre Dolges zu entrücken, vermietete sie im Herbst 1821 ihr Haus in der Pelzerstraße und mietete eine Wohnung in der Obernstraße an, die sie ein halbes Jahr später wieder kündigte, um im Nebenhaus eine Wohnung zu beziehen. Hier nun setzte die zweite Phase der Vergiftungen ein.

Zu jener Zeit gelangte zum ersten Mal die sogenannte Mäusebutter, ein Gemisch aus Schmalz und Arsenik, in Gesche Gottfrieds Hände. In den Verhören wird sie erzählen: »Die Mäusebutter, womit ich späterhin vergiftete, habe ich hier in Bremen gekauft, nachdem ich im Wochenblatt die Anzeige gefunden hatte, dass sie hier zu verkaufen sei.«9 Ein entsprechendes Mäusebutter-Inserat findet sich tatsächlich unter dem 22. Mai 1823 in den ›Bremer Wöchentlichen Nachrichten‹.

»Ich dachte«, heißt es weiter in ihren Aussagen, »ich wollte diesen Versuch mal machen«10, den Versuch, herauszufinden, welche Wirkung Mäusebutter auf Menschen haben würde. Besondere Bestimmungen für den Verkauf von Giften oder gar ein Giftbuch gab es in Bremen nicht. »Wir geben die Mäusebutter an jeden, der sie fordert«, ist denn auch als Aussage der Gemischtwaren­händlerin Gertrud Lankenau in der Prozessakte nachzulesen, und sie, die wusste, dass dieses Gift über Jahre immer wieder im Namen von Gesche Gottfried gekauft wurde, setzte dem noch hinzu: »Es fiel mir nur auf, dass zwei Kruken geholt wurden, denn an einer Kruke hat man auf ein Jahr genug.«11 Erst 1831, im Jahre der Hinrichtung Gesche Gottfrieds, wurde dieser sorglose Umgang mit Giften durch eine Verordnung drastisch eingeschränkt: »... dass Arsenikpräparate insbesondere nur gegen einen vom Empfänger selbst ausgestellten Schein, auf welchem der Tag des Empfanges, das Gift, seine Quantität und seine Bestimmung bemerkt ist, ausgegeben werden, welcher Schein noch von der Polizeidirektion zu contrasignieren und in ein besonderes Giftbuch einzutragen ist.«12 Allerdings scheint Mäusebutter bereits kurz nach Gesche Gottfrieds Verhaftung aus dem Handelssortiment der unter Schock stehenden Stadt verschwunden zu sein, da, wie es in der Prozessakte heißt, »das Gericht sich vergebens bemüht hatte, Mäusebutter zu bekommen«.13

Infokasten: Mäusebutter

Im März 1823 erhielt die mittlerweile achtunddreißigjährige Gesche Gottfried einen Heiratsantrag vom Stiefsohn ihres Vermieters, dem Modewarenhändler Paul Thomas Zimmermann. Sie lehnte aus Furcht vor Dolge zunächst ab. Dieser aber ließ durchblicken, gegen eine solche Verbindung keine Einwände zu haben, und lieh ihr sogar Geld, damit sie mit neuem Leinenzeug in die Ehe gehen konnte.

Als Zimmermann seine Verlobungsabsichten im Freundeskreis bekannt gab, wurde er sogleich gewarnt: »Sein Leben schwebe bei der Person in Gefahr. Männer und Kinder seien ihr abgestorben, und man behaupte, dass sie etwas an sich habe, das ihrer näheren Umgebung schädlich sei.«14 Zimmermann jedoch beachtete diese Warnungen nicht. Kaum aber war er mit Gesche Gottfried verlobt, begann er auch schon unter den Symptomen einer schweren Vergiftung zu leiden, denn noch am Abend vor ihrer Verlobungsvisite hatte sie an ihm die Wirkung der Mäusebutter ausprobiert und ihm »eine Messerspitze voll« auf Zwieback geschmiert. Vier Wochen später, nach einer zweiten Gabe Mäusebutter an einem Kücken auf eingekochten Pflaumen, starb er. Über ein Motiv für diesen Giftmord befragt, wird sie sich in den Verhören in die sonderbarsten Beweggründe verstricken, zuletzt aber keine wirklich konkreten Angaben machen können.

Parallel zur Vergiftung Zimmermanns unternahm sie einen zweiten Mäusebutterversuch an ihrer langjährigen Freundin Marie Hecken­dorff. Bis zu ihrer Verhaftung fünf Jahre später wurde diese Frau immer wieder von ihr mit kleinen, nicht tödlichen Dosen des Giftes gequält. In den Verhören erklärte sie hierüber: »Bei der Vergiftung der Heckendorff hatte ich durchaus keinen Zweck. Es kam mir der Gedanke, der Heckendorff etwas zu geben, und ich tat es auf der Stelle. Ich habe von der Heckendorff stets viel gehalten und niemals mich mit ihr erzürnt.«15 Und wer vermag noch zu begreifen, was in dieser Frau vorgegangen sein muss, als sie der von dem Gift gezeichneten Freundin im August 1823 aus Hannover schrieb: »Liebe Marie! Recht weh tut es mir, dass Du noch nicht ganz wohl bist und sogar noch für die Folgen besorgt bist. Marie, glaubst Du, dass noch einige Bäder Dir nützlich sind, so nimm sie doch! Wenn ich zurückkomme, will ich Dir das Geld wiedergeben. Verzage doch nicht! Dein Brief machte mich recht traurig. Du lerntest ja schon so manches ertragen.«

Ein Jahr später, Ostern 1824, zog sie zurück in ihr Haus in der Pelzerstraße. Von jenem Frühjahr an wurde ihre nähere Umgebung bis zu ihrer Verhaftung fünf Jahre später von einer Epidemie des Erbrechens, der Leibschmerzen, des Siechtums und des Sterbens heimgesucht. Sobald ihr die Mäusebutter zur Neige ging, schickte sie ihre Dienstmagd, eine neue Kruke kaufen. In einem Brief an den Untersuchungsrichter Senator Droste fasste sie es so zusammen: »... dass sich eine solche Unruhe und Unzufriedenheit meiner bemächtigte, wenn ich ohne Gift war. Sobald ich eine Kruke hatte holen lassen, ließ ich solche mehrere Wochen unberührt stehen. Doch der Gedanke daran machte mich so besonders zufrieden, was ich mir selbst nicht erklären kann.«16

Bis zum Osterfest des nächsten Jahres erhielten in dem Haus das achtzehnjährige Dienstmädchen Antoinette Luchting, die fünfjährige Tochter des bei ihr wohnenden Lehrers Specht, Specht selbst, ihr Nachbar der Kommissionär Johann Mosees, die Apothekenhelferin Henriette Alberti und die Marie Heckendorff Mäusebutter in nicht tödlicher Dosis. Warum, wusste sie selbst nicht: »Einen Grund hatte ich nicht, ich gab es aus Trieb, wie bei mehreren.«17

Henriette Alberti allerdings schöpfte Verdacht. In den Gerichtsprotokollen heißt es in ihrer Aussage: »Gab sie mir zwei kleine Stücke Butterkuchen. Ich aß ein Stück, das andere ließ ich aber liegen. Des Abends zehn Uhr, als ich nach Hause kam, fühlte ich Übelkeit und bekam darauf Erbrechen bis fünf Uhr morgens, dazu die fürchterlichste Diarrhöe. Ich sagte zu der Magd, die bei Poppen dient, die Gottfried hat gewiss Gift drangemacht. Die Magd redete mir dies aber aus. Etwa vierzehn Tage nachher kam ich wieder zu der Gottfried und sagte ihr, dass mir nach ihrem Kuchen so übel geworden wäre, dass ich der Magd bei Poppen gesagt hätte, sie habe mir gewiss Gift gegeben. Sie lachte mich aus und sagte, wer wolle wohl Gift an Kuchen tun.«18

Nach einem Jahr des Giftgebens in nicht tödlichen Dosen folgte im März 1825 der nächste Mord. Ihre Freundin, die Musiklehrerin Anna Lucia Meyerholz, mit der sie noch am Abend zuvor im Theater gewesen war, besuchte sie zum Frühstück und erhielt einen Zwieback mit Mäusebutter. Drei Tage quälte sich die Frau unter nicht zu...

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