»Gott hilft den Tüchtigen« – Der Aufstieg Brandenburg-Preußens
Des »Heiligen Römischen Reiches Streusandbüchse«
»Der Staat Preußen, der seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland gewesen ist, hat in Wirklichkeit zu bestehen aufgehört.«
So beginnt das Gesetz No. 46 des Alliierten Kontrollrates vom 25. Februar 1947, und so endet unwiderruflich die Geschichte Preußens, mit dem nicht nur die Siegermächte seinerzeit »Militarismus und Reaktion« gleichsetzten. Und doch ist Preußen nicht wirklich tot. Das wird besonders jetzt zur Jahrtausendwende spürbar, da Bundesregierung und Parlament von Bonn nach Berlin ziehen. Hier schließlich, in Deutschlands Hauptstadt, sind Preußens Spuren noch ganz real erfahrbar: Nicht nur die alte Prachtstraße Unter den Linden und das Brandenburger Tor, auch der Dom, das Zeughaus und Schloß Charlottenburg legen Zeugnis ab von einer preußischen Geschichte, die keineswegs allein durch »Militarismus und Reaktion« gekennzeichnet war. »Preußen«, so urteilte Madame de Staël zu Beginn des 19. Jahrhunderts, »zeigte ein Doppelgesicht wie der Januskopf: ein militärisches und ein philosophisches.« Und derart ambivalent ist es von Anfang an gewesen …
Dabei lagen die Anfänge von »Preußens Gloria« gar nicht einmal in Preußen selbst, sondern in Brandenburg. Als Sophie Charlotte von Hannover, die 1701 erste preußische Königin wurde, 1668 das Licht der Welt erblickte, befand sich Preußen – das spätere Ostpreußen – weit östlich davon, begrenzt von Weichsel, Memel und Ostsee. Vorerst als polnisches Lehen war es 1618 an Brandenburg gekommen, ein damals noch völlig bedeutungsloses Kurfürstentum. Niemand wohl hätte zu Beginn des 17. Jahrhunderts auch nur einen Gedanken daran verschwendet, daß dieses Land binnen eines guten Jahrhunderts zur gefürchteten Großmacht aufsteigen könnte. Die Voraussetzungen dafür waren denkbar ungünstig.
Der Kern des Kurfürstentums, die Mark Brandenburg, lag abseits der großen Handelsstraßen und war ein dünnbesiedeltes Land ohne Bodenschätze. Selbst für die Landwirtschaft war der sandige Boden wenig ergiebig, so daß bestenfalls die Schafe dessen Erträge zu schätzen wußten. »Des Heiligen Römischen Reiches Streusandbüchse« wurde die Mark daher verächtlich genannt. Seitdem der Nürnberger Burggraf Friedrich von Hohenzollern (1371–1440) im Jahr 1415 von König Sigismund die kurfürstlichen Rechte erhalten hatte, regierte das Haus Hohenzollern über Brandenburg, doch die Kurfürsten fristeten ihr Leben fern von den großen Ereignissen der Geschichte.
Eine Änderung begann sich erst mit der Regierungszeit Johann Sigismunds (1608–1620) abzuzeichnen, allerdings ohne Zutun dieses Regenten, der, eher dem Alkohol als der Politik zugeneigt, jahrelang nahezu regierungsunfähig war, ehe er mit 47 Jahren starb. Doch im Jahr 1614 gewannen die Hohenzollern durch Erbschaft das Herzogtum Kleve am Niederrhein sowie die Grafschaften Mark und Ravensberg dazu (weswegen es heutzutage auch in Wesel und Minden Preußen-Museen gibt!). Zwar handelte es sich dabei um reiche Gebiete, mit Ackerbau, Viehzucht und sogar einigen beachtlichen Industriezweigen, aber viele Tagereisen von der Mark Brandenburg entfernt. – Vier Jahre später fiel dann – ebenfalls durch Erbschaft – das Herzogtum Preußen an die brandenburgische Hauptlinie des Hauses Hohenzollern.
Just in diesem Jahr freilich begann der 30jährige Krieg, in dem Brandenburg derart verheert wurde, daß es Grund genug gab, an seinem Wiederaufbau zu zweifeln: Schwedische Truppen hatten weite Landstriche verwüstet, Dörfer und Städte waren entvölkert, Berlin war weitgehend zerstört, Handel und Gewerbe lagen danieder, die Einwohnerzahl war von 600 000 auf 210000 gesunken. Bei alledem war Kurfürst Georg Wilhelm (1620–1640) ein denkbar schlechter Herrscher in Krisenzeiten. Schwach, wankelmütig und ohne Durchsetzungsvermögen lavierte er zwischen Schweden und Kaiserlichen hin und her, und als er im Dezember 1640 starb, hinterließ er seinem Sohn und Nachfolger ein einziges Chaos.
Friedrich Wilhelm, der »Große Kurfürst«
Der neue Kurfürst Friedrich Wilhelm (1640–1688), der nun nahezu ein halbes Jahrhundert lang die Geschicke Brandenburg–Preußens lenken sollte, war bei seinem Regierungsantritt ein erst 20jähriger Jüngling, und nichts deutete darauf hin, daß er in den nächsten Jahren das fatale Schicksal seines Landes wenden und einmal als der »Große Kurfürst« in die Geschichte eingehen sollte. Während Brandenburg tief in den Krieg verwickelt gewesen war, hatte man den 15jährigen Kurprinzen teils als Vorsichtsmaßnahme, teils aus erzieherischen Gründen zu Verwandten nach Holland geschickt. Friedrich Wilhelms Mutter Elisabeth Charlotte von der Pfalz, eine Schwester des »Winterkönigs« von Böhmen, war die Tochter der Oranierprinzessin Luise Juliane (1576–1644), Gemahlin Friedrichs IV., des Kurfürsten von der Pfalz.
Während die Oranier damals zu den hervorragendsten Herrscherfamilien Europas zählten, war das Haus Hohenzollern bedeutungslos und zudem so verarmt, daß man angeblich am Essen sparen mußte, um die Reise des jungen Friedrich Wilhelm überhaupt bezahlen zu können. Aber Prinz Friedrich Heinrich von Oranien (1583–1647) nahm den Enkel seiner Pfälzer Schwester Luise Juliane gastfreundlich bei sich auf und ermöglichte ihm einen dreijährigen Aufenthalt in den Niederlanden, einschließlich eines Studiums in Leyden und Arnheim.
Friedrich Wilhelm war zutiefst beeindruckt von dem blühenden wirtschaftlichen und geistigen Leben dieses Landes. Sein Großonkel Friedrich Heinrich von Oranien, seit 1625 Statthalter der Niederlande, war ein Förderer der Baukunst und Malerei, zudem der Führer des europäischen Calvinismus.
Als überzeugter Calvinist hatte er das alte christliche Bewußtsein verinnerlicht, so etwas wie ein »Mitarbeiter Gottes« zu sein, der sich tatkräftig und verantwortungsbewußt dafür einzusetzen hatte, daß Gottes Wille auf Erden verwirklicht werde, gemäß der Maxime »Gott hilft den Tüchtigen«! Während seiner Regierung entwickelten sich die Niederlande zum Musterland des Merkantil- und Kommerzwesens, der neuzeitlichen Finanz- und Steuerverwaltung sowie der Handels- und Kolonialpolitik und wurden damit zum Vorbild für viele europäische Fürsten.
Als der 18jährige Hohenzollernprinz hingegen 1638 nach Berlin zurückkehrte, betrachtete er ratlos sein künftiges Erbe, einen Scherbenhaufen: Die Stadt war zerstört, das Elend der Bevölkerung so groß, daß sie sich von Hunden, Katzen, Ratten, ja, manchmal sogar von Menschen ernährt haben soll. In ganz Brandenburg gab es keine Landwirtschaft mehr; die Höfe waren verheert, die Bauern ermordet, marodierende Banden durchstreiften das Land, in dem sich Fatalismus, Mut- und Hoffnungslosigkeit breitgemacht hatten.
So stand Friedrich Wilhelm bei seinem Regierungsantritt 1640 vor einem schier unlösbaren Problem: Seine Vorgänger hatten ihm ein verwüstetes Land und leere Kassen hinterlassen. Brandenburg mußte wieder aufgebaut werden, und nicht nur das: Es gab fünf nicht nur geografisch getrennte Landmassen: Kleve, Mark, Ravensberg, Brandenburg und Preußen, die sich in Verwaltung, Konfession, Wirtschaft und Ständerechten unterschieden. Stände – das waren die Vertreter der privilegierten Gruppen Adel, hohe Geistlichkeit und Bürgertum. Sie traten im politischen Bereich als in sich geschlossene Gruppen in der Ständeversammlung hervor, wo sie ihre korporativen Rechte und Freiheiten gegen den Landesherrn verfochten. Macht und Einfluß besaßen sie im wesentlichen dadurch, daß sie das Steuerbewilligungsrecht innehatten, so daß der Landesherr finanziell von ihnen abhängig war. Um Handlungsfreiheit zu gewinnen, war die Brechung der Vormacht der Stände daher die vornehmste Aufgabe für den Kurfürsten von Brandenburg-Preußen. Gleichzeitig mußte es Friedrich Wilhelm gelingen, seine Herrschaftsgebiete irgendwie – geografisch war es ja unmöglich – zu verbinden, um aus dem Streubesitz einen Gesamtstaat zu schaffen.
Die Begründung des Absolutismus
Wie seine niederländischen Verwandten war auch Friedrich Wilhelm in calvinistischem Glauben und entsprechender Gesinnung erzogen worden, und wie diesen galten auch ihm Erfolgsstreben und Pflichterfüllung als gottgewollt und -gesegnet. Auf dieser Grundlage schickte er sich nun an, seine Länder sowohl von den Kriegsfolgen zu befreien als auch seine eigene Macht auszubauen.
Am Hofe seines Großonkels (und späteren Schwiegervaters) Friedrich Heinrich von Oranien hatte Friedrich Wilhelm die Vorteile eines »stehenden Heeres« kennengelernt, einer stets präsenten, einsatzbereiten Armee, die allerdings den großen Nachteil hatte, daß sie Unsummen verschlang, wesentlich mehr als jene...