Prolog Die Falle schnappt zu
9/11 war eine große Falle, und wir sind mitten hineingetappt. Die Islamisten konnten nicht wissen, dass es funktionieren würde. Aber ihr Anführer war damals schon davon überzeugt. Ein Jahr nach den Anschlägen von New York und Washington forderte Osama bin Laden in einer Audiobotschaft junge Muslime rund um den Globus dazu auf, »Ritter des Kampfes« zu sein und »Helden der Schlacht«, um die »Würde und Macht des Islam« wiederherzustellen. Der Anführer der al-Qaida wollte, dass sie in seine Fußstapfen treten: »Wir Männer reiferen Alters haben für die Jungen der Ummah [Gemeinschaft] Wegweiser für den Dschihad aufgestellt und den Pfad für sie vorgezeichnet. Ihr Jungen, ihr müsst diesem Weg nur folgen.« Sein Plan ging auf, sichtbar nicht nur an den Tausenden junger Menschen aus Westeuropa, die in den vermeintlichen »heiligen« Krieg nach Syrien gezogen sind, oder an den menschenverachtenden Mördern, die im Herzen unseres Kontinents mittlerweile Hunderte von Menschen getötet haben. Sondern auch an einem Europa, dessen Gesellschaften sich, von Angst getrieben, immer weiter polarisieren und dessen viel beschworene Wertegemeinschaft sich gerade in Luft auflöst. Sein Plan ging auf, weil wir genau das getan haben, was er von uns erwartet, ja sogar einkalkuliert hat in seinem perfiden Plan. Wir haben so gehandelt, wie wir immer handeln – kurzsichtig, reflexhaft, berechenbar.
Bin Laden ist seit mehr als fünf Jahren tot, aber seine Worte wirken mehr denn je unter jungen Männern und Frauen, die Sehnsucht verspüren, »Ritter« zu sein und »Helden« in einem Kampf, den die Islamisten zu einem gerechten Krieg gegen die Ungerechtigkeiten unserer Welt hochstilisieren. Das dumme Argument funktioniert nur, weil wir in der beispiellosen Herausforderung des 11. September 2001 nicht die Notwendigkeit für neue Regeln und Strukturen erkannten. Wir hätten dem globalen Terrorismus den fruchtbaren Boden, auf dem kommende Generationen sprießen, abgraben müssen, indem wir seine Ursachen bekämpfen. Welche »Wegweiser für die Jungen« stellten wir stattdessen auf? Wir organisierten einen Krieg gegen den Terrorismus, der allein durch Streitkräfte, Nachrichtendienste und Polizei geführt wurde, und haben fast völlig dabei versagt, um die Köpfe und Herzen derer zu kämpfen, die jetzt die neue Generation eines Terrors ungekannten Ausmaßes sind.
Über die vergangenen 15 Jahre gab es zahlreiche Weggabelungen, an denen die Politik sich richtig hätte entscheiden können. Doch wo Mut erforderlich war, setzte sich Feigheit durch, wo Selbstbewusstsein gereicht hätte, brach Arroganz sich die Bahn, und wo Klugheit Erfolge gebracht hätte im Kampf gegen den Terrorismus, hat Naivität die Gefahr nur befeuert. All das Gerede von einer engeren Zusammenarbeit der Geheimdienste und Polizeibehörden Europas ist durch die Anschläge von Paris und Brüssel entlarvt als Ablenkungsmanöver von einer Politik, die eine nie gekannte Bedrohung für Europa geradezu mit erschaffen hat. Das wirft eine Menge Fragen auf. Haben die Islamisten recht, wenn sie sich für überlegen halten? Haben sie einen Plan, den wir nicht verstehen oder nicht ernst genug nehmen? Ist unser Gesellschaftssystem zu schwach, um mit der Herausforderung wirklich fertig zu werden? Nehmen wir – aus welchen Gründen auch immer – die Verbreitung der islamistischen Ideologie und die Entstehung dschihadistischer Terrorgruppen in Kauf? Stecken wir mitten in einem Kampf der Kulturen, der nur der Vorbote ist für eine neue Weltordnung? Und welche Gegenstrategie gibt es, um den Vormarsch des Islamismus zu stoppen und die tödliche Gefahr dauerhaft zu besiegen?
Viel steht auf dem Spiel auch für Deutschland. Die ersten »Soldaten des Kalifats«, so nennen sie sich selbst, haben nun auch in unserem Land zugeschlagen. Zuerst die Messerattacke eines 14-jährigen Mädchens auf Bundespolizisten in Hannover und das Bombenattentat jugendlicher Islamisten bei einer Hochzeitsgesellschaft im Sikh-Tempel von Essen. Dann folgt der blutige Juli: Kurz nachdem ein islamistischer Einzeltäter einen tonnenschweren Lastwagen auf der Promenade von Nizza als Waffe verwendet und 84 Menschen zermalmt hat, greift ein junger Asylbewerber mit einer Axt Passagiere in einem Zug nahe Würzburg an, verletzt fünf Menschen und wird schließlich von der Polizei erschossen. Tage später sprengt sich ein 27-jähriger, abgelehnter Asylbewerber aus Syrien am Rand eines Musikfestivals in Ansbach in die Luft. Beim ersten islamistisch motivierten Selbstmordattentat in Deutschland werden 15 Menschen verletzt. Alle Täter bekennen sich zur mörderischen Ideologie des IS, zwei bezeichnen sich in selbstgemachten Videos als »Soldaten«. Zwischen den Anschlägen versetzt der Amoklauf eines 18-jährigen Deutschen iranischer Abstammung die Einwohner Münchens in Angst und Schrecken. Wie die islamistischen Gewalttäter von Nizza und Ansbach gilt der Münchner Mörder als psychisch gestört und doch auch beeinflusst von extremistischem Gedankengut – in diesem Fall aus dem rechten, ausländerfeindlichen Spektrum. Alles Anzeichen dieses vermeintlichen »Kampfes der Kulturen«? Den islamistischen Terror nimmt der IS für sich in Anspruch. Auch wenn er die Taten nicht gesteuert hat, passen sie doch in seinen perfiden Plan, unsere Gesellschaften durch eine Kombination aus den Attacken einsamer Wölfe und straßenkriegsähnlichen Terrorangriffen zu spalten.
Mitten in Düsseldorf, in und an der U-Bahn-Station Heinrich-Heine-Allee, sprengen sich zwei Selbstmordattentäter in die Luft, reißen Dutzende Menschen mit sich in den Tod. Auf der belebten Straße, einer der Hauptverkehrsadern der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt, rennen die Passanten in Panik davon, in die Fußgängerzone der Altstadt. Dort eröffnen acht Terroristen mit Kalaschnikows das Feuer, wahllos schießen sie auf Männer, Frauen und Kinder. Streifenpolizisten stellen sich ihnen entgegen, aber ihre Schutzwesten werden von den Kugeln der Attentäter durchschlagen. Die Beamten müssten aus dem Hinterhalt feuern, um eine Chance zu haben, doch dafür hat sie niemand ausgebildet. Als dann – endlich – Spezialkräfte der Polizei anrücken, zünden die Terroristen ihre Sprengstoffgürtel und töten so zahlreiche weitere Menschen. Genau so sah das Szenario aus, das sich der sogenannte Islamische Staat ausgedacht hatte. Wenn sich der Rädelsführer der Terrorzelle, ein Syrer namens Saleh Al-Ghadban, im Februar 2016 nicht der Polizei in Paris gestellt hätte, wenn er nicht seine Kameraden verraten hätte, wenn diese nicht von deutschen Spezialkräften verhaftet worden wären, dann wäre es im vergangenen Sommer vielleicht genau so geschehen – die erste vom IS beauftragte und gesteuerte Attacke in Deutschland. Ob die Terrorgefahr für Düsseldorf wirklich so ernst war, mag man bezweifeln. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Anhänger des IS ihren Krieg über Einzeltaten hinaus in die Straßen deutscher Städte tragen. Höchste Zeit, der Bedrohung neu und anders entgegenzutreten. Dazu bedarf es eines nationalen Konzepts, eingebettet in einen internationalen Masterplan. Unverzichtbare Grundlage dafür sind eine klare Definition nationaler Interessen der Bundesrepublik Deutschland und eine verlässliche Beteiligung an ihrer Durchsetzung. Dieses Buch ist ein Leitfaden für einen wirksameren Kampf gegen den Islamismus. Es beginnt mit einer ungeschminkten Lagebeschreibung der Bedrohung für Europa und Deutschland. Dabei werden auch die Details offengelegt, die nach den Worten des Bundesinnenministers die Bevölkerung verunsichern würden. Sie hat aber ein Recht darauf, die wirklichen Risiken und Gefahren zu kennen, damit sie lernen kann, mit ihnen umzugehen. Denn die Islamisten kalkulieren unsere Reaktionen mit ein in ihre langfristige und tödliche Strategie.
Deshalb ist es dringend notwendig, das Drehbuch des Terrors zu studieren (siehe Kapitel 2), in dem allen Beteiligten feste Rollen zugewiesen sind. Es liegt nicht an einem geheimen Ort, sondern ist frei verfügbar in den Pamphleten und Botschaften des Islamismus, die über das Internet und Soziale Medien verbreitet werden. Der sogenannte Islamische Staat (IS) geht strikt nach diesem Plan vor, und nur wer ihn durchschaut und die Rollenerwartungen durchbricht, kann die Strategie des IS zerstören. Die Islamisten folgen einer apokalyptischen Vision von der letzten, großen Schlacht zwischen den Muslimen und ihren Feinden, gefolgt von der Eroberung Roms. Damit war in der ursprünglichen Weissagung des Propheten zwar das alte Rom seiner Zeit, also Konstantinopel, gemeint. Heute aber ist das Ziel des Islamismus die Unterwerfung Europas. Die Anschläge sogenannter einsamer Wölfe in den vergangenen Jahren, die zweifachen Angriffe auf die französische Hauptstadt Paris, die Attacken gegen die EU-Stadt Brüssel, gegen den Flughafen Istanbul und die mörderische Todesfahrt mit dem Lastwagen auf der Promenade von Nizza waren nur die Vorboten für die nächste Eskalationsstufe, die nun auch Deutschland trifft. Seit Monaten registrieren die Sicherheitsbehörden einen massiven Anstieg von Hinweisen auf bevorstehende Attacken. Gleichzeitig legen es die Islamisten auf eine weitere Destabilisierung Europas an. Muslimische Gangs sollen No-go-Areas schaffen und den Konflikt mit der Polizei suchen, um die Stimmung in der Gesellschaft massiv aufzuheizen. Staatliche Repression und der Aufstieg rechtsradikaler Kräfte tragen zu einer weiteren Polarisierung bei, sodass im muslimischen Teil der Bevölkerung fruchtbarer Boden für eine weitere Radikalisierung entsteht. Schon jetzt sind fast 900 junge Männer und Frauen aus Deutschland, insgesamt mehr als 5000 aus der EU, dem Ruf des Islamischen Staates gefolgt. Das zweite Kapitel zeigt...