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E-Book

Schreiben.

Essays

AutorChristiane Schünemann
Verlagneobooks Self-Publishing
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl86 Seiten
ISBN9783738076165
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis3,99 EUR
Kate Morton liebt Notizbücher. Auch im Computerzeitalter schreiben Autoren mit Tinte auf Papier. In seinen Romanen öffnet John Irving die Tür zu seinem Schreibzimmer. Karen Blixen war eine Meisterin des ersten Satzes. Der Rahmen von Boccaccios berühmten Novellenzyklus regt zu einer Schreibwerkstatt an. Es schreiben nicht nur Solisten, es geht auch im Duett. Goethes Bestseller dient heute noch als Modell für einen Briefroman. Edgar Allan Poe begründete die moderne Detektivgeschichte. Ein Lied auf die Stenografie. Und Charles Dickens schuf einen unvergesslichen Bösewicht. - »Da hat sich jemand dran gemacht, den Großen mit Witz und Esprit über die Schulter zu schauen und sie sich als Teil ihrer eigenen Geschichten und Charaktere vorzustellen.« Alexandra Ahrens, www.thalia.de

Christiane Schünemann lebt in Rostock und arbeitete unter anderem als Regieassistentin am Theater. Sie veröffentlicht Geschichten und Essays. Ausgezeichnet wurde sie mit dem 4. Platz des Krimipreises Mecklenburg-Vorpommern 2010 sowie vom Verein Deutsche Sprache mit dem 3. Platz des Sprachpreises Gutes Deutsch in Mecklenburg-Vorpommern 2018 und dem Titel Sprachvorbild 2019. - www.christiane-schünemann.de

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Leseprobe

Mit Tinte auf Papier. Erfahrungen mit dem handschriftlichen Arbeiten


Merkwürdig – des Merkens würdig

Liebe Leserin, lieber Leser, geht es Ihnen genauso: Wenn ich mir etwas merken will, reicht ein Knoten im Taschentuch nicht aus. Irgendwann stehe ich da und überlege, was der Knoten wohl zu bedeuten hat. Nein! Wenn ich mir etwas merken will, dann muss ich es geschrieben haben: und zwar aus dem Kopf durch den Körper in die Hand auf das Papier! Meine Augen folgen der Hand und den im Fluss der Gedanken auf dem Papier ineinanderfließenden Buchstaben der Worte, die so verschieden wie Schneeflocken sind. Aus Sprache wird Schrift. Aus Schrift wird ein Bild, das zweidimensional vor unseren Augen entsteht. Die Bewegung der Hand, das gleichzeitige Tasten von Stift und Papier und das Sehen der ungleichen Buchstaben, die wir als Wortbilder erfassen, manifestieren die Erinnerung an das Bild im Gehirn. (Mir scheint, dass die Bewegung dabei die wichtigste HANDlung ist, genauso wie sich in der Bewegung durch das Laufen oder Gehen so manches Schreibproblem lösen lässt, andere Probleme natürlich auch.) Haben Sie auch schon im Supermarkt ohne Ihren handgeschriebenen Einkaufszettel gestanden, weil Sie ihn vergessen hatten? Vermutlich brauchten Sie den Zettel gar nicht mehr, denn Sie konnten sich Ihre Einkaufsliste bildhaft vorstellen, heißt es doch: „Von der Hand in den Verstand.“ Mit einer getippten und dann ausgedruckten Liste wäre diese Erinnerungsleistung nicht möglich gewesen, da das Tippen nicht so viele Sinne beansprucht.

Tempo

Auf einer Tastatur bin ich viel schneller unterwegs als mit dem Füller auf dem Papier. Aber Schnelligkeit ist nicht immer erstrebenswert. John Irving zum Beispiel schreibt seine Manuskripte grundsätzlich mit der Hand, weil ihm die Langsamkeit wichtig ist. Durch das langsamere Arbeiten gewinnt das Gehirn die nötige Zeit, um neue Gedanken mit schon gespeicherten Informationen und Gefühlen zu vernetzen. Auf diese Weise kann ein Thema tiefer und emotionaler gestaltet werden. Das ist der wichtigste Effekt des handschriftlichen Arbeitens! Und wenn Stift und Papier unsere einzigen Werkzeuge sind, dann können wir auch längere Zeit konzentriert arbeiten, weil die Informationsflut, die via Internet über uns hereinbricht, unterbrochen ist.

Konzept

Mit diesem intuitiven Wissen ausgestattet, schreiben viele Autoren zumindest das Konzept für einen längeren Text mit der Hand, wie Kate Morton. In einem Interview mit LovelyBooks auf der Frankfurter Buchmesse 2012 sagte sie: „Ich schreibe auch am Computer, wenn es dann ans richtige Schreiben geht. Aber Monate davor verbringe ich ausschließlich mit einem Notizbuch. Dann schreibe ich absolut jede Idee auf, die ich habe. Ich habe das Gefühl, dass es eine Verbindung von meinem Gehirn über meinen Arm zu meiner Hand zum Papier gibt. Und das zwingt mich sozusagen dazu, in meiner Welt zu bleiben und mich nicht von anderen Dingen ablenken zu lassen. Am Ende habe ich dann mehr als zehn Notizbücher zusammen, die voller Texte, Kritzeleien, Pfeile und all meinen Ideen sind. All die Dinge, die ich brauche, um mich an den Ort im Buch zu versetzen.“

Recherche

Auch der in Rostock lebende Autor und Journalist Frank Schlößer bereitet längere Artikel handschriftlich vor: „Ich habe mir angewöhnt, meine Texte gleich am Rechner zu schreiben. Es muss doch meistens schnell gehen und ich mag es, in einem geschriebenen Satz herumdoktern zu können. Außerdem habe ich eine schreckliche Handschrift. Bei einem größeren Artikel gehört sie dennoch zum zweiten Arbeitsgang. Ich arbeite gern mit dem Diktiergerät, denn dann wird die Recherche lebendig, ich kann richtige Gespräche führen und muss nicht ständig notieren. Wenn ich am Schreibtisch sitze, höre ich das Gespräch per Kopfhörer ab. Dabei höre ich nicht nur auf das Gesagte, es fallen mir auch alle Dinge wieder ein, die mir während des Gespräches aufgefallen sind: Bilder, Gerüche, Eindrücke. Ich nehme mir ein A3-Blatt und fülle es mit handschriftlichen Notizen: Zahlen, Fakten, Namen, prägnante Sätze – aber auch diese Details. Ich habe mir angewöhnt, mir die Namen genau buchstabieren zu lassen und bestimmte Sätze meines Gesprächspartners mit ‚Das war die Überschrift‘ zu kommentieren, damit ich sie beim Anhören wiederfinde. Auf dieses Notieren verzichte ich ungern, oft reicht auch ein A3-Blatt nicht aus. Wenn die Blätter dann mit meinen handschriftlichen Notizen gefüllt sind, brauche ich sie meistens nicht mehr. Bei dieser Arbeit strukturiert sich der Text, ich sehe andere Schwerpunkte als die bloße Chronologie eines Interviews, finde Einstiege und neue Ansätze, oft auch Zusammenhänge, die mir im Gespräch selbst nicht aufgefallen waren. Wenn alles gut läuft, schreibt sich der Text danach ‚von selbst‘. Zwei Tage später kann ich die handschriftlichen Notizen kaum noch lesen. Meistens ist das auch nicht nötig, denn nach dem Schreiben fliegen die Blätter in den Papierkorb.“

Redaktionsalltag

Da Journalisten generell unter Zeitdruck arbeiten müssen, sieht der Arbeitsalltag in vielen Redaktionen ähnlich aus wie der, den eine befreundete Journalistin beschrieb, die bei der OSTSEE-ZEITUNG arbeitet: „Bei uns in der Redaktion schreibt niemand mehr Artikel mit der Hand, Erstfassungen gibt es kaum, eigentlich gar nicht. Es wird alles gleich ins fertige Layout auf die Seiten im PC geschrieben, oder eben in Texthülsen mit vorgeschriebener Überschriftgröße. Bei der Recherche schreibt man meist noch mit der Hand, mit dem Ergebnis, dass ich oftmals Probleme habe, das Geschreibsel zu entziffern. Und wie du schon gesagt hast, da manchmal von einem Kollegen zwei Hauptbeiträge und womöglich noch kleinere Meldungen an einem Tag zu liefern sind, bleibt keine Zeit für Spielereien mit der Hand, auch wenn Journalismus Handwerk sein sollte.“

Rohfassung

Die Rohfassung eines Romans geben die meisten Autoren (wie Kate Morton) dann über eine Computertastatur ein, die – die ständig verbesserte Software macht es möglich – einfach und schnell überarbeitet, gespeichert, gesichert und vervielfältigt werden kann. Und trotzdem schreiben einige Autoren, durchaus auch jüngerer Jahrgänge, die versiert im Umgang mit der Hard- und Software sind, die Rohfassung eines Romans mit der Hand wie der britische Autor Neil Gaiman (*1960). In der deutschen Ausgabe seines Romans Der Ozean am Ende der Straße sind auf den Vorsatz- und Schmutztitelseiten Auszüge seines handschriftlichen Entwurfs abgedruckt. Das handgeschriebene Manuskript zeigt mit seinen Streichungen und Änderungen nicht nur das Ringen des Autors um den Text, sondern offenbart auch etwas Geheimnisvolles. Es ist, als ob man einen privaten Brief von ihm oder gar sein Tagebuch lesen würde.

Füller oder Kugelschreiber

Klaus-Peter Wolf (*1954) leistet sich „den Luxus, mit der Hand zu schreiben. E-Mails schreibe ich natürlich auch, aber meine Romane schreibe ich mit einem Füller in mörderisch schwarzer Farbe in ein Heft.“ (J. K. Rowling, die bekanntlich die Harry-Potter-Romane handschriftlich verfasste, oft in einem Café sitzend, schreibt übrigens auch lieber mit einem schwarzen Kugelschreiber anstatt mit einem blauen. Das liegt offenbar daran, dass Schwarz auf Weiß die stärksten Ausdrucksmittel sind für Dunkel auf Hell.) Die Begeisterung für schöne Schreibwerkzeuge spiegelt Klaus-Peter Wolf in dem Mordopfer Ulf Speicher aus dem ersten Band seiner erfolgreichen Ostfriesenkrimi-Reihe mit der Kommissarin Ann Kathrin Klaasen: „… er konnte an keinem Schreibwarengeschäft vorbeigehen, wenn schöne Füller ausgestellt waren oder edle Kladden, Tagebücher oder originelle Notizblöcke. Er ging hinein, musste alles anfassen und die Seiten durch die Finger gleiten lassen. Er hatte ein fast erotisches Verhältnis zu Papier gehabt.

Wenn Klaus-Peter Wolf einen neuen Roman beginnt, hat er meistens den ersten Satz. „Für jedes Buch kaufe ich mir einen neuen Füller und schreibe den ersten Satz hin. Manchmal merke ich gleich, dass das so nicht funktioniert, dann probiere ich einen anderen Füller aus. Und irgendwann passt dann alles, dann schaue ich meinem Füller gewissermaßen beim Schreiben zu. Nach so einem Roman ist so ein Füller dann auch erledigt.“

Wie Ulf Speicher bevorzugt Klaus-Peter Wolf kariertes Papier: „Ja, er hatte seine Gedanken nicht gern auf liniertes Papier geschrieben. Die Kästchen gaben seinen Buchstaben eine Form, die er dann nach Belieben sprengen konnte.“ (J. K. Rowling dagegen schreibt lieber auf fein liniertem Papier.)

Aus Angst, das einzig existierende Exemplar zu verlieren, schleppt Klaus-Peter Wolf seine Kladde immer mit sich herum. Niemals würde er sie im Auto liegen lassen. Auch schickt er in regelmäßigen Abständen Kopien an seine Sekretärin, die sie dann abtippt. Nach dreißigjähriger Zusammenarbeit merkt sie schon mal an, dass sie das schon besser von ihm gelesen hat! In der abgetippten Fassung entdeckt Klaus-Peter Wolf manchmal Fehler, die er vorher in der handschriftlichen Fassung nicht bemerkt hat. Er korrigiert den ausgedruckten getippten Text. Bis zum fertigen Manuskript entstehen auf diese Weise mehrere Fassungen.

Vorteile

Ich habe schon immer gern mit der Hand geschrieben, sowohl in Langschrift als auch in Kurzschrift (Stenografie). Um auch längere Zeit mit der Hand in Langschrift zu schreiben, musste ich meine Hand erst wieder daran gewöhnen. Aber mit zunehmender Übung wird das besser. Auch das Schriftbild verbessert sich wieder. Es ist ein so einfaches und flexibles Arbeiten. Man kann immer und überall schreiben, fernab jeglicher Stromversorgung. Und man braucht nicht erst den Computer hochzufahren. Der...

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