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Jenseits von Einsteins Universum

Von der Relativitätstheorie zur Quantengravitation

AutorRüdiger Vaas
VerlagFranckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl544 Seiten
ISBN9783440154830
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Sie wurde tausendfach geprüft und immer genauer bestätigt: Einsteins revolutionäre Relativitätstheorie gilt als ein Fundament der heutigen Physik. Ihre Entdeckungsgeschichte ist spannender als ein Krimi, und ihre Konsequenzen haben das Verständnis der Natur radikal verändert. Mit der Entdeckung der Gravitationswellen wurde sie jetzt erneut glänzend bestätigt. Trotz ihrer Erfolgsgeschichte wird die Theorie der gekrümmten Raumzeit aber zunehmend in Frage gestellt. Denn aktuelle Erkenntnisse über den Urknall, Schwarze Löcher und die kosmische Dynamik sowie die Suche nach der Weltformel zeigen: Es muss eine Wirklichkeit jenseits von Einsteins Universum geben. Stark erweiterte Neuausgabe zur epochalen Entdeckung von Gravitationswellen!

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Leseprobe

»Im Lichte bereits erlangter Erkenntnis erscheint das glücklich
Erreichte fast wie selbstverständlich, und jeder intelligente Student
erfasst es ohne große Mühe. Aber das ahnungsvolle,

Jahre währende Suchen im Dunkeln mit seiner gespannten
Sehnsucht, seiner Abwechslung von Zuversicht

und Ermattung und seinem endlichen Durchbrechen zur
Wahrheit, das kennt nur, wer es selber erlebt hat.«

Albert Einstein

100 Jahre Allgemeine Relativitätstheorie

»Wo damals die Grenzen der Wissenschaft waren, da ist jetzt die Mitte.« Was der Göttinger Physiker und Aphoristiker Georg Christoph Lichtenberg ohne konkreten Bezug in den 1780er-Jahren in einem seiner Sudelbücher notierte, nimmt die Beschreibung der wissenschaftlichen Revolution pointiert vorweg, die Albert Einstein mit seiner Allgemeinen Relativitätstheorie ausgelöst hatte. Denn diese Theorie, die zugleich Krönung und Abschluss der Klassischen Physik ist wie auch deren Überwindung, begann an den Grenzen des Vorstellbaren, des Berechenbaren, des Überprüfbaren und steht heute in der Mitte des physikalischen Wissens. Sie ist die Grundlage der Kosmologie und somit der Beschreibung des Großen und Ganzen. Und sie ist zusammen mit dem Standardmodell der Elementarteilchenphysik für das Allerkleinste die tragende Säule des wissenschaftlichen Weltbilds. Beide Theorien sind die genauesten in der Geschichte der Menschheit sowie die durch Beobachtungen und Experimente am besten überprüften. Daher befinden sie sich nicht nur im Zentrum der Naturwissenschaft, sondern reichen auch an deren äußerste Grenzen – Extreme von Raum und Zeit, die in Lichtenbergs Epoche noch unvorstellbar waren.

»Ich bewundere die Allgemeine Relativitätstheorie wie ein Kunstwerk«, meinte Max Born einmal, der den Physik-Nobelpreis 32 Jahre nach dem befreundeten Albert Einstein erhalten hatte. Tatsächlich zählt die Relativitätstheorie zu den bedeutendsten Leistungen des menschlichen Geistes und wird von Experten auch oft als »außerordentlich schön« bezeichnet. Die Theorie zu finden, erforderte große mathematische und physikalische Kunstfertigkeiten einschließlich einer beträchtlichen Menge an Fantasie und Intuition, wie Einstein selbst betont hat. Aber ein bloßes Fantasiegebilde oder gar »moderne Kunst« ist sie keineswegs. Vielmehr ist der kleine menschliche Verstand, das Räsonieren von Primatengehirnen auf einem kosmischen Sandkorn in den Außenbezirken einer Sterneninsel unter Myriaden, der seltsamen Realität ringsum kaum jemals besser auf die Schliche gekommen. Mit seinen bahnbrechenden Gedanken erschütterte Albert Einstein das Gebäude der Physik und hat die Vorstellung von Raum, Zeit, Materie, Energie und Schwerkraft für immer verändert.

Inzwischen ist die Allgemeine Relativitätstheorie sogar im Alltagsleben angekommen: Ohne sie gäbe es weder Satelliten-Navigationssysteme, mit denen man metergenau jeden Punkt auf der Erde auffinden kann, noch auf wenige Zentimeter exakte Höhenbestimmungen und -vergleiche mit speziellen Präzisionsuhren. Beides hätte sich Einstein in seinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt. Praktische Anwendungen hielt er für unrealistisch. Und das betrübte den pazifistischen Kosmopoliten keineswegs, musste er vor einem Jahrhundert doch miterleben, wie sich Wissenschaftler seiner Zeit in den Ersten Weltkrieg hineinziehen ließen und Forschungsergebnisse das Leid vermehrten.

Am 25. November 1915, einem Donnerstag inmitten des im Donnern der Kriegskanonen sich selbst zerfleischenden Europas, publizierte Einstein einen dreieinhalbseitigen Artikel in den Sitzungsberichten der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin mit dem Titel Die Feldgleichungen der Gravitation. Das war der fulminante Abschluss seiner achtjährigen Anstrengung, die ihn an die Grenzen seiner geistigen Kapazität und körperlichen Gesundheit getrieben hatte. Diese Feldgleichungen bilden den Kern der Allgemeinen Relativitätstheorie, die an jenem Tag nach langen und schweren Geburtswehen ans Licht der wissenschaftlichen Welt kam. Ein Jahrhundert nach ihrer Vollendung steht Einsteins Geniestreich stärker da denn je – allen theoretischen Attacken und experimentellen Überprüfungen zum Trotz. Entsprechend enthusiastisch fallen die Würdigungen aus – nicht nur innerhalb der akademischen Welt.

Jubiläen werfen in einer schnelllebigen – und offensichtlich auch relativen – Zeit ihren Glanz immer früher voraus. So zierte bereits am 6. März 2015 ein berühmtes Foto des alten Einstein mit verstrubbeltem weißen Haar das Cover der bedeutenden US-amerikanischen Wissenschaftszeitschrift Science. Titel: Special Issue – General Relativity turns 100. (Einstein war übrigens 1915 erst 36 Jahre alt, aber eine Fotografie aus dieser Zeit erschien den Herausgebern wohl nicht markant genug, und so wählten sie eine aus dem Jahr 1947.) Ebenfalls im März 2015 hielten zahlreiche prominente Wissenschaftler hochkarätige Fachvorträge bei der Sektion »Gravitation und Relativitätstheorie« der Deutschen Physikalischen Gesellschaft auf ihrer Frühjahrstagung in Berlin. Das war keineswegs eine museale Erinnerungsveranstaltung, sondern im Gegenteil ein gutes Beispiel dafür, wie lebendig die Relativitätstheorie sowohl in der theoretischen als auch in der experimentellen Forschung ist – sogar lebendiger denn je angesichts vieler neuer, hochpräziser Testmöglichkeiten und Anwendungen. Und im März begannen auch die ersten Vortragsreihen zu Einsteins Jahrhundertwerk, beispielsweise im Planetarium Nürnberg. Unter den populären Magazinen preschte bild der wissenschaft voran, das mit seiner Mitte August erschienenen September-Ausgabe Einsteins Revolution feierte – zur Abwechslung nicht mit einem Schwarzweißbild des Meisters mit wirrem Haar, sondern mit einem poppigen Porträt aus knallbunten Vierecken, das tatsächlich überlebensgroß eine Hauswand in Los Angeles schmückt, gemalt von dem brasilianischen Künstler Eduardo Kobra.

Exkurs

Feldgleichungen

Feldgleichungen haben sich bewährt, um die Auswirkungen von Kräften zu beschreiben – und damit insbesondere materielle Wechselwirkungen. Mit ihnen arbeitete bereits die Klassische Physik des 19. Jahrhunderts. Felder haben physikalische Größen an jedem Punkt in Raum und Zeit, etwa eine elektrische Feldstärke. Das erkannte zuerst Michael Faraday mit Experimenten ab 1848. Zur einheitlichen Beschreibung elektrischer und magnetischer Phänomene stellte James Clerk Maxwell 1864 die später nach ihm benannten Gleichungen auf. Sie waren auch ein Vorbild für Einsteins Feldgleichungen der Gravitation. Die Maxwell-Gleichungen lassen sich sogar in die Allgemeine Relativitätstheorie »einbauen« (technisch gesprochen: als elektromagnetischer Energie-Impuls-Tensor). Aber Einstein wollte noch mehr. Er arbeitete bis an sein Lebensende an einer Einheitlichen Feldtheorie, die den Elektromagnetismus und die Gravitation gleichsam als zwei Seiten derselben Medaille auffasst und in einem »Hyperfeld« vereinigt.

Publizistisch, populärwissenschaftlich und physikalisch erweist sich die Allgemeine Relativitätstheorie also nach wie vor als hochaktuell. Konferenzen, Symposien und Vorträge sowie mehrere historische und physikalische Sammelbände und populärwissenschaftliche Bücher ehren das Meisterwerk, die Krone der Klassischen Physik. Wobei der locus classicus Berlin im Mittelpunkt steht.

Oft wird Einsteins opus magnum dabei als intellektuelle Heldengeschichte inszeniert. Und die Feldgleichungen waren die Krönung eines kniffligen Forschungsprozesses voller Irrungen und Wirrungen, tastender Versuche im Ungewissen, Umwegen, Blockaden und Rückschritten, diverse Rechenfehler eingeschlossen. Es kam zu Bündnissen, Gefechten und sogar zu einem Wettlauf, denn fast hätte David Hilbert Einstein den Triumph noch vor der Nase »weggeschnappt«. Daher haben auch Wissenschaftshistoriker an der Genesis von Einsteins grandioser Entdeckung ihre wahre Freude. In den letzten Jahren konnten sie genau nachvollziehen, wie er zu seinen Einsichten gelangte, auf welchen Grundlagen er baute und welche Sackgassen ihn jahrelang aufhielten. Bei diesen akribischen Untersuchungen waren vor allem John Norton, Jürgen Renn, Tilman Sauer, John Stachel und Michel Janssen beteiligt, die auch maßgeblich an der noch lange nicht abgeschlossenen Werkausgabe von Einsteins Schriften und Briefwechsel mitwirkten.

Tatsächlich gibt es wohl keine grundlegende wissenschaftliche Theorie, deren Entstehung besser rekonstruierbar ist. Insofern ist die Allgemeine Relativitätstheorie eine der physikgeschichtlich am besten erforschten geistigen Glanztaten. Denn zum einen hat Einstein ab 1907 zahlreiche Vorstufen und Zwischenschritte veröffentlicht, zum anderen hat sich ein beträchtlicher Teil seines Briefwechsels erhalten und ebenso sein Notizbuch aus Zürich von 1912 und 1913, das inzwischen Zeile für Zeile analysiert, kommentiert und publiziert wurde. Das alles erlaubt es, Einstein gleichsam über die Schulter zu schauen und seinen Gedankengängen zu folgen.

Drei Riesenschritte

Orientiert man sich an Einsteins grundlegenden Einsichten, vollzog sich sein Durchbruch zur Allgemeinen Relativitätstheorie dem Wissenschaftshistoriker Tilman Sauer von der Universität Mainz zufolge in drei großen Schritten.

1907: die Hypothese von der Äquivalenz der trägen und schweren Masse.

1912: die Einführung des Metrik-Tensors zur Beschreibung des gravito-inertialen Felds (Schwerkraft und Trägheit) in der gekrümmten...

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