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E-Book

Hochbegabte Kinder

Persönlichkeit, Entwicklung, Förderung

AutorAiga Stapf
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783406696008
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR

Obwohl etwa zwei Prozent der Bevölkerung als hochbegabt gelten – allein in Deutschland werden über 300.000 Mädchen und Jungen als überdurchschnittlich intelligent angenommen –, litt die Frage, wie mit diesen Kindern am besten umzugehen sei, lange unter stark ideologisch geprägten Vorbehalten. Zumindest dies hat sich inzwischen geändert, nicht zuletzt unter dem Druck betroffener Eltern wie auch durch die Ergebnisse der psychologischen Forschung. Das Erkennen und Fördern hochbegabter Kinder genießt nun größere Aufmerksamkeit. Mit Aiga Stapf stellt eine auf diesem Gebiet besonders ausgewiesene Psychologin den aktuellen Stand der Hochbegabtenforschung und der daraus resultierenden konkreten Maßnahmen vor. Ein wichtiges und informationsreiches Buch für Eltern, Lehrer und Erzieher, für Psychologen und den an Bildungsfragen interessierten Laien, das durch ein ausführliches Verzeichnis nützlicher Adressen in Deutschland, Österreich und der Schweiz abgerundet wird.



<p>Dr. Aiga Stapf, Diplom-Psychologin und Akademische Oberr&auml;tin an der Universit&auml;t T&uuml;bingen, lehrte und forschte bis 2009 auf verschiedenen Gebieten der Entwicklungs- und Pers&ouml;nlichkeitspsychologie. Sie leitet die Arbeitsgruppe &quot;Begabungs- und Pers&ouml;nlichkeitsentwicklung&quot;, in deren Rahmen Eltern hochbegabter Kinder und Jugendlicher fachpsychologisch beraten werden. 2010 Gr&uuml;ndung des &quot;T&uuml;binger Instituts f&uuml;r Hochbegabung&quot;.</p>

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Leseprobe

Was heißt hochbegabt?


Der Begriff «Hochbegabung» (engl. meist «giftedness») hat sich in Deutschland außerhalb der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur noch nicht etablieren können. Im deutschsprachigen Raum werden häufig die Bezeichnungen «Begabung», «hohe Begabung», «besondere Begabung» synonym verwendet, da «Hochbegabung» von einigen Kreisen als ein «elitärer» Begriff angesehen wird und mit negativen Konnotationen verbunden ist.[1]

Dabei erweist sich bei näherer Betrachtung die – zumeist abwertende – Verbindung von hochbegabten Personen mit «Elite» als unangebracht. Mit «Elite» wird eine von der Gesellschaft auserlesene, führende Schicht bezeichnet, die «die Summe der Inhaber von Herrschaftspositionen oder höchsten Rangplätzen auf der Macht- oder der Prestigeskala der Gesellschaft» darstellt (Fuchs et al. 1978, S. 182). Zumindest derzeit scheinen in keinem Land oder Gesellschaftssystem intellektuell Hochbegabte an der Spitze einer Macht-, Einkommens-, Prestige- oder Sozialhierarchie zu stehen. Somit erweist sich der soziologische Begriff «Elite» zur Kennzeichnung oder als Attribut von Hochbegabten eher als ungeeignet und unpassend.

In Deutschland werden häufiger negative Empfindungen mit dem Begriff und Phänomen Hochbegabung assoziiert als etwa in angelsächsischen Ländern. Für eine sachlich-rationale Auseinandersetzung mit dem Konzept ist daher die folgende Erläuterung des in der Wissenschaft seit langem als Fachwort eingeführten Begriffs hilfreich.

Hochbegabung ist äußerlich nicht erkennbar. In Situationen, bei denen besondere Fähigkeiten nicht zum Tragen kommen können, werden Hochbegabte nicht auffallen. Es bedarf bestimmter Problemstellungen, Situationen und Gegebenheiten, bei denen ihre Begabung sichtbar werden kann. Beispielsweise Mozart, musisch hochbegabt, benötigte ein Musikinstrument; Picasso, künstlerisch hochbegabt, Papier/Leinwand, Farben und Stifte; ein mathematisch Hochbegabter besonders schwierige mathematische Fragen, Aufgaben oder Probleme. Unterschiede zwischen Hochbegabten und Nicht-Hochbegabten werden oft erst im Vergleich mit anderen sichtbar, die kein Lied komponieren, kein Gemälde malen und keine mathematischen Probleme lösen können.

Immer wenn sich Menschen miteinander vergleichen, werden Unterschiede auch bewertet. Wie die Beschäftigung mit herausragenden, genialen Personen und deren Erkennung im Altertum zeigt, werden die erheblichen Unterschiede ihrer Fähigkeiten wohl bemerkt. Schon Aristoteles, ein Schüler Platons, schrieb: «Es scheint aber der Geist (nous), als Denkkraft (phronesis) verstanden, nicht gleicherweise allen Lebewesen innezuwohnen, nicht einmal allen Menschen» (zitiert nach Hofstätter 1971, S. 195).

Bis zum Ende des vorletzten Jahrhunderts wurde zumeist der Begriff «Genie» verwendet, um Menschen (eigentlich immer Männer) von «außerordentlichen Geisteskräften und schöpferischen Begabungen» zu bezeichnen (vgl. Lombroso 1887). In England veröffentlichte Francis Galton, ein Vetter Charles Darwins, im Jahre 1869 sein bedeutendes Werk «Hereditary Genius», in dem er das mehr als zufällig häufige Auftreten von sehr hohen und speziellen Begabungen in bestimmten Familien durch Untersuchung der Stammbäume nachwies. Galton, der sich intensiv mit der Intelligenz und deren systematischer Messung unter Anwendung der mathematischen Statistik beschäftigte, kam bei seinen Untersuchungen zu der Schlußfolgerung, daß Intelligenz vererbbar sei, eine damals gängige Vorstellung.

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wenden Psychologen und Pädagogen in Deutschland den Begriff «Hochbegabung» an, er ist somit keine «neumodische Erfindung». Einer der bedeutendsten Psychologen, die sich mit dem Phänomen «Hochbegabung» befaßt haben, war William Stern (1871–1938), ab 1916 Ordinarius am Hamburger «Allgemeinen Vorlesungswesen und Kolonialinstitut» und Mitbegründer der Universität Hamburg im Jahre 1919. Er wurde 1933 von den Nationalsozialisten entlassen, da er Jude war. William Stern, Begründer der Differentiellen Psychologie und «Erfinder» des Intelligenzquotienten, befaßte sich u.a. intensiv mit der Intelligenz der Kinder und Jugendlichen (Stern 1916, 1920). Er verwendete dabei den Begriff «Hochbegabung», die er als die höchste Ausprägung der Intelligenz faßte.

Im amerikanischen Sprachgebrauch wurde in dieser Zeit neben «genius» die Bezeichnung «giftedness» mit der hohen Ausprägung als «highly gifted» üblich. Ähnlich bedeutsam wie Sterns Forschungen für die Intelligenz- und Begabungsforschung in Deutschland waren in Amerika die Hochbegabten-Studien von L. M. Terman, der 1921 seine berühmte Studie an 1528 hochbegabten Kindern begann. Insgesamt nahmen 672 Mädchen und 856 Jungen mit einem Durchschnittsalter von 11 Jahren, die nach der Vorauswahl durch Lehrer einen Mindestintelligenztestwert von 135 im Stanford-Binet-Intelligenztest erreichten, an der Studie teil (vgl. u.a. Holahan 1996). In verschiedenen Bänden der von Terman und seinen Mitarbeitern herausgegebenen «Genetic studies of genius» wurden die Ergebnisse festgehalten. Ein wesentliches Anliegen Termans war die Widerlegung der These von Lombroso (1887) und Lange-Eichbaum (1928), daß «geniale», d.h. hoch- bis höchstintelligente Personen sehr häufig eine gestörte Persönlichkeitsentwicklung bis hin zur Abnormalität im Sinne des Psychopathologischen, der Psychose erleiden.[2]

Wer immer sich mit den «Genialen» oder «Hochbegabten» befaßte, den faszinierte die Frage nach der (besonderen) Persönlichkeit dieser Menschen. In der frühen Zeit der Mystik gibt es Zeugnisse, wo Geniales mit Göttlichem gleichgesetzt wurde, in christlichen Anschauungen gilt es als Gottesgabe. Annahmen über biologisch-körperliche Besonderheiten Genialer wie der Ausstattung des Gehirns und der «Säfte» auf ererbter Basis wurden geäußert. Der Psychiater Lange-Eichbaum (1928), der Genie nicht als Biologisches, nie als «Objekt der Naturwissenschaft» ansah, vertrat sogar die Meinung, daß das Genie nur vorhanden ist, «wenn die betrachtende Menschheit da ist», die bestimmt, «wer als Genie zu gelten hat.»

Diese «wirre Fülle von Meinungen» (Lange-Eichbaum 1928, S. 40), deren Einfluß auch heute noch in ähnlichen Mutmaßungen und Annahmen über Hochbegabte erkennbar ist, und die höchst unterschiedlichen Bestimmungen, was unter Hochbegabten («Genies») zu verstehen ist, führten zu stark kontroversen Standpunkten, Mißverständnissen, zu vielfältigen Interpretationen und Befunden.

Wie die historische Betrachtung erkennen läßt, kann die Zuschreibung einer Person als «hochbegabt» nach zwei Gesichtspunkten erfolgen:

1. Hochbegabte werden als Personen definiert, die etwas Außergewöhnliches leisten, die extrem schwierige Aufgaben lösen, ein höchst ungewöhnliches Werk schaffen, ungeachtet der Leistung anderer Personen (absolutes, qualitatives Kriterium).

2. Hochbegabte sind solche Menschen, die in einem festgelegten Bereich eine so hohe Leistung aufweisen, wie sie nur noch von wenigen Personen der Bezugsgruppe erbracht werden kann. Dabei ist die Setzung einer quantitativ zu bestimmenden Grenze («cutoff point») erforderlich (relatives, quantitatives Kriterium).

Anders als in dem Märchen, wo der König seine Tochter nur demjenigen Freier zur Frau gibt, der ein sehr schweres Rätsel löst, erweist es sich bei der Bestimmung von Hochbegabung als äußerst schwierig, ein «qualitatives» Kriterium zu finden, das eine klare Trennung von Hochbegabten und Nicht-Hochbegabten ermöglicht. Daher neigen heute Begabungsforscher dazu, die mit Hilfe eines psychologischen Tests gemessene Leistung einer Person mit den Leistungen ihrer Vergleichsgruppe in Beziehung zu setzen (relatives, quantitatives Kriterium). Diejenigen Personen mit den höchsten Meßwerten werden als hoch- bzw. höchstbegabt bezeichnet.

Begabung und Intelligenz


Die Begriffe Intelligenz und Begabung erfuhren über Jahrzehnte hinweg Wechselbäder der Ablehnung und Zustimmung. Der Begriff «Begabung» wird in der Psychologie außerhalb der sogenannten Begabungsforschung kaum mehr verwendet, da mit ihm oft (implizit) Annahmen über angeborene Merkmale oder Verhaltenstendenzen verknüpft werden. Deshalb wird in der modernen psychologischen Persönlichkeitsforschung, der Differentiellen Psychologie eher von «Fähigkeiten» gesprochen, die als Dispositionen erworben oder genetisch (mit)bedingt sein können.

In der Alltagssprache sowie in englischsprachigen Arbeiten findet sich der früher gebräuchlichere Begriff «Talent», der teilweise synonym zu «Begabung» bzw. zu den spezifischen Intelligenzfaktoren benutzt wird (vgl. «Sprachtalent»). Ähnlich wie der Begabungsbegriff spielt er in der heutigen psychologischen Forschung keine Rolle mehr (vgl. Heller und Hany 1996).

Begabung, im Sinne von Fähigkeit, wird oft synonym oder sinnverwandt mit...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Titel2
Zum Buch3
Über die Autorin3
Impressum4
Inhalt5
Vorwort9
Einleitung: Hochbegabte fordern uns heraus11
Was heißt hochbegabt?14
Begabung und Intelligenz17
Intellektuelle Hochbegabung23
Hochbegabung und Leistung: Ein Bedingungsgefüge für herausragende Intelligenzleistungen24
Anlage und Umwelt27
Einmal hochbegabt, immer hochbegabt?30
Das Problem der Evidenz durch Einzelfälle35
Zur Persönlichkeit hochbegabter Kinder und Jugendlicher38
Körperliche Merkmale und physische Attraktivität39
Das Denken Hochbegabter40
Sind Hochbegabte sozial kompetent(er)?43
Bedürfnisse und Motive47
Interessen51
Temperament: Sensitiv und selbstsicher?56
Introversion und Extraversion60
Hochbegabte Mädchen und Jungen: Ein Geschlechtervergleich63
Kleiner Unterschied – große Wirkung65
Körperliche Merkmale, Sinnesleistungen und Motorik66
Das Miteinander-Umgehen der Geschlechter: Soziales und emotionales Verhalten69
Sind Frauen intelligenter? Verbale, mathematische und räumlich-technische Fähigkeiten72
Interessen und Lieblingsbeschäftigungen76
Selbstvertrauen und Selbstbewertung82
Mädchen werden seltener als hochbegabt erkannt85
Zur Entwicklung hochbegabter Kinder88
Entwicklungspsychologische Besonderheiten bei Hochbegabten: Asynchrone Entwicklungen?90
Frühreif: Ein verwirrender Begriff94
Hochbegabte Säuglinge und Kleinkinder95
Hochbegabte Vorschulkinder99
Passung: Ein entwicklungspsychologisches Modell, das auch für Hochbegabte paßt103
Psychologische Diagnostik und Beratung bei Hochbegabung107
Warum wenden sich Eltern an Beratungsstellen für Hochbegabte?108
Nutzen der (Früh-)Erkennung111
Der diagnostische Prozeß114
Psychologische Tests: Intelligenz- und Leistungstests116
Anwendung von Intelligenztests bei Vorschulkindern119
Intelligenztests für Schulkinder124
Intelligenztests für ältere Schüler und Jugendliche132
Spezielle Leistungstests137
Anamnese, Exploration und Verhaltensbeobachtung138
Schätz-(Rating-)Skalen, Fragebogen und Checklisten139
Nominationsverfahren141
Diagnostische Kompetenz142
Aufgaben psychologischer Beratung: Vorbeugen ist besser als heilen144
Brauchen Hochbegabte eine (spezifische) Beratung?148
Wodurch entstehen Probleme?152
Therapie: Wann – wofür – für wen?158
Beratung durch Laien: Selbsthilfegruppen und Elternvereine162
Hochbegabte in ihrer Familie165
Förderlich und hemmend: Familiäre Strukturmerkmale, Erziehungsstile und Anregungsbedingungen169
Beobachtungen und Erfahrungen aus der Beratungspraxis176
Geschwister von Hochbegabten177
Hochbegabte im Kindergarten180
Kindergarten oder Vorschule? Bildung im Kindergarten181
Erzieherinnen: Ihr Einfluß auf hochbegabte Kinder184
Gleichaltrige Spielkameraden: Von Hochbegabten gefordert und überfordert191
Kindergärten und Kinderakademien für Hochbegabte194
Früheinschulung197
Hochbegabte in der Schule201
Unterforderung: Langeweile macht freudlos202
Underachiever: Schlechte Schulleistungen bei hoher Intelligenz207
Lehrer für Hochbegabte?211
Mentoren217
Fördern: Anregen und Fordern219
Integrative, beschleunigende Maßnahmen: Vorzeitige Einschulung und Überspringen einer Klassenstufe222
Spezialklassen und Spezialschulen für Hochbegabte226
Waldorfschulen230
Peers: Gleichaltrig oder gleichartig?234
Mitschüler – Klassenkameraden236
Freunde243
Nachwort246
Anmerkungen249
Literatur253
Beratungsstellen, Verbände und Schulen268

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