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Rowohlts Rotationsroutine

Markterfolge und Modernisierung eines Buchverlags vom Ende der Weimarer Republik bis in die fünfziger Jahre

AutorDavid Oels
VerlagKlartext Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl440 Seiten
ISBN9783837513127
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis28,99 EUR
Ob rororo-Taschenbücher oder rde, die anspruchsvolle deutsche enzyklopädie, ob C.W. Cerams Götter, Gräber und Gelehrte oder Ernst von Salomons Fragebogen, ob Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir, Ernest Hemingway oder Henry Miller: Rowohlt gehörte zu den prominentesten, kontroversesten und erfolgreichsten Verlagen der ersten Dekade nach dem Zweiten Weltkrieg. Es lässt sich mit einigem Recht von einer Rowohlt-Kultur der fünfziger Jahre sprechen, die erst ab 1960 von der bekannten Suhrkamp Culture (George Steiner) abgelöst wurde. Der Aufstieg des Rowohlt Verlags wurde meist als Neuanfang erzählt, bei dem bestenfalls vage an eine in der Weimarer Republik begründete kulturelle Tradition angeknüpft werden konnte. Anhand neu bewerteter Archivalien und Dokumente wird hier die Vorgeschichte des Nachkriegserfolgs mit ihren ästhetischen, personellen und unternehmerischen Kontinuitäten und Brüchen nachgezeichnet. Es entsteht eine Verlags- und Kulturgeschichte, die vom Ende der Weimarer Republik über die Zeit des Nationalsozialismus bis in die fünfziger Jahre reicht und auf diese Weise Teil einer intellektuellen Gründungsgeschichte ebenso wie einer Geschichte der Populärkultur der Bundesrepublik ist.

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Leseprobe

Der »moderne Verlagsbuchhändler« und
das »gespaltene Bewußtsein«


Hans Dieter Schäfer hat mit seiner erstmals 1981 erschienenen Aufsatzsammlung die seitdem oft zitierte Formel vom »gespaltenen Bewußtsein« für die »deutsche Kultur und Lebenswirklichkeit 1933–1945« geprägt. Gemeint war damit zunächst ein »tiefer Gegensatz zwischen nationalsozialistischer Ideologie und Praxis«, respektive zwischen der vermeintlich propagierten völkisch-germanischen Kultur totalitärer Entindividualisierung sowie einer Lebenswirklichkeit, die viel eher einer an amerikanischen Leitbildern orientierten Unterhaltungs- und Zerstreuungskultur entsprach und zum Ziel den durch individuelle Leistung gerechtfertigten Waren- und Freizeitkonsum erklärte.33 Auch wenn dies letztlich der »Produktion passiver Loyalität« diente, hat die »Mediendiktatur« im ›Dritten Reich‹

Verhaltensstandards erzeugt oder verstärkt, die weithin dem Realbild einer liberalistischen Leistungsgesellschaft entsprechen: Ein einkommensorientiertes, leistungsbezogenes Arbeitsverhalten, eine Tendenz zur isolationistischen Kleinfamilie, Marktorientierung in der Befriedigung von Bedürfnissen, eben Freizeit- und Konsumorientierung.34

Mag man den beschriebenen Zustand im ›Dritten Reich‹ selbst ambivalent, möglicherweise sogar antagonistisch nennen, setzte die eigentliche Spaltung, folgt man Schäfer, nach 1945 ein:

Die »Stunde Null« legitimierte sich in der Bundesrepublik hauptsächlich durch die Neuproduktion von Konsumgütern und durch Zerstreuungswerte; die Wahrheit, daß das Dritte Reich mit der gleichen Privatwirtschaft moderne Gebrauchswaren hergestellt hatte und der Amerikanismus bis 1941 öffentlich toleriert wurde, spaltete das Bewußtsein ab.35

Spaltungen und Verdrängung waren auch schon vor Schäfer konstatiert worden. Bekanntlich hatten Alexander und Margarete Mitscherlich in ihrer Studie Die Unfähigkeit zu trauern und der sich anschließenden Diskussion ebenfalls mit Abwehr und Verdrängung argumentiert. Abgewehrt wurde bei den Mitscherlichs jedoch nicht die Konsumgesellschaft, sondern die emotionale Verwobenheit in die nationalsozialistische Volksgemeinschaft und damit die mögliche Mitverantwortung für die Verbrechen in Hitlerdeutschland.36 Erneut wurde diese These 2002 modifiziert auch auf die folgenden Generationen angewandt. Der intellektuellen Einsicht und dem abstrakten Wissen stehe die Weigerung der Nachgeborenen gegenüber, die Beteiligung ihnen emotional Nahestehender an den Verbrechen zu akzeptieren.37 Hermann Lübbe bestritt dagegen 1983 vehement, dass eine Verdrängung überhaupt stattgefunden habe, die nun aufgearbeitet werden müsse. Vielmehr habe man sich für das höhere Wohl – den Aufbau eines demokratischen Gemeinwesens – auf einen Schweigekonsens geeinigt. Doch unterschlägt Lübbes Argumentation, dass die jüngste Vergangenheit auch in den fünfziger Jahren in öffentlichen Medien und privaten Erinnerungen omnipräsent war. Nur erinnerte man sich nicht reuig eigener Taten, sondern fühlte sich als Opfer: Kriegsversehrter, Vertriebener, vom Regime Unterdrückter oder Opfer des Bombenkriegs. Jeder hatte in den zwölf Jahren des ›Dritten Reichs‹ etwas verloren und wollte darob gehört werden.38 Dass diese Opfergemeinschaft – und hier schließt sich der Kreis – Teilhabe an Konsumgesellschaft und Unterhaltungskultur des ›Dritten Reichs‹ verleugnen musste, versteht sich. Hätte solches einem Opfer doch nur schlecht zu Gesicht gestanden.

Man kann dem sogar noch eine Wendung zufügen. Der verbreitete kulturkritische Antiamerikanismus ermöglichte die Fortsetzung der Opfergeschichten auch noch im Wirtschaftswunder. War man unter Hitler politisch unterdrückt gewesen und hatte die Konsequenzen der militärischen Niederlage erfahren müssen, litt man nun unter der kulturellen Hegemonie Amerikas.39 Das ›Dritte Reich‹ wurde durch die Abspaltung der Konsum- und Freizeitkultur in jeder Hinsicht zu einer dunklen Zeit, die – bei ritualisierter Erinnerung und stets reger Forschungstätigkeit – von ihrer Nach- und Vorgeschichte möglichst weit fernzuhalten war, sollte diese irgend für wert befunden werden können. Keinesfalls nur metaphorisch zu verstehen ist daher der Hinweis von Erhard Schütz, dass, »seit in den allfälligen Fernseh-Dokumentationen zunehmend Farbfilme zu sehen sind«, klar wird, »daß der Alltag damals nicht schwarz-weiß, sondern für seine Akteure durchaus bunt war.«40 Die nachträgliche Bewusstseinsspaltung lässt sich durchaus auf die dargestellte Doppelstrategie von Verlagsunternehmen im Allgemeinen und des Rowohlt Verlags im Besonderen abbilden. Namentlich die bunten rororos können der »Neuproduktion von Konsumgütern« und den »Zerstreuungswerten« zugerechnet werden, während die abgespaltene Vergangenheit im ›Dritten Reich‹ nun vornehmlich in den ernsten und düsteren Farben von überstandener Unterdrückung und Verbot gemalt wurden. Verbindungen zwischen beidem sollten und durften als solche keinesfalls offensichtlich werden.

Abgesehen davon, dass Schäfer gelegentlich vorgeworfen wurde, er habe den Terror des Regimes gegen die eigene Bevölkerung, die Ermordung der Juden und die Schrecken des Krieges weitgehend ausgeblendet, wurde seine Formel in der Folge mit der spätestens seit Horkheimer/Adornos Dialektik der Aufklärung (1944/47) geführten Diskussion um die Modernität des ›Dritten Reichs‹ kurzgeschlossen. Statt sich mit einer »Spaltung« abzufinden oder wechselweise die eine »unmoderne« und die andere »moderne« Seite auszublenden, wird seit Mitte der sechziger Jahre versucht, jene Widersprüche in Kultur und Lebenswirklichkeit, den »Januskopf des Dritten Reichs«, auf möglichst einen Begriff zu bringen. Vorgeschlagen wurden etwa – ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit – »autochthone Modernität«, »Moderatheitsmoderne«, »modern restauration« oder eine »Dialektik des Modernen« für die Literatur jener Zeit im engeren, »Paramoderne«, »organologische« und »synthetische Moderne« für die Kulturproduktion im weiteren Sinne.41 Einflussreich war Jeffrey Herfs Formel »reactionary modernism« für »technology, culture and politics in Weimar and the Third Reich«. Doch konnten als »reaktionärer Modernismus« nur Teilaspekte der kulturellen Wirklichkeit im ›Dritten Reich‹ beschrieben werden, denn Herf musste weiterhin »Nazi ideology and politics« gegen (statt mit) »technical rationality« verrechnen.42 Georg Bollenbeck verwendete Herfs Begriff denn auch gerade um klarzustellen, dass man den »Nationalsozialismus […] als Modernisierungsdiktatur« nur schwerlich charakterisieren könne.43 Eine zusammenfassende Arbeit behilft sich explizit gegen Herf an Zygmunt Bauman anknüpfend mit der Feststellung einer »Ambivalenz der Moderne«, die auch, womöglich gar vor allem, den Nationalsozialismus gekennzeichnet habe. Trotz der wiederholten Feststellung, dass die »Erfahrung der nationalsozialistischen Diktatur singulär« bleibe, wird dabei aber nicht recht klar, wie sich diese Einmaligkeit innerhalb der Beschreibungskategorie einer ambivalenten »Moderne« abbilden lassen könnte.44

Eine Rechtfertigung findet die über den »Nullpunkt 1945« wechselseitig hinausblickende Perspektive auch deshalb, weil nicht nur neuere Forschungen die Kultur der fünfziger Jahre auf ebenso widersprüchliche und widerstreitende Formeln im Hinblick auf die Frage nach der Modernität und der Modernisierung gebracht haben wie die Kultur des ›Dritten Reichs‹. Der 1950 in den Frankfurter Heften wirkmächtig behauptete »restaurative Charakter der Epoche«, der im düster schwarzbraun gemalten Bild der Adenauerära seine Bestätigung fand, auf der einen Seite und das Wirtschaftswunderland mit der forcierten »Amerikanisierung« und Modernisierung auf der anderen – Nierentisch und Gelsenkirchener Barock, Bikini und Heimatfilm, Trümmerlandschaft und Blaue Grotte – ließen und lassen sich ebenfalls kaum auf den einen Begriff bringen.45 Modernisierung im Wiederaufbau, Restauration oder Moderne?, Zwischen Restauration und Modernisierung, »Reconstruction« and »Modernization«, Zwischen Abendland und Amerika, Im Niemandsland der Moderne oder schlicht The Miracle Years sind die entsprechenden Titel nur einiger Sammelbände und programmatischer Aufsätze zu Kultur, Literatur und Gesellschaft der fünfziger Jahre.46 So ließe sich gerade in der Uneindeutigkeit eine fortdauernde Epochensignatur annehmen, der näherzukommen eine Verlagsgeschichte wie die vorliegende dienen kann.

Ohne die Forschungsdiskussion nachzeichnen zu wollen...

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