Schulentwicklung heute – eine theoretische Skizze
Wolf-Thorsten Saalfrank
Über Schulentwicklungsprozessen steht in der Regel das Idealbild der »guten Schule«. Medienwirksam werden gute Schulen ausgewählt, mit Schulpreisen ausgezeichnet und sollen so eine Orientierungsfunktion für andere Schulen erhalten. Doch was macht eine gute Schule aus? Was ist der Kern von Schulentwicklungsprozessen? Ausgehend von den Auswahlkriterien des Deutschen Schulpreises bzw. des Schulpreises der Stadt München (siehe Landeshauptstadt München, 2015) lassen sich folgende Kriterien ausgemachen, die für die Bestimmung einer guten Schule relevant sind:
1. Schule als lernende Institution
2. Entwicklung der Unterrichts- und Lernkultur bzw. Unterrichtsqualität
3. Nachhaltiger Bildungserfolg der Schülerinnen und Schüler
4. Umgang mit Diversität
5. Verantwortung übernehmen
6. Multiprofessionelle Zusammenarbeit verschiedener Bildungsakteure
7. Schulentwicklung im Ganztag
8. Schulklima, Schulleben und außerschulische Partner
Diese Kriterien sind auch leitend für dieses Kapitel. Sie spiegeln weitestgehend die zentralen wissenschaftlichen Denkfiguren wider, mit denen sich Schulentwicklung beschäftigt, wie beispielsweise die Autonomie der Einzelschule in ihrem Verhältnis zur staatlichen Aufsicht bzw. zum Gesamtsystem oder auch die Entwicklung der Schule hin zur lernenden Organisation.
Maßgeblich für die Schulentwicklung waren die in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre begonnenen Maßnahmen zur Reform des Schulwesens unter Berücksichtigung ökonomischer und organisationstheoretischer Elemente mit dem Ziel einer höheren Effektivität von Schulen. Diese werden auch nach 2000 in den Bundesländern fortgeführt, jedoch mit unterschiedlicher Konsequenz und in unterschiedlicher Ausprägung. Neue Nahrung erhalten diese Maßnahmen durch den sogenannten PISA-Schock, da Deutschland wider Erwarten einen Platz im Mittelfeld der untersuchten Länder belegt. Dadurch werden mehr denn je die Strukturen des bundesdeutschen Bildungssystems in Frage gestellt, vor allem vor dem Hintergrund, dass in Deutschland mehr als in allen anderen Ländern der Bildungserfolg von der sozialen Herkunft abhängig ist. Die Folge sind 2004 die Einführung von Bildungsstandards, die Diskussion um längeres gemeinsames Lernen, die Einführung von Ganztagsschulen und nicht zuletzt der Ausbau der Fördermöglichkeiten an Schulen bis hin zur Inklusionsdebatte.
1 Schule als lernende Institution
Eine Schule kann dann als lernende Organisation bezeichnet werden, wenn sie sich, meist aufgrund einer Stärken-Schwächen-Analyse, im Rahmen von Schulentwicklung weiterentwickelt. Dabei ist Schulentwicklung ein dynamischer Prozess, der die Veränderung der Einzelschule von der verwalteten/bürokratischen Schule zu einer Schule beschreibt, die im Rahmen von teilautonomen Entscheidungsfeldern Freiräume zur Gestaltung in organisatorischer, personeller und unterrichtlicher Hinsicht auslotet und nutzt (vgl. Saalfrank, 2005).
Im bürokratischen Modell (in Anlehnung an Max Webers Bürokratiemodell, vgl. Weber, 1980) von Schule gibt die Schuladministration (Kultusministerium, Schulaufsicht und Schulträger) den Schulen einen festen Rahmen mit Aufgaben vor, in dem diese handeln müssen. Anders sieht dies im New Public Management aus. Dort soll die Einzelschule selbst eine Umsteuerung anstreben. Damit einher geht eine Verlagerung von Zuständigkeiten von der Schuladministration auf die Einzelschule. Die jeweilige Schule erlangt mehr Freiräume (Autonomie) für ihr Tun. Die Gewährung dieser Freiräume erfolgt jedoch immer in einem gesetzlich festgelegten Rahmen. Zusammenfassend bedeutet dies, dass die Schule auf der Grundlage eines rechtlichen Rahmens, ihrer spezifischen Situation und der entsprechenden gesellschaftlichen Herausforderungen eigene Perspektiven und Handlungsmuster entwickelt.
Ausgangspunkt aller Schulentwicklungsmaßnahmen ist die Einzelschule, wobei es auch Maßnahmen gibt, wie die Einführung von Bildungsstandards bzw. die Bildungsberichterstattung, die bundesländerübergreifend als Schulentwicklungsmaßnahmen fungieren. Innerhalb der Schulentwicklung wird mit verschiedenen Instrumenten und auf verschiedenen Ebenen gearbeitet. So lässt sich Schulentwicklung (vgl. Rolff, 1995) realisieren über Maßnahmen im Bereich der
• Organisationsentwicklung (Schulprogramm, Schulkultur, Erziehungsklima, Schulmanagement, Teamentwicklung, Elternarbeit, interne und externe Evaluation, Kooperation mit außerschulischen Einrichtungen, Budgetierung etc.),
• Personalentwicklung (Lehrerselbstbeurteilung, Supervision, schulinterne Lehrerfortbildung, Kommunikationstraining, Hospitationen, Mitarbeiterjahresgespräche etc.) und
• Unterrichtsentwicklung (Selbstlernteams, Schülerorientierung, überfachliches Lernen, Methodentraining, erweiterte Unterrichtsformen/Öffnung von Unterricht, Lernkultur etc.),
die allesamt zur Qualität der Einzelschule beitragen.
Viele Schulentwicklungsforscherinnen und -forscher sehen den aus der Organisationsforschung stammenden Ansatz der Organisationsentwicklung als einen Ausgangspunkt. Autonomie ist, so Rolff, eine alte pädagogische Forderung, jedoch wird sie von den Lehrerinnen und Lehrern meist als individuelle Autonomie (Rolff, 1995, S. 39 f.) verstanden. Diese in einem Schulentwicklungsprozess, in dem Teamarbeit gefordert ist, aufzugeben, ist häufig schwer. Im Hinblick auf Teamarbeit als neue Kompetenz der Lehrkräfte spricht Rolff von korporativer Autonomie:
»Korporative Autonomie könnte die […] für Lehrkräfte typische Erfolgsunsicherheit und die permanente Ungewißheit, ob erzieherisch richtig oder falsch gehandelt wird, erheblich mindern. Unsicherheit und Ungewißheit sind […] durch kollegiale Kommunikation und Kooperation zu bearbeiten, […] wenn es gemeinsame Zielvereinbarungen, Erfahrungsaustausch, Rückmeldungen und Selbstevaluation gibt« (S. 40).
Korporative Autonomie kann im Konzept von Rolff als Teil der Gestaltungsautonomie verstanden werden. Gestaltungsautonomie ergibt sich nur über die Anwendung von Organisationsentwicklungskonzepten (OE-Konzepten). »Gestaltungsautonomie durch OE nutzen, ist Schulreform unten und von unten. Sie ist Teil der täglichen Schularbeit, sie ist ständig um Klärungen, Konsens und Kooperation bemüht« (Rolff, 1995, S. 41). Vor diesem Hintergrund wird auch nach einer neuen Steuerung im Schulsystem gefragt und es findet eine Kompetenzverlagerung von höheren auf niedrigere Hierarchieebenen statt. So könnten allgemeine Maßnahmen einer neuen Steuerung im Schulbereich wie folgt aussehen (Bericht der Kommunalen Gemeinschaftsstelle, KGSt, 1996):
• Abbau von Vorgaben des Schulträgers
• Vermeidung von Doppelarbeiten in Schulen und beim Schulträger
• Verbesserung der Arbeitsabläufe in den Schulen und in der Schulverwaltung
• Erarbeitung wirtschaftlicher Vorteile
• Anreize zu Eigeninitiative zur effektiven Mittelverwendung in den Schulen
• Verselbstständigung der Schule als Organisation
• Effektivere Gestaltung der pädagogischen und organisatorischen Aufgaben
• Kundennahes Denken und Handeln
• Entwicklung von An-Schule-Betroffenen zu An-Schule-Beteiligten
• Verpflichtung jeder einzelnen Schule, die Qualität ihrer Aufgabenerledigung zu sichern und zu verantworten.
Deutlich wird aus den eben aufgezählten Punkten: Im Rahmen der Dezentralisierung, einer dezentralen Fach- und Ressourcenverantwortung, die in vielen Verwaltungen schon seit vielen Jahren praktiziert wird, bekommen die Schulen über die Einführung einer neuen Steuerung mehr Eigenverantwortung übertragen. Wichtiges Ziel ist vor allem, Doppelarbeiten, die von der Schulleitung und von der Schulverwaltung getätigt werden, zu erkennen und zukünftig zu vermeiden. Die Schulverwaltungen übernehmen dann im Idealfall die Aufgaben, die nicht unmittelbar von den Schulen wahrgenommen werden können. Sie hat Unterstützungsfunktion für die Verwaltungstätigkeit der Schule und übt Kontraktmanagement, Controlling und Berichtswesen aus.
Durch die Verlagerung schulaufsichtlicher Kompetenzen erweitert sich insbesondere auch das Handlungsrepertoire bzw. die Verantwortlichkeiten der Schulleitung. Deutlich wird dies durch den Wandel im Rahmen der administrativen Aufgaben hin zu einer...