Mit Inkrafttreten der Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes im April 1998 wurde der deutsche Elektrizitätsmarkt in einem Schritt dereguliert. Seit diesem Termin können Industrie- und Privatkunden in Deutschland ihren Stromlieferanten selbst wählen.[1] Die Liberalisierung der ehemals durch Gebietsmonopole geschützten Energiewirtschaft ist ein weltweiter Trend. Auf den deregulierten Märkten ist, zusätzlich zur Stromerzeugung und dem Stromtransport, ein neues Element der Elektrizitätswirtschaft entstanden: Der Handel mit Strom. Der freie Handel mit elektrischer Energie birgt sowohl Chancen als auch Risiken für die Marktteilnehmer, deren Planungssicherheit bezüglich Erlöse und Absatzvolumina sinkt.[2]
Von etablierten Warenmärkten sind Organisationsformen bekannt, die einen mit geringen Transaktionskosten verbundenen, transparenten, schnellen und sicheren Handel ermöglichen. In den meisten Ländern mit liberalisiertem Elektrizitätsmarkt sind deshalb Strombörsen gegründet worden oder sind Strombörsen in Planung. In Deutschland sprach sich kürzlich die Projektgruppe „Deutsche Strom- und Energiebörse“ (gebildet auf Initiative des Bundeswirtschaftsministeriums) für Frankfurt am Main als Sitz der künftigen Strombörse aus.[3]
Ziel dieser Arbeit ist es, die Risiken, die beim Handel mit elektrischer Energie an Strombörsen auftreten, zu beschreiben und darzustellen, wie diesen begegnet werden kann. Dabei werden die spezifischen Eigenschaften der Ware Elektrizität im Vergleich zu etablierten Warenmärkten geschildert.
In Kapitel 2 wird die Entstehung von Strombörsen beschrieben. Dabei werden die Parallelen zum Warenhandel dargestellt, die Eignung von Elektrizität als eine börslich gehandelten Ware überprüft. Es werden die Marktteilnehmer des Strommarktes vorgestellt und die Durchleitungsproblematik in Deutschland sowie die Struktur eines Strommarktes mit Strombörse erläutert. Kapitel 2 abschließend werden die Konsequenzen der Liberalisierung der Elektrizitätswirtschaft in verschiedenen Ländern und in Deutschland dargestellt.
Kapitel 3 befaßt sich mit dem Risikomanagement an Warenbörsen. Begonnen wird mit einer Darstellung der Risiken, die an einer etablierten Warenbörse auftreten. Anschließend werden die Teilnehmer einer Warenbörse vorgestellt. Darauf folgt die Beschreibung von Methoden zur Risikoquantifizierung. Abgeschlossen wird Kapitel 3 mit der Darstellung von Instrumenten des Risikomanagements und deren Handhabung.
Kapitel 4 geht auf das Risikomanagement an Strombörsen ein. Aufbauend auf Kapitel 3 werden die an Strombörsen auftretenden Risiken erklärt. Danach werden die Teilnehmer der Strombörse vorgestellt und die Möglichkeiten zur Risikomessung aufgezeigt. Anschließend werden die Instrumente des Risikomanagements an der Strombörse, im Vergleich zu etablierten Warenbörsen, beschrieben und die Probleme in deren Handhabung dargestellt. Darauffolgend werden kurz außerbörsliche Instrumente des Risikomanagements für den Stromhandel vorgestellt. Den Abschluß des Kapitels 4 bildet die Beschreibung einer an die spezifischen Eigenschaften und Risiken der Ware Strom angepaßten Anwendung der bereits aus dem etablierten Warenmarkt bekannten Risikomanagementinstrumente.
Thema dieser Arbeit sind Risiken und Risikomanagement an Strombörsen. Dazu ist eine Klärung der Begriffe Risiko und Risikomanagement notwendig.
Die Wahrnehmung von Risiko ist individuell verschieden. Überwiegend wird darunter die aus Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung von Umweltzuständen folgende Gefahr negativer Ereignisse verstanden. In ökonomischem Zusammenhang wird unter Risiko allgemein die Gefahr der Verlustmöglichkeit einer unsicheren Unternehmung verstanden.[4]
Mit dieser einseitigen Definition wird vernachlässigt, daß aus Unsicherheiten auch Chancen resultieren können. Eine Chance kann somit als positive Abweichung eines erwarteten Umweltzustandes angesehen werden. Ein Teil der Literatur spricht deshalb von positiven und negativen Risiken. Wertungsfrei kann auch von einer zufallsabhängigen Abweichung von der erwarteten Zielerreichung gesprochen werden. Statistisch entspricht damit das Risiko der Standardabweichung. Ist als Ziel ein bestimmter Ertrag vorgegeben, so entspricht die Standardabweichung, also die Streuungsbreite um den erwarteten Ertrag, der Volatilität des Cash Flows.[5]
Unsicherheit ist nicht immer eine Quelle sowohl von Chancen als auch von Risiken, vielmehr gibt es Situationen, bei denen neben dem erwarteten Ziel nur negative Ereignisse eintreten können. In der Literatur werden diese Risiken als reine Risiken bezeichnet. Risiken hingegen, bei denen sich auch eine positive Abweichung des erwarteten Ergebnisses ergeben kann, werden als spekulative Risiken bezeichnet.[6]
In dieser Arbeit wird die Möglichkeit einer negativen Verfehlung eines geplanten Wertes als Risiko, die Möglichkeit einer positiven Abweichung dagegen als Chance bezeichnet. Entspricht das Ergebnis dem geplanten Wert, so wird von einer Zielerreichung gesprochen.
Ein Unternehmer sucht spekulative Risiken, d.h. er geht Risiken ein, um Chancen wahrnehmen zu können. Wollte er alle Risiken sichern, würde er aufhören unternehmerisch zu handeln. Könnte er sich gegen bestimmte Risiken versichern, wäre er in der Lage neue, weitere spekulative Risiken zu übernehmen.[7] Mit dem Ziel eine Versicherung gegen Risiken zu bieten, wurden für den Terminhandel sogenannte Derivate entwickelt. Derivate sind handelbare finanzielle Instrumente, deren Wert von der Entwicklung eines Basisgutes oder „Underlyings“ abhängt.[8] Ein Underlying ist das einem Termingeschäft zugrundeliegende Gut. Derivate existieren für reale Güter (z.B. Aktien, Zinspapiere, Währungen, Waren) und für künstlich definierte Basisgüter (z.B. Aktienindizes, Korb von realen Gütern).[9] Der Unterschied zwischen einem Warenspotmarkt und einem Markt für Derivate auf reale Güter liegt in der zeitlichen Dimension. Auf dem Spotmarkt werden Verträge für die sofortige physische Erfüllung geschlossen, während am Terminmarkt derivate Verträge gehandelt werden, die eine Ware betreffen, die erst in der Zukunft geliefert und bezahlt wird.[10]
Mit Derivaten als Risk-Management-Instrumenten bzw. Hedging-Instrumenten haben Unternehmen heute die Möglichkeit sich gegen eine Vielzahl von Risiken zu versichern, beispielsweise Währungsrisiken oder Rohstoffpreisrisiken. Hedging (engl. to hedge = einzäunen) beschreibt die durch Derivate mögliche Form der Risikotransformation. Dabei wird eine offene und damit riskante Position durch ein Gegengeschäft mit Derivaten (welches durch das Risiko entgegengesetzt zum ursprünglichen Geschäft beeinflußt wird) abgesichert. Es entsteht dadurch eine risikolose Gesamtposition.[11]
In den letzten Jahren und Jahrzehnten ist das Angebot an Derivaten immer umfangreicher geworden. Heute ist es möglich Risiken in immer mehr Einzelteile zu zerlegen, in neue Pakete zusammenzuschnüren und handelbar zu machen, so daß sich jeder Marktteilnehmer seine gewünschte Risikoposition individuell aufbauen kann. Bereits in den fünfziger Jahren wurde eine Modellwelt beschrieben, in der es für alle möglichen Entwicklungen der Zukunft Wertpapiere gibt. In dieser Welt kann jedes erdenkliche Risiko auf andere übertragen werden, solange man bereit ist, den entsprechenden Preis dafür zu zahlen.[12]
Durch die Liberalisierung von Energiemärkten haben sich für die einstmals vom Wettbewerb geschützte Energiewirtschaft, neben Chancen auch neue Risiken ergeben. Dies macht die Einführung eines systematischen Risikomanagements notwendig. Allgemein wird unter Risikomanagement ein Paket abgestimmter Maßnahmen zur Minimierung eines Bündels verschiedener Risiken verstanden. Risikomanagement bedeutet nicht nur die Steuerung und Überwachung finanzieller und operativer Risiken, sondern schließt auch strategische Risiken ein:[13]
Auf der strategischen Risikoebene liegen in der Energiewirtschaft Risiken, die sich aus der Liberalisierung der Energiemärkte ergeben, wie z.B. durch eine Neupositionierung von Unternehmen am Markt.
Neue operative Risiken in den Unternehmensprozessen ergeben sich beispielsweise aus der Entflechtung der Bereiche Erzeugung, Netze und Stromhandel.
Stromhandel als Chance der Liberalisierung weist aber ebenso ein finanzielles Risiko auf.
Thema dieser Arbeit sind die sich aus dem Stromhandel, insbesondere an Strombörsen, ergebenden spekulativen sowie reinen Risiken und deren Risikomanagement. Bereits an dieser Stelle soll darauf hingewiesen werden, daß Risikomanagement selbst neue Risiken...