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E-Book

Das Ja zum Leben und zum Menschen, Band 3

Predigten 2005-2006

AutorWolfgang Nein
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl264 Seiten
ISBN9783741269493
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,49 EUR
Die Macht des Wortes wird oft unterschätzt. Dabei können Worte die Welt bewegen - im Guten wie im Bösen. Das 'Ja' der Massen im Berliner Sportpalast 1943 unterstützte mit Jubel den Weg in die Katastrophe. Das ganz persönliche Ja-Wort bekräftigt eine Lebensentscheidung. Predigten geben Worte weiter, in denen sich Menschheitserfahrungen und Glaubensüberzeugungen verdichtet haben. Wer sie mit offenem Herzen und wachem Verstand hört oder in diesem Buch liest, kann ihnen manches Wertvolle für das eigene Leben entnehmen.

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Leseprobe

Die Liebe, ein Angebot an alle


9. Januar 2005

1. Sonntag nach Epiphanias

Johannes 1,15-18

Sie können hier auf dem Fußboden in der Kirche noch ein paar Reste von Stroh wahrnehmen, Stroh aus dem Stall von Bethlehem. Die mazedonisch-orthodoxen Christen haben hier am Donnerstag ihr Weihnachtsfest gefeiert und am Freitag den ersten Weihnachtstag und gestern den zweiten Weihnachtstag. Die orthodoxen Christen haben ihre eigene Tradition und ihre eigenen Rituale.

Sie feiern Weihnachten am 6. Januar, dem Dreikönigstag, dem Tag der Erscheinung des Herrn oder Epiphanias.

Ist es nicht ein sehr schönes Zeichen, dass Menschen aus einem anderen Land in unserer Kirche dem christlichen Glauben auf ihre besondere Art Ausdruck verleihen?! Das ist doch ein Zeichen dafür, dass uns der christliche Glaube weltweit über die nationalen und kulturellen Grenzen hinweg verbindet. In Israel, in Bethlehem, hat es angefangen. Von da aus hat sich der christliche Glaube über den ganzen Erdball verbreitet. Das kommt symbolisch auch in den sog. Heiligen Drei Königen zum Ausdruck. Die kommen auch von weither, von weit jenseits der Grenzen Israels, aus einer anderen Kultur, aus einer anderen Religion, und machen sich auf den Weg nach Bethlehem. Man hat in den drei Königen, den drei Weisen, Sterndeuter waren es eigentlich, Vertreter des afrikanischen, europäischen und asiatischen Kontinents gesehen.

Wir haben vorhin die Epistellesung gehört: Auch die Heiden, heißt es da - und damit sind die Nichtjuden gemeint, auch die Nichtjuden gehören zum Leib Christi. Auch ihnen gilt das Evangelium von Jesus Christus.

Wenn wir uns einmal fragen, was durch Jesus Christus anders geworden ist, was durch ihn Neues gekommen ist, dann ist die eine wichtige Aussage diese: dass der eine Gott der Gott aller Menschen ist - so, wie es im Alten Testament in der Schöpfungsgeschichte zum Ausdruck gebracht ist: „Gott schuf den Menschen.“ Entsprechend sind wir alle Geschöpfe des einen Schöpfers. So gilt auch nach dem zweiten Schöpfungsansatz, nach der Sintflut, der mit Noah geschlossene und mit dem Regenbogen besiegelte Bund Gottes allen Menschen.

Es hat dann aber in Israel eine Verengung gegeben. Die Abrahamsgeschichten - und dann die Mosegeschichten - schildern, wie sich Gott ein Volk besonders auserwählte und zu seinem Volk machte. Die anderen Völker waren demgegenüber Heiden.

Diese Engführung wird im Neuen Testament wieder aufgehoben. Durch Jesus Christus wird erneut deutlich, dass alle Menschen in gleicher Weise Gottes geliebte Kinder sind. Die Bildung der christlichen Kirche führte allerdings zu einer neuen Engführung. Heiden sind aus dieser Sicht die Nichtchristen. Dass dies eine unglückliche Kategorisierung ist, wird uns vielleicht dann besonders deutlich, wenn wir selbst z. B. aus der Sicht mancher Muslime als Ungläubige bezeichnet werden.

Juden, Christen, Muslime und auch die Menschen anderer Religionen haben zwar alle ihre eigene Art, ihre eigenen Traditionen, ihre eigenen Riten, ihr eigenes theologisches Verständnis, ihr eigenes Weltbild und Menschenbild und Gottesbild.

Für unseren christlichen Glauben ist aber etwas ganz besonders wichtig, was allen Menschen gemeinsam ist, nämlich: die Sehnsucht nach Liebe.

Das verbindende Element im Judentum ist die Tora - oder wie Luther auf Deutsch sagt: das Gesetz. Dieser Begriff „Gesetz“ sagt sicherlich nicht alles aus, was Tora bedeutet. Aber er bezeichnet doch Wesentliches. Die unter uns vor allem bekannten zehn Gebote sind von ganz grundlegender Bedeutung für unser Leben und Zusammenleben. Das rechtliche Regelwerk im Alten Testament, das ja die heilige Schrift des Judentums ist, geht aber weit über die zehn Gebote hinaus. Es gibt eine Vielzahl von Vorschriften - 613 sollen es genau sein, darunter auch Reinlichkeitsvorschriften z. B., die zu beachten für einen Juden zentraler Bestandteil seines religiösen Verständnisses und seiner Lebensführung ist.

Dieses umfassende Regelwerk, die Tora, hat sicherlich wesentlich dazu beigetragen, dass die Juden als Religionsgemeinschaft und Volk durch die Jahrhunderte bis auf den heutigen Tag trotz der Zerstreuung in viele Länder und trotz der vielen Anfeindungen und Verfolgungen und massenhaften Vernichtung weiterhin Bestand haben. Die Juden sind durch die als sehr verbindlich geltende Tora aber eine relativ geschlossene, exklusive Religions- und Volksgemeinschaft.

Das Evangelium von Jesus Christus hat die Grenzen dieser Religions- und Volksgemeinschaft überschritten und hat - wieder - jeden Menschen zum geliebten Kind Gottes gemacht, unabhängig davon, ob er oder sie sich an das umfangreiche Regelwerk hält. Wie weit Christen die Liebe Gottes zum Menschen als Leitfaden für ihre praktische Lebensführung genommen und sie als Nächstenliebe praktiziert haben und praktizieren, ist eine andere Sache und ein Thema für sich. Es geht an dieser Stelle um das Besondere des Evangeliums, um Jesus Christus selbst.

Jesus Christus hat die Bedeutung der Tora, des Gesetzes, zwar anerkannt, aber doch relativiert. Das Gesetz ist zwar wichtig, die zehn Gebote sind wichtig und viele andere Vorschriften sind wichtig. Aber über allem steht als das Allerwichtigste die Liebe. Sie verbindet alle Menschen untereinander als eine uns allen gemeinsame Sehnsucht.

Das Evangelium von Jesus Christus sagt uns, dass wir geliebte Kinder Gottes sind. Wir dürfen uns als geliebte Kinder des göttlichen Schöpfers verstehen. Das ist ein Zuspruch. Wenn wir diesen Zuspruch ernst nehmen, kann er in uns die vielen guten Kräfte freisetzen, die in uns angelegt sind. Dann werden Gesetze und Regeln und Vorschriften zweitrangig. Sie haben dann wirklich nur noch eine dienende Funktion und sind nicht mehr konstitutiv, nicht mehr grundlegend für uns als Religionsgemeinschaft und für unser Verhältnis zu Gott und für unsere Beziehungen untereinander. Augustinus soll gesagt haben: „Liebe und tue, was du willst.“

Mose hat das Gesetz gegeben und Jesus Christus hat die Liebe darübergestellt. So dürfen wir Johannes verstehen.

Dass der Mensch auf das Gesetz angewiesen ist, dass er Regeln braucht, um nicht im Chaos zu versinken, ist zwar wahr. Aber das ist noch nicht die ganze Wahrheit. Das Gesetz macht den Menschen weder gut noch besser. Unübersehbar und unleugbar ist vielmehr der Tatbestand, dass der Mensch trotz des Gesetzes geradezu unverbesserlich ist. Darum gehört zur ganzen Wahrheit die Einsicht, dass der Mensch auf Gnade angewiesen ist. Der Mensch ist auf Vergebung angewiesen. Diese wird dem Menschen im Neuen Testament durch Jesus Christus im Namen Gottes zugesprochen.

Diese liebende Vergebung kann jeder annehmen; jeder kann sie für sich nutzbar machen. Der Nutzen ist die innere Stärkung, die Stärkung des Ichs, die innere Verwandlung. Wer sich geliebt weiß, in dem werden innere Kräfte wach. Gute Kräfte entfalten sich und treten nach außen und können - und sollten - auch das Umfeld zum Guten verändern.

Es ist freilich gar nicht immer so leicht, sich lieben zu lassen. Sich selbst als geliebtes Wesen verstehen zu können, ist schon ein Akt des Glaubens. Auch die mit der Liebe verbundene Vergebung anzunehmen, ist nicht leicht. Denn sie setzt ein ehrliches, selbstkritisches Verhältnis voraus. Leichter ist es, andere kritisch zu sehen. Aber andere mit liebevollen Augen und liebevollem Herzen zu betrachten, ist oftmals ganz besonders schwierig. Auch das ist ein Akt des Glaubens. Aber darin sind wir uns als Menschen alle gleich: dass wir auf Liebe und Vergebung angewiesen sind, dass wir uns damit zwar schwertun, aber dass wir uns alle danach sehnen.

Darauf nimmt die frohe Botschaft des Neuen Testaments Bezug. Sie spricht uns die Liebe und Vergebung Gottes zu. Sie gilt allen Menschen und verbindet uns zu einer großen Familie. Wer will, kann seine persönliche Annahme der Liebe Gottes zeichenhaft zum Ausdruck bringen, indem er sich taufen lässt. Er gehört dann im engeren Sinne zur Kirche. Die Taufe ist aber nicht konstitutiv für die Liebe Gottes zum Menschen. Sie begründet nicht die Liebe Gottes, sondern bringt sie nur rituell zum Ausdruck. Der Mensch nimmt in der Taufe, zeichenhaft gesprochen, die ihm liebevoll entgegengestreckte Hand Gottes an.

Indem sich der Mensch taufen lässt, antwortet er auf den liebevollen Zuspruch Gottes und bekennt sich ausdrücklich und öffentlich dazu, dass er sich als von Gott geliebtes Wesen verstehen möchte und dass er aus dieser Liebe heraus sein Leben gestalten möchte. In diesem Sinne handeln Eltern stellvertretend, wenn sie ihr kleines Kind taufen lassen.

Jesus selbst lässt sich durch Johannes taufen. Johannes wehrt sich zunächst gegen das Taufbegehren Jesu, weil er meint, Jesus habe die Vergebung - als Sündloser - nicht nötig. Jesus besteht aber auf der Taufe. Durch die Schilderung der Taufe Jesu machen uns die Evangelien deutlich, dass Jesus in besonderer Weise der Sohn Gottes ist. „Du bist mein lieber Sohn. An dir habe ich Wohlgefallen.“ Diese liebevolle Zusage dürfen wir dann aber auf jeden neugeborenen Menschen beziehen. Das haben wir durch Jesus Christus gelernt, durch sein Leben, sein Leiden und Sterben und Auferstehen. Wenn wir das anzunehmen und zu leben in der Lage sind, dann ist es um uns selbst und um unsere Gesellschaft ganz gewiss um ein Vielfaches besser bestellt.

Die Taufe Jesu ist auch ein Anlass für die Feier des Epiphanienfestes am 6. Januar, dem Weihnachtsfest der orthodoxen Christen. In den unterschiedlichen Traditionen wird der Beginn des Wirkens Jesu in dieser Welt unterschiedlich beschrieben. Beim Evangelisten Lukas beginnt es im Stall von Bethlehem, und es sind die Hirten, die als erste zur Anbetung kommen. Bei Matthäus beginnt die irdische...

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