I
Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit von Joh. Gottfr. Herder.
Quem te Deus esse iussit et humana qua parte locatus es in re disce.
Erster Theil. S. 318. 4. Riga und Leipzig bei Hartknoch 1784.
Der Geist unsers sinnreichen und beredten Verfassers zeigt in dieser Schrift seine schon anerkannte Eigenthümlichkeit. Sie dürfte also wohl eben so wenig, als manche andere aus seiner Feder geflossene nach dem gewöhnlichen Maßstabe beurtheilt werden können. Es ist, als ob sein Genie nicht etwa blos die Ideen aus dem weiten Felde der Wissenschaften und Künste sammelte, um sie mit andern der Mittheilung fähigen zu vermehren, sondern als verwandelte er sie (um ihm den Ausdruck abzuborgen) nach einem gewissen Gesetze der Assimilation auf eine ihm eigene Weise in seine specifische Denkungsart, wodurch sie von denjenigen, dadurch sich andere Seelen nähren und wachsen (S. 292), merklich unterschieden und der Mittheilung weniger fähig werden. Daher möchte wohl, was ihm Philosophie der Geschichte der Menschheit heißt, etwas ganz anderes sein, als was man gewöhnlich unter diesem Namen versteht: nicht etwa eine logische Pünktlichkeit in Bestimmung der Begriffe, oder sorgfältige Unterscheidung und Bewährung der Grundsätze, sondern ein sich nicht lange verweilender, viel umfassender Blick, eine in Auffindung von Analogien fertige Sagacität, im Gebrauche derselben aber kühne Einbildungskraft, verbunden mit der Geschicklichkeit, für seinen immer in dunkeler Ferne gehaltenen Gegenstand durch Gefühle und Empfindungen einzunehmen, die als Wirkungen von einem großen Gehalte der Gedanken, oder als vielbedeutende Winke mehr von sich vermuthen lassen, als kalte Beurtheilung wohl gerade zu in denselben antreffen würde. Da indessen Freiheit im Denken (die hier in großem Maße angetroffen wird), von einem fruchtbaren Kopfe ausgeübt, immer Stoff zum Denken giebt, so wollen wir von den Ideen desselben, soweit es uns glücken will, die wichtigsten und ihm eigenthümlichsten auszuheben suchen und in seinem eigenen Ausdrucke darstellen, zuletzt aber einige Anmerkungen über das Ganze hinzufügen.
Unser Verfasser hebt damit an, die Aussicht zu erweitern, um dem Menschen seine Stelle unter den übrigen Planetenbewohnern unserer Sonnenwelt anzuweisen, und schließt aus dem mittleren, nicht unvortheilhaften Stande des Weltkörpers, den er bewohnt, auf einen bloß "mittelmäßigen Erdverstand und eine noch viel zweideutigere Menschentugend, darauf er hier zu rechnen habe, die aber doch - da unsere Gedanken und Kräfte offenbar nur aus unserer Erdorganisation keimen und sich so lange zu verändern und verwandeln streben, bis sie etwa zur Reinigkeit und Feinheit gediehen sind, die diese unsere Schöpfung gewähren kann, und, wenn Analogie unsere Führerin sein darf, es auf anderen Sternen nicht anders sein werde - vermuthen lassen, daß der Mensch mit den Bewohnern der letzteren Ein Ziel haben werde, um endlich nicht allein einen Wandelgang auf mehr als einen Stern anzutreten, sondern vielleicht gar zum Umgange mit allen zur Reife gekommenen Geschöpfen so vieler und verschiedener Schwesterwelten zu gelangen." Von da geht die Betrachtung zu den Revolutionen, welche der Erzeugung der Menschen vorher gingen. "Ehe unsere Luft, unser Wasser, unsere Erde hervorgebracht werden konnte, waren mancherlei einander auflösende, niederschlagende Stamina nöthig; und die vielfachen Gattungen der Erde, der Gesteine, der Krystallisationen, sogar der Organisation in Muscheln, Pflanzen, Thieren, zuletzt im Menschen, wie viel Auflösungen und Revolutionen des Einen in das Andere setzten die nicht voraus? Er, der Sohn aller Elemente und Wesen, ihr auserlesenster Inbegriff und gleichsam die Blüthe der Erdschöpfung, konnte nichts anders als das letzte Schooßkind der Natur sein, zu dessen Bildung und Empfang viel Entwickelungen und Revolutionen vorhergehen mußten."
In der Kugelgestalt der Erde findet er einen Gegenstand des Erstaunens über die Einheit, die sie bei aller erdenklichen Mannigfaltigkeit veranlaßt. "Wer, der diese Figur je beherzigt hätte, wäre hingegangen, zu einem Wortglauben in Philosophie und Religion zu bekehren, oder dafür mit dumpfem, aber heiligem Eifer zu morden?" Eben so giebt ihm die Schiefe der Ekliptik Anlaß zur Betrachtung der Menschenbestimmung: "Unter unserer schräge gehenden Sonne ist alles Thun der Menschen Jahresperiode." Die nähere Kenntniß des Luftkreises, selbst der Einfluß der Himmelskörper auf denselben, wenn er näher gekannt sein wird, scheint ihm auf die Geschichte der Menschheit einen großen Einfluß zu versprechen. In dem Abschnitt von der Vertheilung des Landes und der Meere wird der Erdbau als ein Erklärungsgrund der Verschiedenheit der Völkergeschichte aufgeführt. "Asien ist so zusammenhängend an Sitten und Gebräuchen, als es dem Boden nach in einem fortgestreckt ist; das kleine Rothe Meer scheidet dagegen schon die Sitten, der kleine persische Meerbusen noch mehr; aber die vielen Seen, Gebirge und Flüsse von Amerika und das feste Land hatten nicht ohne Grund so große Ausbreitung im gemäßigten Himmelsstriche, und das Bauwerk des alten Continents ist mit Absicht auf den ersten Wohnsitz der Menschen anders als in der neuen Welt von der Natur eingerichtet worden." Das zweite Buch beschäftigt sich mit den Organisationen auf der Erde und fängt von dem Granit an, auf den Licht, Wärme, eine grobe Luft und Wasser wirkten und vielleicht den Kiesel zur Kalkerde beförderten, in der sich die ersten Lebendigen des Meeres, die Schalengeschöpfe, bildeten. Die Vegetation nimmt ferner ihren Anfang. Vergleichung der Ausbildung des Menschen mit der der Pflanzen und der Geschlechtsliebe des erstern mit dem Blühen der letztern. Nutzen des Pflanzenreichs in Ansehung des Menschen. Thierreich. Veränderung der Thiere und des Menschen nach den Klimaten. Die der alten Welt sind unvollkommen. "Die Classen der Geschöpfe erweitern sich, je mehr sie sich vom Menschen entfernen, je näher ihm, desto weniger werden ihrer. - In allen ist eine Hauptform, ein ähnlicher Knochenbau. - Diese Übergänge machen es nicht unwahrscheinlich, daß in den Seegeschöpfen, Pflanzen, ja vielleicht gar in den Todt genannten Wesen eine und dieselbe Anlage der Organisation, nur unendlich roher und verworrner Herrschen möge. Im Blick des ewigen Wesens, der alles in einem Zusammenhange sieht, hat vielleicht die Gestalt des Eistheilchens, wie es sich erzeugt, und der Schneeflocke, die sich in ihr bildet, noch immer ein analoges Verhältniß mit der Bildung des Embryo im Mutterleibe. - Der Mensch ist ein Mittelgeschöpf unter den Thieren, das ist, die ausgebreiteteste Form, in der sich alle Züge aller Gattungen um ihn her im feinsten Inbegriff sammeln. - Aus Luft und Wasser sehe ich gleichsam die Thiere aus Höhen und Tiefen zu Menschen kommen und Schritt vor Schritt sich seiner Gestalt nähern." Dieses Buch schließt: "Freue dich deines Standes, o Mensch, und studire dich, edles Mittelgeschöpf, in allem, was um dich lebt!"
Das dritte Buch vergleicht den Bau der Pflanzen und Thiere mit der Organisation der Menschen. Wir können ihm hier, da er die Betrachtungen der Naturbeschreiber zu seiner Absicht nutzt, nicht folgen; nur einige Resultate: "Durch solche und solche Organen erzeugt sich das Geschöpf aus dem todten Pflanzenleben lebendigen Reiz, und aus der Summe dieses, durch feine Canäle geläutert, das Medium der Empfindung. Das Resultat der Reize wird Trieb, das Resultat der Empfindung Gedanke, ein ewiger Fortgang von organischer Schöpfung, der in jedes lebendige Geschöpf gelegt ward." Der Verfasser rechnet nicht auf Keime, sondern eine organische Kraft, so bei Pflanzen als Thieren. Er sagt: "So wie die Pflanze selbst organisch Leben ist, ist auch der Polyp organisch Leben. Es sind daher viele organische Kräfte, die der Vegetation, der Muskelreize, der Empfindung. Je mehr und feinere Nerven, je größer das Gehirn, desto verständiger wird die Gattung. Thierseele ist die Summe aller in einer Organisation wirkenden Kräfte," und der Instinct nicht eine besondere Naturkraft, sondern die Richtung, die die Natur jenen sämmtlichen Kräften durch ihre Temperatur gab. Je mehr das eine organische Principium der Natur, das wir jetzt bildend (im Stein), jetzt treibend (in Pflanzen), jetzt empfindend, jetzt künstlich bauend nennen und im Grunde nur eine und dieselbe organische Kraft ist, in mehr Werkzeuge und verschiedentliche Glieder vertheilt ist, je mehr es in denselben eine eigene Welt hat, - desto mehr verschwindet der Instinct, und ein eigner freier Gebrauch der Sinne und Glieder (wie etwa beim Menschen) fängt an. Endlich kommt der Autor zu dem wesentlichen Naturunterschiede des Menschen. "Der aufrechte Gang des Menschen ist ihm einzig natürlich, ja er ist die Organisation zum ganzen Beruf seiner Gattung und sein unterscheidender Charakter."
Nicht weil er zur Vernunft bestimmt war, ward ihm zum Gebrauch seiner Gliedmaßen nach der Vernunft die aufrechte Stellung angewiesen, sondern er bekam Vernunft durch die aufrechte Stellung, als die natürliche Wirkung eben derselben Anstalt, die nöthig war, um ihn blos aufrecht gehen zu lassen. "Lasset uns bei diesem heiligen Kunstwerk, der Wohlthat, durch die unser Geschlecht ein Menschengeschlecht ward, mit dankbaren Blicken verweilen, mit Verwunderung, weil wir sehen, welche neue Organisation von Kräften in der aufrechten Gestalt der Menschheit anfange, und wie allein durch sie der Mensch ein Mensch ward!"
Im vierten Buch führt der Hr. Verf. diesen Punkt weiter aus: "Was fehlt dem menschenähnlichen Geschöpfe (dem Affen), daß er kein Mensch ward," - und wodurch ward dieser es? Durch die Formung des Kopfs zur aufrechten Gestalt, durch innere und äußere Organisation zum perpendiculären Schwerpunkt; - der Affe...