|11|1 Was ist Klärungsorientierte Psychotherapie: Ein Überblick
In diesem Kapitel wird eine Einführung in die Klärungsorientierte Psychotherapie (KOP) gegeben: Es werden die Ziele und das Menschenbild der KOP erläutert, es werden die Vorgehensweisen, Anwendungsgebiete und Vorteile der Methode herausgearbeitet.
1.1 Ziele und Charakteristika von Klärungsorientierter Psychotherapie
Klärungsorientierte Psychotherapie (KOP) ist eine psychologisch sehr gut fundierte, empirisch hochgradig validierte Psychotherapieform, die zwei Hauptaufgaben verfolgt.
Eine Hauptaufgabe bezieht sich auf Klärung: Auf der Basis einer vom Therapeuten aktiv hergestellten vertrauensvollen Therapeut-Klient-Beziehung werden zum einen aktuelle Schemata und Motive des Klienten, zu denen dieser im Augenblick keinen Zugang hat, geklärt. Durch die Klärung der Schemata werden diese repräsentiert und können therapeutisch bearbeitet werden; durch die Klärung der Motive wird der Zustand der „Alienation“, der Entfremdung der Person von ihren eigenen Präferenzen, aufgehoben.
In der zweiten Hauptaufgabe der KOP werden diese geklärten Schemata dann therapeutisch bearbeitet und verändert, sodass der Klient im Alltag konstruktiver und flexibler handeln kann, weniger oder keine störenden „Symptome“ mehr aufweist, Alltagssituationen kognitiv und affektiv besser verarbeiten kann, Emotionen besser regulieren und zufriedener leben kann.
Klärungsorientierte Psychotherapie entwickelte sich durch theoretische Weiterentwicklung und durch empirische Forschung aus der Zielorientierten Gesprächspsychotherapie (Sachse, 1982, 1983, 1984, 1985, 1986a, 1986b, 1986c, 1987a, 1987b, 1988a, 1988b, 1989, 1990b, 1990c, 1992a, 1993a, 1996a, 1996b, 1999a, 2000b), und diese wiederum wurde aus der auf Klärung ausgerichteten Form der Gesprächspsychotherapie entwickelt (vgl. Greenberg, 1984; Greenberg & Safran, 1981, 1984a, 1984b; Rice, 1965, 1970, 1974, 1983, 1984; Rice & Greenberg, 1974, 1984a, 1984b, 1984c, 1990; Rice & Saperia, 1984; Rice & Koke, 1981; Truax, 1961a, 1961b, 1962a, 1962b, 1963, 1966a, 1966b, 1966c, 1966d, 1968a, 1968b, 1968c, 1969a, 1969b; Truax & Mitchell, 1971).
|12|1.1.1 Ziele der Klärungsorientierten Psychotherapie
Hauptziel der KOP ist die (Wieder-)Herstellung einer funktionalen Selbstregulation (Baumann & Kuhl, 2005): Der Klient soll Zugang zu seinen Motiven haben und in der Lage sein, , Situationen angemessen zu verarbeiten, Entscheidungen zu treffen, die sowohl realitätsangemessen als auch motivkompatibel sind. Weiterhin soll er diese Verarbeitungen und Entscheidungen ohne Störungen durch dysfunktionale Schemata, Symptome und unangemessene Handlungskosten treffen und durchführen können.
Um einen solchen Zustand der Selbstregulation herzustellen, kann es nötig sein, mit dem Klienten
zunächst an einer angemessenen Definition des Problems zu arbeiten;
einen Zugang zum Motiv- und Bedürfnis-System zu schaffen;
dysfunktionale Schemata zu identifizieren, zu klären und zu repräsentieren sowie zu bearbeiten und zu verändern;
Konflikte zu klären und zu bearbeiten;
Ressourcen zu aktivieren oder (z. B. durch Training) zu schaffen;
Symptome zu reduzieren, zu beseitigen oder zumindest unter Kontrolle zu bekommen.
1.1.2 Was charakterisiert KOP?
Die Klärungsorientierte Psychotherapie (KOP) lässt sich durch eine Reihe von Charakteristika kennzeichnen (vgl. Sachse, 2000a–c, 2003a, 2003b, 2004a, 2005a, 2006a, 2006b, 2009a; Sachse & Fasbender, 2010, 2015; Sachse, Fasbender & Breil, 2009; Sachse, Fasbender & Sachse, 2011b; Sachse & Maus, 1987; Sachse, Breil, Fasbender, Püschel & Sachse, 2009).
Diese sind:
Theorie
KOP entwickelt umfassende störungstheoretische und therapietheoretische Konzepte, die sehr gut in der Psychologie fundiert sind (in der Kognitionspsychologie, Motivations- und Emotionspsychologie, Sprach- und Kommunikationspsychologie, der Sozialpsychologie und der Klinischen Psychologie) und die auf den „Anwendungsbereich Psychotherapie“ bezogen sind (Atrops & Sachse, 1994; Breil & Sachse, 2006; Döring & Sachse, 2008a–c; Kramer et al., 2009; Neumann & Sachse, 1992; Püschel & Sachse, 2009; Sachse, 1992a–d, 1993a, 1995a–c, 1996a–b, 1997a–b, 1998, 1999a–b, 2000a–b, 2001a–b, 2002, 2003a–b, 2004a–c, 2005a–c, 2006a–e, 2007a–c, 2008a–b, 2009a, 2013a; Sachse & Atrops, 1989, 1991; Sachse, Atrops, Wilke & Maus, 1992; Sachse, Breil & Fasbender, 2009, 2011, 2013; Sachse & Fasbender, 2010, 2011; Sachse, Fasbender & Breil, 2009; Sachse, Fasbender & Sachse, 2011a–b; Sachse & Neumann, 1983; Sachse & Rudolf, 1992a–b, 2008; Sachse, Sachse & Fasbender, 2010, 2011).
Keine andere Therapieform ist so tief und so vernetzt in der Psychologie verankert und damit so gut psychologisch untermauert wie KOP.
Trotz (oder gerade wegen) der starken theoretischen Fundierung ist KOP hochgradig praxisorientiert: Sie erlaubt den Therapeuten eine sehr differenzierte Entwicklung |13|von Klientenmodellen und damit eine sehr gut begründete Ableitung therapeutischer Strategien und Interventionen.
Expertise-Modell
KOP folgt einem „Expertise-Modell“: Therapeuten sollen zu Experten ausgebildet werden, um schnell und sicher Informationen zu verarbeiten, effektive therapeutische Strategien zu entwickeln und gezielte Interventionen zu realisieren, die Klienten effektiv im Therapieprozess helfen. Dabei sollen Therapeuten zielführende Entscheidungen treffen, flexibel und stringent handeln können und auch in der Lage sein, auch mit schwierigen Interaktionssituationen souverän umzugehen (Becker & Sachse, 1998; Gäßler & Sachse, 1992a–b; Sachse, 1996c, 2006f–h, 2009b; Sachse, Fasbender & Hammelstein, 2012).
Um Therapeuten zu Experten zu machen, ist eine gute Theorie-Ausbildung, insbesondere aber ein gutes und elaboriertes praktisches Training erforderlich.
Modellbildung und Verstehen
KOP hat Strategien zur therapeutischen Informationsverarbeitung entwickelt, mit deren Hilfe Therapeuten in der Lage sind, schnell und effektiv Klienten zu verstehen und valide Klienten-Modelle zu bilden. Dazu dienen u. a. therapeutische Verarbeitungs- und Handlungsheuristiken (Sachse, 2016a; Becker & Sachse, 1998; Sachse, 1988a–b, 1992a, 1993b–c, 2003a, 2006h, 2006i; Weinrich & Sachse, 1992).
Mikroebene
Die Verarbeitung und Handlung konzentriert sich stark auf die Mikroebene von Psychotherapie: Im Rahmen übergreifender Strategien verarbeiten und intervenieren Therapeuten stark auf der Mikroebene, um Klientenprozesse sehr fein und sehr gezielt zu steuern (soweit dies bei Klientenprozessen überhaupt möglich ist; Sachse, 1992a, 2000c, 2003a).
Wirkprinzipien
KOP realisiert alle von Grawe (1998; Grawe, Donati & Bernauer, 1994) beschriebenen Wirkprinzipien:
Beziehungsgestaltung
Klärung
Problemaktualisierung
Ressourcen-Aktivierung
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