Die Christianisierung der Magyaren
Nach dem Sieg über die Magyaren stritten Passau, Salzburg, Papst, Kaiser und Byzanz sofort um das Recht, diese zu missionieren. Die Passauer Bischöfe versuchten, sich aus der Metropole Salzburg zu lösen, vor allem Pilgrim († 991), der ein Sohn oder Enkel des Markgrafen Rüdiger von Pechlarn war. Sein Argument klang gar nicht schlecht: Er behauptete und bewies seine Behauptung durch vermutlich von ihm selbst in Lorch gefälschte Urkunden, dass das Bistum Passau der Nachfolger der antiken Metropolie Lorch wäre, die für Norikum und Pannonien zuständig gewesen wäre, und der Bischof von Passau daher ebenfalls das Pallium beanspruchen könne. Der Plan glückte nicht, Passau blieb weiterhin Teil der Salzburger Metropolie. Eine erste Aufzeichnung des Nibelungenliedes in lateinischer Sprache könnte Teil der Propaganda Pilgrims gewesen sein, um seinen Anspruch auf die Missionierung der Ungarn zu untermauern. Als der spätere heilige Wolfgang, ein Mönch aus dem Kloster Einsiedeln, mit Erlaubnis seines Abtes nach Ungarn ging und dort vielleicht sogar den Ungarnkönig Géza († 997) und seine Frau Sarolta taufte, fühlte sich Pilgrim in seinen Rechten zwar verletzt, prüfte aber Wolfgangs Eignung als Missionar und schlug ihn dem Kaiser als neuen Bischof von Regensburg vor. Damit hatte er sich einen Freund gemacht und einen nicht von ihm nach Ungarn entsandten Missionar ausgeschaltet. Dort sollen damals bereits fünftausend Adelige zu Christen geworden sein. Nach anderer Überlieferung soll Géza jedoch den deutschen Kaiser Otto I. um Missionare gebeten haben, der daraufhin Mönch Brun aus St. Gallen zum Bischof für Ungarn ernannte. Im Herbst 972 traf Brun bei Géza ein und taufte ihn und seine Frau. Wer auch immer ihn nun wirklich taufte, ist letztlich nicht von Bedeutung, die Taufe selbst hatte jedoch weitreichende Folgen. Denn Géza entschied sich damit gegen Byzanz und den orthodoxen Glauben seiner Frau Sarolta, aber auch gegen den Islam, der in seiner Umgebung Fuß gefasst hatte, und gegen die magyarische Naturreligion. Er schloss sich damit ganz bewusst dem Westen an, wobei religiöse Gründe eine Nebenrolle spielten. Es ging um die Legitimierung seiner Macht, die nicht unbestritten war: Um sie zu erlangen, hatte er (wie seinerzeit Chlodwig) den Großteil seiner eigenen Sippe und viele Mitglieder einflussreicher Familien töten lassen. Gézas Sohn bekam den Namen Stephan, demnach wurde er von einem Passauer Missionar getauft.
An die zahlreichen ungarischen Muslime, die man Böszörmény nannte, erinnern heute noch Personennamen und der Name der Stadt Hajdúböszörmény. Pest soll laut der »Gesta Hungarorum« aus dem 12. Jahrhundert eine muslimische Stadtgründung gewesen sein, Géza hatte das Gebiet den Muslimen zur Verfügung gestellt. Sie spielten eine bedeutende politische, militärische, finanzielle und kommerzielle Rolle, wir können daher davon ausgehen, dass etliche von ihnen auch nach Österreich kamen. Im Hochmittelalter unterstanden sie ähnlichen Regeln wie die Juden (Goldene Bulle König Andreas’ II. von 1222). Sie galten als zuverlässige Soldaten, weil sie keinen Alkohol tranken. Erst im 14. Jahrhundert verlieren sich ihre Spuren.
König Stephan, der bereits im christlichen Glauben erzogen war und eine vorbildliche christliche Lebensführung anstrebte, setzte nach dem Tode seines Vaters die Christianisierung und den weiteren Ausbau des ungarischen Staates fort. Um 995 heiratete er Prinzessin Gisela, eine Tochter des bayerischen Herzogs Heinrich II. (des Zänkers, † 985) und Schwester des späteren Kaisers Heinrich II. († 1024), und festigte mithilfe bayerischer Ritter und Missionare seine von Stammesfürsten und Verwandten angefochtene Herrschaft außenund innenpolitisch. Im Jahre 1000 erhielt er mit Zustimmung Kaiser Ottos III. von Papst Sylvester II. die Königswürde mit Krone, Vortragekreuz und apostolischem Privileg. Die ihn um Haupteslänge überragende Gisela wurde gemeinsam mit ihm gekrönt und half ihm als Mitregentin tatkräftig bei allen seinen Vorhaben. Trotz Pilgrims Einspruch wurde die ungarische Kirchenorganisation mit dem Erzbistum Gran als unabhängige Kirchenprovinz errichtet, was das Ende der Passauer Ungarnmission bedeutete.
Versuche des Salierkaisers Heinrich III., Ungarn ähnlich wie Böhmen und Polen zu einem deutschen Vasallenstaat zu machen, wehrte Stephan ab, im Deutsch-Ungarischen Krieg von 1030 siegten die Ungarn, und Wien, das den Namen Bécs erhielt, wurde von ihnen besetzt. Um einen Thronstreit zwischen seinem Neffen Peter Orseolo und seinem Schwager, dem getauften Kabaren Aba Samuel, zu verhindern, vertraute Stephan Ungarn kurz vor seinem Tode dem Schutz der Gottesmutter Maria als Königin von Ungarn an (Regnum Marianum). Trotzdem brachen Wirren aus, die mithilfe Kaiser Heinrichs III. und Markgraf Adalberts von Österreich durch die Schlacht bei Menfö 1044 zu Peters Gunsten beendet wurden. Hainburg und die Leitha wurden zur Grenze. Peter hielt sich nur mit deutscher Hilfe, daher anerkannte er die Oberhoheit des Reiches und ließ sich vom Kaiser mit Ungarn belehnen. Die Ungarn riefen in einem nationalen und zum Teil heidnischen Aufstand den Arpaden Andreas zu Hilfe, der Peter stürzte und blenden ließ. Andreas orientierte sich nach Osten, das Verhältnis zum Deutschen Reich blieb gespannt. Papst Leo IX., Bruno von Toul, ein Vetter des Kaisers, begab sich 1052 als erster Papst nach Österreich, um Heinrich III. und Andreas zur Versöhnung zu bewegen, jedoch vergeblich. Er mag dabei durchaus nach Wien gekommen sein, als er mit Heinrich die Donau entlang stromaufwärts nach Bayern zog. Erst nach dessen Tod konnte 1058 Frieden geschlossen werden, wodurch die Ostgrenze der Diözese Passau und die Unabhängigkeit Ungarns vom Reich gesichert wurden. Erst jetzt konnte der kulturelle, kirchliche und wirtschaftliche Aufschwung Österreichs einsetzen.
4. DIE JUDEN
Markgraf Abraham und Judeisapta
Ein gewisser Abraham von Theomanaria soll 859 Jahre nach der Sintflut aus dem »Heidenland über dem Meer« in das Land um Stockerau gekommen sein, wo er als »Abraham, Markgraf von Judaysapta, ein Heide« in der Stadt Auratim (auch Aratim, Anratym; gemeint ist Stockerau) herrschte. Seine Nachkommen blieben bis zur 25. Generation Heiden, dann bekehrte sich Herzog Gennan zum Judentum. Mit dem fünfzigsten Herrscher Montan endet die Reihe der jüdischen Fürsten, er wurde von den Ungarn gezwungen, Heide zu werden. 384 n. Ch. endete die heidnisch-jüdische Dynastie mit dem siebenundfünfzigsten Fürsten namens Sathan. Ihm folgte der von den Römern eingesetzte Graf Sand Amand, ein heimlicher Christ, mit seiner Gattin Elena, von denen die folgenden Herrscher bis zum achtzigsten abstammten. Die römische Dynastie erlosch 883 n. Ch. Ist diese sonderbare Geschichte reine Fiktion, die den Habsburgern zu urösterreichischen Ahnen verhelfen sollte, oder steckt vielleicht mehr dahinter?
Posselt11 hält in seiner »Geschichte des chazarisch-jüdischen Staates« die Erklärung bereit, dass Judeisapta eine Gründung der chazarisch-jüdischen Kabaren gewesen sein könnte. Als Niederösterreich, Wien und das Burgenland unter magyarischer Herrschaft standen, siedelten die Magyaren demnach jüdische Kabaren zum Grenzschutz in Niederösterreich an, deren Aufgabe es war, die ungarische Grenzlinie (Gyepü-Linie) zu verteidigen. Diese Linie lief von Staatz im Weinviertel bis zur Donau bei Tulln und weiter bis zur Rax. Judenau im Tullnerfeld wäre somit eine chazarisch-kabarische Gründung, eine Militärbasis für die jüdischen Truppen gewesen. Oder sollte sich hinter Markgraf Abraham vielleicht gar die Erinnerung an Aba Samuel selbst verbergen, der aus der Fürstensippe der jüdischen Kabaren stammte und auf heute österreichischem Gebiet um den ungarischen Thron kämpfte?
Die Sage von Judeisapta findet sich im ausgehenden 14. Jahrhundert beim Chronisten Hagen und in der »Österreichischen Chronik von den 95 Herrschaften« des Leopold Stainreuter, von dem sie im 15. Jahrhundert Thomas Ebendorfer (siehe S. 87) übernahm. Auch der Arzt und Historiograph Wolfgang Lazius (1514–1565) erzählt die Geschichte, und noch 1738 hielt ein Wiener Historienschreiber an ihr fest. In Zusammenhang mit Stainreuters Werk und dessen Illustrationen steht die Wappenwand an der Georgskirche in Wiener Neustadt. Kaiser Friedrich III. (1415–1493) ist dort von insgesamt 107 Wappen nicht nur seiner echten, sondern auch dieser sagenhaften Vorfahren umgeben.
Höchstwahrscheinlich kamen die ersten Juden aber mit den Römern nach Norden, zumindest ist ihre...