Von den ganz alten Zeiten
Knochenreste und Idole
Nicht zur Medizingeschichte, sondern zur Paläontologie zählt die Untersuchung der Knochenreste, die aus der schriftlosen Zeit unseres Landes stammen. Immer schon versuchten Menschen einander (und ebenso ihren Tieren) bei Krankheiten oder Unfällen beizustehen. Die Chancen, gebrochene oder ausgerenkte Glieder wieder einzurichten, standen nicht einmal schlecht. Überaus erstaunlich ist, dass selbst Operationen am Schädel (Trepanationen) überlebt wurden, die Überlebensrate lag sogar bei siebzig Prozent. Mit verschiedenen Techniken wie Schaben, Bohren, Schneiden wurde das Schädeldach, ohne die Hirnhäute zu verletzen, geöffnet. Man hat solche Schädel in Katzelsdorf, Guntramsdorf und an vielen anderen Orten gefunden. Schmerzzustände, unter anderem als Folge von eitrigen Mittelohrentzündungen, oder Verletzungen am Kopf mögen der Grund für derartige Eingriffe gewesen sein. Es gab dafür spezielle Instrumente, von denen sich Exemplare in unseren Museen befinden. Ausgestanzte kreisförmige Stücke von Schädelknochen mit Löchern darin, die wie Anhänger aussehen, hat man ebenfalls gefunden – wurden sie als Amulette getragen?
Als die Menschen sesshaft wurden, erhöhte sich durch den engeren physischen Kontakt die Gefahr, an Infektionen zu erkranken. Dazu traten durch den Rauch in den Hütten vermehrt Stirnhöhlenentzündungen auf. Mangelkrankheiten wie Skorbut und Rachitis und entzündliche Veränderungen aller Art lassen sich ebenfalls feststellen. Selbst die Haustierhaltung bildete eine Gefahr, da viele Krankheiten vom Tier auf den Menschen übertragbar sind, unter anderem der Milzbrand. Für die Wissenschaft sind es Glücksfälle, wenn ganze Körper gefunden werden, sei es als Moorleichen, Salz- oder Eiskonservierungen. An ihnen lassen sich die Leiden unserer Urahnen erforschen.
Trepanierter Schädel aus Niederösterreich.
Ein solcher Fund war Ötzi – der älteste Tiroler. 1991 fand man ihn am Tisenjoch in den Ötztaler Alpen (Südtirol) in 3200 Metern Höhe, 3300 Jahre nach seinem Tod. Der Körper wurde an der Universität Innsbruck genau untersucht1: Sein Magen war bitter leer, vor seinem Tod dürfte er stark abgemagert sein. Die Forscher stellten in seinem Darm einen Parasiten, den Peitschenwurm, fest, der ihm häufigen Durchfall beschert haben muss. Er starb an den Folgen eines Kampfes.
Seine Zähne sind abgenutzt, seine Gelenke verformt, er wird wohl sein Leben lang mit schweren Lasten unterwegs gewesen sein. Man entdeckte 57 Tätowierungen, Kreuze und kurze gerade Striche, an Rücken, Handgelenken, Unterschenkeln und Füßen: Wurden sie vielleicht aus therapeutischen Gründen gemacht, um ihn von seinen Gelenksschmerzen zu befreien?
Die Römer an der Donau
Als die Römer zur Zeitenwende an die Donau kamen, trafen sie auf die Kelten, deren Priester, die Druiden, zugleich Heilkundige waren. Diese gaben ihr Wissen nur mündlich untereinander weiter, einige Reste davon haben sich in der Volksmedizin erhalten. Die Römer interessierten sich aber nicht dafür. Bei ihnen war es Sitte, dass die Familienväter ihre Angehörigen und Diener im Krankheitsfall zunächst selbst zu kurieren versuchten, bevor einer der römisch-griechischen Heilkundigen, deren Ausbildung nicht durch römische Vorschriften geregelt und daher recht unterschiedlich war (sie erfolgte in einem Meister-Lehrlingsverhältnis), konsultiert wurde. Diese genossen nicht immer hohes Ansehen, noch Gaius Plinius Secundus (1. Jahrhundert n. Chr.) übte an ihnen heftige Kritik. Reiche Leute, wie zum Beispiel ein gewisser L. Iulius Euthemus aus Carnuntum, hatten den Arzt im Haus, sie hielten griechische Medizinsklaven (servi medici), wie uns der dort gefundene Grabstein des Eucrates beweist. Er ist der älteste namentlich bekannte Arzt von Österreich.
Grabstein des römischen Arztes Eucrates aus Carnuntum.
In den Städten gab es zur Kaiserzeit bereits überall einen Gemeindearzt, den Archiatros, wovon sich das Wort Arzt ableitet. Seine Rechte und Pflichten waren durch ein Edikt Kaiser Constantins aus dem Jahre 321 n. Chr. genau geregelt: Darin finden sich Vorschriften über Ernennung, Verpflichtung zum Unterricht, Befreiung von Abgaben sowie Besoldung, aber ebenso über Absetzung bei Unfähigkeit. Er hatte auch ein Mitspracherecht bei den Vorsorgemaßnahmen wie der Anlage von Wasserleitungen und Kanälen, die halfen, die Ausbreitung von Seuchen einzudämmen. Einen wichtigen Beitrag zur regelmäßigen Gesundheitspflege leisteten die Thermen, die es gleichfalls in jeder Stadt gab. Sie sind zu unterscheiden von den heilkräftigen Quellen, zum Beispiel in Baden bei Wien (Aquae) oder in Bad Deutsch Altenburg (Carnuntum), wo man in eigenen Anstalten Gicht, Rheumatismus und Ischias behandelte. »Schwefelhaltige Quellen stellen die Funktion der Nerven wieder her, indem sie die schädliche Feuchtigkeit erhitzen und durch die Hitze aus dem Körper herausbrennen.2« Gebräuchlich waren sowohl Bade- als auch Trinkkuren.
Das Militär war medizinisch gut versorgt. Bei jeder Legion (vier- bis sechstausend Mann) gab es zwölf bis siebzehn Militärärzte im Offiziersrang. Ihr Sold war hoch, sie waren von anderen militärischen Pflichten befreit. Ihnen unterstanden die Miles Medici als Sanitätsunteroffiziere, die Dienst im Feld zu versehen und die Capsarii zu beaufsichtigen hatten. Letztere nahmen den untersten Rang ein, schleppten unter anderem die Capsae, die Behälter mit den Instrumenten und Arzneien, und waren für Bergung und Erstversorgung der Verwundeten zuständig. Um die Truppen gesund zu erhalten, gehörte die Vorsorgemedizin ebenfalls zu den Aufgaben der Militärärzte. Die tägliche Ration Knoblauch, aber auch Talismane sollten dabei helfen.
Römische Ärzte leisteten nicht ungern Kriegsdienst, denn im Feld bekamen sie Übung im Umgang mit Verletzten und konnten die Leichen von gefallenen Barbaren sezieren, wie aus den Markomannenkriegen bekannt ist3. Die Sektion römischer Leichen war nämlich generell verboten, und wer nicht in einer Gladiatorenschule arbeitete, blieb auf die Untersuchung von toten Schweinen und Affen beschränkt. Ein römischer Militärarzt griechischer Abstammung namens Dioskurides ist bis heute weltberühmt (siehe S. 17).
In jeder Stadt gab es ein Krankenhaus, ein Valetudinarium, das meist an den Sitz des Stadtkommandanten angebaut war. In Österreich hat man einige davon gefunden und erforscht. Das Valetudinarium von Enns-Lorch (Lauriacum) wurde später zum frühchristlichen Bischofssitz ausgebaut. Das Lazarett von Carnuntum war besonders groß, es maß 83,50 mal 79,50 Meter und lag westlich des Legatenpalastes. Seine Gebäude waren um einen Hof herum angeordnet und die einzelnen kleinen Krankenzimmer von dort aus zugänglich. Sie wurden im Winter mit tragbaren Kohlenbecken erwärmt, wie es in den meisten Privathäusern damals üblich war, verfügten also über keine Fußbodenheizung. In Carnuntum wurde in der Spätzeit offenbar ebenfalls eine Kirche in das Valetudinarium hineingebaut. In Vindobona (Wien) dürfte sich ein solches auf dem Areal Maria am Gestade-Stoß im Himmel-Salvatorgasse befunden haben, dort hat man 1951 einen Altar gefunden, den ein Centurio der X. Legion Jupiter, Aesculap und den keltischen Heilgöttern Sirona und Apollo (Grannus) gewidmet hatte. Man stieß in Österreich vielerorts auf Spuren des Aesculap (Asklepios), dem Sohn Apollos und Heilgottes der Griechen, in der Kaigasse von Salzburg, in Carnuntum, in Lauriacum und an etlichen anderen Orten, und auf Spuren seiner Tochter Hygieia.
Medizinische Instrumente aus der Römerzeit finden sich in etlichen Museen, sie sehen nicht viel anders aus als die von heute: Skalpelle, Sonden, Knochensägen und -meißel, Zangen aller Arten, Katheter zur Harn ableitung, Schröpfeisen (cucurbitula, sie galten als Symbol für den ärztlichen Beruf), Schädelbohrer, aber auch Brenneisen, deren Einsatz als ultima ratio galt: »Was Arznei nicht heilen kann, heilt das Eisen; was Eisen nicht heilen kann, heilt das Feuer; was aber das Feuer nicht heilen kann, das muß als unheilbar gelten«, sagte Hippokrates. Die Ärzte stellten Salben und Medikamente aus vielerlei Pflanzen, aus tierischen Grundstoffen und Mineralien her.
Chirurgische Instrumente aus der Römerzeit.
Die Schriften der Antike
Als die byzantinische Prinzessin Juliana Anikia um das Jahr 512 n. Chr. eine...