KAPITEL 2
Die Geschichte der Börse
ÜBERSICHT
Die frühen Wurzeln
Von Italien über Belgien bis Schweden: Die Geburtsstunde von Banken, Börsen und Aktien
Historische Spekulationsblasen: Von Tulpen, der Südsee und der Rolle der Banken
Die Entwicklung des modernen Börsenwesens
Die wichtigsten Börsenplätze der Gegenwart
New York Stock Exchange (besser bekannt als Wall Street)
Nasdaq
Chicago Mercantile Exchange
Frankfurter Börse/Xetra-Handelssystem
London Stock Exchange
Euronext
Tokio Stock Exchange
Die Weltgeschichte sammelt auf unsere Kosten große Schätze.
Johann Wolfgang von Goethe, deutscher Dichter und Schriftsteller
Geldgeschäfte haben eine lange Historie. Viele Errungenschaften der Geldanlage sind gar nicht so neu und modern, wie wir immer glauben. Ein Blick in die Geschichte hilft, die Entwicklung des modernen Börsenwesens zu verstehen und einzuordnen. Dabei beginnt die Zeitreise im Römischen Reich, wo es bereits erste wertpapierähnliche Frühformen der Geldanlage gegeben hat. Daran anschließend folgt der Blick auf die Entwicklungen im Mittelalter, in dem nicht nur das Bankensystem, sondern auch die ersten echten Börsen entstanden. Da die Geschichte der Geldanlage auch immer eine Geschichte menschlicher Gier und Übertreibungen ist, schließt sich ein Überblick über einige charakteristische Übertreibungsblasen an. Abschließend stehen dann die Entwicklungen im modernen Börsenwesen im Vordergrund – inklusive einer Vorstellung der wichtigsten Börsenplätze der Gegenwart.
DIE FRÜHEN WURZELN
Die Börse und damit die Wertpapieranlage sind weitestgehend eine Erfindung der Neuzeit. Doch ihre Wurzeln reichen weit zurück. Bereits im Römischen Reich gab es Handelsformen, die stark an die heutigen Aktien und Anleihen erinnern. Damals versuchten beispielsweise Landwirte, ihre Nutzungsflächen deutlich auszuweiten. Das dafür benötigte Kapital wurde durch die Verpachtung von Ernterechten beschafft. Ausgewählte römische Bürger stellten Gelder für den Erwerb des neuen Ackerlandes zur Verfügung und erhielten im Gegenzug die Ernten der ersten drei bis fünf Jahre. Auch in der Seefahrt machten derartige Finanzierungen Schule. So wurden beispielsweise neue Handelsschiffe über entsprechende Kapitalbeteiligungen finanziert und durch eine zeitlich beschränkte Partizipation an den Erträgen getilgt. Auch im Bergbau setzte sich diese Art der Beteiligungsfinanzierung durch. Wie auch bei heutigen Börseninvestments trug der Käufer dabei das unternehmerische Risiko. Warfen die Ackerböden beispielsweise aufgrund einer Hitzedürre keinen Weizen ab oder ging das finanzierte Schiff während eines Unwetters unter, waren Kapitalverluste für die Kapitalgeber vorgezeichnet. Andererseits bestand aber natürlich auch die Chance, über den Investitionszeitraum hinweg, deutlich mehr zu verdienen, als man eingezahlt hatte. Das Grundprinzip »Ohne Risiko keine Chance« hatte also auch schon zur damaligen Zeit Gültigkeit.
Im Vergleich zum heutigen Börsenhandel waren die Investitionen aber stets zeitlich begrenzt. Üblicherweise wurden sie nach drei bis fünf Jahren beendet. Während dieser Laufzeit gab es keine Möglichkeit, die Investition zurückzuverlangen. Die vom heutigen Börsenhandel bekannte tägliche Verfügbarkeit des Kapitals war also nicht gegeben. Zudem konnten sich nur wenige Bevölkerungsgruppen an den entsprechenden Investitionen beteiligen. Finanzgeschäfte waren in diesen frühen Zeiten also nichts für die breite Masse, sondern nur einige wenige »Auserwählte«.
Im Laufe der Zeit spezialisierten sich Kaufleute im Römischen Reich auf die Vermittlung passender Finanzierungen. Sie brachten kapitalstarke Bürger auf der einen Seite und expansionswillige Landwirte, Seeleute oder Bergwerksbetreiber zusammen. Im Gegenzug kassierten sie für diese Dienstleistung eine Provision. Dies erinnert bereits rudimentär an den Beruf des Börsenhändlers. Auch er bringt Käufer und Verkäufer zusammen und kassiert dafür eine entsprechende Courtage.
VON ITALIEN ÜBER BELGIEN BIS SCHWEDEN: DIE GEBURTSSTUNDE VON BANKEN, BÖRSEN UND AKTIEN
Mit dem Zusammenbruch des Römischen Reichs fanden die Finanzierungsgeschäfte ein vorläufiges Ende. Und trotzdem blieb Italien auch in den kommenden Jahrhunderten das wichtigste Pflaster für Bank- und Finanztransaktionen. So belegen schriftliche Aufzeichnungen, dass es bereits im frühen zwölften Jahrhundert bankähnliche Unternehmen gab. Diese waren zunächst nur auf den Geldwechsel spezialisiert und ermöglichten Händlern, ausländische Währungen in einheimisches Geld zu tauschen. Doch bereits Ende des zwölften Jahrhunderts erweiterte sich das Spektrum der Banken spürbar. So boten sie ihren Kunden Spareinlagen an, auf die sie entsprechend Zinsen zahlten – eine frühe Form des heutigen Sparbuchs oder Tagesgeldkontos. Gleichzeitig verliehen sie Gelder und ermöglichten es so insbesondere Gewerbetreibenden, größere Investitionen zu tätigen. Zu dieser Zeit entwickelten einige Banken auch bereits wertpapierähnliche Instrumente, die als Mischform Aktien- und Anleihemerkmale aufwiesen. So stellten Händler den Banken für eine bestimmte Laufzeit Kapital zur Verfügung (analog zu heutigen Anleihen) und bekamen während der Laufzeit eine Beteiligung am Gewinn der Bank (analog zu heutigen Aktien).
Anders als heute gab es aber keinen Handel für diese frühen Wertpapiere. Es handelte sich ausschließlich um Privatplatzierungen, die nicht an Dritte weitergereicht werden konnten. Trotzdem lassen sich im frühen italienischen Bankensystem erstaunlich viele Parallelen zur heutigen Zeit erkennen:
- Banken agierten Ende des 12. Jahrhunderts als Dienstleister vornehmlich für Gewerbetreibende.
- Bereits zu dieser frühen Zeit war es üblich, die Kosten für Geldgeschäfte in Prozentsätzen auszudrücken. Es gab also bereits Zinssätze für Spareinlagen beziehungsweise Kredite. Dabei lagen die Zinssätze für Spareinlagen unter denen der Kredite – die Differenz definierte die Erträge der Bank.
- Die Banken kannten damals schon das »Fraktionalprinzip«. So behielten sie nur einen Teil der eingezahlten Spargelder für den täglichen Zahlungsverkehr und nutzen den Rest für Finanzierungsgeschäfte.
- Zumindest innerhalb Italiens gab es bereits frühe Formen des bargeldlosen Handels. So hatten die Banken untereinander ein System aufgebaut, bei dem Geldtransfers durch Schuldscheine dargestellt wurden. Vertrauen war also auch damals schon eine der Grundvoraussetzungen für ein funktionierendes Bankensystem.
Kein Wunder, dass viele nationale Regierungen daher bereits damals begannen, Bankgeschäfte gesetzlich zu regulieren. So gab es beispielsweise Anfang des 14. Jahrhunderts ein bis heute überliefertes Bankengesetz in Katalonien, in dem unter anderem Zahlungsausfälle von Banken mit drakonischen Strafen versehen wurden.
Beim Rennen um die erste Börse und die erste Aktiengesellschaft der Welt musste sich Italien den europäischen Nachbarn geschlagen geben. So entstand die erste Börse der Welt im belgischen Brügge. Sie wird urkundlich bereits im Jahr 1409 erwähnt und diente damals als Treffpunkt für Händler. Gegen eine geringe Gebühr konnten diese ihre Waren in den Räumen der Börse anbieten und gegen andere Waren eintauschen.
Dadurch wurde der Jahrtausende alte Warenhandel erstmals institutionalisiert und an einem Ort zusammengefasst. Bereits kurz nach ihrer Entstehung entwickelten sich auch Termingeschäfte. So vereinbarten die Händler an der Börse beispielsweise bestimmte Warenlieferungen in der Zukunft – mit Lieferfristen von bis zu sechs Monaten. Damit wurden diese Geschäfte das Vorbild heutiger Warenterminbörsen, an denen aktuell vor allem Rohstoffe und Nahrungsmittel gehandelt werden. Sukzessive setzte sich die Idee einer »Börse« auch in anderen Ländern durch. In Deutschland wurde beispielsweise 1540 die Warenbörse Augsburg gegründet. Zu den bedeutendsten Handelsplätzen mauserten sich allerdings die Börsen in den Niederlanden, insbesondere der Umschlagplatz Amsterdam.
Der Name der Börse
Noch immer streiten sich die Historiker darüber, warum die Börse eigentlich Börse heißt. Die eine Expertenrichtung vermutet, dass der Name auf den lateinischen Namen »Bursa« zurückzuführen ist, der...