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Gutenberg

Der Mann, der die Welt veränderte

AutorKlaus-Rüdiger Mai
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl384 Seiten
ISBN9783843714570
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Der Erfinder des Buchdrucks gilt als Jahrtausendfigur. Mit seinen bahnbrechenden Neuerungen läutete Johannes Gutenberg das Zeitalter der Moderne ein. Ohne ihn keine Reformation, keine Renaissance, keine Kirchenkritik, keine Bildung im modernen Sinn. Zu Recht vergleicht man die von ihm eingeleitete mediale Revolution mit der digitalen Zäsur unserer Tage. Aber der Pionier aus Mainz war nicht nur ein genialer Erfinder, sondern auch ein geschäftstüchtiger Medienunternehmer, der um die Bedeutung seiner Erfindung wusste und sie gewinnbringend zu vermarkten verstand. Diese Modernität Gutenbergs inmitten der revolutionären Umbruchzeit des 15. Jahrhunderts stellt der erfahrene Biograph Klaus-Rüdiger Mai in den Mittelpunkt seiner Schilderung. Glänzend versteht er es, Gutenberg und seine Zeit lebendig werden zu lassen und die überraschende Aktualität dieser Lebensgeschichte spürbar zu machen.

Klaus-Rüdiger Mai, geboren 1963 in Staßfurt, promovierter Germanist. Nach Tätigkeiten als Regisseur, Dramaturg, Drehbuchautor und Filmproduzent widmet er sich seit 2005 dem Schreiben von historischen Sachbüchern und Biographien.

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Ein Jahrhundert vor Gutenbergs Geburt kehrte der Venezianer Marco Polo von einer Reise zurück, die zwanzig Jahre seines Lebens eingenommen und die ihn bis nach China geführt hatte. Obwohl sein Reisebericht Furore machte, war er bei weitem nicht der erste Europäer, der Asien erkundete und somit den Horizont des Okzidents erweiterte. Bereits der Franziskaner Wilhelm von Rubruk hatte Mitte des 13. Jahrhunderts im Auftrag des französischen Königs Ludwig des Heiligen eine Gesandtschaft zum Großkhan Mangu von Karakorum, einem Enkel von Dschingis Khan, unternommen und den Christen den Blick tief nach Asien hinein geöffnet. So unterschiedlich diese Welten, China, Persien, Arabien und Europa, auch sein mochten, einte sie doch eine mittelalterliche Ordnung, in der die Vorstellung und das Konzept des Individuums fremd waren und Wissen nur wenigen zugänglich. Die Gelehrten standen in der Regel, wenn sie nicht an einer Universität lehrten oder innerhalb eines Ordens tätig waren, im Dienst eines geistlichen oder weltlichen Herrschers innerhalb einer festgefügten Hierarchie, in der die Menschen gleichsam wie die Planeten im System des alexandrinischen Astronomen Claudius Ptolemäus auf Kristallschalen um ihre Fürsten kreisten. Autoren im modernen Sinne existierten nicht, denn jeder Verfasser deutete nur das Werk eines weit Höheren aus – Gottes, Allahs oder eines Himmelsgottes, der die wahre auctoritas besaß. Allenthalben erläuterte und kommentierte man in Europa noch »den Philosophen«, womit Aristoteles gemeint war, und in China Konfuzius. Es existierte auch kein Urheberrecht – denn wer durfte es wagen, dem großen Urheber, Gott, das Copyright an allem, was auf der Welt existierte, streitig zu machen? Bücher wurden mit viel Fleiß und wachsender Kunstfertigkeit abgeschrieben. Nicht nur ihr Besitz, sondern auch ihre Benutzung stellten einen Luxus dar. Insofern lebte man vom Tejo bis zum Jangtsekiang in einer facettenreichen und vielgestaltigen, letztendlich aber in einer Welt, die allerdings aus vielen Teilen bestand. Das Auseinanderbrechen dieser universalen mittelalterlichen Welt erfolgte selbstverständlich nicht ad hoc, sondern war Ergebnis einer längeren Entwicklung, die man mit der Geschichte der Renaissance und des Humanismus zu umschreiben vermag. Aber wünscht man die Wandlung dieser Welt mit einem Datum und einem Ereignis zu markieren, dann drängen sich die Jahreszahlen 1450 und 1452 in den Vordergrund, gekennzeichnet durch die Erfindung des Drucks mit beweglichen Lettern1 und die Drucklegung der 42-zeiligen Bibel durch Johannes Gutenberg in Mainz. Im Grunde wurde mit der drucktechnischen Vervielfältigung der Bibel, dem Gründungsdokument des Okzidents, der Text der Heiligen Schrift dem preisgegeben, was später als Industrie bezeichnet werden sollte. Die technischen Neuerungen schufen wichtige Voraussetzungen für die Durchdringung des Textes mit Hilfe einer historisch-kritischen Methode und bereiteten schließlich den Boden für die Vereinbarkeit von christlichem Glauben und dem Leben in einem laizistisch-demokratischen Staat. Der Anteil des aufgeklärten Christentums an der modernen Entwicklung Europas wird häufig aus ideologischen Gründen unterschätzt, doch entwickelten sich ab der Erfindung des Buchdrucks Okzident und Orient unterschiedlich, beginnt mit ihm der wissenschaftlich-technische, der philosophische und zivilisatorische Aufstieg Europas, dem die übrige Welt nicht folgte. Mit der Vervielfältigung von Wissen im Okzident entstand zugleich die Vielfalt des Wissens selbst, weil immer größere Kreise in den wissenschaftlichen und intellektuellen Bereich einbezogen wurden und sich dadurch wissenschaftliche Entdeckungen und technische Erfindungen, einhergehend mit der geistig-künstlerischen Entwicklung, exponentiell vermehrten. Sicher erreichte auch das handschriftliche Kopieren von Büchern in geistlichen Skriptorien und weltlichen Schreibstuben eine Professionalität und Effizienz, die zu einem beachtlichen Ausstoß an Büchern führte. Aber erst durch die Mechanisierung und arbeitsteilige Organisation des Vervielfältigungsvorgangs selbst wurde der Zugang zu Texten alltäglicher und dadurch im Umkehrschluss auch die Produktion von Texten, das Verfassen schriftlicher Mitteilungen zu einer selbstverständlichen Tätigkeit unter anderen: Zum einen stieg die Zahl an Universitätsgründungen, zum anderen studierten immer mehr Menschen, für die schriftliche Kommunikation alltäglich wurde. Nun wurden auch Dinge aufgeschrieben, die alle Bereiche des Lebens, vom Pflanzenbuch bis hin zu Werklehren und sogar -geheimnissen, umfassten, die man vorher nur mündlich mitgeteilt hatte und die selten den Weg auf das Papier gefunden hatten.2 Langfristig wurde aus der europäischen Gesellschaft zunehmend eine Wissensgesellschaft, in der schriftliche Kommunikation zu einem Vehikel des Fortschritts wurde, eine Kommunikation, die erst Gutenberg möglich gemacht hatte. Bücher galten nicht mehr als Luxus, Wissen wurde erschwinglich, Gelehrte und Schriftsteller wurden zu Autoren und erlangten durch das entstehende Urheberrecht Unabhängigkeit.3 Die Erfindung des Drucks mit beweglichen Lettern schuf neue Kommunikationssysteme, vereinfacht gesagt veränderte sie damit auch den Menschen und seine Vorstellungen von seiner Position in der Welt – gegenwärtig wohl vergleichbar damit, wie das Internet Kommunikation und Stellung des Menschen in der Welt modifiziert. Nach heutigen Erkenntnissen wird deutlich, dass »die Menschen ihre Lebensgewohnheiten ändern müssen, nachdem solche Instrumente«, wie eben der Buchdruck oder das Internet, »kontinuierlich angewendet werden«.4 Diese Veränderung von Leben und Lebensgewohnheiten wird auch in der Biographie des Erfinders Johannes Gutenberg deutlich. Im Gleichnis seiner Lebensgeschichte den Bruch im Spätmittelalter aufzuspüren macht das Abenteuer der biographischen Reise aus. In Verbindung damit steht allerdings, dass die Einführung neuer Kommunikationstechniken auf Kosten älterer geht, mit Gewinn auch Verlust verbunden ist und Gutenbergs Erfindung einen wahren Kulturkampf seiner Befürworter und Kritiker entfachte. Denn seine Zeitgenossen begriffen eher noch als wir Nachgeborenen, dass sie an einer Zeitenwende standen. Wenn Martin Luther durch das »Ich« im Glauben das Individuum, die Grundlage unserer Gesellschaft, fand, so sicherte Gutenbergs Erfindung diesem Individuum seine Existenz. Der Mainzer hatte mehr und vor allem grundsätzlicher, als er selbst ahnen konnte, mit seiner Erfindung zur Geburt einer neuen Welt beigetragen. Europa vollzog im Vergleich zum Nahen, zum Mittleren und zum Fernen Osten eine fulminante, vorwärtsdrängende Entwicklung, die den Okzident schließlich im 19. Jahrhundert zur beherrschenden Macht aufsteigen ließ. Die Forschung spricht heute nicht nur von einer Welt, sondern von einer ganzen Galaxis, die ihr Entstehen Johannes Gutenberg zu verdanken habe.5 Analog hierzu sehen manche bereits das Ende der Gutenberg-Galaxis durch das World Wide Web gekommen. Wenn das Gutenbergzeitalter endet, die Ära des gedruckten Buches – bricht damit zugleich die Epoche ab, die mit Gutenberg und mit Martin Luther begann, das große europäische Zeitalter? Zeichnet sich in der Gegenwart nicht ein ähnlich tiefgreifender Medien- und Weltenwechsel ab, wie ihn Gutenberg erlebte und auf den er zudem als Erfinder einen ungeheuren Einfluss nahm? Will man das eine begreifen, muss man das andere verstehen. Der Weg zu Gutenberg zurück führt unweigerlich nach vorn: zum Verständnis aktueller Veränderungen. In das Jahrhundert Gutenbergs zu reisen bedeutet in eine Welt der grundsätzlichen, alles umfassenden, tiefgreifenden Krise aufzubrechen, in eine Welt, die von den Schüben des Wandels anfallartig gerüttelt und geschüttelt wurde, in der man den Teufel noch nicht wegtheologisiert hatte, sondern in der er anwesend war als abgrundtief böser Meister. Und auch Johannes Gutenberg begegnete in seinem Leben dem Teufel leibhaftig in unschöner Regelmäßigkeit, ihm oder einem seiner abscheulichen Gesellen. Vom Teufel angefallen zu werden, von ihm besessen zu sein, konnte dem Menschen des Spätmittelalters zu jeder Zeit, an jedem Ort widerfahren, mit derselben Fatalität, mit der er in einen Hagelschauer oder einen Schneesturm geriet. Und gewiss war dann der Infekt, den er sich im Unwetter zuzog, ein Werk des Teufels, denn von ihm und seinen Gesellen kamen die Krankheiten, während das Heil und mithin auch die Gesundheit als Gottes Geschenk angesehen wurden. Das Ziel der Expedition ist eine Epoche, die der niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga »Herbst des Mittelalters« nannte und die reich an Unwettern, Konflikten, an Dynamik und Dramatik war, eine Zeit der an sich selbst irre werdenden Gewissheiten. Denn jene Gewissheiten, auf denen das christliche Dasein beruhte, galten nicht mehr so selbstverständlich und unhinterfragbar. Die Fundamente des Lebens wurden brüchig. Die Ordnungs- und Garantiemächte dieser Epoche, das Papsttum und das universale Kaisertum, hatten sich in einem mit allen Mitteln geführten Kampf gegenseitig abgenutzt. Der Kaiser verlor im Reich zunehmend an Macht gegenüber den Fürsten, die ihre Landesherrschaften ausbauten, und der Papst handelte immer stärker als italienischer Territorialfürst und immer weniger als Stellvertreter Christi und Haupt der Christenheit. Politisch, rechtlich und sozial ergaben sich tiefgreifende Veränderungen. Sie bestimmten Johannes Gutenbergs Leben...

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