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E-Book

Der Pflege-Aufstand

Ein Heimleiter entlarvt unser krankes System - Würdige Altenpflege ist machbar

AutorArmin Rieger
VerlagLudwig
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783641195984
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Dahinsiechende Bewohner, erschöpfte Pflegekräfte, katastrophale hygienische Zustände - dennoch verteilt der Pflege-TÜV Bestnoten an deutsche Pflegeheime. »Pflegerebell« Armin Rieger, selbst Heimbetreiber, legt sich für die alten Menschen mit dem deutschen Pflegesystem an. Denn ein Altern in Würde ist in unseren Heimen allzu oft schlicht unmöglich. Die Gründe: Personalmangel, Zeitdruck und vor allem das Streben nach Profit. Schonungslos, offen und gespeist aus der eigenen Erfahrung, macht Armin Rieger einen Skandal sichtbar, der Millionen alte Menschen und ihre Angehörigen betrifft. Zugleich zeigt er aber auch auf, wie man ein gutes Heim erkennt und wie ein Altern in Würde möglich ist.

Armin Rieger, Jahrgang 1958, arbeitete viele Jahre als Polizeibeamter und verdeckter Ermittler bei der Drogenfahndung, anschließend in der Immobilienbranche. Seit 1998 ist er Leiter des Seniorenheims 'Haus Marie' in Augsburg, außerdem Gründungsmitglied des Augsburger Pflegestammtisches. Gegen die unhaltbaren Zustände in deutschen Pflegeheimen hat Armin Rieger 2014 Verfassungsbeschwerde eingelegt.

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Leseprobe

1

Vom Saulus zum Paulus

Wie alles begann

Hätte mir vor 20 Jahren jemand gesagt, dass ich mich mit Mitte 50 als Pflegerebell für eine bessere Pflege in Deutschland einsetzen würde, dann hätte ich ihn für verrückt gehalten. Mit Pflege hatte ich damals wirklich rein gar nichts am Hut.

Meine berufliche Laufbahn begann im Oktober 1976 bei der Bereitschaftspolizei in Königsbrunn bei Augsburg. Im Grunde hatte ich mich dafür nur entschieden, weil ich damals eigentlich keine rechte Lust mehr hatte, weiter auf die Schule zu gehen. Das Anfangsgehalt mit knapp 1 000 Mark war zu diesem Zeitpunkt auch recht ordentlich. Außerdem hatte ich im Hinterkopf, dass dieser Beruf doch viel Abwechslung und Abenteuer bieten würde. Das stellte sich jedoch zunächst als großer Irrtum heraus. Die ersten beiden Jahre bei der Bereitschaftspolizei in Königsbrunn waren geprägt von einem Kasernenleben, das strenger war als bei der Bundeswehr – damals gab es noch keine Frauen bei der uniformierten Polizei und die Strukturen waren daher während der Ausbildung noch etwas anders. Der Grund, weshalb ich dann nicht gleich wieder gekündigt habe, war ganz einfach: Damals gab es noch die Wehrpflicht, und eine Kündigung hätte bedeutet, dass ich nur in eine andere Kaserne hätte wechseln müssen – und das bei weit weniger Gehalt.

Nach der Ausbildung entschied ich mich dann doch, als Streifenpolizist zu arbeiten. Ich wollte erleben, wie es ist, als Polizist Verbrecher zu jagen und für Recht und Ordnung zu sorgen. Vermutlich wurde ich damals auch von einer Art Abenteuerlust getrieben. Ich hatte das Glück, dass ich einem Polizeirevier im Augsburger Westen, also in der Nähe meines Wohnortes, zugeteilt wurde. Die Schicht, in die ich kam, war sehr kollegial, und es entwickelten sich richtige Freundschaften unter den Kollegen. In unserem Revierbereich befanden sich drei Kasernen der US-Streitkräfte, was einer der Gründe war, weshalb der Streifendienst nie langweilig wurde. Vor allem waren viele Schlägereien durch betrunkene US-Soldaten zu beenden und andere Straftaten aufzuklären, die sich ergeben, wenn mehrere Tausend Soldaten über Jahre hinweg, weit weg von der Heimat, kaserniert sind. Aber auch die Aufnahme von Verkehrsunfällen oder Diebstählen gehörte nun zu meinen Aufgaben.

Dann hörte ich davon, dass bei der Kripo Augsburg im Kommissariat für Drogenfahndung, damals als »K 14« bekannt, ein junger Kollege gesucht wurde, der in der Drogenszene eingesetzt werden sollte. Zu dieser Zeit war ich bereits Sachbearbeiter für Jugendkriminalität und sowieso schon fast nur noch in Zivilkleidung unterwegs. Die Bewerbung bei der Drogenfahndung war dann vermutlich nur noch eine logische Konsequenz. Sowohl mein Charakter, ich war schon immer ein Querdenker, als auch mein Aussehen, meine Haare waren immer etwas zu lang für einen biederen Beamten, gaben wohl den Ausschlag dafür, dass ich diese Stelle bekam.

Schon bald wurde ich in der Drogenszene als einer der »Ihren« bekannt. Das führte dann schon mal dazu, dass es einem auch mal leidtat, wenn ein eigentlich sympathischer Mensch wegen Drogenhandels ins Gefängnis musste und man ihn selbst dorthin gebracht hatte.

Aber was das Schönste war: Die neuen Kollegen der Drogenfahndung wurden eine Art zweite Familie für mich. Wir hatten einen großartigen Chef. Dieser war Vorgesetzter und väterlicher Freund zugleich. Er hatte nicht nur die absolute fachliche Kompetenz, sondern auch die Fähigkeit, unsere Truppe zu führen und uns so zu motivieren, dass wir unsere Arbeit mit Freude und absolutem Engagement erledigten. Auch wenn nachts um zwei wegen eines Einsatzes ein Anruf kam, stand die ganze Mannschaft auf der Matte. Diese Zeit hat mich sehr geprägt, und mein damaliger Chef ist heute noch eine Art Vorbild für mich. Vor allem, was die Art der Menschenführung und den Umgang mit meinen Angestellten angeht. Man konnte sich zu 100 Prozent auf ihn verlassen und wusste, dass er auch hinter einem steht, wenn mal was schiefläuft. Er schaffte es durch seine ganz besondere Art, bei uns allen ein »Wir-Gefühl« zu erzeugen. Und er schaffte es, uns durch eine ruhige, aber bestimmte Art zu führen. Gleichzeitig zeichnete er sich durch eine große fachliche Kompetenz aus und konnte dieses Wissen auch gut vermitteln. So schweißte er uns zu einem verschworenen Haufen zusammen, und jeder wusste, dass er sich auf den anderen verlassen konnte. Es war beruflich gesehen wohl die schönste und interessanteste Zeit in meinem Leben.

Leider bekamen wir dann einen neuen Chef. Und der war das Gegenteil vom bisherigen Kommissariatsleiter. Er war vielleicht nicht der kompetenteste, was die Drogenfahndung anbelangt. Plötzlich lautete die Anweisung, mehr auf die kleinen Konsumenten loszugehen als auf die richtigen Dealer. Der Grund dafür ist folgender: Um erfolgreich Drogendealer zu bekämpfen, muss man sich immer am Rande der Legalität bewegen und teilweise darüber hinausgehen. Offiziell wird das wohl kein Beamter oder Politiker zugeben. Aber jeder Insider in der Drogenfahndung weiß, dass man nur erfolgreich verdeckt ermitteln kann, wenn man gelegentlich auch mal beide Augen zudrückt und gewisse Dinge nicht sieht. Als Polizeibeamter ist man verpflichtet, jede Straftat, von der man dienstlich Kenntnis erlangt, zur Anzeige zu bringen. Ein Polizeibeamter, der das nicht macht, begeht rein rechtlich gesehen eine Strafvereitelung im Amt. Doch um in die Drogenszene einzutauchen, muss man beispielsweise auch an Kifferrunden teilnehmen. Hätte ich da immer Anzeige erstattet, wäre ich aufgeflogen, bevor es richtig losgegangen ist. Ähnlich sieht es auch bei der Führung von V-Leuten aus, denn V-Leute, die der Polizei Informationen über Straftaten geben, sind selten biedere Menschen. Sonst wären sie auch nicht in der Nähe von Straftätern. Dazu braucht man jedoch einen Vorgesetzten, auf den man sich verlassen kann und der einem den Rücken stärkt. Diese Fähigkeit war bei dem neuen Chef aber nicht so ausgeprägt, dem es wohl vor allem darum ging, den Buchstaben des Gesetzes zu befolgen. Deshalb fiel das Kommissariat auch teilweise auseinander. Manche ließen sich freiwillig versetzen, andere wurde versetzt.

Auch ich hatte so meine Schwierigkeiten. Wenn ich einen Sinn hinter einer Sache sehe, dann hänge ich mich voll rein. Aber wenn ich etwas machen soll, nur um einen guten Schein zu wahren, dann sträubt sich bei mir so ziemlich alles. Wenn ich etwas mache oder sage, dann nur, wenn ich voll dahinterstehen kann. Ich will nicht behaupten, dass alles, was ich mache und sage, immer richtig ist. Das wäre vermessen. Aber ich kann von mir behaupten, dass ich nur Sachen mache und sage, von denen ich voll überzeugt bin.

Und so kam es, wie es kommen musste. Obwohl mich der neue Chef lobte und sogar als seinen besten Mann bezeichnete, wurde schnell klar, dass es mit uns beiden nicht gut gehen konnte. Anstatt ruhig zu sein und eventuell Karriere zu machen, suchte ich die Konfrontation und prangerte an, wenn ich etwas für falsch hielt. In der Augsburger Allgemeinen wurde ich später unter anderem so beschrieben: »Diplomatie ist seine Sache nicht«. Das trifft leider öfter zu, als mir selbst lieb ist. Deshalb war die Art und Weise, wie ich meinem Ärger Luft gemacht habe, eher dazu geeignet, meiner Karriere ein Ende zu setzen.

Etwa zu dieser Zeit riet mir ein befreundeter Architekt, ein Immobilienbüro anzumelden. Die wirtschaftliche Lage war gut, und es bot sich so die Möglichkeit, etwas Geld nebenbei zu verdienen. Als ich noch Polizist mit Leib und Seele war, wäre das für mich wohl nicht infrage gekommen. Aber frustriert und ernüchtert, wie ich zu dieser Zeit unter dem neuen Kommissariatsleiter war, besorgte ich mir die Zulassung als Immobilienmakler, ohne große Erwartungen darauf zu setzen. Doch der Handel mit Immobilien lief besser an als gedacht, und plötzlich war ich dann auch noch Bauträger und jonglierte mit Millionen. Irgendwie lag mir diese neue Aufgabe, und ich setzte mich mit vollem Engagement ein. Meine schnelle Auffassungsgabe und mein zielstrebiges Denken ließen mich auch in der Immobilienbranche erfolgreich sein.

Damit war klar, dass sich meine Polizeilaufbahn dem Ende zuneigte. Der Ausstieg aus dem Polizeiberuf fiel mir, zumindest von meiner inneren Einstellung her, dennoch nicht leicht. Ich war über viele Jahre hinweg gerne Polizist gewesen. Ich habe bei der Polizei und speziell bei der Drogenfahndung Dinge erlebt, die sich kein normaler Mensch – und auch kaum ein Polizist – vorstellen kann. Ich habe über Jahre einen engen Zusammenhalt mit den Kollegen erfahren. Es war fast immer spannend und abwechslungsreich. Nein, der Abschied fiel mir nicht leicht.

Dafür begann jetzt die Zeit des Geldverdienens.

Die Immobilienbranche boomte, und plötzlich war ich Chef zweier Firmen. Einer Immobilien- und Hausverwalterfirma und einer Bauträger GmbH. Da kam eines Tages ein ehemaliger Kollege von der Kriminalpolizei auf mich zu. Er erzählte mir, dass seine Frau gelernte Altenpflegerin und bereits an einem kleinen Pflegeheim beteiligt sei. Er sagte mir, dass er die Absicht habe, zusammen mit seiner Frau ein zweites Heim zu eröffnen. Dazu brauchte er aber einen Investor, der sich finanziell an diesem Heim beteiligen sollte. Er präsentierte mir verschiedene Berechnungen und Zahlen, die recht vielversprechend klangen. Auch nach Prüfung durch meinen Steuerberater, schien die Beteiligung an einem Pflegeheim eine gute Geldanlage zu sein.

Von der Pflege selbst hatte ich zu diesem Zeitpunkt nicht die geringste Ahnung, und sie hat mich auch nicht interessiert. Keine bettlägerige Mutter im Altenheim, kein Großonkel, der Pflege...

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