Vorwort
Es ist kalt. Im Winter tanzen auch hier in der Hochwüste die Schneeflocken. Ich werfe einen Blick auf die Uhr auf meinem Nachttisch: zwei Uhr morgens. Es ist Zeit. Die Worte lassen mir keine Ruhe, treiben mich aus meinem warmen Bett. Ich schlüpfe in die dicken Wollsocken und den schweren Bademantel und versuche, meinen Mann dabei nicht zu wecken. Ich gehe leise in das Büro in der anderen Ecke des Hauses. Ich habe zu arbeiten.
Aber zuerst entzünde ich die Kerze. Die Arbeit muss immer mit einem Ritual beginnen. Ein kleines Bücherregal dient mir als Altar, dort steht die Kerze umgeben von den Symbolen meiner spirituellen Reise. Beim Anzünden der Kerze erbitte ich den Schutz des Feuers, und auf den Wänden beginnen Schatten zu tanzen. Licht und Dunkelheit – das Wesen der schamanischen Arbeit. Ich öffne einen heiligen Raum, lade die Geister der vier Himmelsrichtungen ein und erinnere sie daran, dass ich es alleine nicht schaffe. Dass ich sie brauche. Natürlich bin ich es, die dieser Erinnerung bedarf.
Der Computer erwacht zum Leben, und ich sitze reglos da, warte, nehme die Stille, die Ruhe dieser tiefen Nacht in mich auf. Das Telefon wird nicht klingeln. Die Türglocke wird nicht läuten. Nichts wird mich ablenken – es sei denn, ich tue es selbst. Ich muss meine Mitte finden. Welcher Klient wird mir heute Nacht Gesellschaft leisten? Es ist Jered.
Wir haben uns ausführlich unterhalten, und ich trage seine Geschichte in mir, kenne sie fast schon auswendig. Was denkt, was fühlt er? Wie kann ich es in Worte fassen? Es ist, als öffnete ich eine Tür und beträte eine fremde Wirklichkeit. Das muss ich tun, wenn ich für ihn sprechen, wenn ich die Geschichte seiner Heilung erzählen möchte. Er bringt mir ein enormes Vertrauen entgegen! Ich nehme es nicht auf die leichte Schulter. Es erstaunt mich sogar sehr. Aber ich kann es auch verstehen.
Die Menschen, deren Geschichten ich aufschreibe, sind Albertos Klienten. Sie haben ihn um Hilfe, Heilung und Licht gebeten, waren bereit, sich den Schatten zu stellen.
Ich lege die kalten Finger auf die Tastatur.
Dies war mein Arbeitsrhythmus, und er floss über die Jahre mit den Jahreszeiten dahin. Geschichte um Geschichte wurde dieses Buch lebendig. Den Anfang machte ein ausführliches Gespräch mit den Klienten, gefolgt von Rücksprachen, E-Mails und so vielen Entwürfen, wie nötig waren, bis der Text die Zustimmung aller fand. Alberto war immer da. Kein Wort entging seinem prüfenden Blick. Schließlich war es sein Buch, seine Schöpfung. Ich war mir des Privilegs, als Mitautorin des begnadeten Schamanen an diesem Prozess teilhaben zu dürfen, stets bewusst.
Ich habe keine Ahnung, wann der Funke dieses Projekts in den Augen des Schamanen aufblitzte. Aber ich weiß, wann für mich die Reise begann. Es war im Juli 2001. Jener Sommertag, der Tag meiner ersten Begegnung mit dem Schamanen, hat sich tief in mein Gedächtnis eingegraben. Ich wandte mich wegen einer tödlichen Krankheit an ihn, verpackt in eine spirituelle Krise. Der Schamanismus war mir neu und kam mir fremd, seltsam und rätselhaft vor. Ich war fasziniert. Ein Teil von mir zweifelte nicht daran, dass dieser Mann mir etwas sehr Wichtiges zu sagen hatte – und ich gefälligst zuhören sollte. Ich entblößte die Wunden meiner Seele, die Wunden eines ganzen Lebens vor ihm. Alberto saß mir gegenüber, hatte einen Block in der Hand und machte sich Notizen. Mit einem Mal hielt er inne, drückte mir seinen Stift in die Hand und sagte: »Nimm diesen Stift und schreib um dein Leben, Anne!« Damals hatten – zumindest soweit ich das sagen kann – weder er noch ich eine Vorstellung davon, wohin dieser Stift mich führen würde. Er wurde Teil meiner Mesa, des Altars der Schamanen, und ist es bis heute geblieben.
Es folgten viele weitere Sitzungen mit Alberto, denn meine Wunden waren zahlreich und mussten heilen, wenn ich das Leben in seiner ganzen Fülle erfahren wollte. Ich unterzog mich verschiedensten schamanischen Heilmethoden wie Illuminationen, Seelenrückholungen und Extraktionen, von denen Sie auch in diesem Buch lesen werden. Ich absolvierte die Light Body School der von Alberto ins Leben gerufenen Four Winds Society. Am Ende dieses Ausbildungsprogramms steht die energiemedizinische Qualifikation, außerdem bietet es Raum für die persönliche Heilung. Wegen meiner körperlichen Einschränkungen war dies von Anfang bis Ende ein harter Kampf. (Nun, inzwischen weiß ich, dass nichts rein körperlich ist.) Aber als ich die Ausbildung abschloss, tanzte ich um das zeremonielle Feuer.
Bereits lange, bevor ich jenen Stift zur Hand nahm und begann, die Wege der Heilung anderer Menschen aufzuzeichnen, stand ich mit beiden Beinen fest auf dem schamanischen Pfad. Andernfalls wäre ich gar nicht dazu in der Lage gewesen. Abgesehen von meiner Erfahrung mit der schamanischen Arbeit wirkte ich in Hollywood als professionelle Autorin in erster Linie an Dokumentarfilmen mit. Alberto wusste das und sprach mit mir über die Möglichkeit, gemeinsam an diesem Projekt zu arbeiten. Wie üblich verfasste ich ein Exposé und ein paar Textproben. Ich machte den Vorschlag, die Geschichten abwechselnd aus der Perspektive des Klienten und des Schamanen zu erzählen.
Alberto erkannte das Potenzial meines Materials und sagte: »Dieses Buch wird vielen Menschen sehr viel bedeuten.« Ich brannte darauf, ja zu sagen, aber Wellen der Unzulänglichkeit konnten diese Feuer schnell zum Erlöschen bringen. Und Alberto sagte ganz offen: »Das ist ein großes Projekt, und es wird sehr viel Arbeit machen.« (Er hatte recht.) Trotzdem glaubte ich fest daran, dass ich dieses Unterfangen nicht alleine zu bewältigen hatte, dass mir alles gegeben würde, was ich brauchte. Und so fingen wir an. Das war im Jahr 2005. Ich ging ganz in dem Projekt auf und muss auch heute noch viel daran denken.
Als ich zu dem Projekt stieß, legte mein Mann Laban Strite, Psychologe und ebenfalls Absolvent der Light Body School, bereits das Fundament, indem er auf Albertos Anweisung hin Vorgespräche mit knapp hundert Klienten führte. Damals war ich abends oft allein und las, während er am Telefon die Vorarbeiten zu diesem Werk erledigte. Ich war darüber nicht sonderlich erfreut, denn eigentlich gehörte der Abend uns. Aber dank der Informationen, die er sammelte, konnte ich nach meinem Einstieg in das Projekt sofort mit den ausführlichen Interviews beginnen.
Meine zwölf Gesprächspartner kamen aus verschiedenen Bereichen der Gesellschaft und aus verschiedenen Ecken der Vereinigten Staaten. Sie alle hatten Einzelsitzungen mit Alberto absolviert. Sie gingen den Weg der Heilung, was allerdings nicht zwangsläufig bedeutete, dass sie auch geheilt waren. Trotzdem kann man sagen, dass die Erfahrung, mit dem Schamanen an der eigenen Heilung zu arbeiten, sie alle veränderte – genau wie mich.
Das Schreiben dieses Buches ähnelte dem unberechenbaren Lauf eines Flusses, der mal fröhlich dahineilt, über Felsbrocken und Steine springt, und mal Gefahr läuft auszutrocknen. Würde er ganz und gar versiegen? Andere Aufgaben und Verpflichtungen sowie unerwartete Veränderungen in Albertos und in meinem Leben sorgten dafür, dass das Buch längere Zeit auf Eis lag. Die Vorstellung, etwas warten zu lassen, ist ein vertrautes – und sogar positives – Konzept der schamanischen Arbeit. Ich versicherte Alberto: »Das Buch wird seine Zeit finden.« Er ermutigte mich, nicht aufzugeben: »Diese Geschichten verdienen es, erzählt zu werden.« Wir hielten durch, und der Fluss begann wieder zu fließen.
Und die Klienten auf unserer Liste? Sie warteten geduldig, still und vertrauensvoll. Sie wussten, welch großes Privileg mit der Teilnahme an diesem Projekt verbunden war. Ich bin mir sicher, dass sich im Laufe dieser Jahre auch in ihrem Leben vieles verändert hat. Und die Arbeit ist nie getan. Noch bevor die sprichwörtliche Tinte trocken ist, kann die Geschichte eine andere sein – die niemals erzählt wird. Um ihre Heilung zu schildern, mussten die Klienten zurückblicken, sich erinnern und die Ereignisse manchmal noch einmal durchleben. Dies war ein wertvoller, oft aber auch schmerzlicher Aspekt für sie. Er vertiefte und verstärkte das Gelernte und brachte häufig neue Einsichten. Ich wollte wissen: »Was hat Alberto gemacht?« Den Befragten fiel es nicht leicht, ihre nichtalltäglichen Erfahrungen in ganz normale Worte zu fassen. Und wenn ich versuchte, sie zu Papier zu bringen, fühlte es sich häufig an, als glitten mir die Worte wie Quecksilber durch die Finger.
Es war keine leichte Aufgabe. Viele der Befragten hatten das Gefühl, als versuchten sie von der Reise in ein fernes Land zu berichten, dessen Landschaften, Bräuche und sogar Sprache ihnen fremd sind. Man ist versucht zu sagen: »Das kann nur verstehen, wer es selbst erlebt hat!«
Diese wenigen Auserwählten stehen für die vielen Menschen auf diesem Weg. Ihre spirituelle Reise hat bereits vor langer Zeit begonnen und geht weit in die Zukunft hinein. Lasst uns die Flügel ausbreiten und mit dem Adler in die Lüfte aufsteigen, um unseren Blick zu weiten und durch seine scharfen, durchdringenden Augen zu schauen. Mit jedem mächtigen Flügelschlag wird das Bild, das sich uns bietet, umfassender, werden seine Grenzen weiter. Wir erkennen die Jahre der Erfahrung, die zur Begegnung und zur Arbeit eines Klienten mit dem Schamanen führten. Alberto sagt: »Entscheidend ist, mit welchem Hintergrund du an die Arbeit herangehst.« Niemand ist soeben erst dem Mutterleib entschlüpft. Wer weiß, was sich hinter dem ersten Schrei eines Neugeborenen verbirgt? Manchmal erhalten wir sogar Einblick in frühere Leben, wie sie eins ins andere fließen.
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