ANKUNFT UND ABWEHR
– Islam in Deutschland
Damals in Dresden
Am Rande der Dresdner Altstadt, die nach zahlreichen Restaurationen wieder stolz ihre barocke Pracht zur Schau trägt, fällt ein wuchtiges Bauwerk seltsam aus dem Panorama. Es zählt sieben Stockwerke, wird von einer Kuppel aus buntem Glas gekrönt und von sieben spitzen Türmen eingerahmt, der höchste misst 62 Meter: die sogenannte »Tabakmoschee«. Sie ist dort schon seit über einhundert Jahren beheimatet, wurde bei den Bombenangriffen vom 13. und 14. Februar 1945 stark beschädigt und 1996 wieder in Stand gesetzt. Eine richtige Moschee war das Gebäude allerdings nie, sondern eine Zigarettenfabrik. Das höchste »Minarett« fungierte tatsächlich als Schornstein.
Ab 1907 ließ der Unternehmer Hugo Zietz die Fabrik für seine Tabakfirma Yenidze bauen. Architektonisches Vorbild soll eine Grabmoschee in Kairo gewesen sein. Die »Tabakmoschee«, wie der Volksmund sie taufte, ist Ausdruck einer vergangenen Faszination für den Orient. Heute sind dort Büros und Gastronomie untergebracht. Von »Dresdens höchstem Biergarten« aus liegt einem die Stadt zu Füßen. Unten zieht gelegentlich Pegida vorbei, um die Mitarbeiter des benachbarten Pressehauses des Lügens zu bezichtigen.
Deutschlands erste echte Moschee wurde unterdessen 1915 im brandenburgischen Wünsdorf gezimmert. Das Holzgebäude war Teil des sogenannten »Halbmondlagers«, in dem im Ersten Weltkrieg bis zu 30.000 Kriegsgefangene inhaftiert waren. Der Großteil der Gefangenen waren Muslime, daher der Name des Lagers. Das Deutsche Kaiserreich wollte die Muslime gut behandeln, um sie zum Überlaufen gegen ihre Kolonialherrscher Frankreich und Großbritannien zu bewegen, und spendierte deshalb auch ein Gotteshaus. Der Erfolg dieser Strategie hielt sich jedoch in Grenzen, und das morsche Gebäude wurde in den 1920ern wieder abgerissen.
Deutschlands älteste noch existierende Moschee steht rund 40 Kilometer von Wünsdorf entfernt. In Berlin-Wilmersdorf durfte die Gesellschaft für islamische Gottesverehrung sie 1924 errichten. Die Gesellschaft stand der Ahmaddiya nahe, einer in Indien zur britischen Kolonialzeit entstandenen, also vergleichsweise jungen Strömung des Islams. Ihre Moschee soll an das indische Taj Mahal erinnern und wird von zwei Minaretten von je 32 Metern Höhe flankiert. Zunächst wurde sie von immigrierten Studenten und Akademikern sowie deutschen Konvertiten genutzt. Die Zahl der Muslime war in Deutschland während der Weimarer Republik noch sehr überschaubar.
Das änderte sich mit dem Zuzug der sogenannten Gastarbeiter in die junge Bundesrepublik. Tausende kamen, unter ihnen auch viele Muslime, vor allem aus der Türkei. Zunächst hatten die Männer (und wenigen Frauen) nicht nur ihre Familien, sondern gewissermaßen auch ihre Religionen in der Heimat gelassen. Doch allmählich wurde Deutschland zum neuen Zuhause. Angehörige zogen nach, Kinder wurden geboren und irgendwann auch die ersten Gebetsräume eingerichtet. Meist wurden Wohnungen oder Industriegebäude zu Moscheen und Gemeindezentren umgestaltet.
Der Großteil der Moscheen in Deutschland besteht heute noch immer in Bauten, die zunächst anderen Zwecken gedient hatten. Schätzungen gehen derzeit von 2.500 bis 3.000 Moscheen in Deutschland aus, von denen nicht einmal jede zehnte Kuppel und Minarett besitzt. Doch als die ersten äußerlich erkennbaren und repräsentativen Moscheen entstanden, wurde den Deutschen allmählich bewusst, dass mit den ehemaligen Gastarbeitern auch eine neue Religion in ihrem Land angekommen war.
Wie viele Muslime leben in Deutschland?
Die Zahl der Muslime in Deutschland wird zumeist mit vier bis fünf Millionen angegeben. Dabei bleibt abzuwarten, welche Auswirkungen der Zuzug von Geflüchteten seit dem Jahr 2015, u. a. in Folge des Syrien-Krieges, auf die Zusammensetzung der Bevölkerung hat. Etwa die Hälfte der Muslime in Deutschland besitzt laut der Studie »Muslimisches Leben in Deutschland« (2009) die deutsche Staatsbürgerschaft. Der Religionswissenschaftliche Medien- und Informationsdienst schätzt, dass in der Bundesrepublik 2,6 Millionen Sunniten leben. Die sunnitischen Muslime bilden weltweit die größte Strömung des Islams. Gefolgt werden sie in Deutschland von einer halben Million Aleviten. Bei dem Alevitentum handelt es sich um eine Richtung des Islams, die vor allem in der Türkei beheimatet ist. Außerdem lebt in Deutschland eine Viertelmillion Schiiten, deren Ursprungsregion der Iran und der Irak ist. Die Zahl der Salafisten in Deutschland, einer radikalen Strömung des sunnitischen Islams, ist laut dem Verfassungsschutz mit etwa 8.350 deutlich geringer, steigt allerdings kontinuierlich an.
Sunniten, Schiiten und Aleviten sind in sich keine homogenen Gruppen, sondern unterteilen sich in theologische Schulen, nationale und regionale Zugehörigkeiten sowie Verbände und Vereine. Daneben existiert in Deutschland eine ganze Reihe kleinerer islamischer Strömungen wie die Ahmaddiya, der Sufismus oder das Alawitentum. Dabei bleibt offen, ob alle vier bis fünf Millionen Menschen sich tatsächlich als Muslime verstehen und ihre Religion praktizieren oder ob sie lediglich eine muslimische Abstammung haben. Es gibt beim Islam in Deutschland keine formalen Zugehörigkeiten wie bei den christlichen Kirchen. Die Studie »Muslimisches Leben in Deutschland« stellt fest, dass nur jeder fünfte Muslim in Deutschland in religiösen Gemeinden und Vereinen organisiert ist. Die Zahlen über die Gruppenzugehörigkeiten der (vermeintlichen) Muslime sind deshalb mit Fragezeichen zu versehen.
Dennoch ist die Anwesenheit von Muslimen in Deutschland auch über Moscheebauten hinaus erkennbar, so am islamischen Religionsunterricht an immer mehr Schulen und am Studiengang Islamische Theologie an mehreren Universitäten. Als erste islamische Religionsgemeinschaft erhielt die Ahmadiyya Muslim Jamaat im Jahr 2013 in Hessen den Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts.
Angst und Abwehr
Wenn neue Religionen in einer Gesellschaft auftauchen, ruft das in der Regel Reaktionen hervor: Neugier, Faszination oder Gleichgültigkeit, nicht selten aber auch Misstrauen, Angst und Abwehr. Ein negatives Islambild besteht in Deutschland allerdings nicht erst, seitdem Muslime hier leben. Polemiken und Stereotype sind Jahrhunderte alt, als Ursprünge gelten die Kriege zwischen christlichen und islamischen Staaten im Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit.
Prägend waren die arabisch-maurische Herrschaft auf der iberischen Halbinsel (711-1492) und für den deutschsprachigen Raum vor allem die sogenannten »Türkenkriege« in Süd- und Osteuropa vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Martin Luther (1483-1546) sah im Osmanischen Reich, das damals Wien zu erobern versuchte, ein Werk des Antichristen. Die Angst vor einer islamischen Eroberung ist dadurch tief im kulturellen Gedächtnis verwurzelt.
Das zeigt sich auch in literarischen Werken: Wer die Abenteuerromane von Karl May (1842-1912) aufschlägt, findet darin viele abwertende Bilder von Islam und Muslimen, wie sie bis heute fortbestehen. Über 100 Millionen Mal wurden Mays Werke laut Verlagsangaben im deutschsprachigen Raum verkauft – ein erheblicher Faktor für die Bildung einer kollektiven Islamauffassung.
Im Zentrum der westlichen Islamstereotype steht seit jeher der islamische Prophet Muhammad. Bereits im Mittelalter hielten ihn viele Europäer für einen Lügner und geistigen Dieb, der seine religiöse Botschaft schlecht bei Juden und vor allem Christen abgeschrieben hatte. Auch Muhammad wurde mit dem Antichristen identifiziert. Er soll, so seine Kritiker, besessen und geisteskrank gewesen sein. Der Islam wurde als dunkle Macht der Eroberung und des Krieges gesehen.
Das Zeitalter der Aufklärung konnte diese Stereotype ins Wanken bringen und ließ auch neutrales und positives Interesse am Islam aufkeimen. Die feindseligen Stereotype treten allerdings wieder zu Tage, seit Muslime in Deutschland leben. So vernimmt man bei Pegida, AfD und anderen heute Parolen, die den mittelalterlichen Polemiken sehr ähneln. Der Aktivist Michael Stürzenberger sagte am 1. August 2016 als Redner bei Pegida in Dresden über Muhammad, er habe Kriege geführt, Kritiker umbringen lassen und auch selbst getötet. »Das ist das Vorbild aller Moslems«, erklärte Stürzenberger dem Publikum: »Viele heißen so und viele führen sich auch genau so auf wie er.«
Verstärkt wurde das abwertende Islambild der Deutschen durch negative Weltereignisse mit Islambezug, wie die Islamische Revolution im Iran 1979. Westliche Medien und Meinungsführer waren entsetzt über die rückständige Gesellschaftsordnung, die der vergleichsweise liberalen iranischen Gesellschaft aufgezwungen wurde. Ein politisierter Islam hatte zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg die Herrschaft über ein Staatsgebiet übernommen und wuchs so als neues Feindbild des Westens heran – zumal der Antagonist des Westens im Kalten Krieg, die Sowjetunion, ihren Schrecken in den 1980er-Jahren verlor. Die bipolare Weltordnung, die seit dem Zweiten Weltkrieg bestanden hatte, zerbrach. Diese Lücke schloss »der Islam« und ermöglichte als neues Feindbild des Westens eine neuerliche Zweiteilung der Welt in gut und böse.
In den 1990er-Jahren wurden in Afghanistan zwei Organisationen groß, die gleichermaßen an der Verbreitung des radikalen Islams und der Islamfeindlichkeit unter Nicht-Muslimen arbeiteten: die Taliban und al-Qaida. Die Terrorgruppe um Osama bin Laden hatte bereits Anschläge auf US-Einrichtungen in Afrika und dem Nahen Osten verübt, als ihr Terrorismus am 11. September...